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Streiks in Frankreich
Wutgeladene Proteste gegen Regierung nehmen zu

In Frankreich wird gestreikt: Taxifahrer protestieren mit brennenden Autoreifen in Paris gegen die billigere Konkurrenz aus dem Internet. Sie werfen dem Staat die Zerschlagung des Sozialsystems vor. Doch der parteilose Wirtschaftsminister Emanuel Macron will weg vom reglementierenden Staat, hin zu mehr Markt und damit mehr Konkurrenz.

Von Jürgen König | 27.01.2016
    Streikende Taxifahrer in Paris, die sich Gefechte mit der Polizei liefern und ihren Unmut über Konkurrenz aus dem Internet Luft machen.
    Streikende Taxifahrer in Paris, die sich Gefechte mit der Polizei liefern und ihren Unmut über Konkurrenz aus dem Internet Luft machen. (picture-alliance / dpa/Photopqr/Matthieu de Martignac)
    Streiks sind in Frankreich normal. Doch war man früher einfach nur "en grève", "im Streik", so hat sich dafür im allgemeinen Sprachgebrauch inzwischen ein anderer Begriff eingebürgert: man ist "en colère" - "in Wut", und folglich sprechen auch die Medien wie selbstverständlich nicht mehr von einem Streiktag, sondern vom"Tag der Wut" – "la journée de colère".
    Und der Ausdruck ist angemessen: brennende Autoreifen auf der Pariser Stadtautobahn, bewaffnete Taxifahrer, Schlägereien vor laufenden Kameras, die Polizei setzt Tränengas ein. Die Taxifahrer sind aufgebracht über den amerikanischen Internetdienst Uber, der private Fahrer vermittelt, deren Preise wiederum bis zu vier Prozent niedriger sind als die der mit staatlicher Lizenz arbeitenden Taxifahrer. Uber werde weit weniger stark reglementiert, so der Vorwurf; die Sozialabgaben, Steuern, man selber arbeite ja nur noch für den Staat, klagt etwa Fabrice, ein Pariser Taxifahrer.
    "Es geht nicht mehr nur um das Problem der Liberalisierung des Taxigewerbes. Es geht um viel mehr: Man will unser soziales System zerschlagen! Das ist nicht zu akzeptieren. Und daher rufe ich alle Franzosen auf, sich zu erheben! Die Handwerker, die hohe Nebenkosten zahlen, ich rufe die Kaufleute, die hohe Mieten zahlen: Stop! Wir müssen damit aufhören!"
    Minister Macron will weg vom regelnden Staat
    Der parteilose Wirtschaftsminister Emanuel Macron indes will weg vom alles regelnden und reglementierenden Staat, hin zu mehr Markt, mehr Konkurrenz. Und er freut sich entsprechend über Unternehmen wie Uber: Damit werde doch jungen Leute die Möglichkeit gegeben, den Einstieg ins Arbeitsleben zu finden, sagt er, das sei doch allemal besser als immer nur auf eine Festanstellung zu hoffen. Mit solchen Lobreden auf das freie Unternehmertum ist Macron für sehr viele in Frankreich ein sehr rotes Tuch. Das möge der Ausschnitt eines Fernsehgesprächs illustrieren: mit - zunächst - Emanuel Macron und nachfolgend einem aufgebrachten Mikael Wamen von der Gewerkschaft CGT, ein Wortgefecht, bei dem man bald gar nichts mehr versteht, auch der Moderator ist nur noch aus der Ferne zu vernehmen...
    Bald alle Franzosen scheinen allmählich "en colère" zu sein: Die Fluglotsen protestieren mit ihrem Streik gegen geplante Gehaltskürzungen, seit 2010 habe es keinen Inflationsausgleich mehr gegeben. Der Öffentliche Dienst ist "en colère"; seit Jahren werde rationalisiert bei schrumpfenden Etats, bessere Arbeitsbedingungen seien überfällig. Die Lehrer sind mit einer Schulreform nicht einverstanden und entsprechend ebenfalls "en colère", und die Bauern sind sowieso ständig "en colère", auf der Route Nationale 165 rollen ihre Trecker, brennen die Straßenblockaden. Eindrücke eines einzigen Tages. Wie gesagt: Eigentlich nichts Besonderes in Frankreich, Partikularinteressen machen sich Luft.
    Missstände seit Jahren bekannt
    Und doch fällt auf an diesem "Tag der Wut", dass allen Protesten etwas Gemeinsames innewohnt: die Wut auf eine – als solche empfundene - Untätigkeit des Staates. Wofür auch immer gestreikt wird, immer wird beklagt, dass die Missstände seit Jahren bekannt seien: nichts aber sei geschehen.
    Nichts geschieht auch, nach einhelliger Meinung der Kommentatoren, in Calais – hoch im Norden Frankreichs. Die Bürger von Calais gingen gerade erst auf die Straße, "en colère" über die Flüchtlinge in den Slums vor den Toren ihrer Stadt, allgegenwärtig das Gefühl, der Staat habe Calais vergessen, sei nurmehr Zuschauer des Geschehens. Xavier Bertrand, Präsident der Region Nord-Pas de Calais-Picardie, wählt große Worte:
    "Ich wende mich ausdrücklich an den Präsidenten der Republik: an ihn. Für das Problem der Flüchtlinge in Calais ist der Innenminister zuständig, er koordiniert die Ordnungskräfte. Aber das reicht nicht. Es ist auch Sache des Justizministeriums, die juristischen Fragen zu klären, die sind viel drängender. Und um die Situation endlich wirklich zu verbessern, brauchen wir hier die Unterstützung der Armee! Und es ist niemand außer dem Präsidenten der Republik, der anweisen kann, dass die Armee hier eingesetzt wird! Calais ist Frankreich! Calais darf von Frankreich nicht vergessen werden!"
    Ein ganzes Land "en colère"? Nein, aber in Ratlosigkeit bei wachsender Ungeduld. Den protestierenden Bauern wurde als Sofortmaßnahme mehr Geld versprochen, den Taxifahrern ein unabhängiger Mediator, der sich ihrer Klagen annehmen soll. Das Image der Zentralregierung wird sich dadurch vermutlich nicht verbessern.