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Streit um Kohlekraftwerke
"Wir werden die Klimaziele nicht erreichen"

Um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, könne man mehr machen, als nur eine Abgabe einzufordern, sagte der NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) im DLF-Interview. Das Problem bestehe unter anderem in veralteten Kohlekraftwerken. Remmel plädierte für Mindestwirkungsgrade, um die Effizienz von Kraftwerken zu steigern.

Johannes Remmel im Gespräch mit Dirk Müller | 20.05.2015
    Der Umweltminister von Nordrhein-Westfalen, Johannes Remmel (Grüne)
    Der Umweltminister von Nordrhein-Westfalen, Johannes Remmel (Grüne) (imago / Rainer Unkel)
    Nach Ansicht von Remmel, gehen die geplanten CO2-Einsparungen der Bundesregierung nicht weit genug, um die anvisierten Klimaschutzziele zu erfüllen. Vielmehr bedürfe es neuer Kraftwerke, die einen höheren Wirkungsgrad und mehr Effizienz aufweisen, als die bisherigen. Der Grünen-Politiker beklagte auch, dass neue Kraftwerke nicht ans Netz gelassen würden. Man müsse sich in diesem Zusammenhang die Frage stellen, wie der Energiemarkt in Zukunft strukturiert sein soll.
    Bestehende Kraftwerke könnten in eine Reserve zur Versorgungssicherheit überführt werden und in Richtung Hocheffizienz umgerüstet werden, um den Wegfall von Arbeitsplätzen zu vermeiden. Gegner der von Sigmar Gabriel vorgeschlagenen Kohleabgabe befürchten genau das.
    Hintergrund der Debatte ist die Absicht der Bundesregierung, den CO2-Ausstoß fossiler Kraftwerke bis 2020 um weitere 22 Millionen Tonnen zu senken. Die geplante Abgabe ist umstritten, in der Energiebranche ebenso wie bei den Gewerkschaften. Sie soll für Meiler gelten, die älter sind als 20 Jahre.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Noch ein Streitpunkt, der am Arbeitsklima in der Großen Koalition nagt: Die Auseinandersetzung darüber, ob die Energiekonzerne demnächst eine Klimaabgabe für die Braunkohleproduktion entrichten sollen. Alles erfunden von Sigmar Gabriel. Ist der Druck von Union und Kohlelobby im Land vielleicht dann doch etwas zu stark geworden in den vergangenen Wochen, denn der SPD-Chef soll eingeknickt sein? Es heißt, dass die geplante CO2-Abgabe doch nicht so hoch ausfallen wird wie ursprünglich vorgesehen.
    Ein Zugeständnis an die Gewerkschaften, die um die Zukunft der Reviere in Mitteldeutschland, der Lausitz und auch im Rheinland mit zehntausenden Arbeitsplätzen fürchten. Aber das ist alles immer noch viel zu hoch, die geplante Abgabe, sagen RWE und Vattenfall, sagen viele in der CDU/CSU. So hat die Kanzlerin die ganze Sache jetzt wohl auch zu ihrer Sache gemacht, nämlich zur Chefsache. Das ist schlecht für Sigmar Gabriel. Gestern Abend gab es offenbar ein Treffen zwischen dem SPD-Chef und der Kanzlerin, ohne Ergebnis bislang jedenfalls für uns, für die Öffentlichkeit, für die Medien. - Wir wollen über das Thema sprechen mit dem Grünen-Politiker Johannes Remmel, Umweltminister von Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen.
    Johannes Remmel: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Müller: Herr Remmel, verliert wieder einmal der Klimaschutz?
    Remmel: Es ist schon ein bisschen grotesk zurzeit: Die Kanzlerin auf Konferenzen zur Vorbereitung von dem wichtigen Gipfel in Paris auf der einen Seite, schöne Bilder und Appelle, alle müssen liefern, und wenn es dann um die eigene Lieferung geht - und das ist ja nicht irgendein Ziel, sondern die Kanzlerin und der Bundeswirtschaftsminister haben eine Verpflichtung, eine internationale ausgesprochen, dass man 40 Prozent bis 2020 an CO2 einsparen will. Und wenn wir das nicht schaffen, wie sollen das andere schaffen.
    Müller: Aber Sie haben jetzt einen Wirtschaftsminister, einen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Auf den setzen Sie, oder haben Sie gesetzt. Wird er Sie jetzt enttäuschen?
    Remmel: Na ja. Das was offiziell in der Diskussion ist, ist eine Möglichkeit - und so habe ich die Kanzlerin auch verstanden -, dass selbstverständlich auch mehrere Möglichkeiten diskutiert werden, um die Klimaziele zu erreichen. Da gibt es eine Lücke, die nicht gefüllt wird durch den Emissionshandel, weil der jedenfalls in der Breite nicht funktioniert, und zum zweiten wir tatsächlich - das ist das Groteske - im Stromerzeugungsbereich Überkapazitäten haben, die dann den hohen CO2-Ausstoß auch verursachen. Deshalb ja das Konzept der Bundesregierung, im Dezember schon besprochen und beschlossen, hier zusätzliche 42 Millionen Tonnen bis 2020 einzusparen. Dass da eine gewisse Aufregung entsteht, war einerseits zu erwarten. Andererseits war es seit Dezember beschlossen. Insofern kannte das jeder.
