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Stockschläge für saudischen Blogger
Ein Exempel gegen Al Kaida und IS statuiert

Der saudische Blogger Raif Badawi ist zu 1.000 Stockschlägen, und damit faktisch zum Tod verurteilt worden. Er äußerte sich für die Trennung von Religion und Staat, der die Religionsfreiheit schützen solle. Experten sehen in Badawi das Opfer einer konservativen Wende in Saudi-Arabien und des großen Erfolgs von IS.

Von Thomas Klatt | 12.03.2015
    Eine Aktivistin von Amnesty International hält ein Plakat mit Raif Badawi hoch und fordert dessen Freilassung bzw. das Ende der Prügelstrafe vor der saudi-arabischen Botschaft in Berlin am 29. Januar 2015.
    Der Blogger Badawi hat sich gegen die Übermacht religiöser Autoritäten und für die Trennung von Religion und Staat ausgesprochen. (AFP / Tobias Schwarz)
    "Sobald ein Denker beginnt, seine Ideen auszusprechen, wird er in hunderten Fatwas angeklagt, ein Ungläubiger zu sein, weil er den Mut hat, Religionsfragen zu diskutieren. Ich bin wirklich besorgt, dass arabische Denker deshalb emigrieren - auf der Suche nach frischer Luft und um dem Schwert der religiösen Autoritäten zu entkommen." Der saudische Blogger Raif Badawi nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Medien in seinem Heimatland sind alles andere als frei. Deshalb hat er seine Kritik am saudischen Establishment im Internet geäußert - in einem eigenen Blog.
    "Für mich bedeutet Liberalismus einfach leben und leben lassen. Das ist ein prächtiger Slogan." Starke Worte in einem Land, in dem es keine Meinungsfreiheit gibt, sondern das Ideal des Wahabismus aus dem 18. Jahrhundert vorherrscht. Guido Steinberg, Islam- und Nahostexperte in der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Seine Vertreter wollen vor allem eins: Sie wollen zurück zu einer idealisierten Urgesellschaft, wie sie sie glauben im 7. Jahrhundert in Mekka und Medina identifizieren zu können. Und sie behaupten, dass sie in der Gegenwart möglichst getreu den Vorgaben des Propheten und seiner Gefährten leben, und dass sie deswegen ganz besonders gottgefällig leben."
    Zwischen Ur-Islam und moderner Gesellschaft
    Den Wahabismus ins 21. Jahrhundert transportieren zu wollen - das zerreißt die saudische Gesellschaft. Einerseits möchte man als Staatsdoktrin den Idealen eines vermeintlichen Ur-Islam nacheifern, andererseits will Saudi-Arabien an den Segnungen der modernen Gesellschaft teilhaben. Steinberg: "Es gibt dieses Land unter der Herrschaft der Familie Saud so etwa seit 260 Jahren, aber erst seit 1945 exportiert das Königreich Öl in kommerziell nutzbaren Mengen. Es hat eine beispiellose physische Modernisierung eingesetzt. Vor 60, 70 Jahren lebten viele Saudis noch in Lehmdörfern. Aber es hat in die Vergangenheit und bis in die Gegenwart hinein immer wieder traditionelle Wahabiten gegeben, die argumentiert haben, dass bestimmte Neuerungen nicht zulässig sind, weil sie eben nicht im Koran erwähnt werden. So gab es in den 20er- und 30er-Jahren Widerstände gegen die Einführung von Telegrafen, gegen das Radio, gegen das Fernsehen. Aber da haben sich auch die meisten regimeloyalen Wahabiten überzeugen lassen, dass ohne diese Neuerungen der saudi-arabische Staat nicht wird überleben können, dass selbst die traditionellen konservativen Saudis ganz eifrige Benutzer moderner Technik sind."
    Die saudische Jugend wird nicht nur in den religiös-konservativen Universitäten von Riad, Mekka und Medina ausgebildet, sondern auch im westlichen Ausland. Fast jeder junge Saudi kann fließend Englisch und bewegt sich wie selbstverständlich im Internet. Kaum verwunderlich, dass somit auch liberales Gedankengut in Saudi-Arabien Einfluss erhält. Steinberg: "Die Kräfteverhältnisse im Land sind ganz schwer einzuschätzen. Es gibt eine starke liberale Strömung im Land, die entsprechende Forderungen stellt, beispielsweise nach einer konstitutionellen Monarchie, nach einer Trennung von Staat und Religion, nach einer Säkularisierung der Gesellschaft. Der andere Teil der Bevölkerung fordert, dass das Land wie bisher seinen Vorbildern im 18. Jahrhundert in Saudi-Arabien, im 7. Jahrhundert in Mekka und Medina nacheifert. Die sind sehr, sehr stark."
    Kein Wunder also, dass sich Raif Badawi mit seinen Blog-Einträgen auf gefährliches Terrain begeben hat. So schreibt er auf seiner Webseite: "Der Staat sollte nicht mit der Religion verquickt sein. Das heißt nicht, dass er anti-religiös ist. Ganz im Gegenteil: Der Staat schützt die Religionsfreiheit. Keine Religion darf diskriminiert oder bevorzugt werden. Der Liberalismus ist die Vision eines freien und guten Lebens für alle. Und diese Vision steht im Einklang mit einer Religion, die immer und jederzeit zur Güte, Liebe und zum Frieden aufruft." Auch möchte Badawi die Übermacht der religiösen Autoritäten beschnitten wissen. Erst dann werde eine moderne Gesellschaft westlicher Prägung möglich: "Religionen sind dazu da, um eine spirituelle Beziehung zwischen dem Einzelnen und seinem Schöpfer darzustellen. Wenn es aber darum geht, Gesetze zu beschließen - das lässt sich nicht von einer Religion ableiten."
