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Streit über die Sommerferien
Müller: "Wir wollen Abstimmungsprozesse zwischen den Ländern"

Es sei im Interesse der Schulkinder, Wirtschaft und Schulen, dass sich die Bundesländer in Sachen Sommerferienbeginn absprechen, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Dlf. Bayern und Baden-Württemberg könnten nicht "eine ständige Ausnahme" bilden. Föderalismus sei ein Geben und Nehmen.

Michael Müller im Gespräch mit Dirk Müller | 28.11.2019
Kinder einer Grundschule schreiben das Wort Ferien an eine Tafel
Bislang gibt es bei den Schulferien ein rotierendes System, bei dem sich die meisten Bundesländer mit frühem und späterem Ferienbeginn abwechseln (dpa / Patrick Pleul)
Dirk Müller: Vielleicht arbeitet dort doch zusammen, was vielleicht eher zusammen gehört als gedacht. Markus Söder mit Winfried Kretschmann, die CSU mit den Grünen, Bayern mit Baden-Württemberg. Die beiden wirtschaftlich starken Bundesländer sprengen alle Bande, kündigen den Nationalen Bildungsrat, bevor dieser so richtig Fahrt aufgenommen hat. Keine vergleichbare Abiturprüfung zum Beispiel, keine vergleichbare Benotung zum Beispiel. Und keine Absprache mehr beim so sensiblen Thema Schulferien, bei der Terminierung vor allem der umstrittenen Sommerferien, der Sommerferien-Korridore, die immer auch mit Verkehrschaos, Staus und unglaublich viel Hektik für die Familien verbunden sind, wo es auch um die Wirtschaft geht, um eine möglichst faire Auslastung der Ferienorte, um eine Auslastung der Hotels, der Pensionen, auch der Ferienwohnungen.
Das Vorgehen der beiden Süddeutschen verärgert viele im mehrheitlichen Rest der Republik. So richtig sauer – das habe ich eben schon angekündigt – ist auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Guten Morgen!
Michael Müller: Ja, schönen guten Morgen! – Hallo!
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD)
"Das Aufkündigen und ständige Bohren am Föderalismus kommt von Grünen und CSU", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) im Dlf (dpa/Paul Zinken)
Dirk Müller: Herr Müller, Urlaubsboykott gegen Bayern. Machen Sie da mit?
Michael Müller: Das muss man sehen, ob es sich dahin entwickelt. Vor allen Dingen aus Hamburg kamen da ja sehr harte Stellungnahmen. Ich kann das nachvollziehen, weil Sie haben Recht, ich bin sauer, aber alle anderen auch, glaube ich, jetzt zunehmend. Es geht ja hier nicht nur um die Ferienregelung, sondern es geht um einen ständigen und wiederholten Angriff von Grünen und CSU, von Baden-Württemberg und Bayern auf den Föderalismus, und das treibt nun jetzt besondere Blüten. Wir haben das Ganze schon beim Digitalpakt erlebt, bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen haben wir es erlebt, bei der Grundsteuer-Debatte und jetzt wieder im Rahmen dieses Bildungsrates, der aufgekündigt wird, und nun muss man irgendwann natürlich auch über Konsequenzen nachdenken. Es kann nicht sein, dass einige glauben, Föderalismus ist einfach dazu da, dass sie ihre eigenen Interessen durchsetzen können, sondern es ist ein Geben und Nehmen. Und wenn man nicht mehr geben will, dann muss man bereit sein, auch eventuell nicht mehr zu nehmen. Das ist das, was Hamburg jetzt mal auf den Punkt gebracht hat.
"Wollen einfach Abstimmungsprozesse zwischen den Ländern"
Dirk Müller: Wieso ist das ein Angriff auf den Föderalismus, wenn die Bayern sagen, wir fahren weiterhin zu dem Zeitpunkt in den Sommerurlaub, wie das immer war?