    "Es geht um die Frage, wie der Energiemarkt in Zukunft strukturiert ist"
    Müller: Also stimmt das, wenn ich eben versucht habe, vorsichtig zu formulieren, Sigmar Gabriel soll eingeknickt sein?
    Remmel: Das ist eine Vermutung anhand von Papieren, die wer auch immer in die Öffentlichkeit gestreut hat. Dass es im Moment einen Prozess gibt, wo verschiedene Modelle gerechnet werden, das hatte der Bundeswirtschaftsminister ja selber angekündigt. Was jetzt öffentlich geworden ist, bedeutet ein Abgehen von den ursprünglichen Zielen. Aus meiner Sicht geht man unter der Latte durch.
    Und das, was an zusätzlicher Kompensation noch mit ins Spiel gebracht worden ist, nämlich im Bereich der Kraftwärmekopplung etwas mehr zu tun, holt eigentlich nur das auf, was man vorher schon zurückgenommen hatte. Da ist die Vorstellung, bei der Kraftwärmekopplung den Deckel etwas zu erhöhen auf 1,5 Milliarden, aber auch das wird nur knapp ausreichen, um die ursprünglichen Ziele zu erfüllen. Man spielt hier dreimal den Joker aus. Das funktioniert nicht.
    Müller: Herr Remmel, um das vielleicht noch mal ein bisschen deutlicher zu machen. Sie haben die Zahlen schon mal genannt, ich möchte sie noch einmal ganz kurz für die Hörer sortieren. Das Ziel ist, bis 2020 - da geht es jetzt um die Kraftwerke - um 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid einzusparen. Das ist das ursprüngliche Ziel, worauf man sich geeinigt hatte, um dann das große Klimaziel zu erreichen, 40 Prozent weniger Kohlendioxid-Ausstoß.
    Jetzt die neueste Zahl, über die wir jetzt unter anderem ja auch reden, 16 Millionen Tonnen steht da zur Diskussion. Das heißt, wir haben eine Diskrepanz von sechs Millionen Tonnen. Wenn das so kommen sollte, wenn das der Kompromiss von Schwarz-Rot, der Großen Koalition in Berlin sein sollte, ist das dann so, dass wir diese 40 Prozent, dieses Ziel, was wir weltweit zugesagt haben, nicht mehr erreichen können?
    Remmel: Gut, man muss sehen: Das ist ja eine zusätzliche Einsparung zu den ohnehin nötigen Einsparungen, die im Bereich von 70 Millionen Tonnen liegen, die bis 2020 noch erreicht werden sollen. Da gibt es natürlich Schwankungsbreiten, aber nach unseren Berechnungen und auch verschiedener Institute werden wir damit die Klimaziele minus 40 Prozent so nicht erreichen. Ich meine, es kommt ja auch noch ein anderer Aspekt dazu, den man auch klar sehen muss.
    Wir haben hier sehr alte Kraftwerke mit einem sehr geringen Wirkungsgrad und die sind größtenteils abgeschrieben, verdienen richtig Geld und belasten das Klima. Auf der anderen Seite werden Kraftwerke die sehr effizient sind, die neu sind, nicht ans Netz gelassen. Hier gibt es auch eine Marktverwerfung. Es ist nicht nur der Klimaschutz, der hier maßgeblich ist, sondern auch die Frage, wie zukünftig unser Energieerzeugungsmarkt strukturiert ist: Wollen wir sozusagen mit Oldtimern fahren, oder wollen wir hoch moderne effiziente Kraftwerke.
    "Das Spielfeld ist breiter, als nur eine Abgabe einzufordern"
    Müller: Jetzt gibt es allerdings auch noch Tausende Arbeitsplätze, die da dranhängen. Lässt Sie das kalt?
    Remmel: Das lässt mich selbstverständlich nicht kalt. Deshalb auch die Verabredung innerhalb der Landesregierung und mit der klaren Positionierung gegenüber Berlin, keine Strukturbrüche. Das ist aber meines Erachtens auch erreichbar, weil wir zum Beispiel vorschlagen, Teile der alten Kraftwerke auch in eine Kapazitätsreserve für die Versorgungssicherheit zu führen, in Teilen ein Angebot zu machen für Umrüstungen in Richtung Hocheffizienz, da immer wo es geht.
    Ich glaube, dass das Spielfeld etwas breiter ist, als nur eine Abgabe einzufordern. Das ist Gegenstand unserer Anstrengungen zurzeit in Berlin. Im Übrigen haben wir uns hier in Nordrhein-Westfalen sehr früh im Koalitionsvertrag auf ein etwas anderes Instrument verständigt, indem wir vorschlagen, dass Mindestwirkungsgrade einzuführen sind. Meines Erachtens ist das auch von der rechtlichen Umsetzung etwas einfacher. Weil in der Tat: Es geht darum, mit möglichst wenig Energieeinsatz möglichst hohe Effizienz zu erzielen und wenig CO2 auszustoßen, und das regelt man normalerweise über das Bundesemissionsschutzgesetz.
    Müller: Wir geben Ihre Aussagen gleich weiter an unseren nächsten Gesprächspartner. Danke ganz herzlich an den Grünen-Politiker Johannes Remmel, Umweltminister von Nordrhein-Westfalen. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Remmel: Ihnen auch! Machen Sie es gut.
    Müller: Danke sehr. Gleichfalls!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.