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Stinner: Israels U-Boote dienen der Verteidigung

Die an Israel gelieferten und offenbar atomar aufgerüsteten deutschen U-Boote werden defensiv eingesetzt, meint der FDP-Verteidigungspolitiker Rainer Stinner. Israel habe das Recht, sich zu verteidigen. Er geht davon aus, dass die Bundesregierung dafür sorgt, dass Israel keinen Präventivschlag gegen den Iran führt.

Das Gespräch führte Jasper Barenberg | 04.06.2012
    Jasper Barenberg: Den Besitz von Atomwaffen hat Israel nie offiziell bestätigt, aber auch nicht dementiert. Fachleute vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri schätzen das Arsenal des Landes in ihrem druckfrischen Jahresbericht auf 80 Sprengköpfe. Mit einigen von ihnen soll Israel Marschflugkörper an Bord von U-Booten bestückt haben, die einst Deutschland geliefert hat. Hat die Bundesregierung also entscheidenden Anteil an der nuklearen Aufrüstung in einer Konfliktregion, in der Konfliktregion Nahost? Das legen Recherchen des "Spiegel" nahe, mit denen das Blatt heute aufmacht.
    Am Telefon begrüße ich jetzt den FDP-Außenpolitiker Rainer Stinner. Schönen guten Morgen.

    Rainer Stinner: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Stinner, hat die Bundesregierung Israel dabei geholfen, sich ein schwimmendes Atomwaffenarsenal zuzulegen?

    Stinner: Das weiß ich nicht, es weiß niemand so genau, aber die Informationen, die der "Spiegel" jetzt gebracht hat, über die ist natürlich seit Jahren, wird natürlich in Berlin und überall auf der Welt spekuliert, dass in der Tat die U-Boote benutzt werden, um Israel Zweitschlagskapazität zu ermöglichen. Wir müssen davon ausgehen und das müssen wir akzeptieren und das akzeptiere ich jedenfalls vollständig, dass im Mittelpunkt sämtlicher israelischer Politik die Sicherheit des Landes stehen muss. Man muss sich nur die Umgebung anschauen, die Größe anschauen, die Bedrohung anschauen, dann ist völlig verständlich, dass Israel darauf angewiesen ist, sich verteidigen zu können. Und dieser Vertrag, den die Bundesregierung, oder den Deutschland geschlossen hat mit Israel über die Lieferung der U-Boote, der ist ja schon sehr, sehr alt und er ist erwachsen aus der Unterstützung für die Sicherheit Israels, und dazu gehörten auch die U-Boote. Über die genaue Verwendung weiß ich genau so wenig wie Sie, sondern ich muss mich auf die Presseinformationen verlassen. Aber ich sage Ihnen, es ist insofern keine Neuigkeit, als spekulativ über dieses Thema seit Jahren schon gesprochen wird.

    Barenberg: Das ist klar, Herr Stinner. Sie wollen es nicht wissen, oder Sie Können es nicht wissen?

    Stinner: Nein, ich kann es nicht wissen. Ich kann es nicht wissen, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wie der Vertrag aussieht, ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wie die U-Boote aussehen, und ich kann nicht mit Sicherheit sagen, wie Israel damit umgeht. Aber von dem politischen Szenario, von dem Sicherheitsszenario her ist natürlich Israel darauf angewiesen, einen möglichen atomaren Angriff von wem auch immer – und es kommt gegenwärtig ein Land infrage, was Israel mit der Auslöschung bedroht: Das ist der Iran -, dass Israel darauf angewiesen ist, eine Zweitschlagskapazität eventuell zu haben, und für eine solche Zweitschlagskapazität würde es Sinn machen, die mit entsprechenden U-Booten herzustellen.

    Barenberg: Sollte die Bundesregierung sich denn dafür auch interessieren, was mit U-Booten geschieht und wie sie verwendet werden, die Deutschland an Israel liefert?

    Stinner: Ja. Ich gehe auch davon aus, dass natürlich bei den Verhandlungen der Bundesregierung mit Israel über das gesamtpolitische Szenario gesprochen wird. Und insofern muss man sagen – ich hatte ja gesagt, dieser Vertrag ist sehr, sehr alt schon -, muss natürlich die Bundesregierung (und ich gehe davon aus, dass das auch gemacht wird) in den Verhandlungen über das letzte U-Boot zum Beispiel das gegenwärtige politische Szenario berücksichtigen. Die Welt hat sich verändert, auch in der Region hat sie sich verändert, und das muss natürlich in die Beurteilung und auch in die Diskussion über solche U-Boote eingehen.

