Donnerstag, 02. Mai 2024

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Stimmung im Osten auf dem Tiefpunkt

Die Stimmung der Menschen in Ostdeutschland ist so schlecht wie seit Anfang der 90er Jahre nicht mehr. Einer Studie des Sozialverbandes Volkssolidarität zufolge waren 2006 nur 39 Prozent der Bürger in den neuen Bundesländern mit ihrer Situation zufrieden. 2005 waren es noch 46 Prozent. Eckhardt Rehberg, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern, sagte, vor allem die älteren Ostdeutschen seien verunsichert.

Moderation: Gerd Breker | 16.01.2007
    Gerd Breker: Der Bundesverband der Volkssolidarität, das ist so etwas wie die Caritas des Osten, hat den Sozialreport 2006 in Berlin vorgestellt. Das Thema war "Sinkende Lebenszufriedenheit und wachsende Zukunftsangst in den neuen Bundesländern" und das Ergebnis: Die Menschen in Ostdeutschland blicken so pessimistisch wie noch nie zuvor in die Zukunft.

    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Eckhardt Rehberg, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern. Guten Tag Herr Rehberg!

    Eckhardt Rehberg: Schönen guten Tag nach Köln!

    Breker: Herr Rehberg, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt und die Stimmung in Ostdeutschland auf dem tiefsten Stand seit der Einheit. Da läuft irgendetwas schief?

    Rehberg: Nun ist ja diese Befragung aus dem letzten Jahr, und die Stimmung und die ganze Datenlage haben sich ja insbesondere auch verfestigend in den letzten Wochen aufgehellt, sowohl was die wirtschaftliche Entwicklung auch im Osten betrifft, aber auch dann letztendlich die Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt. Aber richtig ist natürlich, wenn der Sozialreport sagt, dass sich in den letzten Jahren insbesondere dann auch unter der Regierung Schröder die soziale Lage insbesondere der Älteren verschlechtert hat. Ich spreche immer von der Kohlschen Rentnergeneration und von der Rentnergeneration danach. Der 1990 gut 50-Jährige hat nicht mehr diese geschlossene Lebensbiografie zur Rente, und insoweit, sage ich mal, haben wir da zwei verschiedene Rentnergenerationen. Gerade die Älteren sehen natürlich auch, auch wenn sich der Arbeitsmarkt nach meiner festen Überzeugung dieses Jahr deutlich beleben wird, dass sie natürlich sehr, sehr schwer es haben werden, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen. Und dann dürfen wir nicht vergessen: Wir hatten gerade 2006 auch noch ganz massiv das Thema Hartz IV.

    Breker: Also auch aus Ihrer Sicht, Herr Rehberg, kann man das Ergebnis dieser Untersuchung der Volkssolidarität nicht einfach damit abtun, dass man von Jammer-Ossis spricht, sondern es gibt ganz konkrete Gründe, warum die Menschen dort so empfinden und denken?

    Rehberg: Ich denke, das ist nicht nur ein ostdeutsches Problem, hier sicher verschärfter, aber ich denke, wenn eine ähnliche Fragestellung in den alten Bundesländern vorgenommen werden würde, würden wir in der Tendenz sicher gleiche Entwicklungen haben. Natürlich werden hier auch von dem Einzelnen die harten Fakten teilweise ausgeblendet. Wenn ich nur das Beispiel Arbeitslosengeld II beziehungsweise Hartz IV nehme, dann liegt das ALG II deutlich über der ehemaligen Sozialhilfe. Oder auch bei vielen Niedrigverdienern im Osten, die aus der Arbeitslosenhilfe in Hartz IV gekommen sind, hat sich die materielle Situation nicht zwingend verschlechtert. Zum Beispiel sind Familien mit Kindern heute bei Arbeitslosengeld II deutlich besser gestellt als früher in der Sozialhilfe. Also ich glaube, man muss auch ein Stück weit unterscheiden, wie sind die harten Fakten und wie ist dann auch der gefühlte Umstand, das Gefühlte von den Menschen. Aber grundsätzlich muss man natürlich sagen, dass sich zwischen dem Sozialreport 2000 und dem von 2006 die Lage in den neuen Bundesländern nicht verbessert hat.

    Breker: Aber es sind nicht nur, Herr Rehberg, die wirtschaftlichen Umstände, über die die Menschen in Ostdeutschland, in den neuen Bundesländern klagen. Sie beklagen auch eine mangelnde soziale Gerechtigkeit. Das ist aus Ihrer Sicht ohne Grund?

