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Stinner: Bundesregierung hat stringente Argumentation verfolgt

Auch wenn sich Deutschland nicht an Militäroperationen gegen den libyschen Machthaber Gaddafi beteilige, agiere man federführend in der NATO und der Europäischen Union, betont FDP-Außenexperte Rainer Stinner. Die Risiken, in einen veritablen Bodenkrieg verwickelt zu werden, seien der Bundesregierung zu groß gewesen.

Rainer Stinner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 21.03.2011
    Jasper Barenberg: Auch zwei Tage nach Beginn der Militäraktion gegen Libyen ist die NATO weiter gespalten über eine mögliche eigene Beteiligung und zerstritten wie selten. Eine Einigung scheiterte vergangene Nacht offenbar am Einspruch der Türkei. Andere Bündnispartner fühlen sich außerdem schlecht informiert und sie kritisieren, dass Franzosen, Briten und Amerikaner vorgeprescht sind.

    Welche Rolle die Europäische Union im Krieg gegen Libyens Diktator Gaddafi spielen will, spielen kann, darüber beraten heute in Brüssel die europäischen Außenminister. Im Mittelpunkt dürfte dabei die humanitäre Hilfe für das Land stehen. Außerdem wollen die Außenminister die Sanktionen gegen das Regime in Tripolis ausweiten und verschärfen.

    Die Luftschläge gegen Ziele in Libyen, sie sollen das Regime daran hindern, weiter mit tödlicher Gewalt gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen. Es ist ein Angriff in buchstäblich letzter Minute. Gerade waren Gaddafis Truppen und seine Söldner dabei, auch die letzten Bastionen der Rebellion zurückzuerobern. Eine Flugverbotszone hätte wohl in wenigen Tagen keinen Sinn mehr ergeben. Jetzt dagegen hat Frankreich einen Flugzeugträger in Marsch gesetzt, Dänemark, Kanada und Belgien schicken weitere Kampfflugzeuge, auch arabische Staaten wie Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate haben angekündigt, sich militärisch zu beteiligen an den Operationen. Es ist eine Koalition, zu der Deutschland ausdrücklich nicht dazugehören will. Darüber wollen wir jetzt mit Rainer Stinner sprechen, dem außenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen, Herr Stinner.

    Rainer Stinner: Guten Morgen!

    Barenberg: Der Aufstand der Opposition in Libyen, er stand ja kurz vor einer Niederlage. Sind die Luftschläge, ist die Flugverbotszone die richtige Antwort?

    Stinner: Nun, es ist jedenfalls eine Antwort und es bleibt abzuwarten, ob diese Antwort ausreicht, um das Ziel zu erreichen, und nicht Weiterungen (und zwar negative Weiterungen) hervorzurufen. Wir erleben ja schon jetzt, dass die Arabische Liga, die angeblich ja mitmachen wollte, das Vorgehen bisher schon sehr stark kritisiert. Bisher hat kein arabisches Land teilgenommen. Katar hat angekündigt, teilzunehmen, eventuell heute, aber bisher haben sie es noch nicht getan, und aus der Arabischen Liga selber hört man genau die problematischen Vorwürfe, die man befürchten konnte, nämlich dass es ein Krieg des Westens gegen ein arabisches Land ist und dass die Arabische Liga sagt, wir haben einer Flugverbotszone zugestimmt, aber nicht einer Bombardierung der Zivilbevölkerung.

    Nun gehe ich nicht davon aus, dass bisher bewusst Zivilbevölkerung bombardiert worden ist, das auf keinen Fall, aber das was die UNO beschlossen hat, geht ja weit über eine Flugverbotszone hinaus. Der Artikel 4 der UNO-Resolution erlaubt eben ausdrücklich und ermächtigt eben ausdrücklich zu sämtlichen militärischen Angriffen außerhalb einer Besatzung durch Menschen mit Soldaten vor Ort. Das ist die Lage, die wir gegenwärtig haben, und die Lage ist sehr schwierig.

    Barenberg: Sie haben die Position, die Haltung der Arabischen Liga angesprochen. Das war ja immer auch in den Worten von Außenminister Guido Westerwelle eine der Bedingungen für eine Beteiligung, als er noch einer möglichen Beteiligung Deutschlands auch offener gegenüberstand. Nun liegt nicht nur offiziell die Zustimmung der Arabischen Liga vor, sondern es ist ja auch so gewesen, dass Libanon im Sicherheitsrat das Mandat beantragt hat. Waren damit nicht alle Voraussetzungen, alle Bedingungen erfüllt, die auch die Bundesregierung immer gestellt hatte?

    Stinner: Nun, die Bundesregierung hat, wie ich finde, eine stringente Argumentation verfolgt. Die kann man angreifen, aber sie ist zumindest jedenfalls schlüssig. Die Bundesregierung hat gesagt, zunächst hat sie gesagt, wir wollen uns selber nicht an dem Krieg in Libyen beteiligen. Das war die Ausgangssituation. Und jetzt darauf basierend dann die Frage, wie verhält man sich im Weltsicherheitsrat. Nun sagen einige in Deutschland, sie hätten trotzdem mit Ja stimmen können, um dann aber zu sagen, wir machen nicht mit. Das halte ich für problematisch, deshalb hat die Bundesregierung sich enthalten, denn wir dürfen nicht vergessen: Wir sind unbestritten das größte europäische Land. Wir sind einer der größten NATO-Partner. Und wenn natürlich eine solche Operation anläuft und dann eben beschlossen ist, dann ist doch völlig klar, dass sofort das Auge auf die Großen fällt in der NATO und in der EU auch, die mitmachen können, und dann wäre natürlich die Anforderung an Deutschland gewesen und zu sagen, wir sind zwar für die Aktion und stimmen mit, aber wir machen da nicht mit. Das wäre dann wohl ein Widerspruch gewesen. Deshalb hat die Bundesregierung in dieser Argumentationslage sich so verhalten.

    Ich stelle fest, auch nach der Debatte im Bundestag am Freitag, die ja sehr lebhaft zu diesem Thema war, dass auch die Opposition keine klare andere Haltung gehabt hat. Es hat niemand gesagt, Deutschland hätte sich anders verhalten sollen. Es wurde kritisiert von einigen von der SPD, dass Deutschland nicht mit Ja gestimmt hat, andere hingegen, und zwar führende wie Herr Gabriel und Herr Steinmeier, sind der Meinung, dass die Bundesregierung sich richtig verhalten hat.

    Barenberg: Bleiben wir, Herr Stinner, bei der Koalition, bei der Regierung. Sie verwickelt sich ja jetzt doch in einen Widerspruch, denn auf der einen Seite befürwortet sie ausdrücklich die Ziele der Resolution, will sich aber auf der anderen Seite nicht beteiligen. Das ist doch auch ein Widerspruch.