Michael Müller: Wie gesagt, es reiht sich ja ein in eine ganze Reihe von Maßnahmen, und im Zusammenhang mit dem Aufkündigen des gemeinsamen Bildungsrates ist das ja auch noch mal erklärt worden. Wir wollen einfach Abstimmungsprozesse zwischen den Ländern haben – ja nicht in unserem Eigeninteresse, sondern im Interesse der Schulkinder (Sie haben es eben selbst anmoderiert), der Wirtschaft, im Interesse der Schulen. Wir wollen gleichmäßig lange Schulhalbjahre haben, eine Berechenbarkeit, eine Planbarkeit zwischen den Bundesländern. Wir wollen, dass in eine Rotation, wann welches Bundesland startet und endet mit den Ferien, auch mal Bayern und Baden-Württemberg mit einbezogen sind und nicht eine ständige Ausnahme bilden und sagen, alle anderen können sich ja abstimmen, aber wir nicht. Das soll ja alles im Interesse der Betroffenen sein und jetzt ist es offensichtlich nur im Interesse von zwei Bundesländern.
Dirk Müller: Jetzt haben Sie auf Hamburg verwiesen. Ties Rabe hat das gemacht, dieses Zitat, was Sie da vielleicht auch im Kopf haben. Zusammengefasst sagt er: Alleingang bei den Sommerferien durch Bayern und Baden-Württemberg", das ist unser Thema. Und dann sagt Ties Rabe: "Viel Spaß auf den langen bayerischen Autobahnen." – Was ist das denn für eine Politik?
Michael Müller: Ja! Das ist die Konsequenz daraus, wenn man nur egoistisch handelt. Dann ist das die Konsequenz, wenn alle anderen Bundesländer sich abstimmen und sagen, dann muss Bayern sehen, wie sie mit der Regelung klarkommen. Wenn sie nicht bereit sind, in einer Gemeinschaft sich zu engagieren, dann bedeutet das, dass alle anderen Bundesländer für sich koordiniert dann möglicherweise gemeinsam in Bayern auf dem Weg nach Süden auf die Autobahn treffen. Das will das Bundesland und der Ministerpräsident mit Sicherheit nicht. Das wäre eine riesen Belastung.
Autos stauen sich auf der Autobahn 8.
Streit zwischen Bundesländern - Hamburg droht mit Ende der Sommerferien-Absprache
Der Rückzug der süddeutschen Länder aus dem Nationalen Bildungsrat sorgt für Ärger. Nun kommt eine Retourkutsche aus Hamburg: Keine Rücksicht mehr auf Bayern und Baden-Württemberg bei der Festlegung der Sommerferienzeiten.
Dirk Müller: Verkehrschaos haben wir ja fast immer. In den Ferien ist es ja besonders problematisch. Aber vielleicht sagen wir das auch noch mal gegenüber den Zuschauern, die das nicht so im Kopf haben. Bayern und Baden-Württemberg haben immer denselben Ferienblock, den Schulferienblock, 1. August bis Mitte September. Das ist seit vielen, vielen Jahren so. Die haben gute Erfahrungen damit gemacht. Vielleicht sind die meisten Bayern und Baden-Württemberger auch dafür. Sie wollen jetzt ausgerechnet dieses Regime verändern, zu Ihren Gunsten. Meine Frage ist jetzt: Warum wollen Sie eigentlich diesen teuren August-Monat, der ja der teuerste Sommerferien-Monat ist für alle Familien – Sie haben das gerade angesprochen -, warum wollen Sie den auch mal besetzen?
Michael Müller: Herr Müller, Sie fangen die Debatte falsch an. Sie fragen mich jetzt, warum ich nicht bereit bin, mich mit anderen abzustimmen, oder Hamburg nicht bereit ist, sich mit anderen abzustimmen. Der Ausgangspunkt ist ein anderer. Noch mal: Das Aufkündigen und ständige Bohren am Föderalismus – und Föderalismus bedeutet Verständigung zwischen allen 16 Bundesländern – kommt von Grünen und CSU. Daher kommt das Aufkündigen. Es gibt viel wichtigere Fragen als die Frage, wann beginnt der Ferienstart. Der ist auch wichtig. Aber die wichtigere Frage ist, wie komme ich zu gleichen Bildungschancen für die Kinder, was gibt es für Abstimmungsprozesse für, sagen wir mal, gleiche Schulformen oder gleiche Qualitätsstandards, die den Eltern nachvollziehbar abbilden, was kann ich in welchem Bundesland erwarten.
