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Streusalz kann man "nur beschränkt lagern"

Städtebund-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg erklärt die Halbwertzeit von Streusalz und gibt Kritikern zu bedenken: 450.000 kommunale Straßenkilometer müssten täglich von Schnee und Eis befreit werden - rund um die Uhr.

22.12.2010
    Friedbert Meurer: Köln ist die viertgrößte Stadt Deutschlands und eigentlich sagt man ihren Bewohnern eine positive Lebenseinstellung nach, frei nach dem Motto "et hät noch immer jot jejange". Dann ging einmal nicht alles gut. Das Stadtarchiv stürzte ein und begrub zwei Menschen unter sich. Seitdem finden die Kölner möglichen Schlendrian von Behörden überhaupt nicht mehr lustig und sind entsprechend sauer, wenn selbst Hauptverkehrsstraßen in der Stadt kaum von Schnee und Eis geräumt sind.
    Ein Beispiel, wie man offenbar Schneechaos vermeiden kann, ist die Stadt Friedrichshafen am Bodensee. Zugegeben: dort viel warum auch immer nicht ganz so viel Schnee wie andernorts. Gestern ist die weiße Pracht dort sogar weitgehend weggetaut. Und dennoch: In den vergangenen Tagen sahen sich die Bürger mit beachtlichen Schneemassen konfrontiert, aber man hat sie im Griff.
    Am Telefon begrüße ich Gerd Landsberg. Er ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Guten Morgen, Herr Landsberg.

    Gerd Landsberg: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Wann und wo haben Sie das letzte Räumfahrzeug gesehen?

    Landsberg: Ich habe heute Morgen in Bonn schon eines gesehen. Ich denke auch, wir haben eine extreme Wetterlage und wir merken, dass auch in der technisierten Welt die Natur dem Menschen immer mal wieder Grenzen aufzeigt, und daran werden wir nichts ändern und auch nicht durch Schuldzuweisungen. Man muss ja sehen, auch beim Winterdienst gibt es organisatorische und auch finanzielle Leistungsgrenzen, und die beiden Beispiele, die Sie gezeigt haben, die sind ja nicht ganz untypisch. Das Rheinland – und dazu gehört Köln – hat natürlich jahrelang nie einen nennenswerten Winter gehabt. Das ist sicherlich in Friedrichshafen am Bodensee eine ganz andere Situation. Trotzdem kann ich Ihnen sagen, dass wir aus dem letzten Winter gelernt haben, dass wir Salzvorräte angelegt haben. Aber das klingt auch immer so einfach, wenn der Bürger sagt, ja, ihr hättet noch viel mehr einlagern müssen. Man muss wissen, dass man Salz natürlich nur beschränkt lagern kann, weil es dann feucht und steinhart wird.

    Meurer: Wie lange kann man Salz lagern?

    Landsberg: In einem normalen Lager nur wenige Monate, oder sie brauchen ein Trockensilo, und deswegen sind eben in der Regel die Kommunen hingegangen, haben mit den Salzherstellern Lieferverträge geschlossen, und da steht drin, Nachschub innerhalb von 48 Stunden.

    Meurer: Der funktioniert aber nicht, der Nachschub.

    Landsberg: Das funktioniert nicht. Einerseits funktioniert es nicht, weil deren LKW natürlich auch im Stau stehen oder quer stehen. Aber andererseits höre ich von einigen Bauhöfen auch bemerkenswerte Dinge. Da heißt es, wir haben bestellt entsprechend dem Vertrag, es kommt nichts, und dann kommt plötzlich doch ein LKW aus Kroatien oder aus Italien und man bietet Salz an, aber zu einem ganz anderen Preis.

    Meurer: Also da wird jetzt richtig gezockt sozusagen?

    Landsberg: Da wird richtig gezockt. Normalerweise kostet eine Tonne Streusalz 60 bis 70 Euro. Aktuell werden bereits 250 bis 300 Euro bezahlt. Da sieht man, welche Gewinnspannen da auch drin sind. Man kann natürlich sagen, wir müssen mehr Trockensilos bauen, aber stellen Sie sich als Bürgermeister im Sommer mal hin und sagen, so, bei 30 Grad im Schatten, wir bauen ein Trockensilo und dafür verzichten wir auf ein paar Kindergartenplätze. Das ist überhaupt nicht machbar.

    Meurer: Na gut, wenn Sie die Alternative stellen. Aber wenn Sie ihnen sagen, dann brechen sich 10 alte Leute weniger ein Bein, werden die vielleicht doch sagen, okay, machen wir.

    Landsberg: So wie ich diese Gesellschaft kenne, werden die das im Sommer nicht sagen, und diese Zusammenhänge, die kann man, glaube ich, auch so nicht herstellen. Wir werden uns offenbar auf Witterungsänderungen einstellen müssen, und da vielleicht auch noch mal für das Verständnis für die kommunale Seite: Die Winterdienste sind in der Tat rund um die Uhr im Einsatz. Aber man muss wissen: Wir haben ein kommunales Straßennetz von 450.000 Kilometern. Zum Vergleich: die Autobahnen mal gerade 16.000.

    Meurer: Da zählen Sie alle Nebenstraßen mit, jede Nebenstraße in jeder Stadt?

    Landsberg: Das zähle ich mit, aber die werden natürlich im Moment auch gar nicht bedient, weil die Verkehrssicherungspflicht, die ist übrigens auch begrenzt durch organisatorische Dinge, das sagt die Rechtsprechung. Wir müssen uns konzentrieren auf Rettungswege und auf die Hauptstraßen und wir werden uns, wenn die Winter so bleiben, daran gewöhnen müssen, auch auf fester Schneedecke Auto zu fahren, wie das in Skandinavien ja schon lange ist.

