Ohne Job
Welche Folgen die Stigmatisierung von Arbeitslosen hat

Das soziale Stigma, das noch heute mit Arbeitslosigkeit verbunden ist, beeinträchtigt Betroffene oft schwer. Der Blick "der anderen" verändert ihren Blick auf sich selbst und verringert damit auch die Chancen auf eine erneute Beschäftigung.

Von Magdalena Schmude |
    Eine junge Frau auf dem Weg zur Agentur für Arbeit.
    Bei jüngeren Arbeitslosen ist die gesellschaftliche Stigmatisierung besonders stark. (picture alliance / imageBROKER / Jan Tepass)
    Über Arbeitslose gibt es eine Menge Vorurteile und Klischees: Wer keinen Job hat ist faul, dumm oder hat schlicht keine Lust zu arbeiten. Diese und ähnliche Aussagen tauchen regelmäßig in alltäglichen Gesprächen auf, in den Medien oder in Reden von Politikerinnen und Politikern.

    Inhalt

    Wie sieht die Stigmatisierung von Arbeitslosigkeit aus?

    Erwerbsarbeit bedeutet nicht nur, ein Einkommen und eine feste Tagesstruktur zu haben, in ein berufliches Netzwerk eingebunden zu sein, und im besten Fall eine sinnvolle und erfüllende Tätigkeit auszuüben, sondern ist auch ein wichtiger Faktor für das eigene Ansehen und den sozialen Status. Wer nicht arbeitet, verliert all das zumindest teilweise.

    Dazuzugehören, anerkannt zu werden, das ist etwas, wonach die Menschen bei uns durch die Arbeit streben. Nicht alleine um des Geldes willen wird gearbeitet, sondern auch um sich gesellschaftlich nützlich zu machen, um als etwas zu gelten.

    Christoph Butterwegge, Armutsforscher
    Arbeitslose werden häufig auch selbst mit abwertenden Aussagen konfrontiert. Beim Einkaufen oder im Bus, im privaten Umfeld und vielleicht sogar in Ämtern und Behörden, beim Arzt oder in der eigenen Familie. Wer arbeitslos wird, muss also nicht nur den Jobverlust verkraften, sondern auch mit dem sozialen Stigma umgehen, das damit verbunden ist.
    Und während die langfristigen Folgen von Einkommensverlust, fehlender Struktur und dem Wegbrechen sozialer Kontakte bekannt sind und als Problem anerkannt werden, spielt die Stigmatisierung von Erwerbslosen bisher kaum eine Rolle in der öffentlichen Diskussion.

    Woher kommt die Stigmatisierung von Arbeitslosigkeit?

    Dass Arbeitslose durch den Jobverlust im Ansehen anderer abrutschen, hat mit sozialen Normen zu tun, also ungeschriebenen Vereinbarungen, die unser Zusammenleben prägen. Soziologen vermuten, dass es eine Art „Erwerbsarbeits-Norm“ gibt, also die Grundannahme, dass alle arbeiten sollen, um sich selbst zu versorgen und der Gemeinschaft nicht zur Last zu fallen.
    Wer dagegen verstößt, wird „sanktioniert“, sein sozialer Status verschlechtert sich. Das zeigt sich häufig auch daran, wie über Arbeitslose gesprochen wird.
    Woher diese „Erwerbsarbeits-Norm“ kommt und wie genau sie sich in unserem Zusammenleben auswirkt, wird noch untersucht. Klar ist: Diese Norm gilt nicht immer und nicht für alle gleich stark. Wer zum Beispiel eigene kleine Kinder betreut oder schon sehr alt ist und nicht arbeitet, für den gelten Ausnahmen von der Norm. Arbeitslosigkeit kurz vor dem Rentenalter wird zum Beispiel deutlich weniger stigmatisiert.
    Bei Arbeitslosigkeit im mittleren Lebens- und damit im besten Erwerbsalter schlägt die Norm dagegen voll durch. Dabei wird häufig nicht hinterfragt, warum jemand nicht arbeitet, ob der Jobverlust selbstverschuldet war oder nicht, eine Krankheit oder andere langfristige Probleme dahinterstecken.
    Genau das ist auch das Kernproblem von Stigmatisierung, sagen Soziologen: Allein, weil jemand zur Gruppe der Erwerbslosen gehört, werden ihm oder ihr bestimmte negative Eigenschaften zugeschrieben. Individuelle Umstände spielen keine Rolle mehr.

    Was macht die Stigmatisierung mit Betroffenen?

