Burkhard Birke: Armut, diesen Begriff bringt man traditionell eher mit Ländern der Dritten oder Vierten Welt in Verbindung. Aber auch in Deutschland gibt es Armut und - das ist das Erschreckende - sie nimmt zu. Natürlich ist international betrachtet alles relativ und hierzulande braucht niemand zu verhungern, da wir über ein immer noch recht dichtmaschiges soziales Netz verfügen. Dennoch: Durch die Hartz-Reform ist das Netz grobmaschiger geworden und immer mehr Menschen fallen durch, wie auf der Pressekonferenz der Nationalen Armutskonferenz heute deutlich wurde.
Am Telefon begrüße ich jetzt Rolf Stöckel. Er ist Sprecher Verteilungsgerechtigkeit in der SPD-Fraktion. Einen schönen guten Tag Herr Stöckel!
Rolf Stöckel: Ja, ich grüße Sie!
Birke: Herr Stöckel, bevor wir auf diese angesprochenen Punkte direkt zu sprechen kommen, einmal generell die Frage. Rund ein Zehntel der deutschen Bevölkerung gilt als arm. Die Schere zwischen arm und reich weitet sich aus. Können wir uns das soziale Netz nicht mehr leisten, oder wenden wir nur die Regeln falsch an?
Stöckel: Nein. Ich glaube, dass man richtig stellen muss, dass das soziale Netz erst mal dazu beiträgt, dass die absolute Armut etwa bei 4 Prozent liegt. Allerdings - das sagt auch der zweite Armuts- und Reichtumsbericht der noch rot-grünen Bundesregierung - sind 13 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik dem Armutsrisiko ausgesetzt. Dazu gehören sicherlich auch die Hilfeempfänger, im Wesentlichen Arbeitslosengeld-II-, aber auch Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger.
Ich glaube, dass wir auch deutlich machen müssen, dass der Sozialstaat in Deutschland zunächst mal 30, 35 Prozent der Menschen davor bewahrt, absolut arm zu sein. Das muss man sich deutlich machen. Man kann über die Höhe der Leistungen, auch über Lohnabstandsgebote immer diskutieren. Man kann glaube ich auch zu Recht kritisieren, dass es Anlaufschwierigkeiten gegeben hat vor allen Dingen in der Umsetzung des Arbeitslosengeldes II. Das alles wird allerdings auch hier passieren.
Birke: Herr Stöckel, bei der Umsetzung der Regelung Hartz IV - das ist ja auch in diesem Bericht eben angesprochen worden - gibt es sehr unterschiedliche Handhabungen. Wie kann man das jetzt von Ihrer Warte auch als Gesetzgeber korrigieren?
Stöckel: Wir haben ja ins Gesetz sozusagen die Revision eingebaut. Die wird stattfinden. Dort werden sicherlich auch Schlüsse aus den Praxiserfahrungen gezogen. Wir haben einen begleitenden Ombudsrat, der die Beschwerden auch aufnimmt und der auch der Bundesregierung - und das hat sich niedergeschlagen in einigen Änderungen - Vorschläge macht.
Birke: Aber wie kann das dann konkret aussehen?
Stöckel: Das kann konkret so aussehen, dass man bei den Punkten ansetzt, die ganz konkret von der Armutskonferenz angesprochen worden sind. Das heißt, dass bei der Erstausstattungen etwa bei Kinderwagen eine Entscheidung getroffen werden kann, etwas auf Darlehen oder als Kostenübernahme, auf Kredit beziehungsweise als Kosten zu übernehmen. Das gilt auch etwa für Mietschulden. Ich glaube, dass dort einfach auch die Erfahrungen aus der Sozialhilfe, bevor es das Arbeitslosengeld II gab, herangeführt werden müssen. Die Hilfe soll immer eine Hilfe zur Selbsthilfe sein und soll die Menschen ja nicht zusätzlich drangsalieren oder in die Schulden treiben.
Birke: Greifen wir noch einen konkreten Punkt auf aus der Kritik der Armutskonferenz: die Gebühr bei Sozialgerichtsbarkeit. Halten Sie die für haltbar?
