Sonntag Mittag an der Place Leon Blum im 11. Pariser Arrondissement. Im hiesigen Rathaus wurde am Samstag ein psychologischer Notdienst für Opfer und Augenzeugen der Attentate eingerichtet. 180 Menschen kamen am ersten Tag, Sonntagvormittag waren es schon weitere 30. Vor dem Eingang steht ein Tisch, überladen mit Blumensträußen, Kerzen, dazwischen ein Schulheft als Kondolenzbuch. Dort kopiert eine ältere Dame fein säuberlich eine Botschaft von einem mitgebrachten Zettel. Von Barbarei ist da die Rede, davon, dass sie mit den Familien der Opfer trauert. Seit 40 Jahren lebt die Frau im Viertel.
"Ich liebe mein Viertel aus tiefstem Herzen, die Bevölkerung ist bunt gemischt, von jung bis alt, eine sehr angenehme Gegend. Ein Kleine-Leute-Viertel, sehr lebendig, voller Orte, wo sich viele junge Leute treffen. Hier leben unterschiedlichste Kulturen friedlich zusammen, insofern ist das Viertel ein bisschen Symbol der französischen Republik. Wahrscheinlich haben die Terroristen es deshalb aufs Korn genommen. "
Zwei Frauen um die 50 tragen sich im Kondolenzbuch ein. Vorletzten Samstag noch waren sie, wie so oft, im Bataclan tanzen, berichten sie.
"Gestern haben wir uns zuhause eingebunkert und zitternd und weinend von früh bis spät Nachrichten geschaut."
"Als ich mal ganz kurz aus dem Haus bin, fiel mir die bleierne Stille draußen auf. In Paris ist es sonst nie ruhig. Da habe ich mir geschworen, heute auf jeden Fall rauszugehen, meine Freundin und ich werden nun Blumen und Kerzen vor dem Bataclan aufstellen. Wir sind Pariserinnen und wir werden uns nicht unterkriegen lassen."
"Als ich mal ganz kurz aus dem Haus bin, fiel mir die bleierne Stille draußen auf. In Paris ist es sonst nie ruhig. Da habe ich mir geschworen, heute auf jeden Fall rauszugehen, meine Freundin und ich werden nun Blumen und Kerzen vor dem Bataclan aufstellen. Wir sind Pariserinnen und wir werden uns nicht unterkriegen lassen."
"Die Terroristen tun alles dafür, uns zu entmenschlichen"
Fünf Gehminuten entfernt, hinter dem Platz der Bastille, drängen sich normalerweise Sonntags beim Wochenmarkt die Kunden vor den Ständen. Heute ist der Ort komplett verwaist; ein Mann um die 50, ein Einkaufs-Rollwägelchen im Schlepptau, steht leicht verloren herum. Freunde von ihm haben am Freitag Angehörige verloren, er selbst wohnt in der Rue de Charonne, wo 18 Menschen auf der Caféterrasse erschossen wurden.
"Was ich sagen möchte, ist politisch nicht korrekt. Ich empfinde ein absolutes Bedürfnis nach Vergeltung. Ich kann die Regierung zwar verstehen, aber ich hätte sofort Dschihadisten-Stellungen in Syrien bombardiert. Ich lese gerade ein Buch über Hannah Ahrendt, - die Terroristen tun alles dafür, uns zu entmenschlichen. Ich bin selbst erschüttert über meine heftige Reaktion."
Auf einer Caféterrasse erinnert sich Grégoire Mauffrey an Freitagabend. Unterwegs zu einem Freund war er im 10. Arrondissement völlig unwissentlich auf den Spuren der Attentäter. Wenige Minuten nach den Anschlägen. Als er die ersten Leichen auf der Straße liegen sah, glaubte er noch an einen Bandenkrieg. Um die Ecke stieß der junge Mann erneut auf Tote. Polizei und Sanitäter hatten die Leichen schon mit weißen Tüchern abgedeckt.
"Unter einem Tuch ragten die Füße heraus, bekleidet mit Netzstrümpfen und Stöckelschuhen. Da habe ich begriffen, dass dies kein Opfer eines Bandenkriegs war. Sondern dass jemand willkürlich Menschen erschossen hatte."
Unbekannte helfen
Gregoire Mauffrey irrte durch Paris und landete in der Nähe des Bataclan, als dort wild geschossen wurde. Er fand Zuflucht in einem Innenhof, wo sich schon ein Dutzend Kneipenbesucher verschanzt hatte.
"Ich habe dann im Hof geschaut, wo im Haus Licht brannte und daraufhin an einer Tür im 2. Stock geklingelt. Als der Hausherr, ein Mittvierziger, der dort mit seiner Familie wohnt, aufmachte, wirkte er sehr erstaunt, aber nicht unfreundlich. Er hatte noch nichts von den Schießereien mitbekommen. Später kam er runter und hat uns alle zu sich eingeladen. Er hat uns bewirtet, wir hingen alle vor den Fernsehnachrichten und gegen 3 Uhr früh hat er uns angeboten, bei ihm zu übernachten."
Freitag gen Mitternacht, nach dem Ausrufen des Notstands, startete auf Twitter spontan die Kampagne "Offene Tür": unzählige Menschen boten Herumirrenden einen Schlafplatz für die Nacht. Solidarität gegen den Terror.