Dienstag, 16. April 2024

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Streit mit USA um Verteidigungsausgaben
"Deutschland ist Trittbrettfahrer im militärischen Bereich"

Der Auftritt von Donald Trump beim NATO-Gipfel wurde von vielen Seiten kritisiert. Der Konfliktforscher Christian Hacke gibt der Kritik recht, hält aber Trumps Vorwürfe sachlich für zum Teil richtig. Deutschland müsse mehr für die Verteidigung tun, sagte er im Dlf -  und Trump auch entgegenkommen.

Christian Hacke im Gespräch mit Dirk Müller | 12.07.2018
    US-Präsident Donald Trump steht vor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 27.05.2017 beim Familienfoto der G7 Staaten mit den Outreach-Partnern in Taormina auf Sizilien.
    Der Politikwissenschaftler lobte Merkels Entgegnung auf Trumps Anschuldigungen, Deutschland sei abhängig von Russland. Mit Blick auf die Verteidigungsausgaben habe Trump aber auch recht. (dpa/picture alliace/ Michael Kappeler)
    Dirk Müller: Viele hatten es schon befürchtet. Dass der Auftritt von Donald Trump dann so wirkungsvoll ausfällt, wie er ausgefallen ist, das hat dann doch die meisten überrascht. Heftige Kritik an vielen NATO-Partnern, vor allem aber auch an Deutschland und an Angela Merkel. Massive Vorwürfe, viel zu wenig Geld für die Bundeswehr auszugeben, massive Vorwürfe an die deutsche Politik, abhängig von Russland zu sein, was auch immer das im Detail zu bedeuten hat. – Wer hat in Brüssel noch Interesse, über Afghanistan nachzudenken oder auch über die Ostukraine, was originär heute auf dem Tableau stand? Und dann soll Donald Trump auch noch mit einem amerikanischen Alleingang gedroht haben, berichten am Vormittag Nachrichtenagenturen.
    Donald Trump attackiert unverhohlen die Verbündeten, attackiert in besonders scharfer Weise Deutschland. Und wir haben das jetzt von unserer Korrespondentin gehört: Es ist nicht bestätigt, aber in den Fluren geht das Gerücht um, dass er mit einem amerikanischen Alleingang gedroht haben soll, wenn die Mitgliedsländer nicht ganz, ganz schnell die viel beachtete und viel diskutierte Zwei-Prozent-Marke im Verteidigungsbudget einlösen. - Unser Thema mit dem Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Professor Christian Hacke. Guten Tag!
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Müller!
    "Wir haben eine historische Wende"
    Müller: Herr Hacke – die Konfrontation, ist sie angebracht?
    Hacke: Es ist nicht die Frage, ob es angebracht ist, sondern es ist die Frage, wie wir jetzt damit umgehen, realistisch gesehen. Denn wir haben – das ist, glaube ich, bei uns Deutschen noch gar nicht richtig durchgesickert – eine historische Wende. Deutschland, jahrzehntelang der Lieblingspartner der Amerikaner im transatlantischen Verhältnis, wird nun unter Trump zum Feind Nummer eins, und zwar auf allen Gebieten: mit den Vorwürfen in der mangelhaften Sicherheitspolitik, in den Wirtschaftsfragen und in vielem mehr, und unsere Rolle in der Migrationspolitik und auch in der Europäischen Union, die Trump ja sowieso hasst. Dieser historische Wandel ist natürlich auch eine Machtfrage, und wir sitzen insgesamt gesehen – das müssen wir deutlich festhalten – am kürzeren Hebel.
    Also kurz die Frage: Wo macht es Sinn, Trump entgegenzukommen? Wo hat er recht und wo muss man ganz knallhart sagen, soweit geht es nicht, hier müssen wir unsere Grenzen aufzeigen und wir sind eigentlich stärker als wir sind? – Das ist eine sehr diffizile Sache und ich finde, soweit hat die Bundeskanzlerin das wirklich, auf Neudeutsch ausgedrückt, cool, calm and collected gemacht: Wunderbare Antwort an Trump gestern. Das war herrlich, muss ich sagen.
    Müller: Fangen wir mit dem Punkt an. Sie sagen: Hat er recht? Zwei Prozent – hat er da nicht recht?
    Hacke: Zwei Prozent ist ja noch keine Sache, wo damit gleichzeitig die Verteidigungsfähigkeit erhöht wird.
    Müller: Aber es ist beschlossen worden. Es ist zugesagt worden.
    Hacke: Ja, das ist beschlossen worden, und es ist auch richtig, dass es da hingeht. Aber das alleine ist es ja nicht. Ich meine, Deutschland ist nun seit Jahrzehnten Trittbrettfahrer im militärischen Bereich.
