Dienstag, 19. März 2024

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Strompreissteigerung
"Erneuerbare Energien wirken an der Strombörse preissenkend"

Die Stromkonzerne würden keine Gelegenheit auslassen, um Preise weiter nach oben zu treiben, sagte Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Dlf. Die Erneuerbaren wirkten dabei preissenkend - Verbraucher sollten sich deshalb nach alternativen Anbietern umsehen.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.11.2019
Ein typischer Wechselstromzähler.
Die Strompreise steigen bei einigen Anbietern. Claudia Kemfert kritisiert das und sieht dafür keinen Anlass. (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
Statt einer Senkung der EEG-Umlage sei es besser, die Stromsteuer zu senken, fordert Kemfert. Da hätte man mehr Möglichkeiten zur Preiskontrolle gehabt. "Wir sehen, dass preissteigende Faktoren sofort eingepreist werden. Wenn es dagegen zu Senkungen kommt, wird dies von den Anbietern gar nicht weitergegeben."
"Derzeit gibt es wenig Anlass für diese deutlichen Preissprünge", so Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung über die steigenden Strompreise. Man könne die Verbraucher deshalb nur animieren, Anbieter zu suchen, die nicht so starke Preissteigerungen hätten. "Die gute Nachricht ist: Die erneuerbaren Energien wirken an der Strombörse preissenkend", sagte Kemfert im Dlf. Das werde sich auch weiter fortsetzen. So könne der Strompreis auch tendenziell sinken.
Die Politik habe den Windkraftzubau nahezu zum Erliegen gebracht, kritisierte Kemfert. Die Planung, einen Mindestabstand von 1000 Metern von Windkraftanlagen zu Wohnhäusern vorzuschreiben, solle ersatzlos gestrichen werden. "Wir brauchen einen Zubau von Windanlagen, was heißt, dass wir Flächen benötigen, die nicht im Konflikt zur Wohnbebauung stehen", so Kemfert. Da gebe es genügend Möglichkeiten in der bestehenden Infrastruktur.
Mit den jetzigen Vorgaben sei das Ziel der Bundesregierung, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 65 Prozent zu steigern, nicht zu erreichen.

Das Interview in voller Länge:
Claudia Kemfert: Es müsste nicht wesentlich teurer werden, es ist auch ungewöhnlich, dass derart hohe Preissprünge jetzt veranschlagt werden. Ich kann mir vorstellen, dass man es begründet mit den gestiegen Stromhandelspreisen, wo aufgrund der gestiegenen CO2-Preise in Europa deutliche Anstiege zu verzeichnen waren. Jetzt muss man aber auch in der Vergangenheit sagen, es war immer so, als die Strombörsenpreise sehr niedrig waren, ist das nicht direkt an die Verbraucher weitergegeben worden. Sobald es dort Preissteigerungen gibt, geht das sofort in eine entsprechende Überwälzung an die Verbraucher weiter, das ist betrüblich. Und das muss man auch so nicht hinnehmen, da kann auch wirklich den Verbraucher nur animieren zu gucken, dass man Anbieter findet, die jetzt nicht derartige starke Preissteigerungen veranschlagen, weil derzeit gibt es wenig Anlass für deutliche Preissprünge.
"Stromkonzerne lassen keine Gelegenheit aus, um die Strompreise nach oben zu treiben"
Zagatta: Finden Sie denn Anbieter unter Umständen auch, die Preise senken? Ich frage das deshalb: Das Klimapaket, das die große Koalition ja gerade beschlossen hat, darin ist die Rede davon, dass Strom demnächst auch billiger werden soll. Wenn man da so verkündet, ist das dann mit den Zahlen, die uns jetzt da vorliegen und die da in der Diskussion sind, ist das dann fast schon eine Mogelpackung?
Kemfert: Ja, die Bundesregierung hat ja auch nur begrenzt Einfluss jetzt auf die Strompreise, zumal die Stromkonzerne ja auch wirklich keine Gelegenheit auslassen, um die Strompreise immer weiter nach oben zu treiben. Die Bundesregierung hatte sich vorgenommen, jetzt mittels der EEG-Umlage, die auch einen Teil des Strompreises ausmacht, diese zu kürzen, das würde in der Tat auf eine leichte Strompreissenkung enthalten.
Zagatta: Aber die wird erst noch einmal erhöht.