    Zwei Tabus: Die Rolle der Religion und die Rolle der wahabitischen Religionsgelehrten
    "Es gibt im Land sehr, sehr viele liberale Kräfte: Gerade unter Jugendlichen gibt es viele, die so ähnlich denken wie Badawi. Das Problem ist, dass es sehr schwer ist, mit denen Kontakt aufzunehmen, weil sie vorsichtig sind. Es gibt zwei Tabus in der saudi-arabischen öffentlichen Debatte: Das ist einmal die Rolle der Religion und die Rolle der wahabitischen Religionsgelehrten, die nicht zu heftig kritisiert werden sollten." Genau darüber aber macht sich Badawi mit beißendem Spott lustig: "Ich empfehle der NASA, ihre Teleskope einzumotten und den Sharia-Astronomen zu folgen, deren scharfsinnige Vision alle Teleskope überflüssig macht. Sie sollten zu Schülern unserer Prediger werden, um alles über moderne Medizin, Chemie, Mikrobiologie, Nuklearphysik und eben Anthropologie zu erfahren. Sie sollten von unserer Sharia-Sternenkunde lernen. Gott segne sie!"
    "Die Wahabiten sind weitgehend humorlos. Selbst lautes Lachen wurde traditionell von den wahabitischen Religionsgelehrten und ihren Lakaien in den Städten Zentral-Saudi-Arabiens verboten. Und dass hier ein junger Mann dahingeht, die religiösen Eliten des Landes, und wie sie meinen auch die Religion des Landes, lächerlich zu machen, ist natürlich noch einmal ein ganz besonderer Affront."
    Und das zweite Tabu ... Steinberg: "Das sind die Aktivitäten der Herrscherfamilie, insbesondere des Königs, seiner Brüder und seiner Neffen." Diese zu kritisieren - auch davor schreckt der Blogger Raif Badawi nicht zurück. Dass nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nun in unmittelbarer Nähe des neuen World Trade Centers ein muslimisches Zentrum errichtet wird, müsse die saudische Königsfamilie doch zum Anlass nehmen, im eigenen Land auch Kirchenbauten zuzulassen. Badawi: "Was mich am meisten trifft als Bewohner einer Region, die solche Terroristen exportiert, ist die Dreistigkeit von Muslimen, die die Unverfrorenheit besitzen, keinerlei Bedauern über Tausende von Opfern und deren Familien in New York zu äußern. Was meine Scham noch vergrößert, ist diese chauvinistische islamische Arroganz, die dieses unschuldige Blut einfordert, geschürt durch Barbaren, brutale Seelen unter dem Ruf 'Allahu Akbar'! Würden wir akzeptieren, dass uns Juden oder Christen zu Hause angreifen und diese dann dort eine Synagoge oder Kirche bauen? Ich zweifele daran! Wir verhindern aber den Bau einer Kirche in Saudi-Arabien, obwohl wir von keinem angegriffen wurden. Wir sollten also nicht die Tatsache verschweigen, dass die Muslime in Saudi-Arabien den Glauben anderer nicht nur nicht respektieren, sondern den Ungläubigen auch mit Misstrauen begegnen. Wie sollen wir also mit sechs Milliarden Menschen normal zusammenleben, wenn viereinhalb Milliarden von ihnen keine Muslime sind?"
    Konservative Wende in der saudi-arabischen Politik
    Dass Saif Badawi nun zu 1.000 Stockhieben und damit faktisch zum Tode verurteilt wurde, hat für den Islamexperten Guido Steinberg nur indirekt mit seiner ironisch-spitzzüngigen Kritik zu tun. Vielmehr soll Härte gezeigt werden. Zur Abschreckung für all jene, die die saudische Gesellschaft nicht für die beste aller muslimisch möglichen halten: "Meines Erachtens wird der Herr Badawi zum Opfer einer kleinen konservativen Wende in der saudi-arabischen Politik. Es gab in der Vergangenheit immer mal wieder jüngere oder auch ältere Liberale, die die Religionsgelehrten sehr heftig kritisiert haben. Das war allerdings zu anderen Zeiten, als es da einen gewissen Spielraum gab."
    Doch für Tausende junger Saudis ist der Wahabismus ihrer Heimat nicht mehr fundamental genug. Sie haben sich dem Djihad in den Nachbarländern angeschlossen. An Badawi wird nun ein Exempel statuiert, das sich im Grunde gegen Al Kaida und gegen den Islamischen Staat richtet. "Im Moment sehen wir, dass Saudi-Arabien unter großem Druck steht. Und zwar fürchtet das Königreich vor allem den Einfluss dieser beiden großen djihadistischen Organisationen, IS im Irak und Syrien und Al Kaida im Jemen. Und deswegen versuchen sie nachzuweisen, dass es nur einen islamischen Staat gibt, nämlich Saudi-Arabien. Und die liberale Bewegung im Land wird meines Erachtens zum Opfer dieses Trends. Insofern ist Herr Badawi ein indirektes Opfer des großen Erfolges von IS."