Freitag, 19. April 2024

Archiv

Stradivari-Aufnahmen in Cremona
Eine Stadt muss schweigen

Stradivari, Guarneri, Amati - der Bau von Streichinstrumenten hat im italienischen Cremona lange Tradition. Nun wird der Klang von vier wertvollen Instrumenten aufgenommen, digitalisiert und damit für die Zukunft bewahrt. Damit das klappt, müssen die Bewohner der Stadt mitziehen - und leise sein.

Von Lisa Weiß | 30.01.2019
    Die Statue des berühmten Geigenbaumeisters Antonio Stradivari im italienischen Cremona
    Die Statue des berühmten Geigenbaumeisters Antonio Stradivari im italienischen Cremona (picture alliance/Bildagentur-online/Giuseppe Masci/)
    Nach klassischer Musik klingt das erst mal nicht – sondern eher nach Katzenmusik. Aber im Auditorium des Geigenmuseums in Cremona geht’s auch nicht darum, Musik zu machen. Sondern Töne. Das Ziel ist es nämlich, den Klang von vier wertvollen Streichinstrumenten aufzunehmen, sagt Thomas Koritke von der Hamburger Firma, die das Projekt betreut:
    "Die Instrumente sind nun mal aus Holz gebaut und verändern mit der Zeit auch ihren Klang. Und was wir jetzt machen, ist, dass wir den Klang dieser Instrumente zum aktuellen Zeitpunkt abbilden, so genau wie möglich, um dann ihn einfach zu konservieren."
    Die Ziele: Die Nachwelt soll wissen, wie sich zum Beispiel eine echte Stradivari angehört hat. Und Künstler sollen in Zukunft mit den digitalisierten Klängen der echten Instrumente ganze Sonaten komponieren und spielen können. Das Problem: Dafür muss es rund um das Museum in Cremona leise sein – wirklich leise. Denn die 32 Mikrofone, die die Instrumente aufnehmen sollen, sind sehr gut, aber auch sehr empfindlich.
    Die Stradivari-Geige liegt auf einem weißen Tischtuch.
    Unscheinbar, wenn sie nur daliegt, aber ein Schatz in Händen fähiger Geiger: eine Stradivari-Geige (deutschlandradio / Cornelia de Reese)
    Der Bürgermeister bittet um Ruhe
    "Theoretisch könnte man auch Störgeräusche beseitigen. Aber das ist dann so, als würde man ein Bild mit Photoshop bearbeiten und das wollen wir eben nicht. Wir möchten wirklich die pure Aufnahme eigentlich nicht mehr weiter antasten dann."
    Auf zwei der drei Straßen rund um das Museum ist ausgerechnet Kopfsteinpflaster verlegt – wenn ein Auto vorbeifährt, wird es also laut. Deshalb sind die Straßen rundum während der Aufnahmen gesperrt und der Bürgermeister von Cremona hat die Anwohner ausdrücklich gebeten, leise zu sein. Die Menschen in Cremona nehmen's gelassen:
    "Die Anordnung des Bürgermeisters ist einerseits bizarr. Auf der anderen Seite, naja, für das Wohl der Kunst macht man auch das."
    "Wenn es Stille braucht, kann man das ja mal ein paar Tage machen."
    Instrumente von Stradivari, Guarneri, Amati
    Die Anwohner tadeln sich sogar gegenseitig, wenn sie zu laut sind, sagt Thomas Koritke und lacht. Acht Stunden am Tag müssen er und sein Team hochkonzentriert auf jedes Störgeräusch hören und sie müssen auch entscheiden, ob der Ausdruck der Musiker stimmt. Um die Sicherheit der wertvollen Instrumente braucht er sich aber wenigstens keine Sorgen machen:
    "Die Instrumente werden auch von bewaffneten Wachen begleitet, der Wachmann sitzt auch während der Aufnahmen hier im Saal, also die Instrumente sind nie unbewacht."
    Zwei Geigen sind es, deren Klang aufgenommen wird: eine von Stradivari, eine von Guarneri. Dazu noch eine Bratsche von Amati und ein Cello von Stradivari. Alles Instrumentenbauer, die in Cremona gewirkt haben – und es sollen wirklich alle Töne dieser vier Instrumente digitalisiert werden. Für die Musiker heißt das: Sie müssen laut spielen, leise, kurze und lange Noten, spiccato oder pizzicato und auch ungewöhnliche Tonübergänge.
    "Was nicht rund läuft, ist Schuld des Musikers"
    Dass Aufnahmen fünf Mal wiederholt werden müssen, ist keine Seltenheit. Eine Herausforderung für die Musiker wie Antonio De Lorenzi. Er darf die Geige Vesuvio von Stradivari spielen:
    "Das ist ein Instrument, das seit Jahren hier in Cremona ist und es hat wie die anderen Stradivaris einen sehr reinen Klang. Es lässt sich leicht zum Klingen zu bringen und vor allem hat es facettenreiche Timbres, sowohl im tiefen als auch im hohen Register. Man kann sagen: Alles, was nicht rund läuft, ist Schuld des Musikers."
    Noch bis zum 9. Februar laufen die Aufnahmen für das Projekt "Banca di Suono". Doch danach ist für Thomas Koritke die Arbeit nicht vorbei: Zurück in Hamburg wird seine Firma die Töne auswählen und schneiden und die Tonübergänge zusammenfügen. In rund einem Jahr soll es dann gegen Bezahlung möglich sein, mit einer speziell programmierten Software die rund 100.000 Einzeltöne wieder zusammenzusetzen, sodass es sich anhört, als würde jemand live auf zum Beispiel einer Stradivari spielen. Aber zuvor, direkt nach den Aufnahmen in Cremona, will Thomas Koritke vor allem eines: Ruhe.
    "Auch keine Musik, nichts. Also ich werde wahrscheinlich drei oder vier Tage mich wirklich mal zurückziehen und dann echte Stille genießen. Und auch nicht immer im Hinterkopf haben müssen: Iist da irgendwo ein Störgeräusch?"