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Streik schadet der Reputation Ostdeutschlands als Wirtschaftsstandort

Engels: Im ostdeutschen Tarifstreit um die Einführung der 35-Stunden-Woche gibt es bislang noch kein greifbares Ergebnis. Zwar treffen sich heute die Spitzen von Gesamtmetall und IG Metall, also Kannegiesser und Zwickel, zu einem Sondierungsgespräch und morgen soll in Berlin wieder verhandelt werden. Doch gleichzeitig wird weiter gestreikt und nach wie vor droht die Gewerkschaft mit einer Ausweitung der Aktionen auf Westdeutschland. Die Folgen für Ostdeutschland sind schon jetzt immens. Produktionsstillstand bei BMW, Engpässe bei VW, Vertrauensschwund bei den Investoren. Vorgestern hatte der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) gemeinsam mit den Ministerpräsidenten Platzeck und Stoiber, die Tarifparteien zu mehr Augenmaß aufgefordert. Die Auswirkungen auf Ostdeutschland und Gesamtdeutschland würden unterschätzt, heißt es darin. - Am Telefon ist nun Georg Milbradt. Guten Morgen!

    Milbradt: Guten Morgen!

    Engels: Die Auswirkungen werden unterschätzt, sagen Sie. Wie sehr hat denn der Streik bislang Sachsen geschadet?

    Milbradt: Unsere Reputation als Ansiedlungsland ist erheblich gemindert worden. Wir haben ausländische, aber auch inländische Investoren natürlich immer auch mit den Kostenvorteilen gelockt. Wir können ja nicht alles über öffentliche Subventionen machen. Wir haben Milliarden an öffentlichen Subventionen gezahlt, um die Arbeitsplätze rentabel zu machen. In einer solchen Situation befürchte ich, dass der Aufbau in der Metallindustrie - das war die Branche, die im Gegensatz zu Westdeutschland Arbeitsplatzzuwachs hatte, wo wir auch einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten konnten - nicht mehr in dem Maße geschieht, wenn Investoren den Eindruck haben, dass auf Dauer westdeutsche Verhältnisse eintreten, denn in Westdeutschland wird ja schon seit vielen Jahren nicht mehr investiert. Da geht man lieber nach Osteuropa, und das ist unsere Konkurrenz.

    Engels: Was tut denn die Landesregierung für die jetzt vom Streik betroffenen Unternehmen?

    Milbradt: Wir sagen ganz deutlich, dass dies für den Wirtschaftsstandort Sachsen schädlich ist. Wir missbilligen die Rechtsbrüche, die ständig dadurch geschehen, dass teilweise von Betriebsfremden die Arbeitswilligen an der Arbeit gehindert werden. Von den Gerichten sind eine Reihe von Entscheidungen gegen die IG Metall erlassen worden und wir setzen sie auch durch, denn wir müssen den Arbeitswilligen die Möglichkeit geben zu arbeiten und wir lassen uns nicht durch eine kleine Minderheit, nämlich 8.000 von 130.000, die für den Streik gestimmt haben, an der Fortsetzung unserer Wirtschaftspolitik hindern.

    Engels: IG Metall-Vize Peters - er war ja einer der Adressaten Ihres Briefes - reagierte nach eigener Aussage verblüfft über das Schreiben. Er sagte, auch die sächsische Landesregierung habe die Pflicht, für gleiche Lebensbedingungen in Ost und West zu sorgen. Was entgegnen Sie?

    Milbradt: Die wesentlichen Differenzen sind die hohe Arbeitslosigkeit und es ist unsere oberste Priorität, diese Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Ich kann nicht auf Dauer hinnehmen, dass bis zu 20 Prozent der Menschen im Durchschnitt arbeitslos sind mit steigender Tendenz, wenn es nicht mehr gelingt, zusätzliche Arbeitsplätze im Metallbereich zu bekommen. Angesichts der Konkurrenz in Osteuropa ist die Forderung der IG Metall völlig illusorisch, vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass auch in Westeuropa mehr gearbeitet wird. Ein Schweizer Arbeiter arbeitet schon heute mehr Stunden pro Woche als ein ostdeutscher Arbeiter und in der Situation die Arbeitszeit weiter zu reduzieren bei vollem Lohnausgleich heißt, die Kosten doch weiter in die Höhe zu treiben. Das kann nicht die Antwort sein, den Aufholprozess in Ostdeutschland zu organisieren.

    Engels: Hat sich die Gewerkschaft IG Metall mit diesem Streik im Osten selbst ins Aus gestellt?

