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Streit bei den Gewerkschaften

Meurer: Nicht nur in der SPD tobt der Streit zwischen Reformern und sozialdemokratischen Bewahrern, die sich wechselseitig entweder als Neoliberale oder als Betonköpfe attackieren. Grabenkämpfe gibt es offensichtlich auch im Lager der Gewerkschaften, denn der Proteststurm, den IG Metall oder ver.di, Jürgen Peters, Klaus Zwickel oder Frank Bsirske gegen den Bundeskanzler entfachen wollen, er passt nicht allen Einzelgewerkschaften. DGB-Chef Michael Sommer hat dabei alle Hände voll zu tun, um zwischen beiden lagern zu vermitteln. Ein Treffen gestern abend in Prag am Rande eines europäischen Gewerkschaftskongresses hat da erst einmal keine Ergebnisse gebracht. Gestern hatte Sommer überrascht mit der Aussage, die gröbsten Klötze der Agenda 2010 seien doch nun weg, die Sommerpause werde jetzt von den Gewerkschaften zum Durchatmen genutzt. Am Telefon begrüße ich Franz-Josef Möllenberg, er ist Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, die wie die IGBCE und die Eisenbahnergewerkschaft Transnet eher auf Dialog mit Berlin setzen will. Guten Morgen, Herr Möllenberg.

    Möllenberg: Schönen guten Morgen.

    Meurer: Sind die gröbsten Klötze wirklich weg, wie DGB-Chef Sommer meint?

    Möllenberg: Nein, das denke ich, kann man so nicht sagen. An unserer Kritik, was Teile der Agenda 2010 angeht, halten wir fest. Wir haben immer gesagt, die Agenda 2010 hat Licht und hat Schatten. Zum Schatten gehört ganz eindeutig, dass der Systemwechsel beim Krankengeld vorbereitet wird, dass also nur noch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen sollen, die verkürzten Arbeitslosengeldbezugszeiten, die Zusammenlegung Arbeitslosen- und Sozialhilfe und die Verschlechterung beim Kündigungsschutz. An dieser Kritik halten wir fest, von daher gibt es keine Sommerpause.

    Meurer: Nun will ja eigentlich DGB-Chef Sommer salopp formuliert den Laden zusammenhalten. Was glauben Sie, hat ihn zu dieser Aussage von gestern geritten?

    Möllenberg: Ich bin fest davon überzeugt, dass Michael Sommer den Laden, wie Sie sagen, zusammenhalten kann. Ich selber habe diese Meldung nicht gehört. Von daher muss ich davon ausgehen, dass es vielleicht auch hier kein wörtliches Zitat ist.

    Meurer: Es war ein Interviewzitat in einer Tageszeitung.

    Möllenberg: Wenn er es gesagt hat, hat er sicherlich nur dahingehend gemeint, dass jetzt die Demonstrationswelle zunächst einmal vorbei und gestoppt ist. Das ändert nichts daran, dass die Gewerkschaften sich natürlich bemühen werden, weiter im politischen Gespräch zu bleiben, um das gesetzgeberische Verfahren mitzubeeinflussen, um schlimmes für die Menschen zu verhindern. Wir wollen, dass unsere Arbeit, dass die Gesellschaft sich aufmacht, um Arbeit zu schaffen für die Arbeitslosen und soziale Gerechtigkeit hergestellt wird und dort keine Verschlechterungen zutage treten. Das ist unser Auftrag und daran werden wir weiter arbeiten.

    Meurer: Warum versprechen Sie sich, Herr Möllenberg, mehr vom Dialog, als vom Protestmarsch auf der Straße?

    Möllenberg: Ich glaube, man kann es nicht als Gegensatz darstellen, sondern wir machen ja beides. Der entscheidende Punkt ist, was unsere Haltung angeht und die von Bergbau, Chemie, Energie und von Transnet, dass wir sagen, die Gewerkschaften sind in den letzten Wochen in eine Ecke gestellt worden als die Betonköpfe dargestellt, diejenigen, die in Fundamentalopposition machen und Gewerkschaften haben immer, auch in der Vergangenheit und das werden sie auch in Zukunft tun, den Reformprozess in Deutschland, der notwendig ist aus unserer Sicht, mitgestaltet und mitgestalten kann man nur, wenn man dialogfähig und -bereit ist und deshalb haben wir gesagt, man muss natürlich auch mit der Politik weiterhin reden, man muss mit allen Parteien reden, denn wenn man das nicht tut, dann machen die Parteien, was sie wollen. Das kann nicht im Interesse der arbeitenden Menschen sein.

    Meurer: Wie sehr ärgert Sie es, Herr Möllenberg, dass IG Metall und ver.di, die beiden Riesengewerkschaften, im DGB den Ton angeben wollen?

    Möllenberg: Das ist in der Vergangenheit immer gewesen, dass die größeren Gewerkschaften natürlich auch entsprechend dominiert haben. Das ist also nichts neues. Allerdings, der DGB ist immer auch eine Summe der Gewerkschaften, er hat die Vielfalt der Meinungen der Einzelgewerkschaften letztendlich zu bündeln und in politische Kraft umzusetzen. Das ist in der Vergangenheit auch so gelungen. Wir wollen einig handeln, aber die Vielfalt der Meinungen muss zum Ausdruck kommen und da hat es sicherlich in letzter Zeit ein paar Irritationen gegeben.

    Meurer: Haben Sie einen solchen Krach im DGB schon mal erlebt?

    Möllenberg: Ich bin jetzt seit Ende 1992 im DGB-Bundesvorstand - in dieser Form nein, erstmalig.

    Meurer: Woher kommt das?

    Möllenberg: Ich denke, dass vielleicht viele auch überrascht sind, verwundert sind, dass zum Beispiel auch vor dem 22. September, also vor der Bundestagswahl, Versprechungen seitens der Politik gemacht worden sind, die sich jetzt seitens einer anderen Darstellung, was die wirtschaftliche Situation angeht, offensichtlich so nicht mehr zu halten sind. Das meint zumindest die Politik und das hat dann Auswirkungen auf unsere Vorgehensweise. Das wäre vielleicht eine Erklärung, ein zweite könnte sein, dass Enttäuschungen da sind, dass zum Beispiel das Bündnis für Arbeit geplatzt ist, dass dort die Arbeitgeberseite uns etwas abverlangt hat, was so nicht machbar war. Wir haben immer gesagt, wir wollen die Ausbildungsstellensituation in Deutschland meistern, wir sind auch bereit, hier konstruktive Lösungen zu finden, wenn die mit den Arbeitgeber und der Politik nicht zustande kommen, dann erwarten wir, dass eine Umlagefinanzierung greift und wir hatten hier im Februar / März den Eindruck, dass die Arbeitgeberseite die jungen Menschen, die jetzt eine Ausbildungsstelle suchen, jetzt praktisch in Geiselhaft nehmen will. Diesen Weg konnten wir nicht mitmachen, von daher erklärt sich auch manche Reaktion.

    Meurer: Eine dritte Erklärung für den Krach beim DGB könnte auch sein, dass sich da einige als Hardliner profilieren wollen. Glauben Sie das?

    Möllenberg: Das glaube ich nicht. Es gibt natürlich unterschiedliche Ansätze der Vorgehensweise und wir haben genauso wenig, wie ich sage, der eine ist Hardliner wie der andere dem anderen nachsagt, dass er ein Weichspüler sei - auch das habe ich in diesen Tagen gehört - ich glaube, das ist der falsche Ansatz. Uns eint im Deutschen Gewerkschaftsbund, alle Gewerkschaften, dass wir die Interessen der arbeitenden Menschen vertreten. Ich denke, das machen die Gewerkschaften auch gut, aber in den letzten Monaten ist etwas geschehen, dass manche Politiker wie Westerwelle zum Beispiel, sich hingestellt haben und gesagt haben, die Gewerkschaften sind eine Plage für unser Land. Wenn man so etwas von sich gibt, dann darf man sich nicht wundern, dass Gewerkschafter sich wehren.

    Meurer: Das war Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten heute morgen bei uns im Deutschlandfunk zur Lage im DGB. Herr Möllenberg, herzlichen Dank und auf Wiederhören.

    Möllenberg: Danke auch.

    Link: Interview als RealAudio