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Streit um den Nachlass Helmut Kohls
Maike Kohl-Richter: "Es geht nicht darum, dass ich allein herrsche"

Maike Kohl-Richter, die Witwe von Altbundeskanzler Helmut Kohl, äußert sich nur selten öffentlich. Hauptgrund dafür ist der Streit um den Nachlass Kohls. Mit dem Deutschlandfunk sprach sie darüber, warum sie die Berichterstattung über sich für falsch hält, sie bestimmten Institutionen und Personen nicht mehr traut und über die Pläne einer Kohl-Stiftung.

Von Moritz Küpper | 08.11.2018
    Maike Kohl-Richter öffnet die Tür des klotzigen Kanzlerbungalows im wohl deutschlandweit bekannten Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim.
    "Ich grüße Sie."
    "Ich grüße Sie auch. Kommen Sie herein."
    Hier hat – bis zu seinem Tod am 16. Juni vergangenen Jahres – jener Mann gelebt, der Deutschland 16 Jahre lang regierte: Helmut Kohl. Sein Konterfei ist überall im Haus zu sehen: mal groß, mal klein, mal als Bild an der Wand oder auf Möbeln platziert. Seine Amtszeit dauerte länger als die von Adenauer, Brandt und – natürlich – länger als die von Schmidt. Doch während aktuell die Jubiläums-Vorbereitung zum 100. Geburtstag von Schmidt am 23. Dezember laufen, sogar Zwei-Euro-Münzen mit dem Konterfei des Verstorbenen in den Umlauf kommen und auch eine Helmut-Schmidt-Stiftung gegründet wurde, ist es um seinen Namensvetter Kohl still geworden. Kohl-Richter sitzt am Esstisch in Oggersheim – an genau jenem Platz, an dem sonst immer ihr Ehemann saß:
    "Ich sage jetzt immer, wenn man den Namen Helmut Kohl nennt, setzt in Deutschland der Verstand aus. Das ist ganz klar. Bei den einen so und bei den anderen so. Alle wollen ein Stück vom Kohl-Kuchen oder vom Kohl-Mantel haben, im Guten wie im Schlechten."
    Eine Feststellung, die ihr, Kohls zweiter Ehefrau, wohl ihre vielen Kritiker genauso vorwerfen würden. Maike Kohl-Richter, 54 Jahre alt, promovierte Volkswirtin, die einst – als Kohl noch Kanzler war – im Bundeskanzleramt gearbeitet hat, war mehr als 30 Jahre jünger als ihr Mann, den sie im Jahr 2008 heiratete. Sie ist Alleinerbin – also die Person, die über den Umgang mit dem Erbe des Altkanzlers maßgeblich entscheiden wird.
    "Mein Alltag ist natürlich getragen davon, was das Lebenswerk meines Mannes betrifft. Ich bin ja auch öffentlich bekannt, durchaus unter Druck in verschiedenen Fragestellungen. Ich bin aber der Meinung, dass ich die Zeit, die mir mein Mann gegeben hat und die Dinge brauchen, auch nehmen sollte."
    In der Öffentlichkeit schweigt die zierliche, sportliche Frau zumeist – während andere reden. Die Kohl-Söhne oder ehemalige Weggefährten beispielsweise, die beklagten, dass es Kohl-Richter war, die sie von Kohl fern gehalten habe, nachdem dieser im Jahr 2008 bei einem Sturz ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Andere erzählen von einer vertrauten Einheit. Wie sich Kohl-Richter gekümmert habe. Und wie man sich nun Sorgen mache, angesichts des Rechtsstreits, dem Kohl-Richter Tage und Nächte widme sowie der als einseitig angesehen Berichterstattung: Als kaltherzige Frau wird sie da bezeichnet.
    "Sie haben die gierige Witwe noch vergessen."
    Es sind Attribute, die aus einem vierjährigen, immer noch laufenden Rechtsstreit stammen, dessen Ursprung ebenfalls im Kanzlerbungalow in Oggersheim liegt. Kohl-Richter ist aufgestanden, führt in den Keller: "der ominöse Privat-Keller."
