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Streit um einen unbekannten Roman

Durak: Über die Freiheit des Wortes, des Schriftstellers und auch der Medien, sowie ihrer Verantwortung, darüber habe ich mit einem Mann gesprochen, der zweierlei Erfahrungen damit gemacht hat, im Osten wie im Westen Deutschlands, vor und nach der Wende, Erich Loest. Der Anlass unseres Gespräch ist die Auseinandersetzung um das noch nicht erschienene und im Grunde auch noch nicht gelesene Walser-Buch 'Tod eines Kritikers'. Die Auseinandersetzungen gehen wohl weit über persönliche Kontroversen zwischen Walser und Reich-Ranicki hinaus. Ich habe Erich Loest gefragt: Kann die Freiheit des Wortes und damit des Schriftstellers in der Demokratie grenzenlos sein?

    Loest: Sie sind nicht grenzenlos. Wir haben im Grundgesetz einen Satz, und er lautet: Zensur findet nicht statt. Der Staat mischt sich nicht ein. Eine Grenze gibt es; das ist das Verbot, den Holocaust zu leugnen. Wer das äußert, wird bestraft. Das ist mehrfach geschehen, und es werden sicherlich wieder in Randverlagen obskure Blätter herauskommen. Es ist nicht einfach, das im Internet zu verbreiten. Aber verboten ist es nach wie vor.

    Durak: Finden Sie, dass hierzulande Zensur stattfindet?

    Loest: Nein. Wer bei einem Verlag, bei einem Radio irgendwo nicht angenommen wird, der kann zum nächsten gehen.

    Durak: Sie verweisen auf den Staat. So steht es im Grundgesetz. Das sind auch sozusagen die Regeln, die Sie und ihre Kollegen beachten, das wird hier auch nicht schwer fallen, das ist ganz klar. In dem Fall, über den wir sprechen, greift nicht der Staat ein, sondern ein Medium.

    Loest: Zensur ist immer staatliche Zensur, und wo greift hier ein Medium ein? Ein Verlag bringt ein Buch nicht. Und jeder Verlag, jede Zeitung, jedes Radio lehnt jeden Tag ab. Hier ist nun ungewöhnlich, dass Herr Schirrmacher einen Brief, den er auch mit der Post hätte schicken können, sofort in die Zeitung gebracht hat, und jetzt ist hier sehr viel Verwirrung. Hier sind verschiedene politische Ansichten offensichtlich. Mit Zensur hat das nichts zu tun.

    Durak: Selbstgesetzte Grenzen des Schreibenden, also auch von Schriftstellern, wo liegen sie, unabhängig von dem, was im Grundgesetz steht? Liegen sie in seiner Verantwortung, auch gegenüber dem eigenen Wort?

    Loest: Ja, natürlich. Und wer politische Ansichten hat, wer auch Hass oder Abscheu gegen einen anderen Menschen hat, der ihm wehgetan hat, der wird immer an Grenzen des Geschmacks stoßen, er wird an Widerspruch, Erfahrung sammeln können, was die andere Seite sagt. Wenn jemand hier die DDR verherrlicht, was in letzter Zeit vorgekommen ist, dann habe ich die Möglichkeit, dagegen zu schreiben, das zu kritisieren. Das sind verschiedene politische Standpunkte, die aufeinander prallen, die ausgetragen werden. Dann kommt Geschmack hinein, guter oder schlechter Geschmack, die Möglichkeit des Verrisses, auch der persönlichen Schmähung, das ist auf diesem breiten Feld alles möglich.

    Durak: Missbraucht hier jemand seinen großen Ruf, seine großen Einflussmöglichkeiten für eine ganz persönliche Fehde?

    Loest: Das weiß ich nicht, weil ich das nicht gelesen habe, und Sie haben es wahrscheinlich auch nicht gelesen. Das muss man erst mal sehen. Es ist möglich, dass heute oder morgen der Suhrkamp-Verlag ablehnen wird, dieses Buch zu bringen. Ich möchte wetten, am nächsten Tag sind zehn Verlage da, die es gerne drucken wollen. Also wo ist da Zensur?

