Archiv


Streik in der sächsischen Metall- und Elektroindustrie

    Remme: Heute Morgen hat der Arbeitskampf in der sächsischen Elektro- und Metallindustrie begonnen. Auch in der ostdeutschen Stahlindustrie wird gestreikt. Trotz desolater Lage des Arbeitsmarktes und ungeachtet der Konjunkturflaute will die IG Metall die 35-Stunden-Woche durchsetzen. Zur Zeit wird im Osten noch drei Wochenstunden länger gearbeitet als im Westen. Einer der wenigen Standortvorteile, sagen die Arbeitgeber und wehren sich gegen die Forderungen der IG Metall; eine Ungerechtigkeit, mit der Schluss sein muss, sagt die Gewerkschaft. Am Telefon ist jetzt Hasso Düvel, zuständiger IG Metall-Bezirksleiter. Guten Morgen, Herr Düvel.

    Düvel: Guten Morgen.

    Remme: Herr Düvel, wo wird denn zur Stunde überall gestreikt?

    Düvel: Es wird in Betrieben im Raum Zwickau und Chemnitz gestreikt und in etwa sieben Stahlbetrieben verteilt über Ostdeutschland.

    Remme: Ist das noch eine Situation, die man als Nadelstich bezeichnen könnte?

    Düvel: Das ist natürlich zunächst einmal natürlich der Versuch. Die Arbeitgeber erkennen, die IG Metall-Mitglieder in den Betrieben sind streikfähig. Sie haben ein Interesse daran, dass es möglichst schnell in Verhandlungen zu Lösungen kommt.

    Remme: Herr Düvel, geht es bei diesem Streik "nur" um Gleichbehandlung und Gerechtigkeit, oder was versprechen Sie sich von der 35-Stunden-Woche?

    Düvel: Dreizehn Jahre ist die Einheit rum. Alle Politiker haben versprochen, dass so schnell als möglich die Lebensverhältnisse angeglichen werden. Offensichtlich hat sich jeder davon verabschiedet, die IG Metall nicht. Wir stehen für die Angleichung der Tarifverträge. Da ist der Rückstand der drei Stunden Arbeitszeit noch offen. Sie sagten im Vorspann "trotz schlechter Konjunktur": Es muss gesagt werden, dass die Metall- und Elektroindustrie und die Stahlindustrie in Ostdeutschland in einer ausgesprochen guten Verfassung sind. Sie haben höhere Produktivitätszuwächse, sie haben einen Lohnstückkostenvorteil von durchschnittlich zehn Prozent, den wir nicht mehr ankratzen wollen. Aber wir wollen von dem weiteren Wachsen des Lohnstückkostenvorteils die Arbeitszeitangleichung abhaben. Das ist legitim, dafür kämpfen die Leute.

    Remme: Das heißt mit anderen Worten: Wegen der im Vergleich guten Lage Ihrer Branche können Sie die Besonderheiten des ostdeutschen Arbeitsmarktes ignorieren?

    Düvel: Sehen Sie, wenn die Lage in der Metall- und Elektroindustrie diesen Schritt möglich macht, heißt das unterm Strich konkret: Wir sorgen dafür, dass es zu 15.000 Arbeitsplätzen mehr kommt. Wir sorgen vor allem auch dafür, dass die vorhandenen Arbeitsplätze stabil bleiben. Bei einer Produktivitätssteigerung von sechs bis neun Prozent ist jeder achte Arbeitsplatz potenziell gefährdet. Da hilft nur, wenn man auch mit Arbeitszeitverkürzung gegensteuert.

    Remme: Wer soll denn angesichts der gesamtwirtschaftlichen Lage 15.000 Leute einstellen?

