Reichel: Nun kann es natürlich passieren, wenn sich jemand auf so einen Aufkleber verlässt, da steht "Sehr gut" drauf, dass bestimmte Eigenschaften dieses Produktes getestet wurden, die dem einzelnen Verbraucher vielleicht gar nicht so wichtig sind. Das kann er ja nicht sehen, wenn er nur nach diesem Aufkleber geht. Wie stark manipuliert das auch die Käufer, die jetzt in den Supermarkt gehen oder in ein Kaufhaus und sehen: Da steht "Sehr gut" drauf von der Stiftung Warentest, das nehme ich jetzt.
Bode: Ich kann den Verbrauchern keinen Vorwurf machen, die so handeln. Auf der anderen Seite haben Sie recht, aus den Aufklebern allein geht ja noch nicht hervor, welche Produkteigenschaften getestet worden sind. Wenn der Verbraucher daran interessiert ist, muss er näher rangehen und sich auch die Zeitschrift kaufen. Auf der anderen Seite kann man generell - so würde ich vorgehen bei technischen Produkten - davon ausgehen, dass es sich um kein schlechtes Produkt handelt. Insofern glaube ich schon, dass es ein gutes Hilfsmittel ist.
Reichel: Mit welchen anderen Kriterien, die bei dem Kauf eine Rolle spielen, konkurriert denn die Empfehlung von Stiftung Warentest, die vielleicht im Test-Heft gegeben wird?
Bode: Es gibt natürlich noch viele andere Eigenschaften, die wichtig sind, nehmen wir mal die Umweltauswirkungen oder die sozialen Auswirkungen. Heute sagt man ja auch, bei Produkten ist es wichtig, auf die gesamte Produktionskette zu gucken, wie sind die Folgen der gesamten Produktionskette und wenn sich einer dafür interessiert, dann muss er sich eben die Mühe machen, diese Produktionskette zu verfolgen. Im Lebensmittelbereich, wo ich mich etwas besser auskenne, ist das ja das Hauptproblem, wenn Sie ein Produkt kaufen, wissen Sie nicht, wie es hergestellt wurde, welches die Auswirkungen sind und oftmals auch nicht, wo es herkommt. Hier gibt es noch ein großes Defizit. Bei technischen Produkten geht es ja in erster Linie um die Funktionalität und die kann man relativ leicht nachprüfen.
Reichel: Jetzt soll ja bei Stiftung Warentest in Zukunft auch das ökonomische und soziale Verhalten von Unternehmen eine Rolle spielen, wir wollen ja noch einen zusätzlichen Zweig aufbauen. Wird die Institution damit nicht auch ein bisschen zum Moralapostel?
Bode: Das kommt darauf an. So wie die Stiftung Warentest gebaut ist, müsste sie auch hier den Verbrauchern die Möglichkeit überlassen, sie frei zu entscheiden. Das heißt, wenn einer diese Eigenschaften beim Kauf besonders berücksichtigen will, dann muss er diese Möglichkeit haben. Insofern ist es richtig, diese Informationen zu liefern. Auf der anderen Seite haben Sie auch recht, muss der Verbraucher natürlich auch die Möglichkeit haben, sich anders zu entscheiden. Wenn die Informationen geliefert werden, ohne dass eine moralische Betriebsanleitung zugegeben wird, ist das in Ordnung, wobei man durchaus auch die Effekte beschreiben kann, wenn ökologisch nicht sorgfältig gearbeitet wird.
Reichel: Möglicherweise kann eine Einschätzung so einer Verbraucherschutzorganisation bei dem Unternehmen, das vielleicht schlecht mit seinem Produkt abschneidet, zu Einbußen führen, eventuell sogar zum Abbau von Arbeitsplätzen. Welche Rolle spielt das für Sie?
Bode: Das ist sehr wichtig. Das ist wichtig, dass das passiert. Deswegen haben wir ja die Marktwirtschaft, dass Anbieter von schlechten Produkten bestraft werden und die Verbraucher dann bei anderen Unternehmen, die bessere Produkte anbieten einkaufen. Das ist ja nicht so, dass dann, wenn ein Unternehmen ein schlechteres Produkt anbietet, dass die Verbraucher es überhaupt nicht kaufen. Die sollen ja nur zu dem anderen Anbieter wechseln, damit ein Wettbewerb statt findet.
Reichel: Aber es gibt ja Unternehmen, die sagen, das stimmt gar nicht, was Stiftung Warentest oder auch was andere Verbraucherschutzorganisationen sagen.