    Durak: Wann beginnt Zensur in der Demokratie?

    Loest: Es gibt keine.

    Durak: Weshalb wehrt sich dann ein solcher Schriftsteller so gegen die Kritik, die er ja irgendwie ausgelöst hat? Können Sie das nachvollziehen, verstehen, erklären?

    Loest: Ja, natürlich kann ich das. Walser hat etwas geschrieben, und er hat mit einer Wirkung gerechnet, die nun ganz ins Gegenteil umschlägt. Ich habe ihn ein paar Mal auf verschiedenen Sendern gesehen. Er gibt ja nun täglich ein Interview und wird gefragt, wird immer erregt und versteht die Welt nicht mehr. Und er hat sich etwas ganz Anderes vorgestellt als das, was jetzt geschieht. Ihm wird auf die heftigste Art widersprochen. Mit der Art des Schirrmacher-Briefes eben nicht durch die Post, sondern gleich in die Öffentlichkeit, ist etwas sehr Ungewöhnliches geschehen, und so werden noch tagelang die Fetzen fliegen.

    Durak: Die Fälle Möllemann - Friedmann und Walser - Reich-Ranicki werden ja zusammengebunden, seitdem sie sozusagen auf dem Markt sind. Sind das wirklich nur persönliche Fehden, oder fallen sie in einer ganz bestimmten Zeit auf sehr fruchtbaren Boden?

    Loest: Ich vermische das nicht. Die Reich-Ranicki- und Walser-Sache ist zunächst eine literarische Debatte, von der wir den Inhalt nicht kennen. Was Möllemann losgetreten hat, indem er den Juden Friedmann beschuldigt hat, er sei durch sein Auftreten Schuld an antisemitischen Äußerungen, ist eine harte Sache. Das ist fies, das ist böse, das ist schon die alte Methode der Antisemiten, den Juden die Gründe für den Antisemitismus in die Schuhe zu schieben. Das sind politische Debatten. Hier ist Möllemann weit über den Geschmack, über das politisch Zulässige hinausgegangen, und er hat den kräftigen Widerspruch bekommen. Er bringt seine Partei in eine ganz schlimme Lage, und das geschieht ihm recht.

    Durak: Vor dem Hintergrund dessen, was Sie eben schildern: Darf ein deutscher Schriftsteller dann erst recht alles schreiben, was er will, vorausgesetzt, er beachtet den erwähnten Grundgesetzartikel?

    Loest: Er darf nicht gegen die Verbrechen der Nazis schreiben. Er darf nicht sagen: Diese Verbrechen gegen die Juden hat es nicht gegeben. Damit würde er sich strafbar machen. Das würde auch gar kein Verlag, der einen Namen hat, drucken. Das kann nur im Winkel geschehen. Alles andere ist dann politische Verantwortung, politische Ansicht. Ihm kann und muss widersprochen werden, aber von vorne herein eine Schranke aufrichten, eine Befehlsschranke, eine Strafschranke, wäre staatliche Zensur, und die wollen wir nicht, denn wo ist das dann Ende? Hier urteilen Menschen, und das ist in Paragraphen nicht zu fassen. Ich bin schon dafür, dass wir bei diesem Zustand, den wir Gott sei Dank haben, bleiben.

    Durak: Selbst auf die Gefahr hin, dass noch Minderheiten wachgerufen werden und sich durch solche Persönlichkeiten bestärkt fühlen?

    Loest: Ich weiß nicht, wer sich bestärkt fühlen soll durch einen Roman. Also er ist ja noch nicht da, und der Möllemann hat ja nun schwer eins auf die Finger gekriegt dafür, und er wird sich auch noch entschuldigen müssen. Er hat seiner Partei geschadet, er hat unserer Demokratie geschadet. Das ist etwas Anderes als ein Buch, vor allen Dingen ein Buch, das ich noch gar nicht kenne.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio