Spengler: Könnte die Koalition in Berlin wirklich an Obrigheim scheitern?
Braun: Nein, ich hoffe nicht, zumal es ja absurd wäre. Obrigheim ist ja eigentlich gar nicht Gegenstand dieser Koalitionsverhandlungen. Der Ausstieg aus Obrigheim ist die logische Folge des Atomausstiegsgesetzes, was wir beschlossen haben. Von daher kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass das jetzt offensichtlich zum Knackpunkt in Berlin wird.
Spengler: Also es wird doch zum Knackpunkt?
Braun: Offensichtlich wird es zum Knackpunkt aufgrund einer Zusage, die Herr Goll behauptet, vom Kanzler gehabt zu haben. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Der Ausstieg aus Obrigheim ist die logische Folge dessen, was wir in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen haben. Es macht überhaupt keinen Sinn, das jetzt erneut zu verhandeln. Sollte es allerdings - und das will ich deutlich sagen - jetzt zum Knackpunkt werden, so ist unsere Position klar. Wir wollen, dass das Atomausstiegsgesetz konsequent umgesetzt wird. Das bedeutet, dass dem Antrag auf Verlängerung der Laufzeit von Obrigheim nicht gefolgt werden kann. Sollte es anders beschlossen werden, macht es überhaupt keinen Sinn, in die Koalition einzusteigen, denn dann wäre ein ganz wichtiger Punkt für die Grünen nicht nur in Baden-Württemberg, sondern ein ganz wichtiger Punkt für die Glaubwürdigkeit des Atomausstiegs überhaupt massiv in Frage gestellt.
Spengler: Noch einmal: Das ist also ein sogenanntes Essencial. Wenn da keine Einigung erzielt wird, gibt es die rot-grüne Koalition in Berlin nicht mehr?
Braun: Die Frage des Atomausstiegs hier in Baden-Württemberg ist eine Frage, die die Grünen insgesamt umtreibt. Sie wissen, wir haben hier mit 11,4 Prozent ein richtig gutes Wahlergebnis hingelegt. Wir stehen in Verantwortung vor den Wählerinnen und Wählern und seit über 20 Jahren kämpfen wir hier gegen diesen Schrottreaktor, wo es ganz viele Sicherheitsbedenken gibt, der offensichtlich illegal erstellt wurde. Wenn dieses Ding weiterlaufen sollte, gibt es überhaupt keine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in einer Koalition.
Spengler: Sie sagten schon, es sei ein Schrottreaktor. Das ist also nicht nur Symbolik?
Braun: Nein, das ist wahrhaftig nicht nur Symbolik. Es ist jetzt wieder aufgetaucht, dass die Sicherheit des Betreibers, der Energieversorgung Baden-Württemberg, offensichtlich massiv in Frage gestellt wird. Da wird zu wenig Kühlmittel eingespeist in diesen Reaktorkreislauf. Obrigheim ist - und das haben Gerichte festgestellt; das ist jetzt in der letzten Instanz gewesen - nicht so gebaut worden, wie es geplant war. Wissen Sie und ein 340-MW-Reaktor, davon gehen die Lichter wahrhaftig nicht aus. Es ist Symbolik - das räume ich ein - von beiden Seiten. Für Herrn Goll von der Energieversorgung Baden-Württemberg steht Obrigheim auch als Symbol für die Atomkraft. Für uns ist es das Symbol des Ausstieges. Und die Frage ist, wer sich letztendlich durchsetzen wird.
Spengler: Rund 800 Arbeitnehmer leben direkt oder indirekt vom AKW Obrigheim und alle 5500 Einwohner der Stadt profitieren seit 34 Jahren von den recht üppigen Steuereinnahmen, für die das Kraftwerk sorgt. Können Sie diesen Menschen, unter denen sich ja kaum ein Atomkraftgegner zu befinden scheint, wirtschaftliche Alternativen bieten?
Braun: Wir haben als Grüne Baden-Württembergs uns natürlich darüber Gedanken gemacht. Wir haben mehrfach Ideen vorgelegt, Skizzen vorgelegt, wie die Beschäftigten in Obrigheim und auch wie die Gemeinde Obrigheim auf den Verlust des Standortes reagieren könnte. Wir schlagen beispielsweise vor, dass Obrigheim ein großes Forschungszentrum der Universität Heidelberg wird, die nicht weit davon entfernt liegt, so dass die Menschen, die die Kompetenz haben, das Know-how haben, die Ingenieurinnen und Ingenieure, entsprechend beschäftigt werden können. Leider - und das muss man vorwerfen - ist weder der Betreiber noch die Landesregierung bisher bereit gewesen, über solche Alternativkonzepte nachzudenken.
Spengler: Und auch bei den Einwohnern hat es nicht sonderlich verfangen, wenn ich das richtig sehe?
Braun: Es ist natürlich so, dass die Gemeinde Obrigheim sehr, sehr stark von den Steuereinnahmen profitiert. Das Problem ist, dass bisher weder Betreiber noch Landesregierung bereit waren, über Alternativen nachzudenken, obwohl ja das Ende der Laufzeit von Obrigheim abzusehen war. Das muss man vorwerfen und hier muss man jetzt schnell, schnell handeln.
Spengler: Herr Braun, wieso haben sich die Grünen seinerzeit überhaupt auf ein Atomausstiegsgesetz eingelassen, in dem festgelegt wird, dass ein AKW dann weiterbetrieben werden kann, wenn es Reststrommengen von anderen jüngeren oder älteren Kraftwerken übernimmt?
Braun: Ich darf Sie insofern korrigieren: Das Atomausstiegsgesetz legt fest, dass selbstverständlich von alten Anlagen auf neue übertragen werden kann. Das ist unstrittig. Für den Fall, dass von neuen auf alte übertragen werden soll - das ist ja hier jetzt in Obrigheim vom Betreiber beantragt worden -, sieht das Atomausstiegsgesetz vor, dass Kanzleramt, Wirtschaftsministerium und Umweltministerium gemeinsam über den Antrag entscheiden. Sie müssen im Konsens entscheiden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bundesumweltminister diesem Antrag zustimmen wird. Das ist ein ganz normales rechtliches Verfahren. Das hat mit den Koalitionsverhandlungen nichts zu tun. Ich habe zu denen gehört - und Sie wissen, es war umstritten bei den Grünen, ob wir uns auf den Konsensweg einlassen sollen -, die gesagt haben ja, wir wollen rechtliche Risiken vermeiden für den Fall, dass ausgestiegen wird. Wir setzen auf den Konsens, wir setzen auf das Gespräch mit den Betreibern. Jetzt muss man natürlich verlangen, dass sich die Betreiber auch auf den Weg, den sie selber mitgegangen sind, einlassen.
Spengler: Vertrauen Sie Ihren grünen Parteifreunden in Berlin oder befürchten Sie, dass Sie am Ende über den Tisch gezogen werden?
Braun: Ich weiß, dass alle sieben Verhandlungsführer, die wir haben, die in Berlin den Job für uns machen, wissen, dass Obrigheim nicht nur für die Glaubwürdigkeit der baden-württembergischen Grünen, sondern dass Obrigheim für die Glaubwürdigkeit des gesamten Atomkonsenses steht. Insofern bin ich sehr, sehr guter Dinge, dass hier sehr, sehr hart, aber auch sehr, sehr ergebnisorientiert verhandelt wird.
Spengler: Ich bedanke mich für das Gespräch. - Das war Andreas Braun, der Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg.
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