Samstag, 04. Mai 2024

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Straßensperrung in Österreich
"Sehr viel Emotion bei allen Verkehrsthemen im Spiel"

Die Sperrungen in Salzburg und Tirol würden zeigen, dass alle Verkehrsdiskussionen derzeit sehr aufgeladen seien, sagte Verkehrswissenschaftler Klaus Bogenberger im Dlf. Er erwarte jedoch in gewisser Zeit eine Beruhigung und Rückkehr zu mehr Fakten und rationalen Argumenten in den Diskussion.

Klaus Bogenberger im Gespräch mit Dirk Müller | 13.07.2019
LKW auf der Europabrücke auf der Brennerautobahn, Österreich.
Abfahren verboten: Für deutsche Touristen gelten die neuen Regelungen in Österreich während der Ferienzeit (image / Roland Mühlanger)
Dirk Müller: Staus, kilometerlang, das ist in den Winterferien so, das ist Ostern so, allemal in den Sommerferien. So beginnen für die meisten Familien seit vielen Jahren die Schulferien. Jetzt wird das Ganze noch schlimmer für die Urlauber, für die Anwohner aber ebenfalls. Ausgerechnet die Österreicher setzen auf Fahrverbote für diejenigen, die das Land als Transitland benutzen. Landstraßen, Pässe, auch Bundesstraßen in Tirol und nun auch im Salzburger Land sind gesperrt für diejenigen, die keine Unterkünfte in dieser Region gebucht haben. Die aktuelle Situation im Bundesland Salzburg, schildert nun Leila Heine, ist noch relativ ruhig.
Noch herrscht Ruhe auf der Tauernautobahn
Informationen von Leila Heine. Die große Blechlawine, sie kommt also noch, von Stunde zu Stunde wird es immer gravierender mit großer Wahrscheinlichkeit. Österreich blockiert seine Nebenstraßen, das ist nun unser Thema mit Professor Klaus Bogenberger, Verkehrswissenschaftler an der Bundeswehruniversität in München. Guten Tag!
Klaus Bogenberger: Grüße Sie!
Müller: Herr Bogenberger, haben Sie die Sperren empfohlen?
Bogenberger: Nein, die haben wir nicht empfohlen. Das haben sich die Österreicher schon selber ausgedacht, aber aus verkehrlicher Sicht ist das natürlich durchaus nachvollziehbar, was dort passiert.
Müller: Also Sie hätten es geraten, wenn man Sie gefragt hätte?
Bogenberger: Ja, das Problem des Ausweichverkehrs kennt eigentlich jede Gemeinde, die an einer viel befahrenen Autobahn liegt, nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland.
Müller: Also könnte das für die bayrische Landesregierung auch in probates Mittel sein?
Bogenberger: Das weiß ich nicht, ob man das jetzt hier gleich umsetzen würden so intensiv, aber wenn Sie Gemeinden anschauen, die an den großen Autobahnen liegen, und sie haben dort einen Unfall zum Beispiel oder eine Sperrung oder eine große Baustelle, dann treten auch dort massive Ausweichverkehre auf, und heute mehr als vor vielen Jahren, weil Leute sich einfach aufgrund der Navigationsgeräte auch mehr in das nachgeordnete Netz trauen. Sie haben keine Angst mehr, dass sie verlorengehen könnten oder sich nicht mehr zurechtfinden.
Müller: Aber das ist doch immer so. In Bayern, wenn ich da richtig informiert bin, Bad Tölz ist ein Beispiel, Holzkirchen, Irschenberg, Berchtesgaden direkt dann an der Salzburger Grenze, da ist doch immer, eh auch an diesen Wochenenden, sehr, sehr viel los. Da wird ausgewichen, wie Sie es gerade beschrieben haben, warum dann eben nicht auch in Bayern?
Bogenberger: Ich glaube, dass man, wenn, dann in Deutschland eine einheitliche Regelung braucht, und in Tirol und in Salzburg tritt das Ganze natürlich jetzt doch noch mal deutlich massiver und lokal konzentrierter auf, gerade zu Ferienbeginn. Natürlich kennen wir das aus den Alpentälern auch, wo Leute der österreichischen Maut zum Beispiel ausweichen und dann hier Abkürzungen nehmen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass in ein paar Jahren da vielleicht ein paar Maßnahmen ergriffen werden.
Maßnahme Nummer eins, Maßnahme Nummer zwei
Müller: Also die Österreicher, um das noch einmal dahin zu kanalisieren und zu fokussieren, haben aus Ihrer Sicht gar keine Alternative dazu.