Bode: Das ist die Frage, was sich dann als richtig herausstellt. Die Stiftung Warentest hat eine hervorragende Bilanz, was ihre Prozesse anbelangt und bei den Unterlassungsklagen von Unternehmen, da liegen die extrem gut. Die meisten Unternehmen scheitern mit ihren Klagen. Und wenn Verbraucherorganisationen wie Food Watch Behauptungen aufstellen, müssen sie natürlich richtig sein. Wenn die nicht richtig sind, dann wird sich das schnell herausstellen und die Unternehmen werden sehr massiv vorgehen. Normalerweise sind ja Verbraucherorganisationen viel schwächer, politisch auch viel schwächer. Ein Beispiel: Wir haben kürzlich gesagt, beim Tiermehl gibt es große Risiken, wie mit Tiermehl umgegangen wird. Tiermehl wird als Dünger verwendet und kann in die Nahrungsmittelkette kommen und die Politiker und die Agrarindustrie haben das vehement zurückgewiesen und jetzt sagen selbst die obersten Bundesbehörden, wir haben ein großes Risiko. Die Zahl der BSE-Fälle steigt wieder an. Man muss natürlich als Verbraucherorganisation höllisch sorgfältig arbeiten, sonst wird man gerechtfertigterweise bestraft. Wenn Sie als Verbrauchertestorganisation Produkte laufend falsch testen, dann haben Sie bald keine Existenzgrundlage mehr. Aber der hervorragende Ruf der Stiftung Warentest und die Tatsache, dass sie in den allermeisten Fällen richtig liegen, spricht ja dafür, dass diese Organisation sehr wichtig ist.
Reichel: Als Stiftung Warentest gegründet wurde, hieß es von Seiten der Wirtschaft, das sei doch gar nicht nötig, die Werbung würde den Verbraucher genügend informieren. Das sind natürlich heute Argumente, mit denen kaum noch ein Unternehmen durch kommen würde. Wie hat sich der Verbraucherschutz auch etabliert in der Gesellschaft?
Bode: Generell ist das eine Annahme, die lange Zeit in der Ökonomie bestanden hat. Man hat gesagt, es muss nur der richtige Wettbewerb bestehen, dann konkurrieren die Firmen um die besten Produkte, weil die Verbraucher nur die besten Produkte kaufen und dann braucht man so etwas wie eine Verbraucherorganisation nicht. Es hat sich aber herausgestellt, dass Wettbewerb eben nie gemäß den idealen Regeln funktioniert und ein Wettbewerb nie perfekt ist. Die klassische Verbraucherschutzarbeit, der Verbraucheraktivismus ging los in den USA, mit dem Verbraucheranwalt Ralph Nader, der vor 30 Jahren in einem Aufsehen erregenden Report nachgewiesen hat, dass amerikanische Autos sehr unsicher sind. Der Report hieß "Unsafe at any speed", also "Unsicher bei jeder Geschwindigkeit". Das hat damals einen Riesenaufruhr gegeben und die Autofirmen haben sofort ihre Produktionen umgestellt und die Konsequenzen ergriffen. Mittlerweile ist es so, dass auch die ökonomische Theorie nachgewiesen hat, dass die Marktwirtschaft alleine eben nicht für Verbrauchertransparenz sorgt und für diese Leistung haben im Jahre 2001 zwei Ökonomen den Nobelpreis bekommen für Ökonomie. Das heißt man muss zwei Sachen machen, man muss für Marktransparenz sorgen und man muss vor allen Dingen die Regeln ändern, damit die Verbraucher bessere Transparenz bekommen. Das heißt zum Beispiel beim Lebensmittelbereich wirklich drauf schreiben, welche Technologie eingesetzt wurde und wo das Zeug herkommt und welche Qualität es hat. Daran mangelt es. Wenn Sie heute mal in den Supermarkt gehen und Sie suchen sich einen Softdrink aus. Vergleichen Sie mal fünf oder 20 Apfelsäfte oder sonstige komische Fitnessgetränke, da werden Sie überhaupt nicht informiert. Sie können überhaupt keine Relationen herstellen zwischen dem Preis und einer bestimmten Qualität eines Produktes. Das heißt, wenn die Information besser wird, zum Beispiel wenn in Qualitätsklassen eingeteilt wird bei Lebensmitteln, was wirklich extrem notwendig wäre, dann braucht der Verbraucher weniger Zeit, weil er sofort entscheiden kann, in welche Kategorie sein Produkt fällt. Aus meiner Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass die Verbraucher extrem unterentwickelt sind. Wir stehen erst am Anfang einer Bewegung und Stiftung Warentest ist ein Baustein in der Gesellschaft, Food Watch ist ein anderer, aber da werden die Unternehmen noch einiges zu hören bekommen.
Reichel: Thilo Bode war das, der ehemalige Geschäftsführer von Greenpeace International, heute Chef der Verbraucherorganisation Food Watch zum 40. Geburtstag der Stiftung Warentest.