    Rechtsstreit um unautorisierte Zitate
    Hier saß Kohl, in den Jahren 2001 und 2002, mehr als 600 Stunden mit dem als Ghostwriter angeheuertem Journalisten Heribert Schwan zusammen. Der nahm dessen Erzählungen für die Memoiren des Altkanzlers auf Band auf. Der Keller ist damit der Ausgangspunkt des Streits. Denn: Nachdem sich Kohl vor dem Erscheinen des vierten und abschließenden Bandes von Schwan trennte, veröffentlichte dieser im Jahr 2014 sein eigenes Buch: "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle". Darin zahlreiche Zitate, in denen Kohl sich negativ über politische Weggefährten äußerte. Zitate, die Kohl nie freigab. Der Altkanzler klagte. Und diese Prozesse überschatten nun die Erinnerungen.

    "Jetzt gehen wir beide in das Büro meines Mannes. Hier hat der Tische gestanden, den sie von dem Foto kennen, mit dem Mikrofon."
    Bücher mit dem Titel «Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle» liegen am 07.10.2014 in Berlin bei einer Pressekonferenz auf einem Stapel.
    Schwan veröffentlichte 2014 sein eigenes Buch "Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle" (dpa)
    Rund fünf Millionen Euro Schmerzensgeld, ein Verbot des Buches, das Schwan mit einem Ko-Autor schrieb, sowie die Herausgabe der Bänder. Das sind – verkürzt – die Forderungen in den Prozessen, die Maike Kohl-Richter, seit dem Ableben ihres Mannes, nun alleine gegen den Verlag und die Autoren erhebt.
    "Das eine ist der Vertrauensbruch, aber was mindestens genauso wiegt, das ist, dass das Buch eine Fälschung ist."
    Es ist dieser Kampf, den Kohl-Richter führt – und in dem sie sich, auch und gerade von der Öffentlichkeit, ungerecht behandelt fühlt. Bei der vorerst letzten Urteilsverkündung – die Verfahren liegen nun beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe – im Mai vor dem Oberlandesgericht Köln, zeigte sich, warum.
    Die Richter in Köln hatten – wie bereits alle Gerichte zuvor – geurteilt, dass Schwan niemals unautorisierte Zitate hätte veröffentlichen dürfen. Dennoch trat Schwan nach dem Kölner Urteil vor die Medien und betonte seine Rolle als Geschichtsschreiber:
    "Dass es hier darum geht, zu verhindern, dass diese Bänder im Keller landen und dass die Witwe, die damals noch die Geliebte oder später die Gattin des Kanzlers war, irgendwann die Deutungshoheit bekommt, über diese Geschichten."
    Schwan: "Journalistisch gesehen ist das absolut in Ordnung"
    Schwan, einst beim "Deutschlandfunk" beschäftigt, später dann Redakteur beim WDR sowie Buch-Autor, sieht sich im Recht:
    "Herr Schwan, da ist aber noch was anderes angesprochen worden: Da sind so böse Worte gefallen wie Falschzitate, Kontextveränderung. Was sagen Sie denn dazu?"
    "Das sind natürlich ziemlich harte Brocken. Wenn Sie als Journalist sich das Original, das Buch angucken und Sie von mir die Dateien bekommen zu den Zitaten, da werden Sie sehen, da ist nichts aus dem Zusammenhang gezogen. Es ist zusammengezogen worden und natürlich kann man das als Jurist so werten. Journalistisch gesehen ist das absolut in Ordnung. Es ist überhaupt nichts irgendwo verfälscht worden. Wir haben eine völlig andere Interpretation natürlich, als das hohe Gericht. Wir haben eine andere journalistische Interpretation als Juristen. Deswegen bleiben wir dabei. Ich weise es zurück. Keinerlei Fälschung."
    Heribert Schwan, Halbglatze, schwarze Brille, weißer Schnäuzer, in die Kamera blickend
    Der geschasste Ghostwriter: Heribert Schwan hat laut Gericht keinen Anspruch auf die Tonbänder, die er mit Kohl aufgenommen hat (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
    Eine Interpretation, die fragwürdig ist, das zeigen auch Unterlagen, die dem "Deutschlandfunk" vorliegen. Dennoch: Dies ging in der Berichterstattung fast unter. Die Schlagzeilen bestimmte die Tatsache, dass das avisierte Millionen-Schmerzensgeld nicht vererbbar sei.