Es geht um eine gerechte Steuerverteilung. Es geht um eine Zukunftschance im Rahmen des Digitalpaktes. Ständig werden diese wichtigen Themen für das ganze Land und nicht nur für zwei Bundesländer angegriffen von zwei Bundesländern, die glauben, sie können aus einer Solidarität ausscheren und sie sind stark genug und brauchen die anderen nicht. An dieser Stelle zeigen auch mal die anderen Länder, wenn man sich nicht miteinander abstimmt, bis hin zu einer Frage wie der Ferienregelung, dass es fatale Folgen haben kann, und dann muss man mit den Konsequenzen leben. Der Ausgangspunkt ist nicht das, was Hamburg erklärt hat oder was ich jetzt sage, sondern der Ausgangspunkt ist das Agieren von Kretschmann und Söder.
"Muss auch auf Stausituation Rücksicht nehmen"
Dirk Müller: Meine Frage war ja: Sie haben beispielsweise in Berlin auch schon mal Ferien gehabt Mitte Juni. Das ist ja relativ früh, wenn ich das jetzt richtig notiert habe.
Michael Müller: Richtig.
Dirk Müller: Da ist wenig los. Meine Frage war ja: Warum machen Sie denn nicht auch einen fixen Termin Mitte Juni bis Ende Juli? Da könnte sich jeder drauf einrichten. Alle Familien wüssten über Jahre Bescheid. Die Kitas wüssten Bescheid, die Lehrer wüssten Bescheid, die Schüler. Ist doch gut!
Michael Müller: Das ist ja jetzt auch das, was wir vorschlagen. Das was wir vorschlagen und gemeinsam beraten wollten ist ja, dass es ein festes Zeitfenster gibt von Anfang Juli bis Mitte September für alle Bundesländer und dass man dann da leichte Schwankungen hat, das eine Bundesland fängt mal am 1. 7. An und das andere fängt mal am 10. 7. An, aber dass es ein klar umrissenes, relativ enges Zeitfenster gibt, das dann auch planbar und berechenbar ist für alle Bundesländer, und dass man trotzdem noch ein bisschen Verkehre zum Beispiel entschlackt oder entzerrt, so dass es nicht zu wirklich schwierigen Situationen dann auf den großen Autobahnstrecken kommt Richtung Süden oder Richtung wohin auch immer.
Dirk Müller: Mitte Juni hatten wir festgestellt. Sie sagen jetzt ab 1. Juli. Das war ja in dem Papier drin. Das heißt, Sie wollen den gesamten Korridor noch mal um zwei Wochen reduzieren. Klingt nach mehr Verkehr innerhalb dieses Korridors?
Michael Müller: Es geht aber auch um eine Berechenbarkeit und Planbarkeit der Schulhalbjahre. Es ist richtig, dass man auf die Verkehrssituation, auf Stausituationen auch Rücksicht nehmen muss. Das kann man, wenn man etwas entzerrt. Das viel Wichtigere ist aber, dass es eine Planbarkeit auch für die Schule gibt. Wir haben durch die großen Schwankungen bisher bei den Ferienzeiten mitunter auch extrem kurze Schuljahre. Wenn Sie das erste Schulhalbjahr mal betrachten mit den Winterferien, mit den Osterferien und dann sehr früh beginnenden Sommerferien, das macht mitunter das Unterrichten im Schulalltag auch schwierig.
Dirk Müller: Sie fangen doch dann früher an!
