Struck: Nein, ich beklage mich auch überhaupt nicht. Ich finde, dass wir zur Mitte der Legislaturperiode eine sehr gute Halbzeitbilanz vorlegen können. Wir haben eine stabile finanzielle Konsolidierung des Haushaltes erreicht und trotzdem - wenngleich durch den Glücksumstand der Versteigerung der Mobilfunklizenzen - können wir ein Zukunftsinvestitionsprogramm zusätzlich auflegen, das sicherlich viele Impulse auch im Arbeitsmarkt setzen wird.
Gehm: Und das ideologisch die Koalition sicherlich unterfüttert ...
Struck: Nein, wir haben uns in langen Gesprächen mit der Koalition im wesentlichen auf zwei oder drei politische Bereiche festgelegt. Das ist also Verstärkung von Investitionen in Bildung und Forschung, um unser Land wettbewerbsfähiger zu machen, dann im Bereich Verkehr - also insbesondere auch für die Bahn. Die Bahn wird sechs Milliarden Mark innerhalb dieser drei Jahre bekommen; und auch im Bereich Straßenbau, da sind es 2,7 Milliarden Mark. Und vor allem im Bereich der Energiewende. Wir wollen weg vom Öl und wollen dafür auch Geld in die Hand nehmen.
Gehm: Die rot-grüne Stimmung war ja schon bedeutend schlechter, Herr Struck. Nach dem ersten Chaosjahr - da war der Karren fast an der Wand. Dann aber kam die Trendwende: Stabilisierung Wirtschaft - Arbeitsmarkt, ein Jahr Reformpolitik. Der Kanzler nennt das 'Ende der German Disease´. Frage ist, ob und wie dieser Kurs gehalten werden kann - konkret: Was ist zu tun, oder besser: Was ist zu vermeiden?
Struck: Zu vermeiden ist eindeutig Streit; zunächst mal Streit innerhalb der Koalition. Da sehe ich keinen Anlass, wenngleich man in manchen Fragen sicherlich noch unterschiedliche Auffassungen haben wird. Das ist so bei unterschiedlichen Parteien. Und Streit ist auch in den eigenen Reihen zu vermeiden. Da sehe ich aber überhaupt keine Gefahr jetzt, weder in meiner Fraktion - noch im Verhältnis zwischen Fraktion und Regierung.
Gehm: Die Vorgabe also für die zweite Hälfte der Legislaturperiode: Einigkeit macht stark.
Struck: Genau so.
Gehm: Das Wahlvolk - wir sehen das in diesen Zeiten - ist sprunghaft wie nie. Es ist die große Zeit der Wechselwähler. Die Stimmungen kippen ganz rasant. Und ein Thema nervt Rot-Grün in diesem Herbst, das Thema ist gefährlich. Es heißt: Mineralölkrise, und es kann politisch wie wirtschaftlich einiges kaputtmachen.
Struck: Das ist wahr. Wir haben ja auch diese Kampagne der CDU - die heuchlerische Kampagne der CDU - gegen die Ökosteuer. Jeder weiß, dass die Ökosteuer nicht der Grund ist für die Entwicklung an den Tankstellen oder bei den Heizölkosten. Trotzdem macht uns das natürlich Sorge. Wir haben gerade am vergangenen Freitag im Bundestag eine erste Lesung über sozialflankierende Maßnahmen zu dieser Ölpreisentwicklung gehabt. Ich hoffe, dass mit der Verbesserung der Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale mit einem höheren Betrag von 80 Pfennig pro Kilometer und mit diesem einmaligen Heizkostenzuschuss von 5 Mark pro Quadratmeter für nicht so viel Verdienende doch auch eine ausreichende Lösung gefunden ist. Trotzdem - es bleibt richtig: Die Ölpreisentwicklung wird natürlich auch auf die Innenpolitik einen besonderen Einfluss haben.
Gehm: Die Wahlforscher behaupten, das Thema 'Benzinpreise' könne hierzulande Wahlen entscheiden.
Struck: Das sehe ich eigentlich nicht so. Wir sehen an den Meinungsumfragen, dass zum Höhepunkt der Benzinpreisentwicklung das für die Menschen das Hauptthema war. Danach kam erst die Arbeitslosigkeit. Das hat sich jetzt schon wieder geändert; das ist auch logisch, wenn die Preise sich wieder nach unten entwickeln. Trotzdem ist gerade die Frage der Ölabhängigkeit auch eine wichtige politische Frage. Deshalb wollen wir, dass die Menschen verstehen in unserem Land, dass Öl eine endliche Reserve ist und dass man weg vom Öl muss, denn langfristig werden wir wahrscheinlich Ölpreise haben, die denen, die wir heute beklagen, vielleicht einige Dollar pro Barrel schon voraus sind.
