Aggressivität im Straßenverkehr
Wenn die Wut das Steuer übernimmt

Es wird geflucht, gedrängelt und gepöbelt: Aggressives Verhalten im Straßenverkehr ist weit verbreitet. Wie Stress und schlechte Straßenplanung den Verkehr in Deutschland eskalieren lassen – und welche Maßnahmen dagegen helfen können. 

    Ein wütender Fahrer schreit einen anderen Verkehrsteilnehmer aus dem Auto heraus an und gestikuliert durch das Fenster heraus.
    Stress und Anonymität begünstigen aggressives Verhalten im Straßenverkehr (imago / imagebroker / Isai Hernandez)
    Ob auf dem Rad, dem E-Scooter oder im Auto: Viele Menschen zeigen im Straßenverkehr gelegentlich aggressives Verhalten. Es reicht von Hupen und obszönen Gesten bis hin zu gefährlichen Manövern und körperlichen Angriffen.  
    Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass Menschen den Straßenverkehr zunehmend als aggressiv wahrnehmen - auch wenn die meisten das Fehlverhalten ironischerweise eher bei anderen wahrnehmen. Was lässt uns zu "Verkehrsrowdys" mutieren – und wie kommen wir wieder runter? 

    Übersicht

    Wie äußert sich Aggressivität im Straßenverkehr? 

    Zu den aggressiven Verhaltensweisen zählen Hupen, Fluchen, Bedrängen und ein Ausbremsen anderer Verkehrsteilnehmer. Diese stellen laut Deutschem Verkehrssicherheitsrat (DVR) einen wesentlichen Risikofaktor für Unfälle dar.
    In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des DVR haben 2024 über ein Drittel der Autofahrer berichtet, gelegentlich selbst aggressives Verhalten zu zeigen: Kurz auf die Bremse treten, wenn der Hintermann drängelt oder dicht auffahren, um an einem bummelnden Auto vorbeizukommen.
    Auch Rad- und Pedelecfahrer äußerten in der Umfrage selbst aggressives Verhalten: Mehr als ein Drittel ist bereit, zu drängeln und sehr dicht vorbeizufahren, wenn andere auf dem Radweg bummeln. Ein Viertel überfährt Zebrastreifen ohne Anhalten oder schlängelt sich an Fußgängern vorbei.
    Die extremste Form ist die "Road Rage", bei der Wut in körperliche Angriffe oder Gewalt umschlägt – etwa durch Schreien, obszöne Gesten oder das absichtliche Abdrängen anderer Fahrzeuge von der Straße. 
    Das sei aber eher die Ausnahme, erklärt Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe beim ADAC: „Was wir meistens im Straßenverkehr erleben, ist weniger die bewusste Schädigung als das fahrlässige Handeln, weil man was übersehen hat oder für sich auch das Risiko nicht so bewertet hat.“ 
    Das erklärt vielleicht auch die große Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung: Viele Verkehrsteilnehmer schreiben aggressives Verhalten in der DVR-Befragung primär anderen zu. 

    Hat die Aggressivität im Straßenverkehr zugenommen? 

    „Das Gefühl, dass das Verkehrsklima immer rauer würde, gibt es schon seit 30, 40 Jahren“, sagt Verkehrspsychologe Jens Schade von der TU Dresden. 
    Auch die Verkehrsklima-Befragung 2023 der Unfallforschung der Versicherer (UDV) zeigt, dass die Menschen das Gefühl haben, dass die Aggressivität zunimmt. Tatsächlich schätzen sich inzwischen mehr Verkehrsteilnehmer selbst in Umfragen als aggressiv ein, insbesondere Autofahrer, wenn auch auf niedrigem Niveau. 
    Vor allem im Berufsverkehr kommt es nach Angaben des DVR zu Nötigungen. Diese haben laut der polizeilichen Kriminalstatistik für 2024 im Vergleich zum Vorjahr leicht zugenommen. Insgesamt kam es demnach in rund 38.000 Fällen zu aggressivem Verhalten wie Fluchen, Hupen, andere Bedrängen oder das Ausbremsen anderer Autofahrer.
    In seiner Schriftenreihe zur Verkehrssicherheit 2025 betont der DVR: Die Ergebnisse von Befragungen zeigten subjektive Wahrheiten – „allerdings sind wir derzeit noch weit davon entfernt, eine objektive Aussage über das repräsentative Auftreten negativer Interaktionen im Straßenverkehr machen zu können.“   
    Auch Jens Schade von der TU Dresden betont: „Es gibt keine Daten, die zeigen, dass es tatsächlich schlimmer wird, sondern eher das Gegenteil.“ Die Unfallzahlen seien in den vergangenen 50 Jahren konstant zurückgegangen.  