    Düvel: 15.000 Leute würde es ausmachen, wenn man die gleiche Produktion bei drei Stunden weniger Arbeitszeit des Einzelnen aufrecht erhalten will. Im Übrigen: Wenn wieder mehr Leute arbeiten, heißt das auch mehr Steuereinnahmen, mehr Nachfrage. Das Nachfragethema in Ostdeutschland ist noch bedeutsamer als im Westen. Ich sehe gar keine Alternative.

    Remme: Jetzt beklagen die Arbeitgeber im Prinzip in Zahlen ausgedrückt ganz im Gegenteil nicht ein Anwachsen der Arbeitsplätze sondern einen Abbau von bis zu 20.000 Arbeitsplätzen. Sie sagen, das ist Panikmache. Warum?

    Düvel: Das ist bei jeder Arbeitszeitverkürzung der letzten zwanzig Jahre von den Arbeitgebern gesagt worden. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen: 1994, am Tiefpunkt der Konjunktur der Automobilindustrie in ganz Deutschland, hätte VW 30.000 Leute entlassen müssen. Man hat damals - das ist so lange noch nicht her - die Arbeitszeit von 35 auf 28,8 gesenkt und hat damit die 30.000 Leute an Bord gehalten. Es gibt einschlägige Beweise dafür, dass unsere Argumentation richtig ist.

    Remme: Herr Düvel, ich will mal auf eine Kritik des Verbandes der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie zu sprechen kommen. Sie sagen, 9.600 Ja-Stimmen haben über einen Arbeitskampf von etwa 125.000 Beschäftigten entschieden. Wird hier an der Mehrheit der Arbeitnehmer vorbeigestreikt?

    Düvel: Das ist so auch nicht richtig. Wir reden hier über das Tarifgebiet in Sachsen. In diesem Tarifgebiet haben wir weniger Beschäftigte. Es sind vor allem die mittleren und größeren Betriebe, die auch eine entsprechende Leistungsfähigkeit haben. Es wird immer so sein - das ist im Übrigen in Westdeutschland auch nicht anders -, dass es natürlich auch Gebiete mit zumeist kleinen Betrieben in ländlichen Bereichen gibt, die ökonomisch anders aussehen. Die orientieren sich am Ende zeitversetzt an diesen Abschlüssen. Das ist überhaupt nichts Außergewöhnliches.

    Remme: Macht es Ihnen eigentlich Sorge, wenn die vielen - es sind ja inzwischen Millionen - Arbeitslosen, die nun überhaupt nicht arbeiten können, angesichts eines Streiks um 36 Minuten am Tag schlicht den Kopf schütteln?

    Düvel: Das ist eine falsche Argumentation. Wenn wir hier für mehr Geld antreten würden, wäre die Argumentation berechtigt. Da gibt es welche, die ohnehin einen Arbeitsplatz haben und noch Geld draufhaben wollen. Hier kämpfen die Leute dafür, dass mehr Arbeitslose von draußen reinkommen, dass die knappe Arbeit auf mehr Schultern verteilt wird. Ich möchte eigentlich, dass Sie und die Öffentlichkeit und die Arbeitslosen diesen Arbeitskampf als einen Kampf für sich selber betrachten.

    Remme: Wie geht es denn jetzt weiter?

    Düvel: Der Arbeitskampf wird im Moment auf vier Tage befristet geführt. Es wird in der nächsten Woche allerdings weitergehen, wenn in der Zwischenzeit nichts passiert. Ich gehe davon aus, dass die Arbeitgeber einsehen, dass man mindestens ein Angebot machen muss. Es kann nicht sein, dass man sich bei einer Frage, in der man sich im letzten Jahr gemeinsam schriftlich verpflichtet hat, darüber einen Stufenplan zu machen, einfach komplett verweigert. Das ist nicht akzeptabel. Das ist Wortbruch.

    Remme: Das war der IG Metall- Bezirksleiter Hasso Düvel zum Streik in der sächsischen Metall- und Elektroindustrie. Herr Düvel, vielen Dank für das Gespräch.

    Düvel: Bitte.

    Link: Interview als RealAudio