    Meurer: Also es geht wohl um Straßenreinigungsgesetze. Die gibt es, glaube ich, in jedem Land unterschiedlich. Sind Sie per Gesetz einfach verpflichtet, die Hauptstraßen frei zu halten? Ist das eine gesetzliche Pflicht, die die Kommunen erfüllen müssen?

    Landsberg: Es gibt nach der Rechtsprechung ganz klar eine Verkehrssicherungspflicht. Das heißt, eine Straße muss im Rahmen der Möglichkeiten geräumt werden. Das gibt Spielräume, das hat die Rechtsprechung in vielen Fällen gesagt. Wir haben natürlich das weitere Problem, dass wir die Schäden vom letzten Winter noch nicht mal beseitigt haben. Da schätzen wir die Straßenschäden auf 3,5 Milliarden. Und es ist in Ihrem Beitrag ja auch klar geworden: Wenn Schlaglöcher da sind, bildet sich da jetzt Wasser, dann bildet sich Eis, das ist zusätzlich gefährlich. Und ich kann nur sagen, die Politik hat in diesem Jahr die Hoteliers entlastet, das Kindergeld erhöht, diskutiert seit Wochen über die Erhöhung der Regelsätze von Hartz IV-Empfängern. Wir sagen, tut endlich was für die Kommunen.

    Meurer: Und Sie erhöhen die Straßenreinigungsgebühren, oder?

    Landsberg: Die Straßenreinigungsgebühren werden übrigens kalkuliert über einen Zeitraum von fünf Jahren. Das heißt, diese extremen Winter sind jetzt noch gar nicht einkalkuliert. Das kann sich natürlich auswirken auf die Gebühren in den nächsten Jahren.

    Meurer: Was haben Sie denn für gesetzliche Spielräume, die Sie eben ansprachen? Müssen Sie jetzt Hauptverkehrsstraßen räumen, oder können Sie sich daran vorbeimogeln?

    Landsberg: Also wir können uns nicht daran vorbeimogeln, aber wir sind nach der Rechtsprechung verpflichtet, im Rahmen unserer Leistungsfähigkeit zu räumen und Prioritäten zu setzen, und das tun wir, so gut wir es halt können. Aber niemals kann man verlangen, wenn es die ganze Nacht schneit, dass am nächsten Morgen alle Hauptstraßen und vielleicht auch noch ein Teil der Nebenstraßen schwarz sind, glänzen und gesalzt sind. Das verlangt auch die Rechtsprechung nicht von den Städten und Gemeinden.

    Meurer: Ich habe Sie ja, Herr Landsberg, eingangs zitiert. Sie haben vor ein paar Wochen gesagt, wenn man kein Geld hat, wird man teilweise den Winterdienst einschränken. Ist genau das geschehen?

    Landsberg: Das ist sicherlich teilweise geschehen, dass man eben insbesondere Nebenstraßen nicht mehr räumt und auch nicht mehr streut und dass man sich auf die Hauptstraßen konzentriert und das tut, so gut man es halt mit seinen Mitteln kann. Wie ich schon eingangs gesagt habe: Auch der Winterdienst hat eben organisatorische und finanzielle Leistungsgrenzen. Und vielleicht noch ein Hinweis: Es ist ja noch keine zwei Jahre her, da haben Sie in jeder Zeitung lesen können, der Klimawandel bringt die warmen Winter, die Skigebiete wird es gar nicht mehr geben, und jetzt erleben wir genau das Gegenteil.

    Meurer: Das heißt, vor zwei Jahren hat man die Hände in den Schoß gelegt?

    Landsberg: Sicherlich nicht die Hände in den Schoß gelegt. Man hat aus dem letzten Winter, der ja auch schon sehr hart war, gelernt, aber das topt ja jetzt alles. Um noch mal ein Beispiel zu nehmen: Die Stadt Bonn zum Beispiel, die verbraucht im normalen Winter 900 Tonnen Salz. In diesem Winter hat sie jetzt schon 1.300 Tonnen verstreut. Das heißt, die haben natürlich bevorratet, aber dass das so früh los geht und so intensiv kommt in Gebieten, die bisher vom Winter ja fast verschont waren, das ist in der Tat natürlich eine neue Erfahrung.

    Meurer: Sie haben eingangs gesagt, in normalen Hallen, also nicht besonderen Trockensilos, hält sich das Salz ein paar Monate. Wieso wird das Salz dann offenbar im Juli gekauft und nicht erst im November? Dann hätten Sie nicht jetzt schon Salzknappheit.

    Landsberg: Das ist natürlich richtig. Aber das ist natürlich wie beim Heizöl. Man kauft natürlich das Salz möglichst dann, wenn es preiswert ist, und das ist natürlich im Sommer preiswerter als im Winter. Aber das Lieferproblem habe ich ja eben schon beschrieben. Es werden in Deutschland etwa pro Tag 50.000 Tonnen Salz produziert und die werden auch komplett verstreut, teilweise darüber. Deswegen brauchen wir zusätzlich Salz aus dem Ausland, und da gibt es eben wieder die Lieferproblematik. Wir sind eben auch in dem Bereich ein bisschen eine just in time Gesellschaft, und so wie ein System an einer Stelle bricht, dann bricht es eben überall.

    Meurer: Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Landsberg, schönen Tag, rutschen Sie nicht aus heute Morgen.

    Landsberg: Danke Ihnen, Herr Meurer.

    Meurer: Auf Wiederhören!

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