Gehm: Aber was machen Sie kurzfristig, wenn vor dem nächsten Schluck aus der Ökosteuer-Pulle die Preise oben stehen und die SPD-Wahlkämpfer Ihnen die Bude einrennen?
Struck: Die Ökosteuer ist beschlossen; sie gilt also für die Stufen 2001, 2002, 2003. Wir haben überhaupt keinen Anlass, an der Ökosteuer irgend etwas zu ändern. Wir werden sie also weder aussetzen noch abschaffen. Wir müssen versuchen, in der politischen Debatte den Menschen klarzumachen, dass die Ökosteuer nicht das Problem ist. Man kann auch in der Politik Steuerpolitik nicht danach gestalten, ob irgendein Scheich den Ölhahn auf- oder zudreht.
Gehm: 2003 ist 'Sense', ist Schluss mit der Ökosteuer. Das hat der Verkehrsminister gesagt. Ist Ihnen bekannt, dass der Kanzler ihn dafür gerüffelt hätte?
Struck: Nein, diese Äußerung habe ich auch nur aus den Veröffentlichungen entnommen. Wir haben in der Tat nur ein Gesetz, das bis 1. Januar 2003 gilt. Was danach gilt, wird dann eine neue Regierung zu entscheiden haben. Es macht also jetzt gar keinen Sinn, schon über die weiteren Jahre nach der nächsten Bundestagswahl zu spekulieren.
Gehm: Die Entfernungspauschale am letzten Freitag im Bundestag in erster Lesung - und Finanzminister Hans Eichel balgt sich ja munter mit den Ländern um die Finanzierungsanteile, auch mit den SPD-Ländern. Bleiben da die SPD-Landesfürsten bei der Stange?
Struck: Das kann ich jetzt noch nicht einschätzen. Ich halte es für normal, dass die Länder - die Ministerpräsidenten und die Finanzminister - zunächst mal sagen: 'Wenn der Bund ein solches Gesetz macht, wollen wir das nicht mit bezahlen'. Das geht bei der Entfernungspauschale nicht, denn es handelt sich um eine steuerliche Maßnahme, bei der die Länder ganz naturgemäß beteiligt sind. Wir sind jetzt in dem Stadium des 'Theaterdonners' - von beiden Seiten. Am Ende wird der Bundesrat zu entscheiden haben, ob er für Verbesserungen für Pendler ist und ob er für soziale Abfederung für Geringverdienende bei den Heizkosten ist. Und da bin ich ganz optimistisch.
Gehm: Theaterdonner kündigt sich ja auch anderen Orts an - bei einigen Reformbrocken, die da noch in der parlamentarischen Pipeline sind. Spektakulär das Thema 'Renten'. Im Konsens, so steht zu befürchten, ist die Rentenreform wohl nicht zu meistern.
Struck: Das ist wahr, wobei ich das sehr bedauere. Denn was die inhaltliche Ausgestaltung der Rentenreform angeht, sind viele Vorschläge, die die Union im Laufe der Debatte eingebracht hat, von uns berücksichtigt worden, soweit wir nicht selbst diese Vorschläge gemacht haben. Ich vermute, dass sich bei der Union Frau Merkel - von der ich den Eindruck habe, dass sie eigentlich eher bereit wäre, diese Rentenreform mit uns zu tragen - gegen Herrn Stoiber nicht durchsetzen wird, der wohl daraus ein Wahlkampfthema gegen die Koalition für die Bundestagswahl machen will.
Gehm: Erwarten Sie, dass sich in Sachen Rente Stoiber gegen Merkel weiter durchsetzt und es zur Konfrontation kommt?
Struck: Ja, mein Eindruck ist, dass die CDU/CSU hier von der CSU an der Leine geführt wird, also ganz konkret von Stoiber. Frau Merkel ist überhaupt nicht stark genug, sich gegen Stoiber durchzusetzen.
Gehm: SPD-seitig der Konsens also gesucht - aber zwingend wird er nicht sein?
Struck: Zwingend nicht. Den Teil der Rente können wir als zustimmungsfreien Teil alleine durchbringen. Was jetzt die steuerlichen Erleichterungen oder die Zulagen für Geringverdienende angeht, bei der privaten Altersvorsorge brauchen wir die Zustimmung des Bundesrates. Aber ich kann mir nicht ernsthaft vorstellen, dass die CDU/CSU im Bundesrat dagegen stimmt, dass wir Menschen, die die private Altersvorsorge alleine nicht finanzieren können, eine Zulage geben.