    "Nirgendwo fällt bei uns das Wort Militärstrategie"
    Müller: Also doch?
    Hacke: Wir sind Trittbrettfahrer. Wir sind nie auf Augenhöhe gewesen, wenn es um die militärische Sicherheit geht. Wir betreiben eine Außenpolitik, die auf einem Flügel lahmt. Wir sind in Soft Power immer großartig gewesen, ganz ausgezeichnet, aber in der Hard Power haben wir nie geliefert – Stichwort Afghanistan. Wir haben nie auf Augenhöhe mit den Alliierten gekämpft, und der Zustand der Bundeswehr – es geht ja nicht um zwei Prozent -, da geht nichts, da fliegt nichts, da schwimmt nichts. Der Zustand geht materiell nach unten, und darüber hinaus: Die Moral in der Truppe ist auch angeschlagen. Und was für mich das Entscheidende ist: Nirgendwo fällt bei uns das Wort Militärstrategie. Es gibt keine Äußerung von der Spitze, welche politische Funktion die Bundeswehr hat. Es wird nie über geopolitische Überlegungen gesprochen, ob Priorität Landesverteidigung oder out of Area. Und natürlich letztlich: Die nukleare Frage, die amerikanische Nukleargarantie für uns ist derzeit im Eimer. Es wird überhaupt nicht darüber diskutiert, was das für Schlussfolgerungen für unsere Sicherheit hat. Also kurz und klein: Da ist vieles im Argen.
    Müller: Da ist vieles im Argen. – Ich habe jetzt langsam Schwierigkeiten bei der Komplexität Ihrer Antworten, das alles zu sortieren. Das waren jetzt auch wieder drei Stränge. Wenn wir noch einmal auf diese Zwei-Prozent-Marke zurückkommen. Von mir gefragt: Hat er damit recht? Da haben Sie gesagt, ist jetzt nicht so wichtig, wenn wir sehen, dass wir schon seit Jahrzehnten, wenn ich Sie richtig verstanden habe, als Trittbrettfahrer militärisch aufgetreten sind. Wird es dann - meine Frage - nicht höchste Zeit, dass wir das ändern?
    Hacke: Dann haben Sie mich missverstanden, oder ich habe mich missverständlich ausgedrückt. – Natürlich müssen wir auch mehr machen. Natürlich müssen wir zu zwei Prozent hinkommen. Und angesichts der Tatsache, dass er darauf drängt und davon auch abhängig macht, wie er uns gegenüber in allen anderen Bereichen reagieren wird, in Handelsfragen und so weiter und so fort, ist es mehr als angebracht, dass wir da was tun. Da bin ich vielleicht missverstanden worden.
    Deutschland abhängig von Russland? - "Das ist Quark"
    Müller: Ist das nachvollziehbar?
    Hacke: Ja, das ist absolut nachvollziehbar!
    Müller: Okay. – Aber das Trump-Bashing ist ja nun von den Medien und von der Politik fast schon uni sono Konsens.
    Hacke: Herr Müller! Wir müssen genau unterteilen. Ich sage, hier hat er recht in der Sache. Wo er nicht recht hat ist, wenn er uns angreift und sagt, Deutschland ist abhängig von russischer Politik. Das ist natürlich Quark und das hat die Bundeskanzlerin zurecht geradegerückt. Aber wir müssen genau unterteilen und dürfen uns jetzt auch nicht einfach auf ein moralisch höheres Podest stellen und sagen, mit Trump geht jetzt alles in der Weltpolitik den Bach runter. Tatsache ist: Aus seiner Sicht – das muss ich nicht teilen und wir müssen es nicht teilen -, aus seiner Sicht hat er den Niedergang der westlichen Welt vorher konstatiert. Er will es erneuern, und da müssen wir auch sagen, dass die liberale Welt vorher unter Obama, die humanitären Interventionen, so toll nicht ausgesehen hat in der Konfrontation mit Russland.
    Müller: Das heißt, Sie würden das alles, was von Trump kommt und was ja immer auf sehr harsche, barsche Gegenkritik stößt, viel "konstruktiver", wenn ich das so formulieren darf, prüfen und sagen: Da sind ganz viele Dinge drin, über die wir ernsthaft nachdenken müssen?
    Hacke: Ja, müssen wir! So toll sind wir nicht und da müssen wir genau prüfen, wo sollen wir unsere eigene Position beziehen und wo müssen wir mit den Amerikanern gemeinsam vorankommen. Und hier sind Dinge, wie eben angesprochen, wo wir auch uns an die eigene Nase fassen müssen. Daran führt nichts vorbei. Es ist eine Machtfrage und wir sitzen am kürzeren Hebel und wir sind auch nicht die Besseren, moralisch schon gar nicht gesehen. Und die Welt verändert sich unter ihm, ob wir das wollen oder nicht.