    Stinner: Die Ziele der Aktion meinen Sie? Ja. Die Ziele der Revolution, dass der Herr Gaddafi abgelöst wird? – Ja, das ist völlig richtig. Aber wir haben gesagt, wir beteiligen uns nicht an militärischen Aktionen, weil wir befürchtet haben, dass das, was jetzt einzutreten scheint – es ist ja alles noch sehr, sehr vorläufig, was wir dort erleben -, eben eine Gefahr mit sich bringt, dass ein weiteres Mal der Westen als der Eindringling gesehen wird in ein arabisches Land, und das hat erhebliche politische Weiterungen. Außerdem kann man eben nicht so klar zwischen einer Flugverbotszone und dem Durchsetzen trennen und dann, was daran kommt, denn das werden wir jetzt noch erleben. Selbst wenn es gelingt – und die Hoheit, die Überlegenheit derjenigen, die dort eingreifen, Amerika und andere, ist natürlich evident -, dennoch wird das nicht dazu führen, dass kurzfristig Gaddafi militärisch besiegt wird, und dann ist die Frage, was macht man dann. Und von daher hat die Bundesregierung gesagt, daran beteiligen wir uns nicht, aber die Bundesregierung und Deutschland ist an vorderster Front, um weitere Dinge eben zu machen, zum Beispiel um vorzuschlagen, was heute ja im Rahmen der EU auch besprochen wird, nicht beschlossen, aber besprochen wird jedenfalls, die Sanktionen auszuweiten und dorthin zu lenken, wo sie dem Herrn Gaddafi wirklich weh tun, nämlich auf den Ölbereich, das heißt ein Ölembargo gegen Libyen zu verhängen. Und das wäre eine Maßnahme, die ihm wirklich sehr weh tut, denn dann bekommt er keine weiteren Mittel mehr.

    Barenberg: Keine Frage. Waren aber die militärischen Mittel, die militärischen Angriffe nicht jetzt die letzte Chance, eine sowohl menschliche als auch weltpolitische Katastrophe zu verhindern?

    Stinner: Das kann man so sehen. Wie gesagt, ich ...

    Barenberg: Sie sehen das nicht so?

    Stinner: Ich verstehe, dass man so argumentieren kann. Aber die Weiterungen und die Risiken, die damit verbunden sind, insbesondere die Risiken, dann in einen veritablen auch Bodenkrieg verwickelt zu werden in der Konsequenz daraus, waren der Bundesregierung zu groß, und deshalb hat sie sich so positioniert.

    Barenberg: Kann denn Neutralität funktionieren, wenn ein Diktator die eigene Bevölkerung mordet?

    Stinner: Das ist natürlich eine grundsätzliche ethische Frage in der Politik, und wir hören jetzt ja vielerorts, dass natürlich der Umgang mit Diktatoren zu kritisieren ist. Das ist auch aus einer Wertehaltung ja durchaus verständlich. Allerdings kann ich nur noch mal wiederholen, was schon öfter gesagt worden ist: Wenn wir die Maßstäbe, die wir in Deutschland anlegen, in Deutschland haben an Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechtspolitik, anlegen würden an alle Länder der Welt, dann hätten wir Schwierigkeiten, mit sehr vielen Ländern Kontakt aufzunehmen. Das ist eine bittere Wahrheit, aber es ist ein Teil der Realpolitik, der man sich stellen muss.

    Barenberg: Herr Stinner, die Bundesregierung, Deutschland ist Mitglied der NATO. Wie soll sich jetzt die Bundesregierung positionieren, was die Planung der NATO angeht?

    Stinner: Ja. Die NATO ist ja, wie man sieht, oder wie man hört, ja sehr zerstritten. Es gibt dort Länder, die Kritik auch üben, wie die Türkei. Das hört man aus NATO-Kreisen. Ein Land ist bisher nicht in der Öffentlichkeit erschienen, das ist Polen, die auch sich sehr ähnlich positioniert haben wie Deutschland, und wir haben in der NATO tatsächlich einen Streitfall und eine große Diskussion, die vor allen Dingen auch darum geht, wer denn eigentlich die Operation führen soll, ob das ein Land führen soll, zum Beispiel Frankreich, zum Beispiel England, zum Beispiel Amerika, oder ob die NATO es führen soll. Ich vermute, dass es heute dazu in der NATO, auch in den nächsten Tagen, keine einvernehmliche Meinung geben wird, weil doch die Meinungen zu sehr aufeinanderprallen. Aber es zeigt sich, dass mit der kritischen Haltung bezüglich eines militärischen Vorgehens Deutschland weder in der NATO, noch in der Europäischen Union alleine ist.

    Barenberg: Rainer Stinner, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Danke für das Gespräch.

    Stinner: Danke schön! Guten Morgen!