Gehm: Auf dem Tisch liegt ja auch ein Forderungskatalog der Gewerkschaften in Sachen Rente. Der ist einigermaßen üppig, Herr Struck. Deshalb gibt's Aktionstage in diesen Wochen, deshalb Protest. Kann es sein, dass Sie das mehr beeindrucken wird als das, was die CDU praktiziert?
Struck: Ja, das macht uns schon Sorge. Wir haben gerade in der vergangenen Woche auch mit der IG Metall nochmal ein ausführliches Gespräch über die Frage der Rentenreform gehabt. Zur Zeit sehe ich nicht, dass die IG Metall von ihren Forderungen oder von ihrer Kritik an dem Rentenreformentwurf von Walter Riester abgehen will. Vielleicht beruhigt sich das noch im Laufe der Zeit. Wir beabsichtigen, dieses Rentenreformgesetz im Frühjahr nächsten Jahres im Bundestag durchzubringen. Bis dahin gibt es auch noch Gelegenheit für Gespräche.
Gehm: Die CDU - so hat Friedrich Merz bei seiner Halbzeitbilanz gesagt - werde jedes Thema nutzen, das sich eignet, erfolgreich Wahlkampf zu führen. Wenn Sie erinnern, dass zwei Drittel der Deutschen der Auffassung sind - so die letzten Umfragen -, die Zuwanderung sei zu stark und die Grenzen der Belastbarkeit seien überschritten, welches Wahlkampfklima kann man dann beim Thema 'Ausländer' möglicherweise befürchten?
Struck: Man muss die allergrößten Befürchtungen haben. Die Union wird in ihrer Verzweiflung, keine tatsächlichen Angriffspunkte gegen die Regierung zu haben, möglicherweise zu einem Ausländerwahlkampf greifen. Das widerspricht nun manchen Äußerungen, die wir im Zusammenhang mit Anschlägen auf jüdische Synagogen und dergleichen in der Bundestagsdebatte von der CDU gehört haben. Sollte es einen Ausländerwahlkampf geben, werden wir konsequent darauf bestehen, dass wir Zuwanderung in unserem Lande brauchen. Wir wollen, dass die unter der Leitung von Rita Süßmuth tagende Kommission uns so rechtzeitig Vorschläge macht, dass wir vor der Bundestagswahl den Menschen klar sagen können, wie wir uns Zuwanderung in Zukunft vorstellen.
Gehm: Ziel ist ja, dass Süßmuth etwa im Mai nächsten Jahres den Bericht präsentiert. Dann wird man sehen, ob der Gesetzgeber aktiv werden muss. Aber das würde doch bedeuten, dass man das Einwanderungsgesetz quasi in den Vorwahlkampf hinein berät?
Struck: Das kann passieren. Es ist nicht ausgemacht, dass die Kommission uns empfiehlt, ein Gesetz zu machen. Man kann ja auch überlegen, ob man nicht, was die notwendige Zuwanderung angeht, den gleichen Weg geht wie bei den IT-Fachkräften, das heißt, über Verordnungen die Menschen in unser Land bitten. Wenn die Kommission ein Gesetz empfiehlt, bin ich dafür, dass wir das Gesetz auch noch vor der Bundestagswahl beschließen, um Klarheit zu haben für die Menschen, wie wir uns Zuwanderung vorstellen.
Gehm: Die Union wird bei diesem Komplex natürlich auch das Thema - wie angekündigt - Asyl in die Debatte bringen. Ist denn da mit der SPD intensiv eigentlich zu reden?
Struck: Nein. Wir haben klar erklärt - das wissen auch die Mitglieder der Kommission -, eine Änderung des Asylrechtes wird es mit uns nicht geben. Das gilt auch für den Koalitionspartner. Wenn man über Zuwanderung diskutiert, muss klar sein, dass diese Zuwanderungsquote - die man dann festlegt, und nach welchen Kriterien Menschen zuwandern können, wird dann auch die Kommission empfehlen - neben der Quote der Asylbewerber und der Bürgerkriegsflüchtlinge gilt.
Gehm: Herr Struck, in diesen Tagen mühen sich die potentiellen Antragsteller um einen gerichtsfesten NPD-Verbotsantrag. Die Fronten sind gelegentlich ja etwas seltsam. Überrascht Sie das?
Struck: Das überrascht mich. Wir haben das Ergebnis einer Arbeitsgruppe zwischen dem Bundesinnenministerium und Länderinnenministerien, unter anderem auch dem Landesinnenminister von Bayern - von Herrn Beckstein. Die empfehlen, einen solchen Verbotsantrag zu stellen. Deshalb wundert mich sehr die Haltung der CDU/CSU-Fraktion, die das so ohne weiteres nicht mittragen will. Wir werden das vorgelegte Material sorgfältig sichten. Dann bin ich sehr dafür, dass, wenn uns das Material zu dem Ergebnis führt, einen Antrag zu stellen, diesen auch im Bundestag beschließen zu lassen, wenn möglich auch im Bundesrat, so dass die drei Verfassungsorgane - Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat - eine gemeinsame Position haben.
Gehm: Auch bei einer angestrebten gemeinsamen Position: Es melden sich derzeit viele Bedenkenträger in Sachen NPD-Verbot. Ein Restrisiko, in Karlsruhe zu scheitern, ist natürlich immer vorhanden. Aber soll die viel zitierte wehrhafte Demokratie denn in Filzpantoffeln herumschlurfen und auf einen solchen Verbotsantrag verzichten?
Struck: Nein. Ich glaube, dass wir mit der NPD eine Partei verbieten lassen wollen, die nun wirklich die Kriterien eines solchen Verbots erfüllt, die sich also wirklich nicht an die verfassungsmäßige Ordnung hält - nicht nur die Partei selbst, sondern auch das Umfeld. Die Indizien dafür sind eindeutig. Ein Argument, das entgegengehalten wird, ist: 'Ja, es könnte ja vielleicht scheitern in Karlsruhe', das ist wahr. Wir sind nicht sicher, dass das Bundesverfassungsgericht unseren Argumenten folgt. Aber ich glaube, es muss hier auch ein deutliches politisches Signal gesetzt werden gegenüber dieser Partei.
Gehm: Neben dem Verbotsantrag - wenn er denn gestellt wird - wird es natürlich einer Reihe flankierender Maßnahmen bedürfen.
Struck: Ja, man muss natürlich das gesamte Umfeld auch mit beobachten. Das tut das Bundesinnenministerium. Die haben ja auch zum Beispiel schon eine entsprechende Organisation verboten. Also, da wird auch noch weiter zu arbeiten sein.
Gehm: Es gibt gegenwärtig Vorboten im parlamentarischen Raum auch für andere Auseinandersetzungen, Stichwort etwa die Ausweitung der Mitbestimmung im geplanten neuen Betriebsverfassungsgesetz. Verbands- und Arbeitgeberseite kritisieren da sehr massiv. Herr Struck, geht denn in Sachen Mitbestimmung nicht möglicherweise bald die 'neue Mitte' von der Fahne?
Struck: Nein, das glaube ich nicht. Das Mitbestimmungsgesetz muss den neuen tatsächlichen Verhältnissen im Arbeitsmarkt angepasst werden. Die Kritik der Arbeitgeber ist normal. Das gehört zu den politischen Ritualen, die gepflegt werden, wenn Gesetze gemacht werden. Ich glaube, dass das, was Riester vorlegen wird, ein vernünftiger Vorschlag ist, der auch den geänderten Lebensverhältnissen am Arbeitsmarkt gerecht wird. Also, ich bin der Auffassung, dass da - ebenso wie in der Frage des Länderfinanzausgleichs oder der Entfernungspauschale - viel Theaterdonner mit im Spiel ist.
Gehm: Bei einem anderen Thema droht möglicherweise echter Donner, und das ist ein äußerst sensibles Thema, zeigen sich doch Wirtschaft und Industrie sehr anfällig dabei. Das Thema heißt 'Finanzierung, Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter'.
Struck: Es ist ein Riesenskandal und ein unglaublicher Vorgang, dass die Industrie nach wie vor nicht in der Lage ist, ihren Anteil aufzubringen. Ich kann die Vertreter der Industrie auch nur auffordern, jetzt mit härteren Mitteln gegen die sich weigernden Unternehmen vorzugehen. Appelle in Zeitungsanzeigen helfen ganz offenbar nicht weiter. Ich bin sehr dafür, dass die Industrie die Namen derjenigen Firmen veröffentlicht, die sich nach wie vor weigern, sich an dem Fonds zu beteiligen. Nur auf diese Weise wird man auch öffentlich dann eine Diskussion über das verantwortungslose Verhalten solcher Unternehmen erreichen.
Gehm: Nun gibt es ja Vorstellungen - die werden beim BDI geäußert -, wegen der Finanzierungsprobleme vielleicht das Stiftungsgesetz ändern zu sollen. Das scheint doch wohl etwas realitätsfern?
