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Streit wegen Braunkohletagebau
Tschechien will Polen verklagen

Polen will seinen Braunkohletagebau Turow an der tschechischen Grenze ausbauen. Die Regierung in Prag befürchtet dadurch ökologische Nachteile für Gemeinden auf tschechischer Seite - und will gegen Polen am EuGH klagen.

Von Florian Kellermann |
Das Turow-Werk das 8 Prozent der polnischen Energieversorgung erzeugt. Der Eigentümer beider Anlagen, die PGE Group, plant, den Abbau am Standort bis 2044 fortzusetzen.Die Turow-Mine befindet sich in der Nähe der tschechischen und deutschen Grenze.
Der Turow-Werk befindet sich in der Nähe der tschechischen und deutschen Grenze. (CTK / Radek Petrasek)
Ganz im Südwesten von Polen liegt ein kleines Gebiet, das wie ein Zipfel ins südliche Nachbarland Tschechien hineinragt. Es ist das Gebiet um die Stadt Bogatynia in Niederschlesien mit ihren etwa 18.000 Einwohnern.
Die Menschen in Bogatynia leben vor allem von Braunkohle, die in der Gegend seit 120 Jahren abgebaut und in einem Kraftwerk auch gleich verfeuert wird. Der Tagebau, der "Turow" genannt wird, hat viele Furchen in die Landschaft gegraben. Eine Mondlandschaft ist entstanden, wo früher Kurorte lagen.

Auswirkungen sind auf Tschechiens Seite spürbar

Besonders dramatisch sind die Auswirkungen des Kohleabbaus aber nicht auf der polnischen Seite, sondern auf der anderen Seite der Grenze – in der tschechischen Region Liberec.
Je weiter der Tagebau fortschreite, desto mehr nähere er sich der polnisch-tschechischen Grenze an, sagt Jakub Gogolewski von der polnischen Umweltschutzorganisation "Entwicklung ja, Abbau nein". Er steht in engem Kontakt zu den tschechischen Lokalpolitikern:
"In einigen Punkten, wo Wasser gewonnen wird, wird es bald gar keine Vorkommen mehr geben. Einige Tausend Einwohner des Liberecer Gebiets werden kein Wasser mehr haben. Schon jetzt müssen sich viele Haushalte entscheiden, ob sie die Waschmaschine einschalten oder eine Dusche nehmen, weil das Wasser für den alltäglichen Verbrauch nicht ausreicht."
Deshalb will Tschechien nun Klage einreichen. Der Europäische Gerichtshof soll entscheiden, ob der weitere Abbau der Braunkohle rechtmäßig ist. Nach Ansicht von Prag verstoße Polen gegen mindestens vier verschiedene EU-Direktiven. Insbesondere die Umweltverträglichkeitsprüfung, die von polnischer Seite durchgeführt wurde, wird im Nachbarland angezweifelt. Tschechien fordert auch – bis zu einer Entscheidung des EU-Gerichtshofs – einen sofortigen Förderstopp.

Jahrelanger Streit zwischen beiden Seiten

Es ist die erste EU-Klage zwischen Polen und Tschechien. Mit einer langen Vorgeschichte, sagt Jakub Gogolewski:
"Es gab ein Schlichtungsverfahren, geleitet durch die EU-Kommission, das drei Monate dauerte. In der vergangenen Woche war dann der tschechische Außenminister Tomáš Petříček in Warschau und hat noch einmal versucht, eine Lösung zu finden. Aber auch das ist misslungen. Letztendlich haben sich die beiden Seiten in einem jahrelangen Streit keinen Zentimeter angenähert."
Das staatlich kontrollierte polnische Energieunternehmen PGE beutet die Vorkommen mit einer polnischen Konzession aus, die noch aus den 1990er Jahren stammt, also aus einer Zeit vor dem EU-Beitritt von Polen und Tschechien. Im vergangenen Jahr wurde diese Fördergenehmigung um sechs Jahre verlängert, unter unklaren Umständen. Gleichzeitig beantragte PGE eine neue Konzession, die es erlauben würde, die Vorkommen bis zum Jahr 2044 auszubeuten.
Marek Suski, Abgeordneter der rechtskonservativen polnischen Regierungspartei PiS, erklärte vor wenigen Tagen im öffentlichen Radio:
"Dieser Winter hat gezeigt, dass wir noch auf Kohle als Energiequelle angewiesen sind. Solarenergie gab es fast gar keine, und auch die Windkraftanlagen haben kaum Strom geliefert. Natürlich ist es so, dass der Kohleabbau, wie jede menschliche Tätigkeit, auch negative Folgen hat."

Polen: Kohle noch als wichtige Energiequelle

Allerdings wird es für Polen nicht leicht werden, sich vor dem EU-Gerichtshof zu behaupten. Denn auch die EU-Kommission deutete bereits in einer Stellungnahme vom vergangenen Dezember an, dass Warschau EU-Richtlinien verletzt habe.
Die Kritik am Vorgehen der polnischen Regierung und am Energiekonzern PGE wachse deshalb auch auf der polnischen Seite, auf kommunaler Ebene, sagt Jakub Gogolewski:
"In Zgorzelec, in der Hauptstadt des Landkreises, fürchten Kommunalpolitiker schon, die kompromisslose Haltung der PGE könnte der Region schaden. Sie könnte dazu führen, dass sie keine EU-Mittel für den Klima-Fonds bekommt, die jetzt aufgelegt werden. Dass die Region also langfristig verliert."
Zumal Polen im Prozess vor dem EU-Gerichtshof Federn lassen werde, meint Gogolewski. Er rechnet damit, dass Polen gegenüber Tschechien zumindest Schadenersatz leisten muss – und den Tagebau Turow schon deshalb deutlich früher beenden werde als 2044.