Meurer: Was bedeutet das Volksbegehren und der Ausgang für Tschechien?
Grusa: Wir haben ein klares Abkommen, das unser Chef der Regierung mit dem Chef der österreichischen Regierung unterzeichnet hat. Das ist ein klares Abkommen, ein Kompromiss, der auch bei uns viel gekostet hat. Wir halten uns daran, und ich hoffe, dass die Österreicher dies ebenfalls tun.
Meurer: Sie spielen damit auf die Vereinbarungen vom letzten November an. Bedeutet das, mit Prag gibt es keine neuen Verhandlungen über das Kernkraftwerk Temelin?
Grusa: Ich kann Ihnen fast feierlich versichern, ganz gewiss nicht.
Meurer: Und wenn Österreich darauf pocht?
Grusa: Irgendwann ist die Geduld zu Ende. Das Atomkraftwerk ist international geprüft, und es ist unsere Entscheidung, keinesfalls eine österreichische, mit welcher Energie wir wirtschaften wollen.
Meurer: Haben Sie den Eindruck, dass der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eher die Koalition mit den Freiheitlichen platzen lässt, als nochmals mit Prag über das Atomkraftwerk zu verhandeln?
Grusa: Ich könnte mit Ihnen über dieses Thema sehr viel diskutieren, aber als tschechischer Botschafter kann ich mich dazu so direkt nicht äußern.
Meurer: Zum Volksbegehren: Hat für Sie dieses Volksbegehren einen Tschechienfeindlichen Unterton?
Grusa: Dies ist nicht zu bestreiten. Es ist eine gewisse historische Animosität oder Reminiszenz, die nicht zu übersehen ist. Und das ist etwas, was mich ein bisschen bedrängt, aber wir haben hier die Aufgabe, die Quellen dieser Animosität zu erforschen. Wir haben 714 km Grenze mit Österreich und eine gemeinsame Geschichte, die nicht immer alles verbindet. Wir müssen hier sehr viel leisten, aber das können wir auf keinen Fall mit diesen Untertöten erreichen.
Meurer: War Ihr Ministerpräsident, Milos Zeman, gut beraten, das Volksbegehren mit dem Referendum zum österreichischen Anschluss an Nazi-Deutschland im Jahr 1938 zu vergleichen?
Grusa: Na ja, er hat mich nicht gefragt, und in dem Sinne steht mir auch nicht zu, die Zitate meines Regierungschefs zu kritisieren.
Meurer: Ist die Vergangenheit zwischen den beiden Ländern noch so lebendig?
Grusa: Ich glaube nicht. Aber schauen Sie, Vergangenheit ist etwas, was man beleben kann. Und die Politisierung der Vergangenheit ist die dümmste Tat, die uns in einer Zeit passieren kann, wo die Zukunft schneller kommt als die Vergangenheit vergeht. Das Problem ist nicht, dass die Probleme zwischen den beiden Völkern irgendwie präsent waren. Sie werden aber durch diese Animositäten, durch Sprüche, durch völkisches Gerede revitalisiert. Und das ist etwas, was unzulässig ist. Man müsste sich das auch europäisch anschauen, ob das auch wirklich die richtige Richtung ist.
Meurer: Es hat ja auch in Deutschland Forderungen nach einem Veto gegen Tschechiens EU-Beitritt gegeben, und zwar seitens der Sudetendeutschen, auch mit Unterstützung zumindest von Teilen der CSU, wenn Prag nicht die Benes-Dekrete aufhebt, die ja die Grundlage für die Vertreibung der Sudetendeutschen waren. Sind die Tschechen sozusagen die Drohungen mit einem Veto in Sachen EU-Beitritt gewohnt?
Grusa: Wissen Sie, ein Veto gegen den Beitritt einer Nation in der Mitte Europas, die sich ihre Demokratie erkämpft hat, mit dem Hintergrund einer ziemlich fatalen Geschichte im Zweiten Weltkrieg, ist für mich etwas Unzulässiges. Es gibt so etwas wie ein Grundrecht auf Demokratie. Das darf man mit keiner der anderen Fragen verbinden. Wenn die Bedingungen, die uns gestellt wurden - und darunter war von Temelin oder Dekreten keine Rede -, erfüllt worden sind, dann frage ich mich, warum dies? Das ist eine Rückkehr zu der europäischen Rhetorik, die in einer Wertegesellschaft namens EU nichts zu suchen hat.
Meurer: Die andere Seite sagt natürlich, die Benes-Dekrete, die immer noch gelten, sind eine antidemokratische Grundlage.
Grusa: Aber sie gelten doch nicht. Das ist ein totes Recht. Sie gelten nicht in dem Sinne, das hat unser Ministerpräsident ziemlich klar gesagt. Sie können diese historischen Dokumente nicht beseitigen. Die Dekrete sind eine historische Faktizität, die uns gar nicht schmeichelt. Und es gibt natürlich eine Möglichkeit, damit etwas zu tun, innerhalb einer beruhigten europäischen Wertegemeinschaft, in der die Tschechen dabei sind. Aber man kann das nicht im Vorfeld mit der Renationalisierung der Debatte, mit der Wiederholung der nationalen Argumente, mit dem völkischen Gerede erreichen.
Meurer: In dieser Beziehung hat ja auch Edmund Stoiber einmal von einem Veto gegen Tschechien in Sachen EU-Beitritt gesprochen. Was würde es denn für Prag bedeuten, wenn Stoiber Kanzler wird?
Grusa: Aus meiner Zeit in Deutschland weiß ich ganz genau, dass es sich hier um einen wirklich gut vorbereiteten und zukunftsträchtig denkenden Politiker handelt. Uns würde beispielsweise seine Position zur Atomenergie erfreuen, die ja ganz anders ist als die österreichische. Und ich bin mir sicher, wir haben eine funktionierende Beziehung zu Deutschland, die beste, die wir in der modernen Geschichte je hatten.
Meurer: Und eine Kanzlerschaft Stoibers würde das deutsch-tschechische Verhältnis nicht stören oder trüben.
Grusa: Ich meine, wenn wir gut beraten sind, wird das nicht der Fall sein. Wir haben eine gute Beziehung, warum sollten wir diese opfern? Ich sehe da keine Drohung in diesem Sinne.
Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio