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Streitthema Soziales
Deutschland wählt in Europa

Ob handschriftlich oder gedruckt - das "soziale Europa" zählt zu den Versprechen im Wahlkampf 2017. Neu ist die Zusage nicht. Was lebt Deutschland den Nachbarn in Europa vor?

Diskussionsleitung: Volker Finthammer, Deutschlandradio |
    Die Nationalfahne von Deutschland und die Flagge der Europäischen Union wehen im Wind
    Eine Reform der EU wird nach der Bundestagswahl vermutlich eines der zentralen Projekte sein (dpa/picture alliance/Patrick Pleul)
    Wie stark wird die soziale Frage das Wahlergebnis beeinflussen? Und kann der Wahlausgang in Deutschland die soziale Agenda in Brüssel beeinflussen?
    Die soziale Frage: Kaum Thema im Wahlkampf - trotz hohen Armutsrisikos
    Der Sozialstaat in Deutschland sei stark, aber das Armutsrisiko sei trotz Wirtschaftsbooms in den vergangenen zehn Jahren gestiegen, unterstrich Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. 40 Prozent der Deutschen hätten kein Nettovermögen.
    Dennoch finde die soziale Frage im Wahlkampf so gut wie nicht statt, unterstrich der Journalist Ferdinand Knauss von der "Wirtschaftswoche".
    Dierk Hirschel, Chefökonom der Gewerkschaft Verdi widersprach. Natürlich sei die soziale Frage ein Thema, nicht zuletzt der Sozialdemokraten, der Linken und der Grünen. Es sei "absoluter Blödsinn" zu glauben, die Agenda 2010 habe zur Rekord-Erwerbstätigkeit beigetragen. Vielmehr sei es zu einer Umverteilung der Arbeit "hin zu prekären Bedingungen" gekommen, aus Vollzeitjobs seien Minijobs, Leiharbeit und geringfügige Beschäftigung geworden.
    Dorothea Siems, Chefkorrespondentin der Zeitung "Die Welt" betonte, nicht die soziale Frage, sondern Terror, Innere Sicherheit, Zuwanderung beschäftigten die Wähler. Die Wirtschaftslage in Deutschland sei außerdem nicht so prekär wie der Gewerkschaftsvertreter dies darstelle.
    Marcel Fratzscher betonte, von Armut betroffene Menschen wählten häufig gar nicht oder aber extreme Parteien. Das sei ein Problem für die Gesellschaft. Die Teilhabe könne nur über bessere Qualifizierung gelingen.
    Zur Juncker-Rede: Viel Kritik, wenig Zuspruch
    Das Problem in Europa sei der Euro, betonte Ferdinand Knauss. Die Forderung von EU-Kommissionspräsident Juncker nach Ausweitung der Euro-Zone halte er für "grundsätzlich falsch". Juncker lebe offenbar in einer Blase.

    "Die Euro-Zone ohne politische Union funktioniert ja jetzt schon nicht", unterstrich auch Dierk Hirschel, Chefökonom der Gewerkschaft Verdi. Jean-Claude Juncker spreche nun von sozialen Standards in Europa, dabei habe er die soziale Spaltung der vergangenen Jahre maßgeblich mit zu verantworten.
    DIW-Präsident Marcel Fratzscher hielt dagegen: Die nationalen Regierungen seien für fehlende soziale Standards verantwortlich, Juncker könne da nur appellieren.
    Die Forderung Frankreichs nach einem Budget für die Euro-Zone dürften für Deutschland teuer werden, betonte der Journalist Knauss. Ein gemeinsamer Haushalt zum Zwecke von Investitionsprogrammen helfe den Problemländern, also auch Frankreich. Deutschland würde "zur Kasse gebeten".
    Auch Dorothea Siems, "Die Welt", äußerte die Sorge, dass Berlin in der nächsten Legislaturperiode den Pariser Plänen zustimmen werde. Das könne unabsehbare Folgen haben und die EU am Ende sprengen, denn die Bereitschaft zur Vertiefung der EU sei vielerorts nicht vorhanden.
    DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagte, ein größerer finanzieller Beitrag Deutschlands in Europa sei denkbar. Die Frage sei aber, ob das schlecht investiertes Geld wäre. Die Bundesrepublik sei schließlich ein großer Gewinner der europäischen Integration und nur mit einem starken Europa im Rücken könne Deutschland seine starke Position im Welthandel halten, insofern sei dies "gut angelegtes Geld".
    Alle Teilnehmer gehen davon aus, dass eine Reform der EU nach der Bundestagswahl eines der zentralen Projekte sein wird.
    Es diskutierten:
    • Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung
    • Dierk Hirschel, Chefökonom der Gewerkschaft Verdi
    • Ferdinand Knauß, politischer Reporter und Redakteur beim Magazin "WirtschaftsWoche"
    • Dorothea Siems, Chefkorrespondentin für Wirtschaftspolitik der Zeitung "DIE WELT"