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Stiegler verteidigt Rente mit 67

Nach Darstellung von SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler gibt es zur Rente mit 67 keine Alternative. Vor der Schlussabstimmung im Bundestag räumte Stiegler ein, dass der spätere Rentenbezug viele Menschen mit Sorge erfülle. Deshalb müsse die Arbeitswelt so umorganisiert werden, "dass die Rente mit 67 ihre Schrecken verliert".

Moderation: Doris Simon |
    Doris Simon: Wenn die Bundestagsabgeordneten heute über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, der Rente mit 67 abstimmen und kurz darauf über den Einsatz deutscher Aufklärungstornados in Afghanistan, dann sind das beides Themen, die der SPD Bauchschmerzen bereiten. Die Rente mit 67 ist mehr als unpopulär bei Basiswählern und Gewerkschaften, und die Beteiligung deutscher Bundeswehrflugzeuge bei der Taliban-Bekämpfung ist so umstritten, dass wohl ein Teil der SPD-Fraktion dem Einsatz nicht zustimmen wird.

    Am Telefon ist jetzt SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler. Guten Morgen!

    Ludwig Stiegler: Schönen guten Morgen!

    Simon: Herr Stiegler, stimmen Sie denn mit voller Überzeugung heute der Rente mit 67 zu?

    Stiegler: Ich stimme mit Überzeugung zu, weil wir keine andere Möglichkeit haben, um langfristig eben unsere gestiegene Lebenserwartung und kürzere Lebensarbeitszeit mit dem Wirtschafts- und Beitragssystem in Übereinstimmung zu bringen. Aber ich bin mir klar: Wir haben unendlich viel Arbeit in den nächsten 20 Jahren, um die Arbeitswelt so zu reorganisieren, dass die Rente mit 67 ihre Schrecken verliert, die sie für viele Menschen heute noch hat.

    Simon:! Sie sagen in den nächsten 20 Jahren. Das ist ja ziemlich lang, und für viele Menschen wahrscheinlich auch zu lang.

    Stiegler: Nein. Die Rente mit 67 tritt ja nicht morgen in Kraft, wie manche Kritiker den Menschen weismachen wollen, sondern sie tritt 2029 in Kraft. Wir haben 2010 noch einmal einen Überprüfungstermin, ob die Arbeitswelt reorganisiert werden kann. Es ist doch komisch, dass in Schweden, das ja gerade für uns Sozialdemokraten der Inbegriff des modernen Sozialstaates ist, der Anteil der Älteren im Erwerbsleben bei 70 Prozent liegt, während er bei uns noch unter 50 Prozent liegt. Also scheint etwas in unserer Arbeitswelt nicht so in Ordnung zu sein, wie es sein sollte. Und daran müssen wir arbeiten. Wir haben ja eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die von Elke Ferner und mir geleitet wird und in der wir eben alles das durchdeklinieren werden, was den einzelnen Menschen dabei hilft, bei der Rente mit 67 auch ein Erwerbsleben zu absolvieren, um dann ohne Abschläge in Rente zu gehen. Das ist das Ziel und nicht Rentenabschläge.

    Simon: Herr Stiegler, zur Rente mit 67 gehört ja auch, Sie sagten vorhin das Wort Überprüfung, dazu gehört ja auch das Programm 50plus. Das soll über 50-Jährige verstärkt zurück in Arbeit bringen. Wenn sich jetzt herausstellt, dass dieses Programm nicht das erreicht was es soll, das ist ja durchaus vorstellbar, wird dann auch das Gesetz zur Rente mit 67 revidiert, damit es eben nicht eine Strafaktion wird zum Beispiel für ältere Arbeitslose?

    Stiegler: 50plus ist parallel dazu zu sehen und wir haben 2010 einen Überprüfungszeitraum, wo dann der Bundestag sich schlüssig werden muss, ob denn die Reform der Arbeitswelt gelingt oder nicht. Aber ich sage noch einmal für die Menschen, die sich jetzt Sorgen machen: Die Rente mit 67 tritt ein 2029, und ab 2012 wird in jedem Jahr ein Monat dazugelegt. Das heißt, es geht langsam. und in dieser Übergangszeit haben wir auch die Möglichkeit, die Beschäftigungssituation älterer Menschen zu verbessern. Es ist aber längst nicht alles, was dort in 50plus steht, sondern wir brauchen auch die Tarifpartner. Es ist doch zum Beispiel klar, dass ein Stahlarbeiter im Heißbetrieb nicht bis 67 Heißbetrieb machen kann. Und damit der eben früher ohne Abschlag in Rente gehen kann, werden wir von den Arbeitgebern mit den Tarifpartnern verlangen müssen, dass sie für den Rentenbeiträge zahlen, die über den Durchschnitt hinausgehen, damit er die dann hat zur Gegenfinanzierung, wenn er früher in Rente geht. Oder es geht darum, dass die Arbeitszeiten und die Schichtzeiten verändert werden. Also da ist einiges im Busch, was dort gemacht werden muss. Wir dürfen ja nicht übersehen: Wir werden 2020 etwa im Durchschnitt der Bevölkerung 5,9 Jahre älter sein. Das heißt, alle Belegschaften werden älter sein und überall wird die Arbeitswelt sich auf das andere Leistungsvermögen von ergrauteren Menschen einrichten müssen. Wer nicht jung sterben will, der wird zu diesen Älteren gehören, und darum ist das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