Stöckel: Nein, das halte ich überhaupt nicht für haltbar. Es ist ja schizophren, wenn wir auf der einen Seite Prozesskostenhilfe für bedürftige Menschen haben, auf der anderen Seite dann denselben bedürftigen Menschen weitere Gebühren auferlegen wollen. Das ist aus der Landessicht verständlich. Die Kosten der Justiz laufen den Ländern davon. Ich glaube aber, dass es hier immer sozial angemessene Regelungen geben muss.
Birke: Herr Stöckel, fassen wir das Thema noch ein bisschen weiter. Wir haben es ja gehört: Vor allen Dingen Kinder fallen immer mehr unter die Armutsgrenze. Armut verhindert Bildung und umgekehrt: Bildung verhindert Armut. Wo sehen Sie denn da Ansätze, angesichts der Einführung von Studiengebühren und abnehmender Lernmittelfreiheit, die Bildungschancen gerade für die armen Bevölkerungsschichten zu verbessern?
Stöckel: Ich muss zunächst noch mal klarstellen. Die Sozialtransfers der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes II bewahren die Menschen davor, auch die Kinder davor, unter die Armutsgrenze zu fallen. Das muss deutlich werden. Das wird in der Regel von interessierter Seite immer anders dargestellt, aber darauf muss ich einfach bestehen, dass wir das deutlich machen.
Das andere ist glaube ich, dass wir unser Augenmerk weniger auf die Höhe der Transfers richten müssen. Die dürfen sicherlich nicht geringer sein als jetzt. Wir müssen unser Augenmerk aber auf die Integrationschancen legen, sowohl im Bildungs- und Betreuungssystem als auch bei den konkreten Angeboten, die die Kommunen vor Ort machen. Es ist so, dass die Kommunen oft aufgrund ihrer Überschuldung bestimmte Leistungen für Sozialhilfeempfänger oder Langzeitarbeitslose gestrichen haben. Wenn sie dann keine Vergünstigung im öffentlichen Nahverkehr, bei öffentlichen Schwimmbädern, Sportangeboten, Büchereien haben, dann ist es in der Tat so, dass das Geld alleine nicht mehr ausreicht, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Hier gibt es eine Fehlentwicklung und die müssen wir auch zurückdrehen beziehungsweise da müssen wir neue Regelungen finden.
Birke: Ein weites Thema. Wir haben jetzt leider nicht mehr die Zeit, es noch weiter zu erörtern. - Rolf Stöckel war das, Sprecher Verteilungsgerechtigkeit in der SPD. Vielen Dank für dieses Gespräch und auf Wiederhören!
Stöckel: Ja, bitte schön. Auf Wiederhören!
Am Telefon begrüße ich jetzt Rolf Stöckel. Er ist Sprecher Verteilungsgerechtigkeit in der SPD-Fraktion. Einen schönen guten Tag Herr Stöckel!
Rolf Stöckel: Ja, ich grüße Sie!
Birke: Herr Stöckel, bevor wir auf diese angesprochenen Punkte direkt zu sprechen kommen, einmal generell die Frage. Rund ein Zehntel der deutschen Bevölkerung gilt als arm. Die Schere zwischen arm und reich weitet sich aus. Können wir uns das soziale Netz nicht mehr leisten, oder wenden wir nur die Regeln falsch an?
Stöckel: Nein. Ich glaube, dass man richtig stellen muss, dass das soziale Netz erst mal dazu beiträgt, dass die absolute Armut etwa bei 4 Prozent liegt. Allerdings - das sagt auch der zweite Armuts- und Reichtumsbericht der noch rot-grünen Bundesregierung - sind 13 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik dem Armutsrisiko ausgesetzt. Dazu gehören sicherlich auch die Hilfeempfänger, im Wesentlichen Arbeitslosengeld-II-, aber auch Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger.
Ich glaube, dass wir auch deutlich machen müssen, dass der Sozialstaat in Deutschland zunächst mal 30, 35 Prozent der Menschen davor bewahrt, absolut arm zu sein. Das muss man sich deutlich machen. Man kann über die Höhe der Leistungen, auch über Lohnabstandsgebote immer diskutieren. Man kann glaube ich auch zu Recht kritisieren, dass es Anlaufschwierigkeiten gegeben hat vor allen Dingen in der Umsetzung des Arbeitslosengeldes II. Das alles wird allerdings auch hier passieren.
