Heinemann: Frau Merkel, wann wird über die Bundeswehrsoldaten abgestimmt?
Merkel: Ich denke, wir müssen erst einmal wissen, wie die Verhandlungen der NATO dort weitergehen, wie die Dinge mit der Sicherheitsratsresolution weitergehen, und dann können wir natürlich abstimmen. Wir werden als Opposition nicht verzögern, aber wir wollen selbstverständlich auch im Sinne unserer Soldaten genau wissen was sie erwartet, welche Aufgaben sie haben und wie die Strukturen dann sind. Dazu gehören natürlich erst einmal die Vereinbarungen auch im Detail. Es geht ja immerhin um den wahrscheinlich doch größten und anspruchsvollsten Einsatz deutscher Soldaten im Verband mit der NATO, und das will doch sorgsam debattiert sein.
Heinemann: Welche sind denn Ihre Bedingungen für eine Zustimmung der Union zur Entsendung weiterer 2 500 Soldaten?
Merkel: Es geht hier gar nicht um Bedingungen. Wir bauen auch keine neue Verhandlungsfront auf, sondern es geht darum, daß wir auf einer gesicherten Grundlage beschließen. Schauen Sie, wir haben damals schon beschlossen, daß unsere Soldaten nach Mazedonien gehen aus der Erwartung, daß das Rambouillet-Abkommen abgeschlossen wird. Dies hat leider nicht geklappt. Wir haben eine völlig andere Situation. Die Soldaten sind dort. Sie haben auch viel Hilfe für die Flüchtlinge vollbracht. Ich glaube aber, jetzt ist es doch richtig, wenn das Parlament, der Bundestag sich dann mit den Dingen befaßt - und das werden wir auch umgehend tun -, wenn mehr Klarheit ist über die Frage der Truppen, den Zeitpunkt des Einsatzes, über die Frage der einzelnen Konstellationen. Deshalb glaube ich, daß das Parlament und die Parlamentarier ein Recht darauf haben, den Fortgang der Ereignisse noch etwas besser zu kennen. Wir kennen die Beschlußvorlage der Bundesregierung. Die kann in die Ausschüsse hineingehen. Auch die Bundesregierung hatte sich aber vorgestellt, daß die Verhandlungen jetzt dort an der mazedonisch-kosovarischen Grenze schneller vorangehen. Diese Zeitverzögerung müssen wir auf jeden Fall mit berücksichtigen. Ich glaube auch, es ist ganz wichtig, daß Herr Milosevic in Jugoslawien, der doch ganz genau beobachtet, was in unseren Ländern stattfindet, merkt, daß nicht nur er verzögert, sondern daß vor allen Dingen auch wir ihm nicht blind vertrauen, sondern Schritt für Schritt den Frieden dort konstruieren, und er ist ja auch wirklich ein ganzes Stück nähergerückt.
Heinemann: Frau Merkel, ein anderes Thema, das uns heute früh beschäftigen soll: die Nachlese der Wahl in Bremen. Henning Scherf, der alte und neue SPD-Regierungschef, möchte sich im Bundesrat künftig anders verhalten als bisher. Wie werden Sie reagieren, wenn die große Koalition in Bremen künftig mit der Bundesregierung stimmt?
Merkel: Die Koalitionsverhandlungen beginnen heute, und es ist üblich - und ich habe auch Henning Scherf nicht anders verstanden -, daß dies Verhandlungen unter gleichberechtigten Partnern sind. Die CDU hat nicht irgendein Wahlergebnis erreicht, sondern die CDU hat das beste Wahlergebnis in der Geschichte Bremens erreicht, während die SPD ihr drittschlechtestes erreicht hat. Das heißt nicht, daß Herr Scherf hier ein prima Wahlergebnis hat. Ihm ist es angesichts der guten Zusammenarbeit mit der CDU - dazu hat die CDU einen ganz gewichtigen Beitrag geleistet - gelungen, seine versprengten sozialdemokratischen Schäflein wieder etwas besser zusammenzubinden und dieses Bündnis "Arbeit für Bremen" auch in großen Teilen wieder zu den Sozialdemokraten zurückzuführen. Das ist nun wirklich kein Grund, eherne Grundsätze der Koalitionsarbeit aufzugeben, die in Ländern gelten, wo viel kleinere Koalitionspartner dabei sind. Also gleichberechtigte Verhandlungsgrundlage, und ansonsten vertraue ich auf das Geschick der dortigen Verhandlungspartner und glaube, daß daraus auch etwas Vernünftiges wird.