    "Diese Kammer des Oberlandesgerichts hat entschieden, null Geld der gierigen Witwe. Das ist ein großer Tag und das freut mich ungemein. Vielen Dank."
    Kohl-Richter will Erbe ihres Mannes verwalten
    In Oggersheim steht Kohl-Richter noch immer im Keller. Auf dem braunen Amtsschreibtisch ihres verstorbenen Mannes liegen die Ehrenmedaillen, eine Unterschriftenmappe, dahinter Fotos von Konrad Adenauer und Bill Clinton. Zweifelsohne hat sie den Anspruch, das Erbe ihres Mannes zu verwalten. Sie ist ein politischer Kopf, eine Frau, die mitreden will, streitbar ist. Aber: Entgegen der öffentlichen Meinung, gehe es ihr darum, "dass wenn man was zu Helmut Kohl macht, dass man es im Einvernehmen mit mir macht. Es geht doch nicht darum, dass ich alleine herrsche, was ja schon vermessen genug wäre. Sondern, es geht doch darum, dass man einen Ansprechpartner hat."
    Das Erbe liegt bei ihr, die Söhne sind ausgezahlt – melden sich aber dennoch zur Wort, wie beispielsweise Walter Kohl im ZDF bei "Markus Lanz":
    "Da würde ich mir einfach wünschen, dass es eine Stiftung gibt, die, ganz wichtig, neutral-objektiv ist. Die außerhalb aller Familienmitglieder ist. Niemand, das ist meine feste Überzeugung, aus der Familie, egal, ob derjenige jetzt Walter, Peter, Maike, egal, wie er heißt, sollte in dieser Stiftung eine Rolle spielen."
    Für Maike Kohl-Richter ist dieser Vorschlag des Sohnes – das wird in allen Gesprächen mit ihr mehr als deutlich – keine Option:
    "Ich verstehe, dass die Menschen auf eine Helmut-Kohl-Stiftung warten, aber mein Mann ist jetzt seit ein bisschen mehr als einem Jahr tot. Und ich kann das eine nicht tun, ohne - ich muss erst das andere tun, ich muss den Boden bereiten, also: Es hilft mir nicht, wenn gutbürgerliche Freunde oder Bekannte zu mir sagen: Überschätzen Sie das Buch in seiner Wirkung mal nicht. Ich halte das für eine sehr gefährliche Zersetzungsstrategie."
    Stiftung soll in Deutschland angesiedelt sein
    Bis zu 15 Stunden am Tag widme sie sich den Prozessen. Diese müssen abgeschlossen sein, bevor sie sich konkret einer Stiftung zuwenden könne. Davon, dass diese, analog zu Kohls Trauerfeier im EU-Parlament in Straßburg, dann in einem europäischen Rahmen gegründet wird, hält sie aber nichts:
    "Also, um sehr offen zu sein: Ich würde Helmut Kohl nicht sehr gerne aus Deutschland heraustragen. Das würde mir nicht entsprechen. Das würde meinem Mann widersprechen, weil mein Mann immer sehr viel Wert auf Identität und Glaubwürdigkeit, Authentizität und Heimat gelegt hat. Also, es muss schon eine in Deutschland angesiedelte Stiftung sein."
    Formal müsste sie sich wohl ans Bundeskanzleramt wenden, doch auch das ist – Stichworte Parteispenden-Affäre, Bruch mit der CDU unter der damaligen Generalsekretärin und heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel – eine Hürde:
    "Natürlich habe ich, nach allem, was ich erlebt habe, zusammen mit meinem Mann, oder was mein Mann erlebt hat, ich habe jeden Grund, misstrauisch zu sein. Und das sehr seriös und ordentlich zu machen. Und ich habe nicht so richtig viel Grund, bestimmten Menschen und bestimmten Institutionen zu vertrauen."
    Schreibtisch Konrad Adenauers im Museum Stiftung Bundeskanzler Adenauer Haus in Rhöndorf.
    Adenauer-Haus in Rhöndorf (imago / Sepp Spiegl)
    Auf die wohl millionenschwere Unterstützung einer solchen, dann öffentlichen Stiftung durch den Bund, kann Maike Kohl-Richter aber wohl nicht verzichten. Die Helmut-Kohl-Stiftung wäre dann die siebte sogenannte Bundesstiftung, mit der herausragende Personen des Staates geehrt werden. Helmut Schmidt, Willy Brandt, Otto von Bismarck, Friedrich Ebert, Theodor Heuss und, als erste, die Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus. 1978, elf Jahre nach Adenauers Tod, wurde sie offiziell Bundesstiftung und ist in seinem ehemaligen Wohnhaus in Rhöndorf untergebracht:
    "Damals waren die Kinder schon in einem fortgeschrittenen Alter, hatten Familie und eigene Häuser und konnten auch nicht nach Rhöndorf ziehen, sag ich mal. Und das Haus wollte man auch nicht auf den Markt irgendwie bringen", erinnert sich Konrad Adenauer, der Enkel des Kanzlers, an diesen Präzedenzfall. Immer am zweiten Weihnachtstag treffen sich die Nachfahren in Rhöndorf, einem Stadtteil von Bad Honnef. Bis heute wirkt der Adenauer-Enkel in der Stiftung mit, hält Vorträge gibt Bücher heraus und wacht über das Erbe seines Großvaters. Auch er hat schon Prozesse geführt – weiß aber auch, dass es schwierig ist:
    "Das ist ein Streit dann von Historikern und so ist es bei Adenauer inzwischen auch wahrscheinlich, dass man, wenn er angegriffen würde, man das nicht prozessual bekämpfen oder so könnte. Man muss dann manches hinnehmen."
    Das kann er mit großer Gelassenheit sagen, angesichts der Tatsache, dass sich über die Jahre und Jahrzehnte – bei aller Kritik – ein positives Bild über seinen Großvater durchgesetzt hat. Dennoch: Was Rhöndorf im Fall Adenauer ist, wäre dann Oggersheim für Kohl? Aktuell aber lebt noch Kohl-Richter in dem Haus: Es sind auch solche praktischen Fragen, an denen die Stiftung hängt, auch wenn sie selbst sagt:
    "Man muss natürlich den Helmut Kohl auch anfassbar machen. Man muss den Leuten auch eine Möglichkeit geben, wie man so schön sagt, mal ins Schlafzimmer zu gucken, also mal in das Wohnzimmer zu gehen. Seine Strickjacken mal irgendwo hinhängen. Das gehört ja zu einer Stiftung dazu oder wie die Amerikaner sagen: Library. Museum würde ich das nicht nennen wollen. Also, ich habe nicht vor, Museumswärterin zu werden und, um es auf den Punkt zu bringen, deswegen stelle ich den Anspruch, auch aktuell was zu sagen zu haben."
    Gewisse Parallelen zum Fall Brandt
    Diesen Anspruch hatte einst auch Brigitte Seebacher-Brandt. Die Parallelen zum Fall Kohl sind offensichtlich:
    "Ziemlich schnell nach dem Tod brach sofort eine sehr hitzige Diskussion auf, weil damals die SPD alles haben wollte und das alleinige Verfügungsrecht haben wollte – und mir das bestritt."
    Brandt-Witwe Brigitte Seebacher bei der Ausstellung des Willy-Brandt-Nachlasses in Berlin 1996
    Brandt-Witwe Brigitte Seebacher bei der Ausstellung des Willy-Brandt-Nachlasses in Berlin 1996 (dpa)
    Brigitte Seebacher, einst Seebacher-Brandt, war 46 Jahre alt und die dritte Ehefrau des ehemaligen Bundeskanzlers und SPD-Parteivorsitzenden Willy Brandt. Nun sitzt sie in einem Keller-Raum der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, den Räumen des Willy-Brandt-Archivs. Auch sie hatte nach dessen Tod im Jahr 1992 Ärger mit den Kindern, die Partei wollte mitreden. Kritiker warfen ihr vor, aus Brandt im Nachgang einen Nationalkonservativen machen zu wollen. Sie schüttelt den Kopf:
    "Wenn eine Person bedeutend ist, wie Kohl sie war und Willy Brandt auch, unbestritten bei Freund und Feind, gibt es immer ganz viele Möglichkeiten, an die Person heranzugehen und auch eine Handlung so und auch anders auszulegen. Da gibt es nicht nur eine Deutung. Es muss auch meine geben dürfen."
    Amtliche Unterlagen und parteipolitische Dokumente nicht trennbar?
    Sie schrieb ein Buch, kontrolliert nun als ein auf Lebenszeit berufenes Mitglied im Kuratorium der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, wer mit den Akten arbeiten darf. Nach ihrem Tod, so ihr Wille, gehen ihre Rechte an die Willy-Brandt-Stiftung über. Dass beispielsweise die Eigentumsrechte bei der Gründung der Stiftung im Jahr 1994 nicht thematisiert wurden, sei Grundlage dafür gewesen, dass man eine Einigung habe finden können, erinnert sich der betreuende Archivar Sven Haarmann. Denn Probleme, den Nachlass einer Person der Zeitgeschichte zu trennen, gebe es genug: Was gehört dem Staat? Was der Partei? Was ist privat? Haarmann zieht ein Dokument hervor:
    "Also, wir haben hier zum Beispiel einen Vermerk, der in der SPD-Pressestelle entstanden ist, Referat Massenmedien, wo Willy von dem damaligen Referenten Lothar Schwarz, geschrieben wurde, dass es ein Fernsehstatement nach den Präsidentschaftswahlen in den USA geben soll, die Richard Nixon gewonnen hat, Oktober 1972."
    Das ZDF, liest Haarmann aus dem Vermerk vor, wolle von den vier Vorsitzenden der Bundestagsparteien ein Statement haben.
    "Das hat er also aus der SPD-Zentrale als Parteivorsitzender bekommen. Und sie sehen hier schon bei der Verfügung: Es ist in grüner Tinte geschrieben. Er hat es also als Bundeskanzler geschrieben. Mit dem Chef-Stift. Und: Was lesen Sie hier? 'Diese Disposition geht von der irrigen Voraussetzung aus, dass wir keine Regierung hätten. Ich gedenke mich zur Wiederwahl Nixons als Bundeskanzler zu äußern. Wenn das ZDF dies nicht akzeptiert, soll es mich am Arsch lecken.'"
    Haarmann hält kurz inne.
    "Was ist das? Ist das eine amtliche Unterlage oder ist das ein parteipolitisches Dokument? Man kann es nicht auseinander halten und man sollte es eben auch nicht trennen."
    Seebacher nickt. Sie hat mit dem Archiv in der partei-nahen Stiftung eine Lösung gefunden. Den Vergleich mit Kohl-Richter aber weist sie zurück:
    "Weil die Witwe Helmut Kohls einen Monopol-Anspruch erhebt und auch dabei bleibt, auch noch ein Jahr nach seinem Tode. Und diesen habe ich nie erhoben und hätte ich auch nie erheben dürfen."
    "Die Witwe, die auf den Akten sitzt - das ist unwahr"
    In Oggersheim, auf dem Weg in den Keller, hat Kohl-Richter auf eine Vielzahl von Umzugskartons gezeigt, die sich dort stapeln. "Das sind die Akten."
    Die Akten, die Kohl einst aus dem Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung abtransportieren ließ, lagern nun im Haus. Der Bundesrechnungshof rügte kürzlich das Bundeskanzleramt, dass man bei der Kontrolle der mitgenommenen Unterlagen zu nachlässig gewesen sei. Kohl-Richter sieht sich bei dieser Debatte erneut am Pranger:
    "Gucken Sie sich mal die Debatte um die Witwe an, die auf den Akten sitzt. Das ist respektlos, das ist unwürdig und das schlimme ist: Es ist unwahr."
    Wer dazu beim Bundesarchiv in Koblenz nachfragt, bekommt dies bestätigt: Man habe Frau Kohl-Richter angeschrieben, sagt Michael Hollmann, Präsident des Bundesarchivs, und "mittlerweile erfahren, dass Frau Kohl-Richter gegenüber dem Bundeskanzleramt erklärt hat, dass sich darin keine amtlichen Unterlagen im Sinne von Registratur-Gut des Bundeskanzleramtes befinden."