Birke: Herr Stöckel, bei der Umsetzung der Regelung Hartz IV - das ist ja auch in diesem Bericht eben angesprochen worden - gibt es sehr unterschiedliche Handhabungen. Wie kann man das jetzt von Ihrer Warte auch als Gesetzgeber korrigieren?
Stöckel: Wir haben ja ins Gesetz sozusagen die Revision eingebaut. Die wird stattfinden. Dort werden sicherlich auch Schlüsse aus den Praxiserfahrungen gezogen. Wir haben einen begleitenden Ombudsrat, der die Beschwerden auch aufnimmt und der auch der Bundesregierung - und das hat sich niedergeschlagen in einigen Änderungen - Vorschläge macht.
Birke: Aber wie kann das dann konkret aussehen?
Stöckel: Das kann konkret so aussehen, dass man bei den Punkten ansetzt, die ganz konkret von der Armutskonferenz angesprochen worden sind. Das heißt, dass bei der Erstausstattungen etwa bei Kinderwagen eine Entscheidung getroffen werden kann, etwas auf Darlehen oder als Kostenübernahme, auf Kredit beziehungsweise als Kosten zu übernehmen. Das gilt auch etwa für Mietschulden. Ich glaube, dass dort einfach auch die Erfahrungen aus der Sozialhilfe, bevor es das Arbeitslosengeld II gab, herangeführt werden müssen. Die Hilfe soll immer eine Hilfe zur Selbsthilfe sein und soll die Menschen ja nicht zusätzlich drangsalieren oder in die Schulden treiben.
Birke: Greifen wir noch einen konkreten Punkt auf aus der Kritik der Armutskonferenz: die Gebühr bei Sozialgerichtsbarkeit. Halten Sie die für haltbar?
Stöckel: Nein, das halte ich überhaupt nicht für haltbar. Es ist ja schizophren, wenn wir auf der einen Seite Prozesskostenhilfe für bedürftige Menschen haben, auf der anderen Seite dann denselben bedürftigen Menschen weitere Gebühren auferlegen wollen. Das ist aus der Landessicht verständlich. Die Kosten der Justiz laufen den Ländern davon. Ich glaube aber, dass es hier immer sozial angemessene Regelungen geben muss.
Birke: Herr Stöckel, fassen wir das Thema noch ein bisschen weiter. Wir haben es ja gehört: Vor allen Dingen Kinder fallen immer mehr unter die Armutsgrenze. Armut verhindert Bildung und umgekehrt: Bildung verhindert Armut. Wo sehen Sie denn da Ansätze, angesichts der Einführung von Studiengebühren und abnehmender Lernmittelfreiheit, die Bildungschancen gerade für die armen Bevölkerungsschichten zu verbessern?
Stöckel: Ich muss zunächst noch mal klarstellen. Die Sozialtransfers der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes II bewahren die Menschen davor, auch die Kinder davor, unter die Armutsgrenze zu fallen. Das muss deutlich werden. Das wird in der Regel von interessierter Seite immer anders dargestellt, aber darauf muss ich einfach bestehen, dass wir das deutlich machen.
Das andere ist glaube ich, dass wir unser Augenmerk weniger auf die Höhe der Transfers richten müssen. Die dürfen sicherlich nicht geringer sein als jetzt. Wir müssen unser Augenmerk aber auf die Integrationschancen legen, sowohl im Bildungs- und Betreuungssystem als auch bei den konkreten Angeboten, die die Kommunen vor Ort machen. Es ist so, dass die Kommunen oft aufgrund ihrer Überschuldung bestimmte Leistungen für Sozialhilfeempfänger oder Langzeitarbeitslose gestrichen haben. Wenn sie dann keine Vergünstigung im öffentlichen Nahverkehr, bei öffentlichen Schwimmbädern, Sportangeboten, Büchereien haben, dann ist es in der Tat so, dass das Geld alleine nicht mehr ausreicht, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Hier gibt es eine Fehlentwicklung und die müssen wir auch zurückdrehen beziehungsweise da müssen wir neue Regelungen finden.
Birke: Ein weites Thema. Wir haben jetzt leider nicht mehr die Zeit, es noch weiter zu erörtern. - Rolf Stöckel war das, Sprecher Verteilungsgerechtigkeit in der SPD. Vielen Dank für dieses Gespräch und auf Wiederhören!
Stöckel: Ja, bitte schön. Auf Wiederhören!