Bartsch sagte im Deutschlandfunk, linke Politik sei internationalistisch. "Kommt alle her" sei dennoch keine Position der Linken. Es müssten vor allem Fluchtursachen bekämpft werden. Er sieht einen Zusammenhang zwischen den "Kriegen und dem Elend in der Welt" und etwa Steuervermeidung, wie sie in den Paradies Papers beschrieben werde. Es sei eine linke Aufgabe, diesen Zusammenhang deutlich zu machen. "Wenn wir das Thema Flüchtlinge singulär betrachten, machen wir einen Fehler", sagte Bartsch.
Der Fraktionschef der saarländischen Linken, Oskar Lafontaine, hatte in einem Interview mit den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland seine Partei zum Umdenken in der Flüchtlingspolitik aufgefordert. Darin verteidigte er die Aufnahme von politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen als "moralische Verpflichtung". Die Annahme, allen Flüchtlingen stünde ein "Bleiberecht und 1050 Euro" zu, bezeichnete er als "wirklichkeitsfremd".
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Neben der Klimaschutzpolitik ist die Flüchtlingspolitik ja das Thema, das für die größten Stolpersteine sorgt bei den Gesprächen, mit denen die Chance für ein Jamaika-Bündnis ausgelotet werden sollen. Die Grünen, die fordern, den ausgesetzten Familiennachzug für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge etwa wieder möglich zu machen. Union und FDP, die sind dagegen. Man darf gespannt sein, ob heute etwas herauskommt bei den Sondierungsgesprächen auf Chefebene.
Vor dem Hintergrund lässt eine Mitteilung aus den Reihen der Linken aufhorchen. Der Linken-Altvordere Oskar Lafontaine fordert einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik, um die Abwanderung von Arbeitern und Arbeitslosen aufzuhalten. – Dietmar Bartsch ist Co-Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linken. Schönen guten Morgen, Herr Bartsch!
Dietmar Bartsch: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Heckmann: Auch Die Linke komme an einer Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung nicht vorbei, meint Oskar Lafontaine. Ist Die Linke dabei, CSU und AfD rechts zu überholen?
Bartsch: Dabei ist Die Linke nicht. Das steht auch überhaupt nicht zur Debatte. Wenn wir das Wahlergebnis sehen, dann haben wir festgestellt, dass wir bei einigen Wählerinnen und Wählern, zum Beispiel bei Arbeitslosen heftig verloren haben. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Und da ist es legitim, auch über Fragen der Zuwanderung zu sprechen.
Aber eines ist auch ganz klar. Wir haben bei dieser Thematik klare Positionen der Partei. Wir haben in meiner Fraktion klare Positionen. Wir haben in der letzten Legislatur als einzige in Konsequenz das Asylrecht verteidigt.
Aber richtig ist: Auch wir sollten diskutieren. Ich würde allerdings raten, das nicht zum zentralen Punkt zu machen. Ich finde, Die Linke hat eine andere Aufgabe. Wir sind gewählt worden insbesondere wegen unserer Kompetenz beim Thema soziale Gerechtigkeit.
Heckmann: Aber, Herr Bartsch, wir möchten jetzt bei der Flüchtlingspolitik mal gerade bleiben. Wir können später auch noch mal rübergehen. Wenn Sie sagen, die Partei hat eine klare Position, sind Sie dann der Ansicht, dass Oskar Lafontaine diese klare Position der Partei verlassen hat?
Bartsch: Das sehe ich nicht so. Oskar Lafontaine macht eine Diskussion auf. Die ist in der Partei vorhanden. Ich finde, das müssen wir annehmen. Ich rate allerdings dazu, dass wir diese Diskussion in Sachlichkeit führen, und ich bin auch der festen Überzeugung, dass die Dinge, die bei uns Beschlusslagen sind, dass wir daran nicht rütteln sollten.
Heckmann: Machen Sie sich denn die Forderung Oskar Lafontaines zu eigen?
