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Stimmenkönigin Muhterem Aras

Muhterem Aras ist Stimmenkönigin - ihren Wahlkreis Stuttgart 1 hat sie bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg direkt geholt und damit auch viele CDU Wähler auf ihre Seite gezogen.

Von Michael Brandt |
    Eine Woche nach der Landtagswahl hat der Verband der türkischen Unternehmer in Stuttgart Vertreter der Parteien eingeladen, um über die politische Situation zu reden und es wird munter palavert. Rund zwanzig Männer und drei Frauen haben sich um ein paar zusammengestellte Tische gesetzt. Der Büroraum ist erkennbar nicht für so viele Menschen gemacht, aber die Stimmung ist gut.

    Gekommen ist ein Rechtanwalt von der SPD, zwei Vertreterinnen der Integrationspartei BIG und die Überraschungssiegerin dieser Wahl, die Grüne Muhterem Aras. Die dunkelhaarige Frau, deren Augen immer in Bewegung sind, ist die erste türkischstämmige Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg seit sie der CDU im Wahlkreis Stuttgart 1 das Direktmandat mit 42,5 Prozent abgenommen hat.

    "Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiges Signal auch für hier","

    sagt die 44-Jährige und da sind sich alle Anwesenden einig. Sogar Generalkonsul Mustafa Türker Ari ist gekommen und erklärt:

    ""Als Türken möchten wir gerne, dass die türkische Gemeinschaft die hier lebt, in jedem Bereich aktiv ist. Frau Muhterem Aras ist die erste Parlamentarierin hier im Landtag und das freut uns selbstverständlich."

    Auch Ilyas Yilmaz, der Chef des türkischen demokratischen Unternehmerbundes, begrüßt Aras Einzug in den Landtag ausdrücklich:

    "Selbstverständlich, denn es ist sehr wichtig dass wir vertreten sind. Wir haben zwar einen Migrantenhintergrund, aber wir sind deutsche Staatsbürger und wollen hier vertreten sein."

    Für Muhterem Aras ist aber klar, dass sie keine Politik ausschließlich für Türken oder türkischstämmige Baden-Württemberger macht. Migranten sind für sie ein Teil der deutschen Gesellschaft und daher ist es für sie selbstverständlich, dass sie auch ein Teil der Politik sind. Daraus folgt für sie:

    "Ich mache keine Politik für die Türkei. Ich bin eine deutsche Politikerin."

    Keine Klientelpolitik für Türken will sie machen. Aber Aras steht natürlich für die Integrationspolitik der Grünen. Im Wahlprogramm fordern die Chancengleichheit für Kinder mit Migrationshintergrund. Aras, selbst zweifache Mutter, sagt aber, dass es ihr bei der Integration vor allem um die soziale Herkunft - und nicht so sehr um die ethnische geht:

    "Mir geht es wirklich darum, dass wir Bildungschancen für alle Kinder erreichen. Das geht gar nicht nach Ethnie, sondern die Selektion in unserem Bildungssystem passiert nach sozialem Status. Da sind jetzt vielleicht heute mehr Menschen mit Integrationshintergrund betroffen, aber es betrifft letztlich alle, die keine akademischen Hintergrund haben oder nicht in einer bestimmten Wohnlage leben. Diese Menschen sind von unserem Bildungssystem systematisch benachteiligt und das gilt es aufzubrechen."

    Muhterem Aras selbst hat es im baden-württembergischen Bildungssystem geschafft. Aber bei ihr gehörte erstens Glück und zweitens ein starker Willen dazu. Sie gehört nicht wie die meisten türkischstämmigen Stuttgarter der zweiten oder dritten Migrantengeneration an, sondern sie ist mit 12 Jahren aus Anatolien gekommen.

    "Ich bin 1978 mit zwölf Jahren aus einem sehr kleinen anatolischen Dorf direkt nach Filderstadt gekommen durch Familiennachzug. Mein Vater war schon früher hier und hat uns fünf Geschwister nachgeholt."

    Der Umzug in den Stuttgarter Vorort war ein Kulturschock.

    "In dem Dorf, wo ich damals gelebt habe, gab es damals noch keinen Laden, keine geteerten Straßen."

    Für Aras stand aber schnell fest: Sie wollte dazugehören. In ihrer Klasse. In ihrer neuen Heimat. Sie war neugierig und ihre Eltern ließen der jungen Frau viele Freiheiten - unter einer Bedingung, die sie erfüllte: gute Schulnoten

    "Wenn wir eine eins geschrieben haben, haben wir fünf D-Mark von unserem Vater gekriegt, wir hatten sonst sehr wenig Geld, mein Vater hat alleine verdient und wir waren fünf Kinder."

    Muhterem Aras schloss die Hauptschule als Schulbeste ab, dann kamen Wirtschaftsschule und Wirtschaftsgymnasium und anschließend das Studium in Stuttgart-Hohenheim. Heute führt sie ein Steuerberatungsbüro mit neun Angestellten.

    "Wir hatte einfach das Glück, dass meine Eltern sehr offen waren für diese neue Gesellschaft, aber auch die aufnehmende Gesellschaft war sehr offen. Ich erinnere mich an keine Situation, wo wir als Kinder diskriminiert worden wären oder nicht mitmachen durften. Ich denke, wenn beide Seiten eine gewisse Offenheit zeigen, dann gelingt Integration wirklich fast spielerisch."

    Dass ihre Integration gelungen ist, erkennt man auch an dem Wahlergebnis. Stuttgart hat zwar insgesamt einen hohen Migrantenanteil, aber ausgerechnet im Wahlkreis 1 von Muhterem Aras ist er im Verhältnis zu anderen Ortsteilen eher gering. Es ist also keineswegs so, dass sie ihr Direktmandat vor allem den Migranten zu verdanken hat, sondern denjenigen Stuttgartern, die wie Aras gegen Stuttgart 21 und gegen Atomkraft sind. Und es ist keineswegs so, dass die Migranten in Stuttgart die klassischen Wähler der Grünen sind. Auch die türkischen Unternehmer berichten, dass ihre Stimmen ans gesamte Parteienspektrum gehen. Insofern freut sich die frisch gebackene Landtagsabgeordnete über jede Stimme, die sie bekommen hat, die von türkischstämmigen Wählern sind aber doch

    ""das i-Tüpfelchen, gar keine Frage. Das will ich auch gar nicht relativieren"."

    Ein ganz anderes i-Tüpfelchen könnte es bei den Koalitionsverhandlungen für Aras geben. Es wird zumindest gemunkelt, dass sie nicht nur im Landtag sitzen wird, sondern auch der ersten grün-roten Regierung in Baden-Württemberg angehören könnte.