Archiv


Stinner: Nicht jeder Gegner Assads ist unterstützenswert

Die Struktur der syrischen Opposition sei unklar, sagt Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: Nicht jeder, der gegen Assad sei, setze sich auch für eine positive Entwicklung in Syrien ein. Deshalb bleibe er gegenüber Waffenlieferungen skeptisch.

Rainer Stinner im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Rainer Stinner ist außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Stinner!

    Rainer Stinner: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Stinner, Waffen für die syrischen Rebellen. Ist das denn so abwegig, was Paris und London jetzt fordern?

    Stinner: Ich bin nach wie vor sehr, sehr skeptisch, ob das der richtige Weg ist. Es ist völlig unklar die Struktur der Opposition in Syrien. Nicht jeder, der gegen Assad ist, ist damit jemand, der unterstützenswert ist und der für eine zukünftige positive Entwicklung des Landes in der Region sorgt. Wir haben eine Opposition außerhalb des Landes, die jetzt sich in einer Koalition zusammengefunden hat, aber da gibt es auch welche, die dagegen sind. Und wir haben vier oder fünf verschiedene kämpfende Gruppen in Syrien, von denen einige erkennbar jedenfalls solche Leute sind, die wir besser nicht unterstützen sollten, weil sie eventuell dann ihre Waffen gegen uns und gegen andere wenden werden. Also, das ist sehr komplex und deshalb bin ich nach wie vor sehr, sehr zurückhaltend, was die Genehmigung von Waffenlieferungen an Syrien angeht.

    Zagatta: Gibt es denn da Bewegung jetzt in der Bundesregierung, steht das zur Debatte, wird diese ablehnende Haltung noch einmal überdacht? Es gibt ja da unterschiedliche Meinungen aus Brüssel, wie ist da heute Morgen Ihr Stand?

    Stinner: Nun, ich meine, das war natürlich eine heftige Diskussion offensichtlich gestern in Brüssel darüber und natürlich ist die Bundesregierung gehalten, dass, wenn wesentliche Partner eine Veränderung der Position anstreben, wie das Großbritannien und Frankreich gegenwärtig tun, mit diesen beiden anderen europäischen Partnern darüber zu sprechen, ob sich etwas inhaltlich verändert hat. Und ob der Beschluss, der erst Ende Februar gefällt worden ist – es ist ja nichts Neues, ist ja nichts, was erst seit einem halben Jahr gemacht wurde, wir haben noch Ende Februar gemeinsam in der EU diesen Beschluss verlängert –, ob dieser Beschluss jetzt aufzuheben ist. Und dass man sich in die Diskussion begibt, ist völlig klar. Aber ich sehe, dass die EU hier durchaus gegenwärtig sehr gespalten ist. Wir haben zwei Propagandisten, die das wollen, England und Frankreich, während viele andere Länder – und da geht es nicht um Deutschland –, viele andere Länder sehr energisch gegen solche Waffenlieferungen sind. Und das muss in Brüssel in den nächsten Wochen diskutiert werden.

    Zagatta: Aber es geht ja vor allem um die großen EU-Länder, die da entsprechende militärische Mittel auch haben oder hätten. Wiederholt sich da das, was wir in Libyen erlebt haben? Also, Frankreich und Großbritannien Hand in Hand und die Deutschen stehen abseits?

    Stinner: Nein, ich will das so nicht sehen. Wie gesagt, Deutschland steht nicht abseits, sondern im Augenblick stehen Großbritannien und Frankreich abseits. Sie sind zwar große Länder und sind Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, aber wenn Sie sich die EU insgesamt angucken, so ist die Mehrheitsmeinung der EU nach wie vor, das Embargo aufrechtzuerhalten. Aber wie gesagt, ich bin ja bereit – und die Bundesregierung wird das sicherlich auch sein –, dass man sich mit Argumenten auseinandersetzt. Und wenn irgendjemand beweisen könnte, dass die Waffen, die wir dort liefern, unbedingt in die richtigen Hände kommen und dass sie richtig verwendet werden, dann könnte man darüber nachdenken. Ich gebe aber zu bedenken, dass die Ausrüstung mit Waffen von Oppositionskräften durchaus auch in der Vergangenheit auch problematisch war, das war in Afghanistan problematisch und auch in anderen Ländern. Und die Frage ist ja, was zieht eines Tages in den Waffen und führt das zu einer Eskalation, einer weiteren Eskalation dieses furchtbaren Krieges? Das sind Gedanken, die man sich machen muss. Und wie gesagt, da bin ich bisher sehr zurückhaltend.

