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Stimulieren gegen den Schlaganfall

Wenn ein Mensch nach einem Schlaganfall schnell in die Klinik kommt, versuchen die Ärzte das störende Blutgerinnsel aufzulösen. Ansonsten bleibt nur die Rehabilitation. Dafür werden neue Behandlungsstrategien dringend gebraucht. Einen ganz einfachen Ansatz haben jetzt amerikanische Forscher an Ratten erprobt.

Von Volkart Wildermuth |
    Zeit ist Gehirn bei einem Schlaganfall, sagt Ron Frostig, und oft dauert es lange, zu lange, bis die Patienten in die Klinik kommen. Entscheidend wäre es, den Familienmitgliedern, Freunden, Ersthelfern einen Weg aufzuzeigen, über den sie das geschädigte Gehirn des Betroffenen unterstützen können. Einen solchen Weg glaubt Ron Frostig gefunden zu haben. Dabei ist der Professor für Neurobiologie der Universität von Kalifornien in Irvine eigentlich gar nicht für den Schlaganfall zuständig. Er ist Grundlagenforscher, untersucht die Sinnesverarbeitung im Gehirn von Ratten.

    Werden deren Schnurrhaare berührt, reagiert ihr Gehirn, sendet Blut zu den Nervennetzen, die diesen Sinnesreiz verarbeiten. Das ist nichts Neues. Die Idee von Ron Frostig besteht darin, diesen Effekt für die Behandlung eines Ratten-Schlaganfalls zu nutzen. Denn bei dieser Krankheit ist das Hauptproblem die verstopfte Ader und damit der Blut- und Sauerstoffmangel. Der Hirnforscher löste bei betäubten Ratten einen künstlichen Schlaganfall aus und begann ein einzelnes Schnurrhaar anzustupsen. Der Effekt war verblüffend:

    "Es gibt ein Zeitfenster von zwei Stunden. Wenn man da ein einzelnes Schnurrhaar für fünf Minuten stimuliert, ist das Gehirn vor den Folgen des Schlaganfalls geschützt. Die Berührung des Schnurrhaars sorgt für eine Umleitung des Blutflusses und damit für die Sauerstoffversorgung in dem geschädigten Areal."

    Das Blut kann natürlich nicht aus der blockierten Arterie kommen. Im Gehirn gibt es aber vielfältige, wenn auch kleine Querverbindungen zwischen den Adern. Offenbar reicht das Signal der Schnurrhaare aus, diese Querverbindungen zu öffnen und so das rettende Blut in die Schlaganfallzone zu dirigieren.

    "Wenn sie mich ansehen und mir zuhören schickt das Gehirn Blut in ihre Seh- und Hörareale. Hier passiert genau dasselbe. Nerven in der Schlaganfallzone fordern Blut an. Aber das tun sie nur, wenn sie aktiviert werden. Ohne Stimulation geschieht nichts. "

    Nun haben Menschen keine Schnurrhaare. Vergleichbare Effekte lassen sich bei den Ratten aber auch über andere Sinneskanäle erzielen, etwa über die Ohren. Ron Frostig hat den betäubten Ratten nach dem künstlichen Schlaganfall laute Töne vorgespielt. Hier ist die Schutzwirkung nicht ganz so groß, weil das Hörareal, anders als die Schnurrhaarzone, nicht im Zentrum des Schlaganfalls liegt. Das alles sind Experimente mit Ratten. Noch hat niemand überprüft, was für eine effektive Umorganisation des Blutflusses im Gehirn menschlicher Schlaganfallpatienten notwendig wäre. Ron Frostig ist aber davon überzeugt, dass hier ein vielversprechendes Forschungsgebiet liegt.

    "Sollte sich der Effekt auf Menschen übertragen lassen, dann hätten wir eine schützende Therapie ohne Medikamente, ohne Geräte, ohne Nebenwirkungen. Familienmitglieder, Freunde oder Ersthelfer könnten sie anwenden, lange bevor der Krankenwagen kommt."

    Ganz ohne Risiko ist allerdings auch die Stimulation der Sinne nicht. Bei den Ratten sorgt die Reizung der Schnurrhaare direkt nach dem Schlaganfall für eine Umverteilung des Blutflusses. Stunden später dagegen schadet die Aktivierung, wohl weil sie andere Heilungsprozesse beeinträchtigt. Direkt nach dem Auftreten der ersten Symptome, der Lähmungen oder des Sprachverlustes sollte eine Anregung der Sinne in jedem Fall nicht schaden und vielleicht hilfreich sein, so Ron Frostig.

    "Ich würde alles Mögliche versuchen. Anders als bei unseren Experimenten weiß man ja nicht, wo der Schlaganfall liegt. Und man muss die Nerven in genau dieser Region aktivieren. Ich würde einfach alles versuchen."

    Wie effektiv eine solche Aktivierung ist, können erst Studien an Menschen zeigen. Aber es wäre sicher gut, einen Schlaganfallpatienten nicht in einem dunklen Raum bis zur Ankunft des Notarztes ruhen zu lassen, sondern mit ihm zu sprechen, ihn zu streicheln, vielleicht das Radio anzuschalten. Das spendet Trost und vielleicht auch Nervenschutz.