    Das Schreiben des Bundesarchivs kam allerdings schon wenige Tage nach Kohls Tod – und in der Berichterstattung darüber wurden früh Forderungen erhoben. Nun sagt Hollmann:
    "Natürlich sind wir auch der Meinung, dass das private Schriftgut von Helmut Kohl von historischem Interesse ist, aber das ist privates Eigentum und darüber zu befinden ist ausschließlich die Angelegenheit von Frau Kohl-Richter."
    In der Causa Kohl läuft die Zeit
    Genau geregelt ist dies aber nicht – und ein Grundsatzkonflikt, der aktuell unter Archivaren diskutiert wird. Dabei eigne sich der Fall Kohl, so Professor Hanns Jürgen Küsters, bis zum Sommer diesen Jahres Leiter des Archivs der Konrad-Adenauer-Stiftung, gar nicht dafür:
    "Weil wir bisher noch nicht wissen, wie der Nachlass Helmut Kohl sich wirklich von der archivarischen Seite her zusammensetzt, zum einen. Zum zweiten, weil die entsprechenden gesetzlichen Regelungen für eine Helmut-Kohl-Stiftung noch nicht vorliegen. Und zum dritten, weil wir hier es mit vielen Grundsatz-Problemen zu tun haben, wie man letztlich mit amtlichen Akten in solchen Politiker-Nachlässen umgeht."

    Im Fall Kohl aber laufe die Zeit, so Küsters:
    "Das Problem ist: Wenn die Akten nicht zur Verfügung sind, geht natürlich die aktuelle Zeitgeschichtsforschung, die immer an der 30-Jahres-Sperrfrist entlang arbeitet, natürlich irgendwann auch über diese Phase hinweg. Wenn mal die Ära Angela Merkel beendet sein wird, wird sich natürlich die Zeitgeschichtsforschung vor allen Dingen auch darauf konzentrieren und damit wird ganz logisch ein wenig auch das Interesse noch mal an der Erforschung der Ära Kohl in den Hintergrund gedrängt werden."
    Maike Kohl-Richter und Helmut Kohl sitzen nebeneinander, sie sagt etwas zu ihm.
    Maike Kohl-Richter und Helmut Kohl 2013. (dpa/picture alliance/Michael Kappeler)
    Es bleibt ein Dilemma, denn auf der anderen Seite läuft eben der Rechtsstreit, ist alles noch sehr emotional.
    "Der Medieneinfluss auf diese Diskussion, die Veröffentlichung von Freund- und Feind-Bildern. Wie wird Maike Kohl-Richter in der Öffentlichkeit dargestellt? Alleine das ist ein Thema für sich", sagt der Historiker Hans Peter Mensing. Mittlerweile pensioniert, hat er als Leiter des Editionsbereichs der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus knapp drei Jahrzehnte dessen Nachlass aufgearbeitet. Sieht er eine Lösung der Causa Kohl? Der erfahrene Historiker ist skeptisch:
    "Dieses Ding ist unberechenbar. Durch das Verhalten der Beteiligten, durch das große Interesse der Öffentlichkeit daran, auch jemanden an den Pranger zu stellen und dann vielleicht auch einen ganz Großen, die Kohl-Größe wird kaum jemand in Zweifel ziehen, so einen ganz Großen richtig klein zu machen. Schrecklich."
    "Deutschland hat ein Recht auf die Wahrheit"
    Die Gerichtsprozesse jedenfalls werden noch etwas andauern. Maike Kohl-Richter sitzt wieder am Esstisch. Aktuell befasst sich der Bundesgerichtshof in Karlsruhe mit den Verfahren. Sie wird weitermachen. Aber, durch alle Instanzen?
    "Wenn es Sinn macht. Wenn es sein muss. Und wenn es Sinn macht. Also, wir sind ja nicht naiv", sagt Kohl-Richter – und blickt auf die Vielzahl der von ihr verfassten Papiere:
    "Ich finde, dass Deutschland ein Recht auf die Wahrheit hat. Und da sollte mich Deutschland auch mal nicht unterschätzen. Und da sollte mich auch die Gegenseite nicht unterschätzen. Und die Gegenseite sollte die Menschen in Deutschland nicht unterschätzen. Die sind viel klüger, als wir manchmal glauben."
    Erinnerung ist ohnehin dynamisch – und bei jedem anders. Auch im Fall von Helmut Kohl.