    Milbradt: Ja. Er ist im Osten höchst unpopulär. Es gibt praktisch keine Unterstützung bei der Bevölkerung und in der Politik. Das Beste, was die IG Metall aus ihrer Sicht noch erreichen kann, ist, dass es zu keinen Tarifverhandlungen mehr kommt, denn mit einer solchen Gewerkschaft wird es sehr schwer sein, Tarifverträge zu bekommen. Ich hoffe aber trotzdem, dass der Flächentarifvertrag erhalten bleibt, denn sonst haben wir ein neues Tarifsystem in Ostdeutschland. Da gibt es ja auch schon Anzeichen aus der Vergangenheit.

    Engels: Zu einem anderen Thema. Bundeskanzler Schröder scheint seine Partei auf der anstehenden Klausurtagung am Wochenende darauf einschwören zu wollen, die nächste Stufe der Steuerreform vorzuziehen. Dazu bräuchte er auch die Zustimmung der Länder. Was sagen Sie?

    Milbradt: Steuersenkungen erfreuen den Bürger immer und sind an sich etwas Gutes. Es kommt auf die Finanzierung an und dazu habe ich noch nichts gehört. Eine Finanzierung über Verschuldung scheidet ja auch angesichts der Haltung in Brüssel aus. Dort ist ja deutlich gesagt worden, eine Steuersenkung ist machbar, wenn sie solide finanziert wird, das heißt durch einen Abbau von Ausgaben an anderer Seite. Wir haben als CDU deutlich gemacht, dass wir nicht eine temporäre Steuersenkung für ein Jahr mit einer permanenten Steuererhöhung an anderer Seite finanzieren können. Es bleiben also nur wenige Positionen übrig und die müssen dann auch zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geteilt werden, denn die Masse dieser Steuersenkung tragen ja Länder und Gemeinden. Da habe ich bisher überhaupt keinen Vorschlag zur Finanzierung gehört. Unsere Gemeinden sind sicherlich nicht in der Lage, einen solchen Ausfall ohne Kompensation hinzunehmen, und dasselbe gilt für die Länder. Ich erwarte jetzt die Vorschläge der Bundesregierung.

    Engels: Haben Sie denn schon einmal durchgerechnet, was dieses Vorziehen Sachsen kosten würde?

    Milbradt: Ungefähr 500 Millionen Euro. Wir haben schon konjunkturelle Ausfälle von weiteren 500 Millionen. Dies macht zusammen eine Milliarde Euro bei einem Haushalt von 15 Milliarden Euro. Das ist im normalen Zustand nicht zu schaffen und eine Verschuldung ist unseriös.

    Engels: Ihr Kollege und Parteifreund aus Thüringen, Herr Althaus, will auf jeden Fall das Vorziehen der Steuerreform. Das hat er heute Morgen noch einmal in einem Interview gesagt. Er sagt, die deutsche Wirtschaft brauche diesen Wachstumsimpuls.

    Milbradt: Da bin ich etwas anderer Ansicht. Wir haben in Deutschland kein konjunkturelles Problem - das haben wir auch, aber das ist nicht das Wesentliche - sondern wir haben ein strukturelles Problem. Wir müssen die Strukturen anpassen und auch aus der Wissenschaft wird ja dieser Vorschlag überwiegend kritisch gesehen, wenn er über Verschuldung bezahlt wird. Das IFO hat ja gestern gesagt, das würde, wenn es einfach nur 18 Milliarden kostet, zu teuer sein für die temporäre Wirkung, denn eine einmalige Steuersenkung verbessert nicht den Investitionsstandort - die Investoren orientieren sich an der langfristigen Steuerpolitik - sondern führt nur zu einem Konsumstoß, also eine typische Politik, die schon in den 70er und 80er Jahren gescheitert ist, immer unter der Voraussetzung, es wird über Verschuldung finanziert. Ich gehe aber davon aus, dass auch die Bundesregierung an einer seriösen Finanzierung interessiert ist. Dann kann man das machen.

    Engels: Unter dieser Bedingung, dass letztendlich an Subventionen und ähnlichem gespart wird und es nicht schuldenfinanziert wird, stimmen Sie auch im Bundesrat zu?

    Milbradt: Natürlich! Dass der Bürger eine Entlastung gerne haben möchte und dass das auch Vorteile bringt, gar keine Frage, aber nicht über zusätzliche Verschuldung, das heißt eine Verschiebung der Lasten auf die nächste Generation. Das haben wir schon in der Vergangenheit zur Genüge getan.

    Engels: Vielen Dank! - Wir sprachen mit Georg Milbradt, dem Ministerpräsidenten von Sachsen. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio