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Streaming statt Vorstellung
Wer von Theater-Inszenierungen online profitiert

"Wir sind zu - aber wir sind da" - Die Theaterhäuser sind geschlossen, aber die Mitarbeiter denken sich im digitalen Raum Vieles für die Zuschauer aus. Am meisten verbreitet ist dabei das Streamen eigener Inszenierungen. Aber wer profitiert eigentlich von diesen Streamings?

Von Barbara Behrendt | 28.04.2020
Edith Clever (l) als Agaue mit dem Kopf des Pentheus in der Hand, aufgenommen während einer Probe am 04.02.1974. Im Rahmen des "Antikenprojekts I" zeigt die Schaubühne Berlin im Pavillon B auf dem Messegelände am Funkturm am 07.02.1974 das Stück "Die Bakchen" von Euripides in einer Inszenierung von Klaus Michael Grüber.
Klaus Michael Grübers gestreamte "Bakchen" aus dem Jahr 1974 wurde knapp 8000 Mal geklickt (dpa / picture alliance / Konrad Giehr)
Auf der Webseite der Berliner Schaubühne werden seit März Schätze der Theatergeschichte ans Licht befördert: legendäre Arbeiten von Luc Bondy, Peter Stein oder Andrea Breth sind da als Aufzeichnung zu sehen. Das Deutsche Theater Berlin hat die Inszenierungen des großen DDR-Regisseurs Friedo Solter ausgegraben - wenn Ulrich Mühe die Worte des naiven Kriegshelden "Philotas" 1987 dutzendfach wiederholt und neu abschmeckt, lernt man, dass nicht erst Volksbühnen-Chef Frank Castorf dieses ästhetische Mittel erfunden hat. Und Klaus Michael Grübers "Winterreise im Olympiastadion" zeigt, dass die sogenannten "sitespecific projects", also das Verlassen des Theaterraums zugunsten einer passenderen "Location", schon 1977 bestens bekannt waren.
Theatergeschichte, die man gern auch mal abseits der Corona-Krise angeklickt hätte. Doch das, das zeigt die Recherche, ist rechtlich kompliziert. Technisch waren Theater damals noch nicht so weit, eine Probe mit der eigenen Kamera zu begleiten, wie das heute gang und gäbe ist. Aufzeichnungen wurden von Fernsehsendern oder Filmproduktionsfirmen angefertigt - und diese stellen sie nun aus reiner Kulanz, das sagen Schaubühne und Deutsches Theater, während der Corona-Krise zum nichtkommerziellen Streamen zur Verfügung. Für höchstens 24 Stunden. Auch 3sat stellt - nur ausnahmsweise! - während des Berliner Theatertreffens Aufzeichnungen bereit, die der Sender von Inszenierungen hergestellt hat, die zum Festival eingeladen waren. Ein permanentes Online-Archiv aus Fernsehproduktionen ist rechtlich nicht erlaubt.
Komplizierte und teure Rechtelage
Das Streamen neuerer Aufzeichnungen, von den Theatern selbst gefilmt, ist allerdings auch kompliziert - und teuer. Während die Sender Verträge mit den Künstler*innen geschlossen und alle Beteiligten honoriert haben, sind die Aufzeichnungen der Theater als Mitschnitte für den internen Gebrauch entstanden. Die Schaubühne kann ansehnliche Videos vorweisen. Kleinere Häuser mit weniger Geld, etwa das Staatstheater Cottbus, zeigen Mitschnitte nicht öffentlich, weil sie den eigenen ästhetischen Maßstäben nicht genügen.
"Interner Mitschnitt" heißt jedenfalls: kein Schauspieler, kein Autor, keine Regisseurin hat je zugestimmt, das Video öffentlich zu präsentieren. Nicht nur Einverständniserklärungen müssen eingeholt, auch Urheberrechtsfragen geklärt werden. Das kann schnell teuer werden. Das Potsdamer Hans Otto Theater spricht von 2000 bis 3000 Euro, die es für die Online-Premiere des Mitschnitts der Inszenierung "Die Mitwisser" bezahlt. Aufgrund großer Kulanz aller Teilnehmer, sonst wäre leicht das Doppelte zustande gekommen. Für eine einmalige Ausstrahlung. Bezahlt werden muss die Video-Crew, der Verlag, der Autor und die Schauspieler, die nicht Teil des Ensembles sind, sondern als Gäste auftreten.
Klingt, als würden zumindest die Künstler*innen vom Streaming profitieren, doch auch das ist nur bedingt der Fall. Im Gespräch mit dem Theaterverlag Felix Bloch Erben wird die Katastrophe erahnbar, die sich für Verlage und Autor*innen durch die Krise ereignet. Sie leben von den Tantiemen, die pro Abend bezahlt werden, an dem ihr Stück gespielt wird. Diese Tantiemen liegen, je nach Größe und Art des Hauses, zwischen 200 und 1000 Euro. Für ein Ausfallhonorar für abgesagte Abende gibt es keine rechtliche Grundlage. Dass die Autorinnen und Autoren also fürs Streaming einen kleinen Betrag einfordern, ist verständlich. Das Berliner Grips Theater und die Schaubühne sprechen von 200 bis 300 Euro.
Die Häuser selbst verdienen keinen Cent
An den Münchner Kammerspielen erhalten die Spieler*innen, die nicht zum Ensemble gehören, 100 Euro für ein Streaming. Ein Bruchteil dessen, was sie bei einem realen Auftritt verdient hätten - aber besser als nichts. Die Schaubühne dagegen gibt an, bis auf die Tantiemen für den Autor gar nichts zu bezahlen und hofft auf das Verständnis aller Beteiligten. Schließlich verdienen die Häuser selbst keinen Cent an den Streamings. Wer profitiert also?
Zuallererst die Zuschauer, die kostenfrei klicken dürfen. Für die Theater ist höchstens das Marketing-Argument relevant. Thomas Ostermeiers "Hamlet" ist an der Schaubühne 37.000 Mal geklickt worden. Klaus Michael Grübers "Bakchen" immerhin knapp 8000 Mal. An den Münchner Kammerspielen war der Spitzenreiter Susanne Kennedys "Drei Schwestern" mit 7100 Aufrufen.
Hellhörig, sagt die Schaubühne, würden inzwischen die Videostreaming-Plattformen. Denn für derartig hohe Klickzahlen seien die Accounts nicht angelegt - über die finanziellen Nachforderungen versuche man sich nun zu einigen.
Mittlerweile ist jedoch eine gewisse Streaming-Müdigkeit zu erleben: An den Kammerspielen haben sich die Klicks zwischen 2000 und 3000 eingependelt. Zudem ist die Anzahl der Mitschnitte endlich. Inzwischen setzen viele Theater online auf Live-Experimente. Die Ergebnisse konnten bislang nicht überzeugen: Zumeist sind es Bagatellen und Banalitäten.