Bartsch: Meine Position ist ganz klar. Es darf überhaupt keine Debatte geben beim Thema Asyl. Da sind wir die Verteidiger. Es darf überhaupt keine Debatte geben beim Thema politisch Verfolgte Kriegsflüchtlinge. Aber Sie haben ja bei den Koalitionsverhandlungen ein Thema angesprochen, Familiennachzug, und ich finde das wirklich skandalös, wenn dort so weitergemacht werden soll wie bisher. Wir müssen dort für Veränderung sorgen.
Was mich stört ist: Es wird eine moralisierte Debatte geführt, die an vielen Problemen vorbeigeht. Wissen Sie, dass aktuell alle zehn Sekunden ein Kind verhungert, dass wir eine Katastrophe im Jemen haben, eine Hungerkatastrophe? Darüber wird nicht geredet. Aber es wird viel darüber geredet, was wir tun können, um zu begrenzen. - Nein, wir müssen vor Ort die Probleme klären.
"Lafontaine ist kein Verräter der linken Sache"
Heckmann: Aber genau das, Herr Bartsch, tut doch Oskar Lafontaine. Vor dem Hintergrund der Situation, die Sie gerade geschildert haben, fordert er einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik der Linken, eine Begrenzung des Zuzugs, eine Steuerung. Gregor Gysi, Herr Bartsch, der hat im Neuen Deutschland dieser Tage geschrieben – ich zitiere das mal: "Die Flüchtlinge sind die Schwächsten. Sich gegen sie zu stellen, verriete den sozialen und humanistischen Ansatz der Linken." – Ist Lafontaine mittlerweile ein Verräter der linken Sache?
Bartsch: Nein, Lafontaine ist kein Verräter der linken Sache. Aber wir müssen genauso wie alle anderen akzeptieren, dass die Flüchtlinge die Botschafter der Kriege und des Elends dieser Welt sind. Und linke Position ist übrigens nicht, kommt alle her. Linke Position ist, dass jede und jeder da, wo er geboren wird, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten entfalten kann und dann später frei entscheiden kann, wo er sein Leben weiterentwickeln kann. Das ist linke Position. Das wollen wir. Deswegen ist unser Kernpunkt der, dass wir endlich etwas tun müssen, dass die Ursachen von Flucht und Vertreibung bekämpft werden müssen.
Wissen Sie, wir brauchen doch überhaupt nicht darüber reden, dass wir ob der Situation in Europa Probleme haben. Die müssen wir annehmen, darüber müssen wir reden. Deswegen ist doch die Frage eines Einwanderungsgesetzes eine zentrale.
Natürlich wird es das mit der schwarzen Ampel geben und daraus folgt, dass Die Linke sich in dieser Diskussion auch einbringen muss. Und trotzdem bleibe ich dabei: Wenn wir dieses Thema singulär betrachten, machen wir einen Fehler. Wir müssen es einordnen in das Thema sozialer Gerechtigkeit. Es gibt nämlich einen Zusammenhang.
Heckmann: Aber die Forderung ist …
Bartsch: Entschuldigung! Lassen Sie mich diesen Satz noch nennen. Es gibt einen Zusammenhang von diesem Skandal, was Paradise Papers und Steueroasen betrifft und dem Elend dieser Welt. Das ist linke Aufgabe, endlich klar zu machen, dass es diesen Zusammenhang gibt und dass es einen Zusammenhang gibt, dass eine halbe Million Kinder in Deutschland länger als vier Jahre in Hartz IV leben. Das alles hat miteinander zu tun.
Heckmann: Das ist interessant, dass Sie diesen Zusammenhang aufmachen. Oskar Lafontaine macht aber einen anderen Zusammenhang auf. Er schreibt nämlich weiter: "Die Aufnahme von politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen ist eine moralische Verpflichtung. Bleiberecht und 1.050 Euro für alle, die zu uns kommen, aber sind wirklichkeitsfremd." – Ist das auch linke Politik, oder ist das ein Spiel mit ausländerfeindlichen Reflexen?
Bartsch: Die Position, dass politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge nicht nur moralisch, sondern auch politisch eine Verpflichtung für Deutschland sind, die ist, glaube ich, unbestritten. Ich glaube, dass dieser Zusammenhang so gar nicht besteht, zwischen den Geflüchteten und 1.050 Euro. Ich bin ein Gegner des Grundeinkommens. Aber das ist, glaube ich, eine völlig falsche Diskussion, weil Die Linke muss sich dagegen verwahren, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Diese Position ist bei mir unverrückbar. Wir müssen den Fokus auf die Superreichen, auf Milliardäre, die riesen Profite scheffeln, und zwar auch wegen der Probleme dieser Welt, dahin müssen wir unseren Fokus richten. Es ist immer so: Linke Politik ist internationalistisch, oder sie ist keine linke Politik.
Heckmann: Das heißt, Oskar Lafontaine spielt die Gruppen gegeneinander aus?
Bartsch: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, was linke Position ist, lieber Herr Heckmann.
Heckmann: Die Jamaika-Koalitionspartner in spe, die ringen ja um die Flüchtlingspolitik und den Familiennachzug ganz zentral in diesen Tagen. Wie hilfreich, wenn wir mal einen Strich darunter ziehen, Herr Bartsch, ist es denn, dass Die Linke da offenbar nicht mit einer Stimme spricht, beziehungsweise nicht als solche wahrgenommen wird?
Bartsch: Für uns als Linke ist ganz klar, wir haben von den Wählerinnen und Wählern eine Aufgabe zugewiesen bekommen. Das ist die Aufgabe, die soziale Opposition im Deutschen Bundestag zu sein. Es ist völlig normal und ich finde es im Übrigen gut, dass wir Probleme, die es gibt, inhaltlicher Natur – und es wäre schlimm, wenn eine Linke nicht diskutiert -, dass wir sie nach der Wahl aufgerufen haben. Das allerdings muss jetzt auch geschehen.
Wogegen ich mich weigere ist, die Auseinandersetzung, die wir offensichtlich innerhalb der Linken haben, jetzt etwa über das Thema Flüchtlinge zu führen. Das wäre das Allerfalscheste. Ich bin für Sachdebatten, ich bin für programmatische Debatten. Ich bin auch dafür, dass man politische Dinge, die kontrovers sind, klärt. In der Bundestagsfraktion haben wir das mit den Wahlentscheidungen. Und jetzt muss es vor allen Dingen darum gehen, die schwarze Ampel unter Druck zu setzen, weil das, was die vorhaben – Sie haben ja Themen gesagt, wo Kontroversen sind: das Thema soziale Gerechtigkeit, das Thema Kinderarmut, das Thema Altersarmut -, das alles kommt da nicht vor, und das finde ich höchst bedenklich. Wir haben eine Aufgabe, uns den Menschen zuzuwenden und unsere Debatten auf einer anderen Art und Weise, nämlich kulturvoll zu führen.
"Ich wünsche mir, dass wir in den Fragen, wo es notwendig ist, Entscheidungen treffen"
Heckmann: Kulturvoll zu führen ist ein gutes Stichwort, Dietmar Bartsch, um zu meiner nächsten Frage zu kommen. Denn im Jahr 2012 – Sie werden sich auch noch gut erinnern -, vor fünf Jahren, da hat Gregor Gysi in einer sehr bekannt gewordenen Rede gesprochen von Denunziation. In der Fraktion herrsche Hass und wir zerstören uns selbst. Das sind direkte Zitate aus dieser Rede. Jetzt haben wir dieser Tage den Rücktritt des Geschäftsführers Matthias Höhn erlebt. Er hat das damit begründet, dass eine Zusammenarbeit Vertrauen brauche, Verlässlichkeit, Kooperation. All das sei für ihn nicht mehr gegeben. Hat sich seit 2012, seit fünf Jahren also, nichts geändert bei den Linken? Sind die Linken weiterhin ein Intrigantenstadel?
Bartsch: Nein, das sind sie nicht. Wir haben es ja genau geschafft, in der Bundestagsfraktion – und Matthias Höhn hat übrigens nicht über die Bundestagsfraktion geredet. Das Vertrauen, das hat er woanders adressiert, wo das nicht mehr gegeben ist.
Heckmann: Bei der Partei.
Bartsch: Wir haben es geschafft, und man sieht es ja anhand des Ergebnisses bei der Bundestagswahl. Wir haben eine halbe Million Stimmen gewonnen. Wir haben fünf Abgeordnete mehr und unser Ergebnis gesteigert. Das ist das Ergebnis einer auch Befriedung. Es ist das Ergebnis der gemeinsamen Führung der Fraktion von Sahra Wagenknecht und mir. Darauf können wir auch stolz sein. Und jetzt geht es darum, das nicht kaputt machen zu lassen.
Wir haben von der Fraktion eine eindrucksvolle Bestätigung bei der Wahl bekommen und jetzt geht es an die Arbeit.
Die Probleme, die es gegeben hat bei Matthias Höhn, die waren jetzt nicht neu. Dass er so fair war und gesagt hat, okay, ich werde meinen Rücktritt erst nach der Klausur, nach den Wahlen in Niedersachsen verkünden, da gebührt ihm Ehre. Ich finde, er hat einen super Job gemacht. Ich wünsche, dass Harald Wolf diese erfolgreiche Arbeit fortsetzt, und ich wünsche mir, dass wir in den Fragen, wo es notwendig ist, Entscheidungen treffen, aber das bitte kulturvoll. Denn wenn jemand die Welt so verändern will wie wir, muss er ein Beispiel auch bei Auseinandersetzungen geben, wie es in der Gesellschaft sein könnte. Da waren wir in den letzten Wochen leider nicht ganz so vorbildlich, aber man kann so was ja immer positiv verändern.
"Ich bin zuversichtlich, dass wir wieder politisch am Start sind"
Heckmann: Okay.
Letzte Frage, Dietmar Bartsch. Es gab ja auch einen heftigen Konflikt zwischen Katja Kipping, Bernd Riexinger, den Parteichefs auf der einen Seite, und Ihnen und Frau Wagenknecht auf der anderen Seite als Fraktionschefs. Kipping und Riexinger, die wollten mehr Rechte innerhalb der Fraktion durchsetzen. Das haben Sie mit Sahra Wagenknecht mehr oder weniger abgewehrt. Das Ganze verläuft ja nicht mehr nach der Linie Linke oder Pragmatiker oder Ost und West. In welchem Zustand ist Ihre Partei derzeit?
Bartsch: Sie haben recht, da sind einige Grundfragen gestellt worden, zum Beispiel wer Rederecht in der Bundestagsfraktion als erstes hat, wie Stimmrechte verteilt sind. Das ist legitim. Das ist so beantragt worden. Das hat die Fraktion klar entschieden und jetzt geht es wieder an die Arbeit.
Ich finde, bei uns – wir haben einen Unterschied zum Beispiel zu Sozialdemokraten. Bei uns werden die Dinge auch öffentlich gemacht. Das finde ich nicht immer toll, aber in der Fraktion haben wir Entscheidungen getroffen, sowohl was unsere Grundlagen der Arbeit, als auch die Personalentscheidungen betrifft. Die Partei wird das im Juni nächsten Jahres tun. Ich bin zuversichtlich, dass wir wieder politisch am Start sind, denn das ist unsere Aufgabe. Die internen Auseinandersetzungen sind zwar für die Medien ausgesprochen spannend, aber sie sind für die Menschen in diesem Land weniger interessant.
"Wir haben richtige Probleme gehabt"
Heckmann: Das heißt, der Zustand der Partei und der Fraktion ist gut?
Bartsch: Das würde ich so nicht sagen. Wir haben richtige Probleme gehabt. Das war ja offensichtlich. Aber ich habe für die Fraktion gesagt, dort haben wir Entscheidungen getroffen, und wir sind jetzt wieder gemeinsam am Start. Die Verantwortung für die Fraktion ist Sahra Wagenknecht und mir übertragen worden und wir sind gewillt, das auch anzunehmen.
Heckmann: Wir werden das weiter beobachten. Dietmar Bartsch war das live hier im Deutschlandfunk, Co-Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linken. Herr Bartsch, schönen Dank für das Gespräch und die Zeit.
Bartsch: Ich danke Ihnen, Herr Heckmann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.