Bogenberger: Ja, also entweder stellt man die Autos wie auf einen großen Parkplatz auf die Autobahn, dann erzeugt man aber dort natürlich sehr lange Reisezeiten und auch sehr viel Emissionen und ähnliches, und das will man eben nicht, deshalb zum Teil diese Blockabfertigungen. Das ist ja die Maßnahme Nummer eins, und die Maßnahme Nummer zwei, den Leuten zu verbieten auszuweichen ist aus meiner Sicht schon nachvollziehbar. Allerdings glaube ich, dass es zum Kontrollieren nicht so einfach ist, weil jeder, der runterfährt, wie man es ja auch gerade gehört haben, kann sagen, er fährt ins Restaurant oder braucht eine kurze Pause, und dann wird ihm auch nichts passieren und wird kein Bußgeld zahlen müssen.
Müller: Ja, und 35 Euro bringt ja gegebenenfalls auch niemanden um.
Bogenberger: Ja, wer eine lange Strecke mit dem Auto fährt und dann eine dementsprechende Maut bezahlen muss, der kann wahrscheinlich sich die 35 Euro noch leisten, ja.
Müller: Blockabfertigungen von Lkws, das haben Sie gerade, Herr Bogenberger, auch als Stichwort genannt, wird auch groß kritisiert, natürlich von der italienischen Seite aus. Da reden wir über den Brenner, die große Transitautobahn dann vom südlichen Tirol nach Südtirol, also nach Norditalien, wo das immer wieder auch ein großes Ärgernis ist und auf der deutsch-österreichischen Seite. Auch da sagen Sie, okay, geht eben nicht anders mit den Lkws, wenn so viele unterwegs sind.
Bogenberger: Ja, man will den Verkehr einigermaßen am Fließen halten im Bereich Tirols, und deshalb dosiert man bewusst den Lkw-Verkehr. Das Blöde an der Sache sozusagen ist, dass man sie direkt an der Grenze aufhält und sie dann im jeweiligen Land, also in Deutschland oder in Italien, dementsprechende Rückstaus haben im Lkw-Bereich und dort dann die negativen Wirkungen. Ich denke aber, das ist eine verkehrspolitische Maßnahme, die nicht nur starken Lkw-Verkehr geschuldet ist, sondern hier will man vielleicht auch auf den Brenner-Basistunnel und auf der deutschen Seite auf den nicht schnell genug aus österreichischer Sicht voranschreitenden Ausbau im Zulauf zum Brenner-Basistunnel aufmerksam machen.
"Die rollende Landstraße"
Müller: Brenner-Basistunnel bedeutet aber umsteigen auf den Zug. Macht das jemand?
Bogenberger: Genau. Es bedeutet vor allem, der Begriff hierfür ist rollende Landstraße, also hier will man sozusagen die Lkws auf den Zug fahren lassen und dann durch Tirol und durch den Tunnel bis nach Südtirol fahren und dadurch diese Strecken massiv vom Lkw-Verkehr entlasten.
Müller: Könnte die Regierung in Deutschland sowie in Österreich nicht konsequent genug sein, um zu sagen, Lkw-Verkehr in Zukunft, wenn dieser Basistunnel dann beispielsweise dann auch da ist, definitiv ultimativ von der Straße holen, alle Lkws müssen auf den Zug und fertig?
Bogenberger: Also der Lkw-Verkehr ist sicher verlagerbar. Das machen uns die Schweizer zum Beispiel vor, wo die rollende Landstraße, also dieses Verladen der Lkws auf die Eisenbahn, sehr erfolgreich praktiziert wird.
Müller: Beim Gotthardtunnel?
Bogenberger: Zum Beispiel. Weil der Lkw-Verkehr oder die ganze Logistik hat zwei große Komponenten. Das ist einmal die Zeit und einmal die Kosten, und wenn Sie dort Zeit einsparen oder zum Beispiel, dass der Fahrer dann länger fahren darf, weil er da eine längere Pause hat, wenn er mit der Eisenbahn gefahren wird, und wenn es zeitlich kein großer Nachteil ist, dann sind hier enorme Verlagerungseffekte zu erwarten.
Müller: Die Schweizer haben das ja auch schon seit vielen Jahren gemacht, da haben die einfach die Grenze dichtgemacht, wenn es zu viel war an Lkw-Verkehr, und das haben wir ja auch akzeptiert mit relativ wenig Kritik. Warum ist das jetzt bei Österreich anders, warum ist die Aufregung auch in Bayern in der Politik so groß?
Bogenberger: Na ja, also Sie dürfen nicht vergessen, dass wir vor ein paar Wochen in Deutschland die Lkw-Maut nicht genehmigt bekommen haben vom Europäischen Gerichtshof aufgrund einer Klage, die von den Österreichern und den Holländern geführt wurde. Ich denke, da ist im Moment sehr viel Emotion im Spiel bei allen Verkehrsthemen. Ich erwarte da eigentlich nach einer gewissen Zeit eine Beruhigung und dann ein wieder auf mehr Fakten und rationalen Argumenten basierende Diskussion.
Müller: Also nichts weiter als eine Maut-Retourkutsche.
Bogenberger: Ja, sicherlich wird da gerade in den Grenzregionen sehr intensiv drüber diskutiert. Sie dürfen auch nicht vergessen, die Österreicher, wenn sie in Tirol oder Vorarlberg wohnen und nach Salzburg oder Wien möchten, dann müssen Sie immer über das deutsche Autobahnnetz fahren. Das nennt man das sogenannte große deutsche Eck. Das heißt, wir haben eine Art Binnenverkehr auch, den wir in Deutschland abwickeln für die Österreicher, und natürlich wird das in den entsprechenden Regionen weit intensiver und emotionaler besprochen als wahrscheinlich im Rest der Republik.
Ein Recht auf freie Straßenwahl?
Müller: Jetzt haben wir, Herr Bogenberger, ja die Kritik aus Bayern in vielen Fällen in den vergangenen Wochen schon gehört, und es gibt auch Drohungen, wie auch immer definiert, dass vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt werden soll. Könnte das Erfolg haben?
Bogenberger: Ich bin kein Jurist und kann das deshalb sehr schwer einschätzen. Da sich die Maßnahmen ja aber wohl auch gegen die eigene Bevölkerung oder die Anrainer richten, also auch wenn Sie dort wohnen, dürfen Sie nicht so ohne Weiteres ausweichen oder müssen mit den Dosierungen leben …
Müller: Also auch die Österreicher trifft es selbst?
Bogenberger: Ja. Und dann ist es vielleicht rechtskonform, aber, wie gesagt, ich bin kein Verkehrsrechtler und nehme mir das nicht heraus, das eigentlich bewerten zu können, ob das Erfolg haben kann oder nicht so eine Klage.
Müller: Wollte ich Sie vielleicht mal von der umgekehrten Perspektive aus fragen: Also wir haben freien Warenverkehr in Europa, wir haben freies Niederlassungsrecht, alles so frei sein, wir haben freien Grenzverkehr mehr oder weniger, wenn es Grenzkontrollen gibt, wird das heftig kritisiert. Gibt es ein Recht auf freien Autoverkehr, auf freie Straßenwahl?
Bogenberger: Ja, bisher war das in großen Teil so, sage ich mal, aber das Automobil und die Liebe zum Automobil hat doch deutlich nachgelassen die letzten zehn Jahre, und das Auto wird nicht mehr nur positiv gesehen. Man muss mit Einschränkungen rechnen. Wir werden auch in unseren deutschen Städten irgendwann vielleicht Citymaut oder ähnliches sehen und nicht mehr so einfach überall hinfahren dürfen oder dafür zusätzlich Kosten bezahlen müssen.
Müller: Wie machen Sie das persönlich? Sie wohnen ja in München oder im Münchener Großraum, wenn wir das richtig gesehen haben, und Sie fahren vielleicht dann auch in Richtung Alpen, in Richtung Österreich immer auch noch mit dem Auto?
Bogenberger: Ja, ich wohne jetzt wirklich auf dem Land, und da hat man in großen Teilen keine Alternative zum Auto, also dass ich doch schon einen hohen Autoanteil habe. Allerdings mache ich mir doch sehr, sehr viele Gedanken beim Pendeln oder bei Dienstreisen, welches Verkehrsmittel ich tatsächlich hernehme, und es gibt für mich immer zwei Entscheidungskriterien: das ist die Zeit und die zeitliche Zuverlässigkeit, bin ich auch sicher am Ort oder beim Termin, und der Komfort natürlich auch. Das Ganze muss einigermaßen komfortabel sein, wenig umsteigen und auch in den Fahrzeugen einigermaßen angenehm.
Müller: Und deswegen ist das Auto trotzdem noch das primäre Bewegungsmittel.
Bogenberger: Aufgrund meiner Wohnsituation ist das so, allerdings lässt es doch auch deutlich nach. Wenn Sie jüngere Leute anschauen und die Statistiken, nimmt der Besitz, sogar der Führerscheinbesitz bei solchen Leuten deutlich ab. Aufgrund der Digitalisierung und der Informationen, die uns zur Verfügung stehen über die öffentlichen Verkehrsmittel und die Bahn, nehmen gerade die Jüngeren doch sehr häufig auch diese Verkehrsmittel in Anspruch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.