    Rehberg: Ich glaube, wir müssen als Politik insgesamt weiter vermitteln, dass wir, wenn wir die Sozialsysteme zukunftsfest machen wollen, dass wir weiter reformieren müssen. Wenn Sie nur das Thema Rente nehmen - die Eckrenten im Osten sind ja nicht so schlecht auch im Vergleich zu den alten Bundesländern -, müssen wir zum Beispiel deutlich sagen, dass ein Drittel der Rente über Steuern finanziert wird. Oder wir müssen auch den Menschen die Alternative klar machen bei der Gesundheit, steigende Lebenserwartung gerade und auch im Osten in den letzten 15 Jahren, dass wir das nicht kompensieren können mit höheren Krankenkassenbeiträgen. Dass bei den Menschen angekommen ist, vielleicht dies in den neuen Ländern weniger als in den alten Ländern, dass ein Weiter-so im Bereich der Sozialsysteme uns in eine ganz schwierige Situation gebracht hat, sondern dass wir jetzt reformieren müssen, auch wenn es wirtschaftlich wieder aufwärts geht, ich glaube, das ist ein Stück nicht nur von Politik, sondern von Gesamtgesellschaft.

    Breker: Es geht ja nicht genau um Reformverweigerung der Menschen in den neuen Bundesländern, sondern sie vermissen die soziale Gerechtigkeit auch in den Reformen.

    Rehberg: Ich glaube schon, dass bei Reform immer auch Verunsicherung dabei ist. Und was die soziale Gerechtigkeit betrifft, gerade weil es die Älteren sind: Was bei denen an zwei Stellen ganz hart im Osten nagt, das ist einmal, dass die Ostrente gesetzlich immer noch deutlich hinter der Westrente zurückgeblieben ist. Im Osten konnten die Leute keine Vermögen ansparen. Es gibt ganz wenige Betriebsrenten nur. Das Weitere ist natürlich, dass diese Verunsicherung gerade bei den Älteren ist: Was wird aus mir?

    Ich glaube wir müssen ganz einfach auch klarer machen, wir haben es ja auch im letzten Jahr getan, dass wir im Sozialbereich zum Beispiel bei den Arbeitnehmern, die beste Sozialpolitik für mich ist, mit den Sozialbeiträgen runterzugehen, denn wer 1000 Euro brutto im Monat verdient, der bezahlt keine Steuern, aber Sozialbeiträge. Ich glaube, dass diese soziale Balance im letzten Jahr nicht aus den Augen verloren wurde, dass dies bei den Menschen aber in weiten Teilen noch nicht angekommen ist.

    Breker: Ein weiterer Punkt in dieser Studie, Herr Rehberg, ist, dass die Menschen den geringen politischen Einfluss, den sie selber haben, beklagen. Irgendwie scheint die Dividende der Demokratie in Ostdeutschland nicht angekommen zu sein.

    Rehberg: Ich denke, das ist ganz unterschiedlich. Natürlich erleben wir zunehmend eine Flucht aus dem politischen Raum, auch gerade aus dem kommunalpolitischen Raum hin in freie Wählergemeinschaften, weg von den Parteien, aber auf der anderen Seite ist es natürlich auch so: Wer nicht Verantwortung übernimmt, wer sich zum Beispiel nicht in eine Gemeindevertretung, in einen Kreistag wählen lässt, dafür kandidiert, der kann natürlich auch nichts politisch beeinflussen.

    Hier spiele ich mal den Ball an die Volkssolidarität zurück: Inwieweit ist sie vor Ort selber aktiv, gerade die Senioren zu ermuntern mit steigender Lebenserwartung, mit viel besserer Fitness, viel besserer Gesundheit, dass man sich selber vor Ort auch als Verband engagiert für die Interessen seiner Senioren? Das sehe ich zum Beispiel, weil die Volkssolidarität ja Auftraggeber ist für diesen Sozialreport, auch nicht sehr stark ausgeprägt.

    Breker: Wäre das auch eine Erklärung für die Erfolge von Rechtsradikalen, dass die Menschen ein Gefühl der geringen politischen Einflussnahme haben?

    Rehberg: Die Rechtsradikalen, die NPD vermittelt ja den Eindruck, dass das alles so einfach sei. Das Leben, die Demokratie ist nicht so einfach. Aber ich glaube, der springende Punkt ist hier, dass immer nur der Vorwurf an die Parteien kommt, dass man der NPD das bürgerschaftliche, das gesellschaftliche Engagement überlassen hat. Aber hier glaube ich, sind wir alle gefordert. Das sind Gewerkschaften, das sind Kirchen, das sind die Medien, das sind aber auch solche Verbände wie zum Beispiel die Volkssolidarität. Wenn da nicht vor Ort ein weit über die Parteien hinausgehendes Bündnis entsteht, dann überlässt man natürlich der NPD ob beim Kinderfest, ob bei dem Müll-bei-Seite-Räumen im Frühjahr ganz einfach das Feld. Die NPD wird immer dort erfolgreich sein, wo andere nicht vorhanden sind. Wenn selber das eigene demokratische, bürgerschaftliche Engagement da ist, dann wird die NPD auch nicht erfolgreich sein.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Eckhardt Rehberg, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern. Vielen Dank für dieses Gespräch.

    Rehberg: Wiederhören.