    Die Stigmatisierung von Arbeitslosigkeit hat messbare Folgen: Arbeitslose haben Nachteile auf dem Wohnungsmarkt, im Gesundheitswesen und werden, vor allem nach längerer Erwerbslosigkeit, seltener und zu schlechteren Bedingungen wieder eingestellt. Vermutlich, weil der Jobverlust wie ein negatives Signal wirkt, wenn sich potentielle Arbeitgeber ein Bild von Bewerbern machen.
    Denn um einschätzen zu können, wie produktiv jemand ist, sind sie auf Indizien angewiesen. Zeugnisse und andere Qualifikationsnachweise sind positive Hinweise. Arbeitslosigkeit, vor allem, wenn sie schon länger andauert oder sich wiederholt, wird dagegen als Zeichen geringer Produktivität interpretiert.
    Unter der Stigmatisierung leiden aber auch Lebenszufriedenheit und Gesundheit von Betroffenen. Das zeigen Untersuchungen, bei denen das Bewusstsein für die eigene Stigmatisierung abgefragt wurde.
    Wer das Stigma besonders stark wahrnimmt, bemüht sich im Schnitt auch stärker um einen neue Beschäftigung, haben Untersuchungen gezeigt. Erwerbslose mit hohem Stigmabewusstsein verbringen mehr Zeit mit der Arbeitssuche und bewerben sich häufiger. Das muss aber nicht schneller zu einer neuen Anstellung führen. Stattdessen kann sich die Erfahrung, abgelehnt zu werden, wiederholen.

    Wie versuchen Arbeitslose, der Stigmatisierung zu entkommen?

    Wer immer wieder Abwertung erfährt, zieht sich zurück und vermeidet Situationen, in denen die eigene Arbeitslosigkeit zum Thema werden könnte. Das ist vor allem bei Langzeitarbeitslosen nachgewiesen.
    Damit verlieren Erwerbslose nicht nur Kontakte zu ehemaligen Arbeitskollegen, sondern auch zu anderen Menschen in ihrem sozialen Umfeld, die einen Job haben. Neue Leute kennenzulernen wird schwieriger und im Extremfall reißt sogar der Kontakt zur eigenen Familie ab, wenn der Jobverlust dort regelmäßig auf stigmatisierende Weise angesprochen wird.

    Wenn das auf Familienfeiern regelmäßig zur Sprache kommt, dann findet häufig ein Rückzug aus diesen Kontexten statt. Das ist im Grunde ein Schutzmechanismus.

    Sebastian Lang, Leibniz-Institut für Bildungsverläufe
    Jener Teil der Erwerbslosen, der das Stigma besonders stark wahrnimmt, „entkoppelt“ sich dadurch zunehmend vom arbeitenden Teil der Gesellschaft und hat stattdessen vor allem Kontakt zu anderen Menschen ohne Job, um unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen.
    Eine andere Strategie kann Anpassung sein, also der Versuch, sein Verhalten so zu verändern, dass es möglichst wenig Angriffsfläche für die Missbilligung der anderen bietet.
    Stigmatisierung kann auch zu aktiver Gegenwehr führen. Beide Strategien können die Erfahrung, abgewertet zu werden, aber nicht verhindern.

    Was könnte helfen, das gesellschaftliche Stigma abzubauen?

    Dafür gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Sowohl auf der persönlichen Ebene bei den Betroffenen selbst als auch gesellschaftlich müsste sich etwas verändern. Denn die Stigmatisierung von Erwerbslosen mit all ihren Folgen macht es vor allem für Langzeitarbeitslose schwerer, wieder einen Job zu finden. Und das ist auch ein gesellschaftliches Problem.
    Am Anfang steht Aufklärung. Denn wer sich darüber bewusst ist, welche Mechanismen zur Abwertung von Erwerbslosen führen, kann auch selbst aktiv werden, schlagen Sozialforscher vor. Um nicht mehr passiv der Abwertung der Mehrheit ausgesetzt zu sein, könnten sich Betroffene zum Beispiel politisch organisieren, die Stigmatisierung zum Thema machen und gemeinsam ein realistischeres Bild von ihrer Situation schaffen.
    Ganz praktisch könnten gerade Langzeitarbeitslose auch von niedrigschwelligen Beschäftigungsangeboten profitieren, die dafür sorgen, dass sie wieder einen Einstieg in den Arbeitsmarkt finden. Wichtig ist aber, dafür zu sorgen, dass die angebotene Arbeit von ihnen selbst und auch von ihrem Umfeld als „echte Arbeit“ angesehen wird.
    Nicht zuletzt wäre auch gesellschaftlich ein Umdenken nötig. Welche Normen gibt es und welche Werte und Erwartungen stehen dahinter? Was führt dazu, dass wir auf Arbeitslose herabschauen, statt es als gemeinsame Aufgabe zu sehen, ihnen zu helfen? Und wie wollen wir als Gesellschaft mit Menschen in schwierigen Lebenslagen umgehen? Wer sich klar macht, wie schnell er oder sie selbst in eine solche Situation geraten kann, wird wahrscheinlich eher bereit sein, andere zu unterstützen.