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Strahlenschutzexperte: "Wirklich höchste Alarmstufe"

Der Münchener Strahlenschutzexperte Edmund Lengfelder blickt mit größter Sorge auf die Meldung, im Turbinenhaus eines japanischen Atomkraftwerkes sei nach dem Großbeben ein Feuer ausgebrochen. Es sei davon auszugehen, dass die Turbine keinen Strom mehr erzeuge und damit die Kühlsysteme des AKW gefährde.

Edmund Lengfelder im Gespräch mit Christian Bremkamp | 11.03.2011
    Christian Bremkamp: Ein Erdbeben der Stärke 8,9 hat am Morgen unserer Zeit die Nordostküste Japans erschüttert und verheerende Schäden verursacht. Der Erdstoß löste eine vier Meter hohe Tsunami-Welle aus, die Schiffe, Autos und ganze Gebäude mehrere Kilometer landeinwärts schwemmte. Am Mittag dann diese Meldung: Im Turbinenhaus eines Atomkraftwerkes soll Feuer ausgebrochen sein. Radioaktivität sei nicht ausgetreten, hieß es von offizieller Seite. Dennoch wurde Atomalarm ausgerufen, um für Notfallmaßnahmen gewappnet zu sein. - Am Telefon begrüße ich jetzt Edmund Lengfelder. Er ist Strahlenschutzexperte der Universität München. Herr Lengfelder, wie ernst muss man diese Meldung nehmen?

    Edmund Lengfelder: Also wenn in einem Turbinenhaus eines Atomkraftwerks Feuer ausbricht, dann ist das eine sehr ernste Sache, weil dann davon auszugehen ist, dass die Turbine keinen Strom mehr erzeugt. Nachdem die Kühlsysteme eines AKW Strom auch aus dem eigenen Kraftwerk brauchen, um zu funktionieren, ist das eine sehr ernste Angelegenheit.

    Bremkamp: Kann man dann noch schnell reagieren in solch einer Situation? Gibt es dann Notfallmechanismen?

    Lengfelder: Also wenn es durch ein Erdbeben zu einem solchen Brand kommt, bedeutet das, dass starke Versetzungen oder Bruch vielleicht sogar der Bodenplatte oder solche Dinge passiert sind, was zum Abreißen beispielsweise der Transformator-, der Ölleitung oder zu solchen Dingen führt, und damit ist eine sehr ernste Situation herbeigeführt, weil nämlich die Kühlmittelpumpen, die brauchen ja auch einen Teil des eigenen, im eigenen Kraftwerk erzeugten Stroms, und ich denke, die werden dann ausfallen. Wenn sowieso große Zerstörungen da sind, ist auch die Frage, ob die Einspeisung aus dem Fernleitungsnetz des Landes funktionieren würde, um die Kühlmittelpumpen aufrecht zu halten. Also ich sehe das als eine außergewöhnlich starke Bedrohung an.

    Bremkamp: Sind denn Atomkraftwerke in Japan möglicherweise anders, möglicherweise sicherer gebaut als hier bei uns in Deutschland, weil man eben immer mit einem schweren Erdbeben rechnen musste?

    Lengfelder: Also ich denke, dass auch in Japan, obwohl die auf Erdbeben eingestellt sind und im Bereich der Wohnbebauung diese Dinge berücksichtigen, auch bei Atomkraftwerken besserer Gebäudeschutz und bessere Bauqualität eingeführt worden ist. Aber das ist natürlich nur für ein Erdbeben bestimmter Stärke ausgelegt, denn man kann nicht für ein Erdbeben vielleicht von der Stufe neun oder zehn ein Atomkraftwerk so sicher bauen, und dann soll es auch noch betriebswirtschaftlich interessant sein. Also wenn ein Maschinenhaus als Folge eines Erdbebens brennt, ist wirklich höchste Alarmstufe, und ich erwarte eigentlich, dass wir in den nächsten Stunden noch ganz gravierende zusätzliche Gefährdungsnachrichten bekommen und dass es auch dann irgendwann zum Austritt von Radioaktivität kommt, weil: Auch wenn Sie ein Atomkraftwerk abschalten, entsteht ja eine große Menge von Nachwärme, und die muss unbedingt gekühlt werden. Denken Sie an die Castoren, die zehn Jahre irgendwo stehen, bevor man sie irgendwo hintransportiert. Diese Nachwärme muss weg! Ansonsten kommt es auch so zu einer Kernschmelze.

    Bremkamp: Wie muss man sich das Ganze optisch vorstellen? Wo liegt so ein Turbinenhäuschen, in dem Atomkraftwerk, an der Seite?

    Lengfelder: Die Turbinenhäuser sind in der Regel angebaut an die Atomkraftwerksgebäude. Das heißt, der Dampf wird dann vom Reaktor hinübergeleitet zum Turbinengebäude. Oft ist das wie eine große Einheit. Aber innen sind diese beiden Einrichtungen durchaus getrennt.

    Bremkamp: Nun werden die Mitarbeiter dort, die Menschen dort in Japan sicherlich sehr erschrocken gewesen sein, vielleicht in Panik geraten sein. Wie geht denn das Prozedere vor sich? Es wird ja sicherlich Notfallpläne für solche Ereignisse geben. Wie müssten die Menschen, die Mitarbeiter dort möglichst perfekt reagieren?

    Lengfelder: Also die können natürlich nur im Rahmen der vorgesehenen Möglichkeiten reagieren, und wenn beispielsweise jetzt die Turbine ausfällt, oder die Turbinen ausfallen - es sind in der Regel mehrere -, dann wird kein Strom mehr erzeugt, dann müssen sie Feuerbekämpfung machen und gleichzeitig versuchen, den Strom herzubekommen, um die Kühlmittelpumpen für den Primärkreislauf weiterhin laufen zu lassen. Die brauchen eine hohe Leistung. Und wenn nun durch das Erdbeben zum Beispiel im Umfeld Strommasten ebenfalls gefallen sind, also die Einleitung von außen nicht mehr funktioniert, dann sehe ich das als ziemlich schwarz an.

    Bremkamp: Ich entnehme Ihren Worten, die etwas beschwichtigenden Worte der japanischen Regierung, das teilen Sie nicht so ganz?

    Lengfelder: Was will eine Regierung machen, um die Bevölkerung ruhig zu stellen? - Sie werden die Bevölkerung falsch informieren. Ich möchte hier zitieren ein von mir oft zitiertes Wort von dem amerikanischen Politiker Wolfowitz, der sagte, die Öffentlichkeit zu betrügen, ist nicht nur akzeptabel, sondern notwendig.

    Bremkamp: Professor Edmund Lengfelder war das, Strahlenschutzexperte der Universität München. Ich danke Ihnen ganz herzlich für diese Informationen.

    Lengfelder: Gerne!