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Streit über Forderungen von Herero und Nama
"Persönliche Entschädigungen können nicht infrage kommen"

Eine Entschädigung für Herero und Nama in Namibia hat Ruprecht Polenz ausgeschlossen. "Wir reden jetzt mit der Urenkel- oder Ururenkelgeneration", sagte der Namibia-Beauftragte der Bundesregierung im Dlf. Die Aufarbeitung der Verbrechen deutscher Truppen in der Kolonialzeit sei eine politisch-moralische und nicht eine Rechtsfrage.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Stephanie Rohde | 27.01.2018
    Das Bild zeigt Ruprecht Polenz, Präsident Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde. Er fasst sich vor grauem Hintergrund.
    Ruprecht Polenz verhandelt mit der namibischen Regierung (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    Stephanie Rohde: Deutsche Soldaten töteten Zehntausende Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Das, was zwischen 1904 und 1908 passiert ist, war Völkermord, sagen Historiker schon seit Langem, die Bundesregierung allerdings tut sich schwerer damit. Die Nachfahren der Herero und Nama fordern von der Bundesregierung, die Schuld endlich anzuerkennen und eine Entschädigung zu zahlen, zudem wollen sie bei den Gesprächen dabei sein, die die deutsche Regierung mit der namibischen führt. Deshalb haben sie in New York eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht, gestern dann hat sich die Bundesregierung zum ersten Mal in diesem seit einem Jahr laufenden Rechtsstreit eingelassen und hat verkündet, Deutschland hält diese Klage für unzulässig. Vertreter der Herero und Nama haben daraufhin in Berlin die Bundesregierung wieder aufgefordert, dass sie an den Verhandlungen teilnehmen dürfen. Die Verhandlungen führt auf der deutschen Seite Ruprecht Polenz von der CDU, er ist uns jetzt zugeschaltet, hallo!
    Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Tag!
    "Die namibische Regierung hat die Delegation selbst zusammengestellt"
    Rohde: Warum will die Bundesregierung weiterhin nicht mit den Herero und Nama an einem Tisch sitzen?
    Polenz: Wir sitzen mit Hereros und Namas an einem Tisch. Einmal ist der Sondergesandte der namibischen Regierung selber Herero, er hat auch in seiner Delegation Vertreter von Herero und Nama, die namibische Regierung hat diese Delegation selbst zusammengestellt und wir können ihr nicht vorschreiben, wen sie zu diesen Verhandlungen schickt. Dass jetzt diejenigen, die in New York klagen, auch gerne dabei wären, kann ich nachvollziehen, aber es ist nicht unsere Aufgabe, auch nicht unsere Möglichkeit, die namibische Delegation zusammenzusetzen.
    Rohde: Aber wie glaubwürdig kann denn eine Aussöhnung sein, wenn die Nachfahren der Betroffenen, die dabei sein wollen, nicht am Tisch sitzen?
    Polenz: Wenn man sich in Namibia etwas umhört - und ich habe da bei meinen Besuchen dort auch getan -, stellen Sie schnell fest, dass es sehr viele unterschiedliche Meinungen auch unter den Herero und Nama gibt. Es gibt viele, die fühlen sich durch die Regierung auch voll und gut repräsentiert, und natürlich ist die namibische Regierung selbst diejenige, die großen Wert darauf legt zu sagen, wir sind eine legitimierte, demokratisch gewählte Regierung, wir repräsentieren die gesamte Bevölkerung und selbstverständlich auch die Herero und Nama.
    "Wir reden jetzt mit der Urenkel- oder Ururenkelgeneration"
    Rohde: Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt sind ja die Entschädigungen, die Reparationen. Die Bundesregierung hat finanzielle Entschädigungen von Hinterbliebenen mehrfach jetzt ausgeschlossen. Aber, Herr Polenz, Holocaust-Überlebende hat man doch auch entschädigt. Warum will die Bundesregierung wegen Völkermord an Herero und Nama auf einmal kein Geld zahlen?
    Polenz: Der wichtige Punkt, den Sie ansprechen, ist: Holocaust-Überlebende. Die Bundesrepublik Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg persönliche Entschädigungen gezahlt an Menschen, die selbst gelitten hatten, sei es in einem Konzentrationslager oder weil sie zur Zwangsarbeit gezwungen worden sind. Diese Entschädigungen waren höchstpersönlich, sie gingen nicht an Kinder, an Eltern, etwa auch an Erben, sondern eben nur an diejenigen, die selbst gelitten haben. Wir haben es hier mit einer Lage zu tun, die vor 100 Jahren passiert ist. Wir reden jetzt mit der Urenkel- oder Ururenkelgeneration. Und schon aus dem Grund können persönliche Entschädigungen so nicht infrage kommen und wir sehen auch die ganze Frage, über die wir verhandeln, als eine politisch-moralische und nicht als eine Rechtsfrage an.
    Rohde: Aber dazu muss man ja sagen, die Nachfahren sehen das anders. Die sagen, wir haben zum Großteil unser Land verloren, auch die Überlebenden und die nachfolgenden Generationen mussten darunter leiden, dass sie eben kein Land mehr hatten. Was entgegnen Sie denen?
    Polenz: Wir sind nicht auseinander in der Frage, anzusprechen, was damals passiert ist. Und das, was Sie jetzt gerade geschildert haben, ist Teil des damaligen Geschehens, da gibt es keinen Dissens. Die Frage ist, was folgt daraus für die Zukunft. Und hier schlagen wir vor, eine Zukunftsstiftung einzurichten, ähnlich wie die Stiftung im deutsch-tschechischen Verhältnis, die sich um die Pflege einer gemeinsamen Erinnerungskultur kümmern soll, um Jugendaustausch, um die Schulbücher, um die Denkmäler im öffentlichen Raum und eben auch um Jugendaustausch. Und außerdem wollen wir uns über die Entwicklungshilfe hinaus langfristig und substanziell engagieren, vor allen Dingen in den Gebieten der Herero und Nama, durch Einrichtungen der beruflichen Bildung, das Schaffen preiswerten Wohnraums und auch eine Verbesserung der Elektrizitätsversorgung in Gegenden, die keinen Strom haben. Und last, but not least wollen wir uns auch an der Landreform, die die namibische Regierung durchführt, beteiligen.