    Barenberg: Weil Sie sagen, der Vertrag sei alt – also der jüngste Vertrag für U-Boot Nummer sechs jedenfalls, den hat Angela Merkel im März 2012, also in diesem Jahr, unterzeichnet.

    Stinner: Aber das ist ja eine Abmachung, die schon länger gilt über die Lieferung von sechs U-Booten. So verstehe ich das, ich habe den Vertrag nicht gesehen. Und das ging jetzt darum, das sechste U-Boot abzuzeichnen im Prinzip. Nach meinem Wissensstand – aber wie gesagt, das ist Spekulation – stellt sich die Situation neu dar, wenn jetzt Israel die Boote sieben, acht, neun eventuell anfordert. Dann gibt es, müsste es neue Situationen geben und neue Verhandlungen geben und dann müsste die Bundesregierung sicherlich auch in den Verhandlungen überlegen, wie eine solche Lieferung in das gesamtpolitische Szenario der Region hineinpasst.

    Barenberg: Die Bundeskanzlerin hat ja, wenn man jedenfalls den Recherchen des "Spiegel" vertrauen möchte, durchaus auch Bedingungen geknüpft an die Lieferung jetzt von zwei U-Booten, von denen eben die Rede ist oder die den jüngsten Vertrag umfassen. Es ging da um die israelische Siedlungspolitik, um die Bitte, Zurückhaltung zu üben, es ging um den Bau eines Klärwerks in Gaza. All das ist nicht geschehen, aber die Boote werden trotzdem geliefert. Verzichtet also die Bundesregierung darauf, in dieser Form Einfluss zu nehmen, wenn sie solche Waffensysteme liefert?

    Stinner: Ich kann das nicht bestätigen, was dort besprochen worden ist, aber ich gehe davon aus und alles deutet darauf hin, dass sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bundesaußenminister nachhaltig auf Israel einwirken, um die von Ihnen angesprochenen Situationen herbeizuführen, und ich glaube, dass die Bundesregierung und auch die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister beide im Gleichklang hier sehr deutlich und nachdrücklich auf Israel einwirken. Davon gehe ich aus und auch das ist ja sogar zum Teil öffentlich sichtbar geworden, mit welcher Intensität die Bundesregierung auf Israel einwirkt.

    Barenberg: Und mit welcher Erfolglosigkeit bisher.

    Stinner: Das vermag ich gegenwärtig jetzt nicht zu sagen. Es gibt in Israel ja durchaus auch interessante innenpolitische Veränderungen und durch die neue Konstellation der neuen Regierung – wir wissen noch nicht genau, wie sie sich auswirken wird. Aber es gibt auch in dieser Region und auch in Israel Veränderungen, und ich weiß nicht, inwieweit die Bundesregierung intensiv mit der israelischen Regierung über solche Veränderungen auch spricht.

    Barenberg: Frühere Spitzenbeamte aus dem Berliner Verteidigungsministerium, zum Beispiel der Ex-Staatssekretär Rühl, oder der ehemalige Planungschef Rühle, haben dem Magazin ja bestätigt, sie seien jedenfalls schon immer davon ausgegangen, dass Israel auf den gelieferten U-Booten Nuklearwaffen stationieren will und auch wird. Wenn man dagegenstellt die Richtlinie der Regierung, der Bundesregierung, zum Export von Rüstungsgütern, die verbieten ja eigentlich Lieferungen solcher Waffensysteme in Krisenregionen. Hat sich also Angela Merkel, hat sich die Bundesregierung über diese Regeln einfach hinweggesetzt?