    Woher kommt die Aggressivität im Straßenverkehr? 

    Die Ursachen für aggressives Verhalten sind vielfältig und liegen in einer Kombination aus situativen und persönlichen Faktoren wie Stress, lange Wartezeiten, Überforderung und Anonymität. Aber auch die Verkehrsplanung spielt eine Rolle.
    „Unser Lebensalltag ist geprägt von Stress und Hektik", so Manfred Wirsch, Präsident des Verkehrssicherheitsrats gegenüber der KNA: Der zunehmende und komplexer werdende Straßenverkehr verschärfe dieses Problem.
    ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino hebt hier den Faktor der Flächenkonkurrenz hervor: Besonders in Städten führe die steigende Anzahl an Verkehrsmitteln - Autos, LKW und Fahrräder, aber auch E-Scooter und Lastenräder - und die damit verbundene Enge zu Konkurrenz um knappe Flächen und damit zu Konflikten.
    Auch die unterschiedliche Selbst- und Fremdwahrnehmung spiele bei aggressivem Verhalten im Straßenverkehr eine Rolle, erklärt Verkehrspsychologe Jens Schade von der TU Dresden: Viele Verkehrsteilnehmer würden sich als Opfer sehen: „Jemand anderes hat etwas getan, was mich dann dazu gezwungen hat, irgendwie vielleicht auch aggressiv zu werden.“ Zudem werde sicheres Verhalten im Straßenverkehr in der Regel bestraft: „Wenn ich mich ans Geschwindigkeitslimit halte, dann sind da viele andere, die drängeln. Lasse ich genug Platz zu meinem Vorderfahrzeug, dann schneidet da jemand rein. Also das zwingt mich dazu, dann dicht aufzufahren.“
    Insgesamt beobachtet der Verkehrrssicherheitsrat, dass aggressives Fahrverhalten mit dem Alter abnimmt und bei Männern ausgeprägter ist als bei Frauen. „Wir haben ein Problem mit Männern im Straßenverkehr“, sagt auch Unfallforscher Siegfried Brockmann von der Björn-Steiger-Stiftung zur Verbesserung der Notfallhilfe. Das zeige sich in jeder Unfallstatistik. „Männer sind vom Grundsatz her wahrscheinlich schon aggressiver in ihrer Umgebung“ – ob auf dem Fahrrad oder im Auto, spiele da keine Rolle.

    Was hilft gegen Aggressivität im Straßenverkehr?

    Einfach mal geduldiger, entspannter und rücksichtsvoller sein? Das ist leichter gesagt als getan. Verkehrspsychologe Jens Schade empfiehlt, zu versuchen sich in den anderen hineinzuversetzen: „Nutzt viele Verkehrsmittel und seht einfach mal aus den Augen eines Fußgängers, aus den Augen eines Radfahrers oder eben aus den Augen eines Autofahrers. Und da sehen die Welten ganz unterschiedlich aus.“  
    Und nicht immer steckt hinter einem abrupten Bremsen, oder einem dichten Auffahren eine Provokation. Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino rät daher, Dinge nicht persönlich zu nehmen und vor dem Reagieren durchzuatmen.  
    Ein wichtiger Faktor für weniger Stress sei aber strukturell: Es brauche ausreichend Platz für alle Verkehrsteilnehmer, sagt Chiellino: Eine gute Infrastruktur sorge dafür, Konflikte zu vermeiden. So hätten etwa Radfahrer in vielen Städten nur wenig Platz: „Das ist aber den Kommunen im Wesentlichen schon klar. Da muss eben doch eine ganze Menge passieren.“ Flächen müssten klar zugeteilt werden und insgesamt müsse mehr Ordnung in die Verkehrsstruktur kommen. Dafür brauche es Kompromisse.
    Fragt man die Verkehrsteilnehmer selbst, so wünschen sich laut Untersuchung des deutschen Verkehrssicherheitsrats rund zwei Drittel, härtere Konsequenzen für aggressives Fahrverhalten wie Bußgelder, Punkte oder Fahrverbote. Ein Drittel wünschte sich zudem mehr Aufklärung in Medien und Sozialen Netzwerken, ebenfalls ein Drittel sprach sich für ein Zusatzmodul "Aggression" in der Fahrschule aus. 

    ikl