Michael Müller: Genau dafür ist der Föderalismus da. Ich will gar nicht pausenlos über Ferientage reden, ob es am 1. 7. Losgeht oder am 3. 7. Das ist unwichtig. Es geht darum, gute Bildungschancen zu organisieren, und dafür muss es einen guten Schulalltag geben und dafür muss man sich auch verständigen, nicht nur zwischen Bayern und Baden-Württemberg, sondern auch zwischen den anderen Ländern. Dann hat man auch Konsequenzen in der Verkehrspolitik, wenn man sich das wichtige Thema Bildungspolitik vornimmt.
"Bildung geht zum Beispiel weiter bis zur Universität"
Dirk Müller: Bildungspolitik, sagt Markus Söder, dann können sich alle an Bayern doch ohne Probleme orientieren. Da stimmen die Parameter, die Indikatoren. Sie liegen bei allen Umfragen immer vorne. Davon könnte Berlin doch auch sich eine Scheibe abschneiden.
Michael Müller: Noch mal! Es geht auch gar nicht darum, wie viele Abiturienten habe ich und wie viele Einser-Abiturienten oder Dreier-Abiturienten habe ich. Es geht zum Beispiel darum, den Eltern auch mal deutlich zu machen, was kann ich in welcher Schulform erwarten. Es gibt im Moment bundesweit einen bunten Flickenteppich, wie die Schultypen heißen, wie lange man in der Grundschule ist. Hessen diskutiert gerade über das Abschaffen der Noten in der Grundschule. Wie viele Jahre habe ich zum Abitur? Über solche Dinge mal, wenn Eltern hin- und herziehen müssen aufgrund der veränderten Arbeitswelt, über solche Dinge zu reden, ob man Eltern und Schülern Standards bieten kann, an denen sie sich orientieren müssen, unabhängig von den Qualitätsabschlüssen dann in der jeweiligen Schule, darüber mal zu reden, ist wichtig. Und an Herrn Söder gerichtet kann man nur sagen: Das ist ja schön, dass er sich freut über die Ergebnisse in seiner Schule. Aber Bildung geht weiter. Bildung geht zum Beispiel weiter bis zur Universität, und da ist es so, dass viele andere Bundesländern für Herrn Söder und sein Bundesland mitausbilden an ihren Universitäten, weil er selbst nicht mehr genug Kapazitäten hat.
Dirk Müller: Bei Ihrem Beispiel bleibend, könnte Markus Söder jetzt sagen, wenn es darum geht anzugleichen, das Niveau vielleicht aus seiner Sicht nach unten zu schrauben, BMW baut ja auch keinen VW Golf, also machen wir mit dem BMW weiter.
Michael Müller: Ja. Sie fragen aber nach einer Sache, der ich ausdrücklich schon widersprochen habe. Es geht nicht darum, Qualität nach unten zu schrauben. Aber warum wollen wir nicht mal bundesweit darüber reden, was kann ich unter der Überschrift Gemeinschaftsschule oder Sekundarschule oder verbundene Ganztagsschule erwarten als Elternteil. Welches Angebot wird mir in Bayern geliefert, in Berlin, in Nordrhein-Westfalen. Und wenn ich mit meiner Familie ziehen muss wegen eines Arbeitsplatzes, dann weiß ich, wenn ich auf dieser oder jener Schule mein Kind anmelde, dann bekomme ich folgende Leistung, was weiß ich, vom Schulessen über Lernmittelfreiheit bis zum Ganztagsbetrieb. Allein diese Vergleichbarkeit ist nicht da innerhalb Deutschlands und das kann doch nicht die Zukunftslösung sein. Wenn wir über den wichtigen Weg reden, den Bildung ja öffnen muss für einen Lebensweg, dann muss es doch eine Möglichkeit für Orientierung auch geben für die Eltern. Und dass dann innerhalb der Schule zwischen Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin, Bayern möglicherweise auch noch mal andere Inhalte und Qualitäten eine Rolle spielen, ist völlig unbenommen. Aber die Eltern müssen doch wissen können, was sie erwartet, wenn sie ein Kind irgendwo anmelden.
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