    Stinner: Wissen Sie, das kann man jetzt unterschiedlich interpretieren, diese Regelungen. Die Regelungen sagen auch, die Rüstungsexportrichtlinien sagen auch, dass Rüstungsexporte zulässig sind, wenn sie die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland befördern. Und die Sicherheit Israels ist mit Sicherheit ein außenpolitisches Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Also hier gibt es sicherlich konfliktäre Zielsetzungen. Aber ich sage ja auch sehr deutlich, man muss natürlich die Situation heute betrachten, die anders ist als sie vor zehn oder X Jahren war, als erstmals über solche U-Boot-Lieferungen dieser neuen Kategorie nachgedacht worden ist, und ich gehe davon aus, dass man bei den Verhandlungen mit Israel auf die neue Situation eingeht und dass man entsprechend auch politische Verhandlungen führt, die dazu führen, dass natürlich Israel mit diesen U-Booten keinen Gebrauch macht, der eventuell den deutschen Stabilitäts- und Sicherheitsinteressen in der Region widerspricht.

    Barenberg: Wie könnte das denn aussehen?

    Stinner: Zum Beispiel ich gehe nach wie vor davon aus, dass diese U-Boote rein defensiv eingesetzt werden. Sie ermöglichen Israel im Falle eines Angriffes, sich zu verteidigen. Ich halte es für richtig, dass Israel im Falle eines Angriffes sich verteidigen kann, und die defensive Aufgabe dieser U-Boote, die stelle ich jedenfalls nicht infrage.

    Barenberg: Wenn man jetzt mal zugrunde legt, dass die Bundesregierung tatsächlich die Linie verfolgt hat, wir liefern ein konventionelles Waffensystem und schauen nicht so genau hin und wollen auch gar nicht so genau wissen, was die israelische Regierung dann damit anstellt, dann würde das ja auch bedeuten, dass ein möglicher Präventivschlag, der im Gespräch ist und mit dem Israel ja immer wieder droht, unter Umständen von diesen U-Booten aus gestartet werden könnte.

    Stinner: Nein! Mit Verlaub, das ist wirklich einfach eine falsche Einschätzung, die leider auch Herr Grass in seinem verunglückten Gedicht ausgesprochen hat. Sie müssen sehr deutlich unterscheiden zwischen der Defensivkapazität Israels, die durch diese U-Boote gewährleistet und sichergestellt werden, und den gegenwärtig so befindlichen möglichen Schlägen der israelischen Luftwaffe gegen Nuklearwaffen, gegen Nuklearanlagen im Iran. Diese sehe ich sehr kritisch, die lehne ich ausdrücklich ab, und ich weiß, dass auch die Bundesregierung sehr deutlich auf Israel einwirkt, einen solchen Flächenbrand in der Region nicht zu veranstalten. Aber das ist militärisch eine völlig andere Aufgabe. Hier geht es darum, dass die israelische Luftwaffe eventuell erwägt, oder die Politik erwägt – die Luftwaffe erwägt ja noch nicht mal; die Militärs sind ja strikt dagegen in Israel -, die Politik erwägt eventuell oder sagt das jedenfalls zu erwägen, einen Luftschlag gegen Iran zu führen. Das hat mit den U-Booten überhaupt nichts zu tun.

    Barenberg: Ich habe schon angesprochen: Drei U-Boote sind ja schon vor Jahren geliefert worden. Nummer vier soll Anfang nächsten Jahres ausgeliefert werden und U-Boot Nummer fünf dann 2014, ein Jahr später folgen. Sollte man noch mal genau hingucken, welche Forderungen hätten Sie, sollen Bedingungen gestellt werden an dieses Geschäft?

    Stinner: Also ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung sehr deutlich auf Israel einwirkt, dass die Bedingungen, wie sie genannt sind, erfüllt werden. Ich gehe auch davon aus, dass die Bundesregierung auf Israel weiterhin einwirkt, dass Israel diesen angekündigten oder den angedrohten Präventivschlag gegen Iran nicht durchführt. Das sind politische Initiativen und ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung in den intensiven Kontakten mit Israel, die zum Glück ja vorhanden sind, solche Fragen auch deutlich anspricht.

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Stinner: Die SPD fordert Aufklärung von der Bundesregierung. Unterstützen Sie diesen Appell?

    Stinner: Also das ist natürlich eine Forderung, die ein SPD-Politiker als Oppositionspolitiker immer stellen muss, und von daher verstehe ich das, was er natürlich gemacht hat.

    Barenberg: Rainer Stinner, der außenpolitische Sprecher der FDP im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Stinner.

    Stinner: Gerne! Auf Wiederhören!

    Barenberg: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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