    Zagatta: Ist das denn für Sie in Ordnung, dass Frankreich und Großbritannien jetzt trotz der anderslautenden EU-Beschlüsse mit Alleingängen drohen. Oder ist das irgendwie auch eine Frechheit?

    Stinner: Das ist jedenfalls sehr bemerkenswert und nicht im Sinne einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die wir ja anstreben. Wir alle wissen, wie schwer das ist, das ist auch wieder ein weiterer Fall dafür. Aber diese Ankündigung, wir sind ein souveräner Staat und können eventuell auch alleine, ist sicherlich nicht gut im Bezug auf eine gemeinsame Politik. Und ich glaube, das ist etwas, was wir auch durchaus offen ansprechen müssen. Dass das Bestreben doch sein muss, dass wir zur gemeinsamen Position kommen. Und dass einzelne Länder dann sagen, wenn ihr nicht wollt, dann machen wir es eben alleine, dient nicht einer gemeinsamen europäischen Position.

    Zagatta: Wie erklären Sie sich das? Ist das ein Beleg, dass man da in Paris und London ohnehin den Deutschen nicht zutraut, da irgendwie mitzumachen?

    Stinner: Nun, dass sowohl Frankreich als auch Großbritannien bei ihrer, wie man das fachterminologisch sagt, Force Protection, bei ihrer Art, wie sie ausdrücklich betreiben und wie sie bereit sind, militärische Mittel einzusetzen, anders gepolt sind als Deutschland, das ist klar. Das ist aber auch nicht weiter schlimm, wir müssen eine gemeinsame Lösung finden. Nun kann man durchaus spekulieren, weshalb gerade der französische Präsident in den letzten Tagen so drastisch dort aufgetreten ist. Es wird spekuliert, dass das eventuell auch innenpolitische Argumente haben kann. Das sind Spekulationen, die ich jetzt nicht weiter kommentieren kann. Aber das ist ja leider durchaus auch in der Vergangenheit schon häufig erlebt worden, dass man versucht, innenpolitische Probleme mit außenpolitischen markigen Worten zu übertönen. Das ist eine Spekulation, wie gesagt, aber das ist sicherlich eine Gemengelage von Argumenten, die da eine Rolle spielen.

    Zagatta: Herr Stinner, die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Sie vorhin ja auch angesprochen haben, die wünschenswert wäre, gibt es die überhaupt oder gibt es die nur auf dem Papier in irgendwelchen hehren Erklärungen. Und in der Praxis jetzt, wie sich jetzt wieder zeigt, eigentlich nicht?

    Stinner: Nun, es gibt sie in einer ganzen Reihe von Feldern, die nicht spektakulär sind. Wenn es klappt und wenn man sich einig ist, wird es ja auch nicht öffentlich gemacht und wird ja auch nicht offen diskutiert. Aber ich verhehle nicht, dass es bei wichtigen Fragen immer ein zähes Ringen ist, das haben wir in den letzten Jahren erlebt, das … Es gibt immer noch fünf europäische Länder, die den Kosovo nicht anerkennen. Die europäischen Länder hatten eine unterschiedliche Position bei der Anerkennung Palästinas als Non-member-Observer-Staat und so weiter. Es gibt also jeweils wirklich ein, zwei Mal im Jahr Konfliktsituationen, aber das hindert mich nicht daran, weiterhin darauf hinzuarbeiten, dass wir gemeinsame Positionen erarbeiten, so schwierig das auch sein mag!

    Zagatta: Herr Stinner, die Kämpfe in Syrien, die dauern jetzt schon auf den Tag genau fast … oder ziemlich genau, ich glaube, gestern war der Jahrestag, jetzt zwei Jahre an. Es soll 70.000 Tote geben, Verhandlungen haben bisher nichts gebracht. Auch aus deutscher Sicht, muss man daraus jetzt nicht irgendwelche Konsequenzen ziehen?