    Schwierige Kompromisssuche
    Müller: Ist dieser Präsident politisch berechenbar?
    Hacke: Ja, er ist absolut berechenbar! America First – das heißt vielleicht America Alone. Das ist für viele eher negativ zu sehen. Der Verlust der moralischen, oder sagen wir des zivilisatorischen Vorbilds in der Welt, das sehe ich genauso. Seine neue Anbiederung an die autoritären Mächte, wie er jetzt mit der NATO umgeht. Da könnte man denken, er wollte Breschnew im Warschauer Pakt sein. Ich meine, das können wir uns nicht bieten lassen. Aber auf der anderen Seite natürlich sehen wir, dass vieles sich radikal verändert, und die Frage der Anpassung ist schwierig. Er passt sich weniger an, wir müssen uns in manchem anpassen. Wo der Kompromiss zu suchen ist, das ist schwierig.
    Müller: Weil er auch mit den etablierten diplomatischen, politischen Konventionen rein gar nichts zu tun hat, viel intuitiv aus dem Bauch heraus macht?
    Hacke: Viel intuitiv aus dem Bauch. Aber ich warne davor: Unpopuläre Politiker gleich schlechte Politik und populäre Politiker gute Politik. Schauen Sie sich unseren internen Kampf an. Angela Merkel ist eine brillante Diplomatin, aber in der Migrationsfrage hat sie sicherlich Fehler gemacht und auch falsche Politik betrieben. Herr Seehofer ist kein angenehmer Mensch und für viele unsympathisch, aber er macht in vielem doch in der Migrationspolitik, in der Bevölkerung gesehen, Richtiges. Also Vorsicht gleich aus dem Bauch! Auf jeden Fall verändert Trump die Weltpolitik nachhaltig.
    Müller: Jetzt muss ich den anderen Punkt noch mal erwähnen. Sie hatten das schon angesprochen. Russland haben wir noch gar nicht thematisiert. Mit Blick auf die Zeit darf ich das auch jetzt nicht in extenso machen.
    Hacke: Ja, natürlich.
    Müller: Sie haben gesagt, das war Quatsch, was er gesagt hat mit der Abhängigkeit. Wir haben heute Vormittag auch in der Redaktion diskutiert. Wenn wir das richtig verstanden haben: Es gibt Sanktionen gegen Russland; das ist in erster Linie Technologie, Finanzen und Kapital.
    Hacke: Ja.
    Müller: Aber es laufen beispielsweise auch keine Äpfel-Importe und Exporte mehr, Eier-Importe, Exporte und so weiter, weil das ist eine russische Gegenreaktion.
    Hacke: Ja.
    Russland: "Der Widerspruch liegt bei Trump"
    Müller: Auf der anderen Seite – und das ist ja Trumps Punkt – bekommen wir lebensnotwendige Gaslieferungen aus Russland. Ist das ein Widerspruch?
    Hacke: Der Widerspruch liegt bei Trump – eindeutig. Auf der einen Seite versucht er, uns hier zu warnen vor Russland, und er selbst ist derjenige, der auf völlig naive Weise wie schon bei Kim mit Nordkorea unvorbereitet auf die autoritären Führer zugeht, und man sieht die Sympathie auch für Putin. Unter Umständen gibt es sogar eine Gemeinsamkeit, sagen wir mal, mit der Abschaffung der NATO. Da könnte ich mich nicht wundern, wenn eines Tages so was kommt. Wir sehen natürlich, dass die beiden gleichgeschaltet sind: Putin aus naheliegenden militärstrategischen Gründen und Trump, weil er einfach aus seinem Unilateralismus heraus und seiner Wut heraus dann sagt, wenn die Bündnispartner hier nicht mehr leisten, dann ziehe ich mich aus der NATO zurück.
    Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen den autoritären Mächten und der Anbiederung von Trump an diese Mächte, die die Weltpolitik nachhaltig verändern und natürlich auch den Westen schwächen. Wenn die Führungsmacht des Westens nicht mehr den Laden zusammenhält und nicht mehr als zivilisatorisches Vorbild wirkt, sondern sich nun zurückzieht auf isolationistische Positionen und Weltpolitik nur noch in Gemeinsamkeiten mit autoritären Mächten regeln will, ja dann wird es schwierig für uns.
    Müller: Herr Hacke, da kommt die Musik. Wir beide müssen leider an dem Punkt einen Punkt machen. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben – der Konfliktforscher Professor Christian Hacke.
    Hacke: Herr Müller! Ich danke Ihnen, dass ich dabei sein darf.
    Müller: Einen schönen Tag. – Danke.
    Hacke: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.