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Streit über Flüchtlingspolitik
"Sie wollen nur die Kanzlerin sabotieren"

Der Streit über die Asylpolitik hat eine bizarre Wendung genommen: SPD und Grüne "sorgen" sich um die Union, wittern einen "Putsch", eine "Demontage der Kanzlerin". Denn Bundesinnenminister Thomas de Maizière bekommt für seinen Vorstoß, syrischen Flüchtlingen keinen Familiennachzug mehr zu gestatten, breite Rückendeckung aus seiner Partei. Die Kanzlerin sprach ihm jetzt das Vertrauen aus.

09.11.2015
    Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, CSU, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, SPD, Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU (v.l.n.r.)
    Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, CSU, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, SPD, Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU (v.l.n.r.) (Imago)
    In der Großen Koalition hakt es offenbar in der Kommunikation - momentan bei der Frage, ob der subsidiäre Schutz für Syrer zulässig ist; also der Familiennachzug verboten werden soll.
    Das sei so beim Koalitionsgipfel vor ein paar Tagen beschlossen worden, sagt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer in der "Passauer Neuen Presse". An die Adresse der Gegner des subsidiären Schutzes für Syrer sagte Scheuer: "Wer lesen kann, ist klar im Vorteil." SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte im ARD-Fernsehen, in Deutschland entstehe der Eindruck "die Regierung - da weiß die linke Hand nicht mehr, was die rechte tut". Und Kanzleramtschef Peter Altmaier, die rechte Hand von Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU), fragte zur Sicherheit einen ZDF-Journalisten nach der Position seines Parteikollegen.
    Die neueste Wendung: Nachdem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vorerst Abstand von seinem Vorstoß genommen hatte, Syrern nur noch subsidiären Schutz zu gewähren, schlossen sich zunächst Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und CSU-Chef Horst Seehofer seiner Forderung an.
    Rückendeckung für de Maizière
    "Thomas de Maizière hat recht", sagte Seehofer der "Süddeutschen Zeitung". "Wir müssen wieder nach dem Gesetz handeln und den Flüchtlingsstatus jedes Syrers genau prüfen." Schäuble, der eine hohe Autorität im Kabinett genießt, sagte im ARD-Fernsehen: "Wir müssen natürlich den Familiennachzug begrenzen (...) und ich bin sehr dafür, dass wir sehr rasch uns darüber in der Koalition verständigen."
    Bundeskanzlerin Merkel hält an ihrem Innenminister fest. Auf die Frage, ob de Maizière weiterhin Merkels Vertrauen genieße, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert: "Selbstverständlich hat er das".
    Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), schlug sich im Deutschlandfunk ebenfalls auf die Seite von de Maizière. Allerdings kritisierte er dessen Kommunikationsstrategie: "Eine vertiefte Beratung wäre wünschenswert gewesen." Unterstützung kommt auch von CDU-Vize Julia Klöckner.
    Vizekanzler Gabriel wirkte gestern Abend förmlich überrumpelt, als er im Live-Gespräch auf Schäubles Äußerungen reagierte: Die SPD werde dazu jetzt nicht Ja sagen, weil das nie besprochen worden sei. "Im Gegenteil, es ist das Gegenteil besprochen worden. Und niemand kann von der SPD erwarten, dass wir so im 24-Stunden-Takt mal öffentlich zu irgendwelchen Vorschlägen Ja oder Nein sagen."
    Demontage der Kanzlerin?
    Die Opposition wittert eine Kanzlerinnendämmerung. "Es herrscht nicht nur Chaos in der Union, das ist ja ein Putsch", sagte Schleswig-Holsteins Vize-Regierungschef Robert Habeck (Grüne) der "Rheinischen Post". "Die Bundeskanzlerin muss klar machen, wer Koch und wer Kellner ist", forderte der Grünen-Politiker Habeck. Ähnlich sieht es der SPD-Politiker Jan Stöß:
    Der SPD-Innenexperte Christian Flisek ergänzte im Bayerischen Rundfunk: "Wenn ich sehe, dass der Flüchtlingskoordinator im Bundeskanzleramt Peter Altmaier diesen Vorschlag sehr schnell wieder einsammelt, sich dann aber anschließend Herr Schäuble als Finanzminister ins Fernsehen stellt und Herrn de Maizière unterstützt, dann ist das Ganze ein ganz erheblicher Beitrag zur Demontage der Bundeskanzlerin." Der stellvertretende SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel sprach von einem offenen "Machtkampf" und "permanenten Chaostagen" in der Union. Das belaste auch die Koalition als Ganzes.
    Die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller nannte das geplante Verbot des Familiennachzugs syrischer Flüchtlinge "eine katastrophale Idee". Keller sagte im Deutschlandfunk an die Adresse der Union: "Wenn Parteien christlich im Namen tragen wollen und diese Parteien nicht wollen, dass Ehemänner ihre Frauen nachholen können, dann weiß ich nicht, wo wir gerade sind".
    Der sogenannte subsidiäre Schutz

    Syrer werden in Deutschland bisher fast ausnahmslos als Flüchtlinge anerkannt. Mit dem gesicherten Schutzstatus bekommen sie eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, die auch das Recht auf Familiennachzug beinhaltet.

    Wer von den Behörden als "subsidiärer Schutzbedürftiger" registriert wird, muss zwar nicht in die Heimat zurück, etwa weil Todesstrafe oder Folter drohen. Anders als Menschen mit Asyl- oder Flüchtlingsstatus bekommen diese aber zunächst nur eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die verlängert werden kann.
    (sdö/am)