    Stinner: Nun, also, zunächst mal sollte man, finde ich, aus deutscher Sicht eine humanitäre Konsequenz ziehen, die ich seit Wochen oder seit Monaten einfordere mit anderen Kollegen im Deutschen Bundestag. Dass die deutsche Bundesregierung auf unbürokratischem Wege dafür sorgen sollte, in dieser furchtbaren humanitären Katastrophe syrischen Flüchtlingen zu erlauben, nach Deutschland zu kommen. Wir haben in Deutschland viele Syrer, die wunderbar etabliert sind, die hier seit langer Zeit leben, die sich verpflichten wollen und würden, ihre Verwandten aufzunehmen. Und wir sollten jetzt wirklich einen Weg finden, dass wir über unsere Hilfe hinaus in der Region, die wir ja tun und die richtig ist für Flüchtlingslager, auch ein humanitäres Zeichen setzen. Dass wir hier syrische Flüchtlinge zu ihren Verwandten nach Deutschland, die für sie bürgen, die für sie bezahlen, kommen lassen würden. Das wäre ein humanitäres Zeichen …

    Zagatta: Und vor Ort, um dem Gemetzel ein Ende zu machen, sehen Sie da irgendwelche Möglichkeiten?

    Stinner: Nun, das ist … Also, ich glaube, dass wir von Anfang an unterschätzt haben – das ist eine bittere Wahrheit, aber es ist die Wahrheit –, welche Unterstützung Assad nach wie vor in seinem Land hat! Das mögen wir nicht gerne hören, weil Assad natürlich durch sein Verhalten sich völlig außerhalb der internationalen Gemeinschaft gestellt hat. Aber es ist jedenfalls nicht so, dass dort die große Mehrheit der Bevölkerung gegen ihn ist, er hat nach wie vor Unterstützung! Und deshalb ist, glaube ich, es am Anfang falsch gewesen, dass man apodiktisch gefordert hat, bevor man überhaupt irgendetwas macht, muss Assad weg. Das ist zwar ethisch vielleicht geboten und man fühlt sich gut dabei, wenn man so was fordert. Aber ich glaube, wenn man von Anfang an energischer auf eine Verhandlung hingearbeitet hätte unter Einschluss des verhassten Assad-Regimes – das ist Realpolitik –, hätte man eventuell eine ganze Reihe von Toten vermeiden können. Und ich glaube, auch zum heutigen Zeitpunkt muss man überlegen, wie man politisch weiterkommt. Für mich ist das erste Anliegen, das Töten zu stoppen, das erste Anliegen, das Töten zu stoppen. Und da muss ich realpolitisch sein, mit welchen Mitteln kann ich das machen? Und wenn ich ein Regime nicht besiegen kann im Augenblick. Wenn der Bürgerkrieg jedenfalls nicht zugunsten der Opposition gegenwärtig ausgeht, dann muss ich mir überlegen, mit welchen politischen Mitteln ich komme. Es gibt jetzt zum Glück aus New York seit gestern etwas neue Signale, was den UN-Sicherheitsrat angeht: Gestern hat es zum ersten Mal eine einstimmige Positionierung gegeben. Da geht es um die Grenzsituation zwischen Syrien und Libanon. Das zeigt, dass Russland und China jetzt doch vielleicht gemeinsam mit dem Westen hier arbeiten wollen. Das ist ein Erfolg versprechendes Zeichen und ich kann nur hoffen, dass das weitergeht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Russland auf Dauer ein Interesse daran haben kann, das Assad-Regime so weiter zu stützen. Russlands strategische Interessen in der Region werden dadurch nachhaltig beschädigt. Und Russland kann es nicht recht sein, wenn, wie neulich geschehen, offensichtlich Assads Waffen, die von Russland Assad gelieferten Waffen bei der Hisbollah landen. Das ruiniert Russlands Ansehen in der Region und seine Position in der internationalen Welt. Und von daher hoffe ich, dass Russland und China jetzt gemeinsam an einem Strang ziehen, um tatsächlich einen politischen Druck insgesamt aufzubauen. Und wenn Russland und China Druck auf Assad aufbauen würden, dann, glaube ich, wäre eine Lösung schneller möglich als sonst!

    Zagatta: Rainer Stinner, der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Herr Stinner, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Stinner: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.