Archiv


Strafe für unsportliches Verhalten

Bei den heutigen vorgezogenen Parlamentswahlen in Kanada wird mit einem Sieg der Konservativen gerechnet. Nach Meinung von Mark Webber von der Universität York in Toronto werden die seit 13 Jahren regierenden Linken wegen eines Korruptionsskandals abgestraft. Den Chef der Konservativen, Stephen Harper, hält Webber für einen sehr konservativen Mann mit vielen Ähnlichkeiten zu George Bush.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Wenn von Nordamerika die Rede ist, dann meinen viele allzu oft lediglich die Vereinigten Staaten von Amerika und vergessen dabei den zweitgrößten Flächenstaat der Erde Kanada - immerhin Mitglied der sieben führenden westlichen Industrienationen. Dort sind heute 23 Millionen Menschen aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Es sind vorgezogene Parlamentswahlen, und es deutet sich ein Machtwechsel an, ein Sieg der Konservativen. Mark Webber leitet das Zentrum für Deutsche und Europäische Studien an der Universität York in Toronto. Und ich habe ihn vor der Sendung gefragt, warum sich die Wähler nach 13 Jahren von den Linken abwenden.

    Mark Webber: Ich glaube nicht, dass sich die Wähler von den Linken abwenden, sondern ich glaube, dass viele Wähler meinen, diese liberale Regierung gehört bestraft, und zwar - um eine Eishockeymetapher zu benutzen - wegen unsportlichen Verhaltens.

    Remme: Und worin besteht das unsportliche Verhalten?

    Webber: Das unsportliche Verhalten besteht darin, dass man Gelder veruntreut hat in Quebec, um angeblich für den Föderalismus, also für Kanada, für ein einheitliches Kanada in Quebec zu werben.

    Remme: Konservative, das ist ja ein weites Feld. Dieser Name, darunter versteht man in unterschiedlichen Ländern ganz anderes. Sind das Konservative nach sagen wir einmal einem US-Muster? Gleichen sie den Republikanern um George Bush?

    Webber: Das ist natürlich die große Frage. Die Liberalen werfen den Konservativen vor, sie wären die kleineren Brüder des großen Bruders im Süden. Die Konservativen selber sagen, nein, sie wären gute Kanadier, auch mit kanadischen Wertevorstellungen von einem gemeinsamen Gesundheitswesen und so weiter. Das wird sich erst herausstellen.

    Remme: Welche Inhalte haben denn die Konservativen im Wahlkampf in den Mittelpunkt gestellt? Denn immerhin geht es ja den meisten Kanadiern durch die gute Wirtschaftslage hervorragend.

    Webber: Das ist richtig und deshalb spielte die Wirtschaft keine so große Rolle. Es ging in erster Linie um den Föderalismus, nicht nur um Bund-Länder-Kompetenzen, sondern vor allem auch um den Regionalismus, und dort meint man natürlich, welche Rolle der Westen Kanadas spielt hier in unserer politischen Landschaft.

    Remme: Spitzenkandidat der Konservativen ist ein Mann namens Stephen Harper. Schildern Sie uns diese Person. Wir kennen ihn mit Sicherheit nicht.

    Webber: Stephen Harper kommt aus dem Westen, ist ein sehr konservativer Mann, ich glaube auch mit vielen Ähnlichkeiten zu George Bush. Er sagt, er hätte sich weiter entwickelt, sein Wort. Aber es spielt die Religion für ihn eine große Rolle. Es spielt die Vorstellung, dass eine Bundesregierung sich weniger einschalten darf in das Leben der kanadischen Bürger, als es bei den Liberalen der Fall wäre. Es ist ein ziemlich konservativer Mensch.

    Remme: Wird sich die Außenpolitik Kanadas durch einen Wahlsieg der Konservativen ändern?

    Webber: Bestimmt nicht, was Europa und die Bundesrepublik betrifft. Aber wahrscheinlich schon, was die USA betrifft. Ich denke, er wird sich in einer ähnlichen Situation finden, wie Frau Merkel. Die Frage ist, wie Amerika-freundlich oder Amerika-unterwürfig soll Kanada sein.

    Remme: Und seine Antwort darauf ist?

    Webber: Er ist schon offener für die US-Ansichten, was sagen wir mal Irak betrifft. Aber er wird es sich wahrscheinlich in einer Minderheitsregierung nicht leisten können, den Kurs völlig zu ändern.

    Remme: Herr Webber, Sie haben eben die Regionen schon angesprochen, immer ein heikles politisches Thema in Kanada. Selbst in Quebec können ja die Konservativen in den Umfragen in der Vergangenheit stark zulegen. Geht das zu Lasten der Separatisten rund um den Bloc Québécois?

    Webber: Ich glaube nicht. Ich glaube, dass der Block sehr gut abschneiden wird. Und die Frage ist wirklich, weil wir ein Mehrheitswahlrecht haben, wie viele Sitze die jeweilige Partei bekommt, nicht wie hoch der Stimmenanteil ist.

    Remme: Wie gehen denn die Konservativen mit diesen Abspaltungsinteressen zum Beispiel in Quebec um?

    Webber: Sie spielen einfach die Skandalkarte und sagen, man bräuchte keine Angst zu haben vor einer konservativen Regierung, aber die Liberalen gehörten bestraft. Aber ich glaube, dass viele Quebecer die Konservativen als französisch- und Quebec-unfreundlich sehen.

    Remme: Wird die mögliche Abspaltung Quebecs durch einen Wahlsieg der Konservativen drängender?

    Webber: Ich glaube nicht, dass die Quebecer das so verstehen, diese Wahl so verstehen.

    Remme: Es sind ja vorgezogene Wahlen, ich sagte das. Ist das für die Menschen ein Thema? Rechnen Sie mit einer hohen Wahlbeteiligung? Oder ist das Interesse der Menschen in Kanada an diesen Wahlen eher gering?

    Webber: Die Wahlbeteiligung in Kanada ist im Vergleich zu Deutschland enttäuschend niedrig. Viele waren wahrscheinlich ein bisschen verärgert, dass es zu diesen vorgezogenen Neuwahlen kam, eben durch die Opposition, die aber jetzt wahrscheinlich gewählt wird. Ich glaube nicht, dass die Tatsache, dass die Wahlen vorgezogen wurden, ein Rolle spielen wird. Ich gehe davon aus, dass die Wahlbeteiligung auch nicht so hoch liegt.

    Remme: Nur um uns eine Vorstellung zu geben, wie hoch erwarten Sie die?

    Webber: Ich weiß es nicht. So 60 Prozent vielleicht.

    Remme: Mark Webber. Er leitet das Zentrum für Deutsche und Europäische Studien an der Universität York in Toronto.