    Simon: Herr Stiegler, Sie erklären das seit langem sehr geduldig. Das ganze ist ja ein Gesetz der Koalition. Aber anscheinend, das Murren und der Unwille trifft nur die SPD, wenn man sich die letzten Zahlen anschaut. Nur 25 Prozent würde danach die SPD bekommen. Was wollen Sie, außer weiter geduldig Aufklären, tun, um diesen Abwärtstrend zu verhindern?

    Stiegler: Ich denke, wir haben dieses Jahr wirklich schwierige Dinge zu erledigen, und wir werden deshalb in der Stimmung die eine oder andere Einbuße erleiden. Aber Stimmungen sind noch keine Wahlen. Wir haben ja gesehen bei der letzten Bundestagswahl, dass sich Stimmungen auch wieder ändern können. In dem Moment, wo die Menschen realisieren, was denn CDU und FDP zusammen für sie bedeuten würde, und zwar konkret nahend oder drohend, wird sich das eine oder andere wieder ändern. Das heißt, wir dürfen uns von momentanen Stimmungen nicht abhängig machen lassen, sondern müssen das Notwendige und das Richtige tun und eben geduldig erklären. Da hilft alles nichts. In einer Demokratie geht das nicht anders.

    Simon: Was heute auch ansteht im Bundestag, ist die Abstimmung zu den Aufklärungstornados, die nach Afghanistan gehen. Da, das ist jetzt schon absehbar, werden etliche Abgeordnete aus Ihrer Fraktion mit Nein stimmen. Wie lange wird die Fraktion - es geht ja nicht nur um die Tornados; die Rente mit 67; die Gesundheitsreform war ja auch so ein Fall, wo die Fraktion große innere Zerreißproben zu bestehen hatte - das noch mitmachen?

    Stiegler: Zerreißproben klingt etwas dramatisiert. Die Fraktion ist sehr engagiert in den einzelnen Themen, und es gibt natürlich auch unterschiedliche Auffassungen. Aber es sind ganz große stabile Mehrheiten für die Politik, die wir eingeschlagen haben. Im Unterschied etwa zur Rente mit 67 oder Gesundheitsreform ist ja die Frage von Krieg und Frieden aus unserer Sicht von Vornherein eine Gewissensfrage, so dass da niemand etwa das Ansinnen an jemand gestellt hat, hier sich der Mehrheit der Fraktion anzuschließen, sondern das ist ja in der Geschichte der SPD, ich erinnere an die Kriegskredite im Ersten Weltkrieg 1914, war die Frage von Krieg und Frieden immer eine Gewissensfrage, und die wird auch geachtet. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen über die Flügel hinweg, die die Sorge haben, dass man dort immer weiter in diese Auseinandersetzungen hineinverwickelt wird. Natürlich kommt hinzu, dass das Vertrauen in die Amerikaner bei vielen sehr, sehr begrenzt ist. Auf der anderen Seite: Für die große Mehrheit heißt das, wir sind Bündnispartner. Wir haben uns gemeinsam vorgenommen, in Afghanistan ein ziviles Leben ohne die Diktatur der Taliban zu ermöglichen, und niemand möchte, dass die zurückkehren. Das ist insbesondere gestern deutlich geworden etwa am Weltfrauentag, wo niemand will, dass dort diese Herrschaft der alten Mullahs insbesondere auch über die Frauen dort wieder einkehrt. Deswegen wird die Mehrheit dem zustimmen, dass wir unseren Bündnispartnern mit den Möglichkeiten, die wir haben, helfen.

    Aber wir haben gleichzeitig als SPD-Fraktion praktisch als Markenzeichen aufgestellt, wir wollen von der NATO die zivilen Komponenten verstärkt haben. Wir können ja auch schon Erfolge verbuchen. Nicht nur Deutschland macht viele zivile Projekte in seinem Verantwortungsbereich, sondern auch die NATO hat ihre Strategie geändert und sorgt dafür, dass aus den NATO-Truppen keine Besatzungsarmee wird, sondern eine Schutzmacht, die den zivilen Wiederaufbau ermöglicht.

    Simon: Also ein großes Sowohl-Als-Auch heute vor der Abstimmung?

    Stiegler: In der Tat eine schwierige Geschichte, und da rumort es in den Eingeweiden, ja.

    Simon: Ludwig Stiegler war das, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende. Vielen Dank und auf Wiederhören.

    Stiegler: Auf Wiederhören.