Kemfert: Die wird jetzt erst mal noch erhöht, aber soll dann eben auch gesenkt werden. Wir hatten vorgeschlagen, dass man die Stromsteuer senkt, da hätte man tatsächlich mehr Möglichkeiten gehabt, den Preis auch besser zu kontrollieren, aber am Ende ist es ja immer das Stadtwerk oder der Stromanbieter, der am Ende die Rechnung stellt. Und da sehen wir einfach, dass sehr gerne preissteigernde Faktoren sofort nach oben gegeben werden oder eingepreist werden, und wenn es dort zu Senkungen kommt, was die Bundesregierung jetzt ja vorhat, dann wird dies gar nicht weitergegeben, sodass die Bundesregierung hier auch wenig Spielraum hat, das auch zu kontrollieren und man meist Überkompensation sieht – das heißt, am Ende muss der Stromverbraucher wieder mehr bezahlen.
"Je mehr erneuerbare Energien wir haben, desto geringer sind die Börsenpreise"
Zagatta: Aber die Bundesregierung hätte ja Spielraum, die FDP zum Beispiel fordert die ganze Abschaffung der EEG-Umlage, also dieser Gebühr für erneuerbare Energien. Wäre das machbar, wäre das sinnvoll?
Kemfert: Es ist jetzt nicht mehr sinnvoll. Wir hatten eine Zeit, wo die EEG-Umlage sehr hoch war, da hatte man diese Diskussion geführt, was ja jetzt auch dazu geführt hat, dass man diese ganzen Anpassungen im Stromsektor vorgenommen hat. Aber die EEG-Umlage zieht noch eine Zeitverzögerung nach sich, weil man viele teure Anlagen in der Vergangenheit noch bezahlt hat, die fallen jetzt aber mehr und mehr raus. Die EEG-Umlage wird jetzt in den nächsten drei, vier, fünf Jahren spätestens sinken sowieso, alleine schon aufgrund des Mechanismus, sodass man hier jetzt nicht in künstlichen Aktionismus verfallen muss. Wir haben eher eine Senkung der Stromsteuer angeregt, gerade wenn man jetzt über CO2-Preise redet und diese auch erhöhen will, dass man eine Entlastung auf der anderen Seite hat. Dazu hat sich jetzt leider die Bundesregierung nicht durchringen können, aber nichtsdestotrotz ist es ein wichtiger Faktor. Ich würde jetzt nur nicht aktuell noch weiter an der EEG-Umlage rumdrehen.
Zagatta: 40 Prozent unseres Stroms, so habe ich kürzlich gelesen, sollen ja schon aus der Windkraft kommen. Das ist ja eigentlich, sollte man denken, ein Erfolg. Müsste das den Strom eigentlich nicht billiger machen?
Kemfert: Ja und macht es auch billiger, weil sonst wären die Strompreissteigerungen noch viel höher gewesen. Jetzt muss man dazusagen, wir haben über viele Jahre auch die Windenergie finanziell gefördert, das ist eben diese EEG-Umlage, die wir heute auch noch mitbezahlen. Aber die gute Nachricht ist, die erneuerbaren Energien wirken an der Strombörse preissenkend. Das heißt, die niedrigen Strombörsenpreise, die wir jetzt auch haben, oder tendenziell auch gesunkene Strombörsenpreise haben etwas damit zu tun, dass wir eben so viel Windenergie und auch Solarenergie haben. Und das wird sich auch weiter fortsetzen, das heißt je mehr erneuerbare Energien wir haben, desto geringer sind auch diese Börsenpreise und solange die Bundesregierung jetzt nicht noch tausend andere Faktoren findet wie Abwrackprämien oder Kohleprämien und die über die Strompreise finanziert, kann auch der Strompreis tendenziell sinken. Das wäre auch etwas, was wünschenswert wäre im Zuge der Energiewende, weil wir wollen ja noch mehr Strom nutzen oder den Strom so nutzen, dass er effizient ist. Und das heißt eben auch in der Elektromobilität oder auch im Gebäudebereich.
"Damit erreichen wir die Energiewenden- und Klimaziele nicht"
Zagatta: Frau Kemfert, wie passt das zusammen mit den Meldungen, dass Windkraft und Windkraftunternehmen im Moment ja regelrecht in der Krise sind, dass da Massenentlassungen drohen?
Kemfert: Ja, das hat die Bundesregierung teilweise mitzuverantworten, weil die Rahmenbedingungen sehr verschlechtert worden sind. Man ja jetzt diese Förderung eben umgestellt, die bedeutet, dass man eine bestimmte Menge an installierten Windanlagen überhaupt nur noch zulässt. Sehr restriktiv wenig Flächen noch ausweist, sehr komplizierte Genehmigungsverfahren hat – und all das hat eben zu einem naheliegenden Erliegen des Windenergiezubaus geführt, das ist völlig kontraproduktiv. Damit erreichen wir auch die Energiewenden- und Klimaziele nicht. Und zudem belastet es die Branche sehr, sehr stark. Eine Entwicklung, die wir schon in der Solarenergie auch die letzten zehn Jahre gesehen haben, wo es einen massiven Jobabbau gab. Ähnlich trifft es jetzt die Windbranche. Die ist allerdings noch etwas besser aufgestellt, weil es einen internationalen Markt gibt, wo auch die deutschen Hersteller gut mitmischen. Aber dennoch ist das überhaupt nicht im Sinne der Entwicklung, die Unternehmen hätten ja Planungssicherheit haben müssen und sich darauf verlassen, dass die Rahmenbedingungen so kommen, wie auch die Energiewendeziele sind. Und das hat man leider künstlich verändert – sehr zu Lasten der Windbranche.
Zagatta: Das heißt auch, wenn Wirtschaftsminister Altmaier, wie das ja jetzt im Gespräch ist, seinen Plan umsetzt, dass zwischen Windrädern und Wohnsiedlungen auch schon ab fünf oder sechs Häusern 1000 Meter Abstand gehalten werden müssen, da wären Sie voll und ganz dagegen?
Kemfert: Absolut dagegen! Das sollte auch ersatzlos gestrichen werden, weil Sie sehen einfach einerseits, dass in den Bundesländern, die das machen, Bayern und Nordrhein-Westfalen, dass der Zubau von Windenergie überhaupt nicht mehr vorangeht. Wir brauchen einen Zubau von Windanlagen, was auch heißt, dass wir Flächen benötigen, die eben nicht jetzt im Konflikt sind zur Wohnbebauung, sondern existierende Infrastrukturen nutzen und so weiter. Da gibt es noch genügend Möglichkeiten, aber mit dieser Abstandsregelung werden die Flächen künstich so stark vermindert, das zeigt auch eine Studie des Umweltbundesamtes, dass eben der Zubau gar nicht mehr möglich ist. Und damit erreichen wir eben nicht mehr die Ziele, die wir eigentlich wollen.
"Es gibt sehr laute Gegner und orchestrierte Bürgerinitiativen"
Zagatta: Aber wo immer Windräder gebaut werden, gibt es ja Ärger.
Kemfert: Es gibt nicht überall Ärger, ich glaube, da muss man auch ein bisschen aufräumen mit Mythen. Es gibt sehr laute Gegner, das sind ungefähr 20 Prozent, das zeigen auch die Umfragen, und orchestrierte Bürgerinitiativen, teilweise auch berechtigte Bürgerinitiativen vor Ort, aber eben auch sehr laute Gegner, die sich da das Mäntelchen des Klimaschutzes oder Umwelt- und Artenschutzes überhängen, aber eigentlich Energiewende- und Windenergiegegner sind. Das gehört leider dazu, deswegen ist es aber wichtig, dass man jetzt Anreize schafft. Einerseits zum Beispiel finanzielle Beteiligungsmodelle für Kommunen, für Regionen, für Städte, ähnlich, wie das Mecklenburg-Vorpommern macht, wo das auch gut funktioniert, wie es Brandenburg machen will. Hier braucht man juristische Voraussetzungen, das muss die Bundesregierung machen, und andererseits aber auch Genehmigungsverfahren entschlackt, Möglichkeiten schafft, auf Vorrangflächen auszuweichen, die eben nicht so konfliktär sind. Aber das geht nur zusammen mit den entsprechenden Kommunen. Und da würde ich mir mehr Zusammenwachsen wünschen und nicht, dass man jetzt über diese Abstandsregelung die Gräben noch so weit aufreißt, dass man nie wieder zueinander kommt.
Zagatta: Frau Kemfert, das Ziel der Bundesregierung, Sie haben es angesprochen, bis 2030 soll ja der Anteil der Erneuerbaren auf 65 Prozent gesteigert werden. Ist das aus Ihrer Sicht zu erreichen?
Kemfert: Mit den jetzigen Vorgaben wird es nicht zu erreichen sein, das muss man deutlich sagen. Wenn diese Abstandsregelung bundesweit kommt, wird man die Windenergieausbauziele nicht erreichen können, das muss man korrigieren auf jeden Fall. Ich hoffe sehr, dass im Klimapaket der Solardeckel aufgegeben wird, darauf hatte sich ja die Koalition geeinigt, aber es gab schon wieder Meldungen, dass das vielleicht doch trotzdem drinbleibt. Das wäre wichtig, dass dieser Solarausbaudeckel wegfällt, dass man auch bei der Solarenergie schneller vorankommt. Biomasse wird benötigt und eben auch viele Vorgaben, um Strom effizient einzusetzen inklusive Elektromobilität, dass wir eben keinen Strom mehr verschwenden. Und dann kann man es auch schaffen, in Richtung 65 Prozent. Aber mit den jetzigen Vorgaben wird es leider, leider nicht erreichbar sein.
Zagatta: Frau Kemfert, vielen Dank für das Gespräch!
Kemfert: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.