    "Selbstverständlich möchte Deutschland um Entschuldigung bitten"
    Rohde: Also Entschädigung: nein, aber eine Entschuldigung: ja?
    Polenz: Selbstverständlich möchte Deutschland um Entschuldigung bitten. Und da sprechen wir darüber mit der namibischen Seite, wie das geschehen soll so, dass die namibische Seite das dann annimmt. Es geht also nicht darum, dass wir Bedingungen stellen würden, ob wir uns entschuldigen, das steht außer Frage. Es geht darum, es in einer Form zu machen, dass die namibische Seite sagt: Ja, so ist das in Ordnung.
    Rohde: Lassen Sie uns auf den Bundestag schauen. 2012 hat die Linkspartei im Bundestag schon beantragt, den Krieg des Deutschen Reichs gegen die namibischen Völker eben als Völkermord anzuerkennen, sie ist damit erneut gescheitert 2016. Warum hatten SPD und Union offenbar da ganz lange kein Interesse an so einer Völkermordsresolution?
    Polenz: Es geht nicht darum zu bezweifeln, dass die Ereignisse zwischen 1904 und 1908 ein schreckliches Verbrechen sind und dass man sie als Völkermord bezeichnen muss. Der Streit geht etwas darum, dass diese Einordnung als Völkermord sozusagen im historischen Sinne erfolgt, dass aber nicht die Rechtsfolgen an diese Einordnung geknüpft werden können, die seit 1948, seit die Völkermordkonvention der Vereinten Nationen gilt, an diese Bezeichnung Völkermord geknüpft werden. Mit anderen Worten: Die Völkermordkonvention hat keine Rückwirkung, ist deshalb auf diesen Tatbestand nicht anwendbar, und das bringen manche etwas durcheinander, die sagen, wenn man das als Völkermord bezeichnet, dann löst das Rechtsfolgen aus. Das tut es nicht.
    "Wir müssen darüber verhandeln, wie wir das moralische Unrecht behandeln"
    Rohde: Und dass dann der Eindruck entsteht, dass man eben doch nicht ganz zu der eigenen Geschichte steht, zu der deutschen Geschichte, das beklagt zum Beispiel auch Dietmar Bartsch von der Linken, der sagt, wenn man das nicht tut, dann steht man nicht zu der eigenen Geschichte. Ist das nicht schwierig, dass dieser Eindruck entsteht?
    Polenz: Der Eindruck wird auch immer wieder erweckt, er ist aber trotzdem unzutreffend. Man muss sich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen, historisch, politisch, moralisch. Und da, wo es notwendig ist und möglich ist, auch rechtlich. Aber für die Frage eines Ereignisses, was vor 100 Jahren stattgefunden hat, kann das Recht heute keine Lösung anbieten. Es bietet auch keine Lösung an. Deshalb müssen wir politisch darüber verhandeln, wie wir das moralische Unrecht heute behandeln, sodass wir gemeinsam mit Namibia eine gute gemeinsame Zukunft haben.
    Rohde: Beim Osmanischen Reich, bei dem Völkermord an den Armeniern hat der Bundestag es relativ gut hinbekommen, bei dem Völkermord jetzt an den Herero und den Nama ist das schwieriger. Hat Deutschland ein Problem damit, einzusehen, dass man vor der eigenen Tür kehren muss?
    Polenz: Nein, und wenn Sie diese Armenien-Resolution erwähnen, erinnern Sie sicherlich auch noch die Debatte, die es danach gab, wo die Bundesregierung klargestellt hat, dass diese Resolution nicht im Sinne eines Rechtsbegriffs den Begriff Völkermord gebraucht hat, sondern die historisch korrekte Bezeichnung der Ereignisse von 1915. Und genau diese Parallele gibt es eben auch für das, was ich jetzt mit Namibia zu verhandeln habe. Es geht nicht um eine Rechtsfrage, es geht nicht darum, dass ein Gericht diese Dinge entscheiden könnte. Wir gehen davon aus, dass das auch das Ergebnis des dritten Klageversuchs in New York sein wird, dass die Gerichte sagen, wir sind dafür nicht zuständig.
    "Wir verhandeln über ein sehr substanzielles und langfristig wirksames Paket"
    Rohde: Lassen Sie uns auf die Verhandlungen schauen! Sie verhandeln inzwischen seit über zwei Jahren schon mit der namibischen Regierung. Was passiert denn, wenn die Menschen in Namibia das Ergebnis einfach nicht anerkennen, weil sie nicht zufrieden damit sind?
    Polenz: Ich denke, dass die namibische Regierung und wir das gemeinsame Interesse haben, dass dieser Fall nicht eintritt. Wir verhandeln deshalb über ein sehr substanzielles und langfristig wirksames Paket und hoffen natürlich darauf - mehr kann ich zum Augenblick natürlich nicht sagen -, dass das, was wir jetzt als Lösung verhandeln, auch von der namibischen Bevölkerung im Allgemeinen, aber insbesondere natürlich von den Herero und Nama als Lösung anerkannt wird, auf der dann eine Versöhnung möglich ist.
    Rohde: Das sagt Ruprecht Polenz von der CDU, er leitet die Verhandlungen mit der Regierung Namibias. Danke für das Gespräch!
    Polenz: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.