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Streit um "Mein Kampf" in den Niederlanden
Eine fast nicht kommentierte Ausgabe

Adolf Hitlers "Mein Kampf" gibt es jetzt auch auf Niederländisch. Die Ausgabe ist jedoch ganz anders aufgebaut als die deutsche: über weite Strecken pur, nur mit einem Vorwort sowie hinführenden Texten zu den einzelnen Kapiteln, ansonsten unkommentiert. Nun wird darüber gestritten, wieviel man einem Leser heutzutage zutrauen darf.

Von Malte Pieper | 09.09.2018
    Buchdeckel von "Mein Kampf"
    Unter dem Titel "Mijn strijd" ist das Buch von Adolf Hitler jetzt auch in den Niederlanden erhältlich. (picture alliance / dpa / CTK Pesko)
    Als der Historiker Christian Hartmann vor einigen Tagen zur besten Sendezeit im niederländischen Fernsehen zugeschaltet wird, kann man dem Historiker vom Münchner Institut für Zeitgeschichte seine Wut sofort ansehen. Seine Fassungslosigkeit darüber, was seine niederländischen Kollegen da getan haben. Hitler nahezu ungefiltert auf die Menschen loszulassen:
    "'Mein Kampf' ist eine einzige Lügenschrift. Das Buch arbeitet permanent mit Verdrehungen, Lügen und auch den klassischen Halbwahrheiten eines jeden Demagogen. Es ist eine klare Überforderung, wenn man verlangt, dass Leser dies alles erkennen sollen. Es ist damit auch Verantwortungslosigkeit!"
    Lieber Einleitung als Fußnoten
    Hartmann ist nicht irgendwer. Hartmann war Projektleiter für die so genannte "kritische Ausgabe" von "Mein Kampf", die Anfang 2016 in Deutschland erschien. Die erste wissenschaftlich kommentierte Gesamtausgabe bei uns seit dem Krieg. Fast 2.000 Seiten stark. Aber nicht Hitlers Gedanken machen das Buch so dick, es sind mehr als 3.700 Fußnoten, die jedes Details erklären und wie ein "Cordon sanitaire", wie ein Schutzgürtel, die Ansichten des Diktators abfedern sollen. Damit sich ja kein Leser mehr von ihm anstecken lassen möge, so das deutsche Verständnis. Hartmanns niederländischer Kollege, Willem Melching, winkt da nur ab:
    "Ach was, Fußnoten und dann noch so viele, die liest doch kein Mensch", bescheidet der Amsterdamer im niederländischen Fernsehen knapp. Willem Melching setzt in der nun erschienen Ausgabe von "Mein Kampf" ("Mijn Strijd") statt auf 3.700 erläuternde Fußnoten und einen wahren Erklärungsapparat lieber auf ein pointiertes Vorwort sowie vergleichsweise kurze Einleitungen zu den einzelnen Kapiteln Hitlers. (…) Melchings Begründung: (*)
    "Sein Standpunkt ist doch sehr einfach, wenn auch ziemlich schockierend. Er sagt: Es muss einen Weltkrieg geben. Deutschland muss neuen Lebensraum erobern. Dabei wird es Opfer geben. Aber damit Deutschland sicher gewinnen kann, müssen die Juden aus der Gesellschaft verschwinden."
    Diese barbarische Denkweise Hitlers erkennt der Leser des Jahres 2018 von selbst, ist sich der Amsterdamer Historiker sicher: "Vergessen Sie nicht, Holland war Opfer und nicht Täter im Nationalsozialismus."
    Und Verleger Mai Spijkers verweist auf ein Gremium namhafter niederländischer Experten, von dem er sich vor Beginn des Projektes dezidierten Rat eingeholt hat:
    "Die haben gemeinsam beschlossen, dass dieser Ansatz für die Niederlande der beste ist. Ganz einfach, weil es schon eine wissenschaftliche Ausgabe in Deutschland gibt und jeder, der mehr wissen will, es darin finden und lesen kann."
    Auch der Verleger ist umstritten
    Doch es ist nicht nur Spijkers Tat, Hitler quasi "pur" zu veröffentlichen, der für Diskussionen in den Feuilletons sorgt. Es ist auch der Verleger selbst, denn Spijkers ist kein Unbekannter in den Niederlanden. In seinem "Prometheus"-Verlag erschien auch schon "Fifty Shades of Grey" sowie das "Tagebuch der Anne Frank":
    "Für mich selbst wäre das kein Problem. Deshalb habe ich Kontakt mit der Anne Frank Stiftung in Basel aufgenommen und denen das Projekt vorgestellt. Die Reaktion von dort: Machen Sie mal, es ist wichtig, dass eine gute Ausgabe erscheint."
    Mit dem Blick von außen, gerade aus Deutschland, eine vielleicht nur schwer nachvollziehbare Argumentation. Christian Hartmann vom Münchner Institut für Zeitgeschichte, in dessen Verlag die kritische deutsche Ausgabe von "Mein Kampf" erschien, zieht einen ganz anderen Schluss. Wenn der Verleger von "Fifty Shades of Grey" nun auch Adolf Hitler verlege, dann bedeute das nur eins:
    "Es geht hier definitiv nicht um wissenschaftliche Aufklärung, es sind primär kommerzielle Interessen. Und das kann eigentlich nicht Sinn der Sache sein!"
    Bedenken, die in der niederländischen Diskussion eher am Rande vorkommen.
    (*) In der ersten Fassung des Beitrags hieß es, dass die Autoren der niederländischen Ausgabe von "Mein Kampf" lediglich Erläuterungen in Form einer vierseitigen Einleitung beifügten. Das stimmt so nicht, weil es darüber hinaus noch hinführende Texte zu den einzelnen Kapiteln des Buches gibt.