Heinemann: Und wenn die SPD nun darauf besteht, wäre das eine Soll-Bruchstelle für die Koalitionsverhandlungen?
Merkel: Schauen Sie, wir mischen uns seitens der Bundespartei hier nicht ein und schon gar nicht öffentlich, aber Henning Scherf hat nicht vor der Wahl den Menschen gesagt, ich möchte gerne eine große Koalition, diesmal aber eine zu meinen Bedingungen, sondern Herr Scherf hat auf eine Fortsetzung der großen Koalition gesetzt. Und ich kann mir gar nicht vorstellen, daß er das jetzt nicht auch nach der Wahl umsetzt, zumal ja nun wirklich deutlich geworden ist, daß es zwei Gewinner aus dieser Wahl gibt. Ich muß ganz eindeutig sagen: Keine Partei - das sage ich einmal allgemein - ist selbstverständlich erpressbar, auch nicht die CDU, aber ich glaube ganz fest, daß Hartmut Perschau und die Bremer CDU hier in vernünftige Verhandlungen eintritt. Nun ist man ja auch nicht unter absolutem Zeitdruck. Die Bremer werden das schon machen!
Heinemann: Also wenn, würden Sie ihm raten, dann nicht in die Koalition zu gehen?
Merkel: Ich rate überhaupt nichts und schon gar nicht über öffentliche Medien.
Heinemann: Die Lehre von Bremen: Zwei Volksparteien profitieren von einer großen Koalition. Weckt das für Bonn und Berlin keine Begehrlichkeiten?
Merkel: Für Bonn sind die Wahlen, was die Bundestagswahl anbelangt, im September gewesen und sie werden wieder sein im Jahre 2002. Dann wird die CDU darum kämpfen, stärkste Partei zu werden. Wir haben bis dahin viel zu tun. Wir haben einerseits Grund, Kritik zu üben an der Regierung, aber wir haben vor allen Dingen auch selber inhaltlich zu arbeiten, ob das über das Thema Familie ist, das Thema Sozialstaat, das Thema wie sieht der moderne Staatsaufbau aus. Insofern ist zur Zeit hier gar keine Diskussionsgrundlage im Gange. Wir haben weitere Landtagswahlen in diesem Jahr, bei denen zum Beispiel in Brandenburg es das Ziel von Jörg Schönbom ist, die absolute Mehrheit der SPD zu brechen, also auch ein spannendes Wahlziel. Insofern wollen wir siegreich aus den Landtagswahlen hervorgehen, die dieses Jahr noch anstehen, und dann unsere inhaltliche Erneuerung fortsetzen.
Heinemann: Frau Merkel, Stichwort 2002. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete gestern, die Zeitungen bringen es heute, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber wolle nicht als Kanzlerkandidat der Union bei der nächsten Bundestagswahl ins Rennen gehen. Wer dann die personelle Komponente darstelle, sei völlig uninteressant, sagte Stoiber dem Bericht zufolge, und dann wörtlich, "wobei ich da nicht zur Verfügung stehe". Werten Sie das als definitive Absage des CSU-Vorsitzenden?
Merkel: Erstens steht das Thema im Augenblick sowieso nicht auf der Tagesordnung. Wir werden unsere Kandidaten-Fragen spät lösen und erst einmal uns jetzt mit inhaltlichen Fragen beschäftigen. Zweitens glaube ich, brauche ich den Worten von Edmund Stoiber wirklich nichts hinzuzufügen.
Heinemann: Also nein heißt nein?
Merkel: Herr Stoiber hat gesprochen, das steht im Raum, und ich bin nicht der Kommentator von Edmund Stoiber.
Heinemann: War das denn mit Ihnen oder mit der Bundespartei, mit dem Bundesvorsitzenden abgestimmt?
Merkel: Schauen Sie, ich sage noch einmal: Wir haben im Augenblick inhaltlich andere Dinge zu tun, als uns mit der Frage zu beschäftigen, wer im Jahre 2002 die Union in den Bundestagswahlkampf führen wird. Ich habe die inhaltlichen Schwerpunkte unserer Arbeit eben genannt. Damit sind wir voll beschäftigt. Wir haben in der CDU zum Beispiel vor wenigen Monaten einen neuen Parteivorstand gewählt, eine neue Parteiführung gewählt. Die hat sich prima eingearbeitet, die ist ein gutes Team, und damit wollen wir jetzt nächste Woche die Europa-Wahl gewinnen. Wir wollen stärkste Partei werden, CDU und CSU gemeinsam. Das ist unser Ziel, und dann haben wir noch eine Menge Landtagswahlen in diesem Jahr. Damit bin ich vollkommen ausgelastet.
Heinemann: Frau Merkel, Programme schön und gut, aber Personen ziehen doch auch. Das zeigt Gerhard Schröder, und in Bremen haben die Wahlsieger Scherf und Perschau sich in den Vordergrund und die Programme in den Hintergrund gestellt. Das hat doch ganz gut geklappt. Was lernt denn die Bundes-CDU daraus?
Merkel: Die Bundes-CDU lernt daraus, daß Gerhard Schröder bis zum 01. März 1998 gewartet hat, um sich zu entscheiden, ob er am 27. September 1998 kandidiert. Sie werden mir sicherlich Recht geben, daß ein solcher Abstand zur nächsten Bundestagswahl nicht besteht. Insofern lernt die Bundes-CDU von der SPD, daß dies zur Zeit kein Thema sein sollte.
Heinemann: Ein Photo von Ihnen und Ihrem Parteichef Wolfgang Schäuble mit der Aufschrift "Europa ist wie wir: nicht immer einer Meinung, aber ein gemeinsamer Weg". Damit werben Sie für Stimmen am kommenden Sonntag. Das verstehe, wer verstehen will. In welchen Punkten sind Sie sich denn mit Wolfgang Schäuble nicht einig?
Merkel: Ich glaube, daß es zur Vielfalt einer Partei gehört, daß man auch unterschiedlicher Meinung sein kann. Es gibt eine Geschichte, wo wir schon einmal unterschiedliche Ideen hatten über die Frage, wie geht das mit der Staatsbürgerschafts-Regelung. Es gibt natürlich aus unserem Herkommen heraus doch immer wieder auch Nuancen. Ich komme aus den neuen Bundesländern, Wolfgang Schäuble aus den alten Bundesländern. Wir sind auch unterschiedlich sozialisiert worden, wie man so in Deutschland sagen würde. Was das Plakat doch zeigen soll ist: In Europa gibt es verschiedene Meinungen, aber ein gemeinsames Interesse, nämlich diesen Kontinent stark zu machen, ähnlich wie es in einer Volkspartei ist, in der es nicht eine Meinung gibt, eine vorherrschende Richtung, sondern in der Vielfalt gefragt ist, damit zum Schluß die besten Lösungen herauskommen. Jeder der das Plakat gesehen hat wird sehen, daß es mit etwas Witz, mit etwas Spaß gemacht ist. Das zeigt eben auch den Stil der CDU, den wir jetzt einschlagen wollen, damit wir Menschen ermuntern, bei uns mitzumachen.
Heinemann: Soll man mit Meinungsverschiedenheiten werben?
Merkel: Ich glaube, daß man damit werben soll, gemeinsame Wege zu gehen, aber unterschiedliche Meinungen auch zu haben, sie zu diskutieren und zu einer Gesamtmeinung zusammenzuführen. Die Idee, alle Menschen seien einer Meinung, und damit würde Politik schon Spaß machen, die ist doch sehr weit von der Realität entfernt. Deshalb haben wir uns das getraut, weil wir einfach sagen, eine offene, bürgernahe Partei will verschiedene Meinungen und Strömungen aufnehmen und dann die gemeinsamen Interessen vertreten. Ich glaube, viele, viele Menschen haben das verstanden. Zumindest haben mich viele angesprochen und gesagt, das ist schön und mal ein anderer Stil, und das genau wollten wir.
Heinemann: CDU-Generalsekretärin Angela Merkel in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Vielen Dank und auf Wiederhören!