Struck: Ja, es ist eine Vereinbarung getroffen worden zwischen der Industrie und der Bundesregierung unter - wie man weiß - sehr schwierigen Bedingungen, mit vielfältigen Gesprächen auf beiden Seiten, mit der amerikanischen Regierung, mit Vertretern der jüdischen Organisationen. Und wenn die Industrie in vielen Bereichen von der Politik Klarheit und Gewissheit über einen klaren Kurs und auch Vertragstreue verlangt, dann können wir das auch von ihr verlangen. Sie hat sich bereit erklärt, fünf Milliarden aufzubringen. Das hat sie nicht geschafft. Sie soll sich gefälligst an ihre Verpflichtungen halten.
Gehm: Zeitlich, wann wird die Sache kritisch?
Struck: Ja, auf jeden Fall sind wir daran interessiert, dass möglichst schnell die ersten Entschädigungen ausgezahlt werden. Nun hat der Bund sein Geld bereitgestellt; es sollen noch in diesem Jahr die ersten Zwangsarbeiter-Entschädigungen ausgezahlt werden. Das hat aber gar nichts damit zu tun, dass trotzdem die Industrie ihren Anteil erbringen muss.
Gehm: Herr Struck, in Cottbus findet an diesem Wochenende der PDS-Parteitag statt - quasi ein Generationswechsel. Und einen Wechsel hat es ja auch gegeben in der öffentlichen Bewertung. Die 'Roten-Socken-Kampagnen' sind Vergangenheit, die Initiatoren sind eigentlich auch Vergangenheit. Ist die PDS heute für die SPD eine Option, wenn es denn schon zu spät ist, ihre Wähler zu erben?
Struck: Ich spreche jetzt von der Bundessituation hier in Berlin. Da sehe ich mit Interesse, dass in der PDS Kräfte wie Gysi und Bisky resigniert aufgegeben haben, weil sie ganz offenbar mit einem reformorientierten Kurs noch nicht die Zustimmung ihrer Partei finden. Eine Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS auf Bundesebene steht überhaupt nicht zur Debatte. In den Ländern und in vielen Kommunen ist das anders; in Kommunen in den neuen Ländern arbeitet auch die CDU mit der PDS zusammen. Es ist eine jetzt etwas - wie ich finde - überflüssige Diskussion, jedenfalls was die Bundespolitik angeht.
Gehm: Beim Scheitern der PDS als Reformpartei - das Wählerpotential interessant für die SPD?
Struck: Ja, absolut. Also jeder kann sich ausrechnen, dass die Menschen, die PDS wählen, eher der Sozialdemokratie zuneigen, als der CDU - also eher eine Abneigung gegenüber den Konservativen haben. Wir haben immer gesagt, wir müssen die Wähler der PDS durch unsere politische Arbeit überzeugen. Das ist - glaube ich - auf Bundesebene auch auf gutem Wege. Gerade auch mit dem neuen Zukunftsinvestitionsprogramm werden wir auch Schwerpunkte in den neuen Ländern setzen. Der Tarifabschluss, den Otto Schily als verantwortlicher Innenminister für den öffentlichen Dienst vereinbart hat, sieht auch die Schritte der Herannäherung an das Gehaltsgefüge im Westen vor. Es bleibt noch eine Menge zu tun. Gerhard Schröder hat durch seine Reise in den neuen Bundesländern auch viel Vertrauen gewonnen, und wir haben schon klar erklärt: Der Solidarpakt muss fortgesetzt werden. Also ich glaube, die politischen Bedingungen für eine größere Zustimmung der Wähler der PDS zur SPD sind eigentlich da.
Gehm: Das Hoch- und Wohlbefinden der SPD zur Mitte der Legislaturperiode, Herr Struck, das hat natürlich auch zu tun mit dem Tief der CDU. Die CDU, so hat der Kanzler dieser Tage gesagt, habe Maß und Mitte verloren und wisse nicht wohin. Ist es aber nicht doch eher so, dass die Union krampft beim Attackieren, weil das Führungspersonal Probleme hat, seine Rolle auszufüllen?
Struck: Frau Merkel ist - aus meiner Sicht - überhaupt noch nicht gefestigt als CDU-Parteivorsitzende. Sie muss sich mit dem Problem Kohl nach wie vor herumschlagen. Die Gefolgsleute von Kohl spielen nach wie vor auch eine große Rolle in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Herr Merz ist ein nicht sehr überzeugender Fraktionsvorsitzender. Das heißt, die Führungsschwäche auf der Seite der Union führt natürlich dazu, dass man auch nicht erkennen kann, wo ihre politische Alternative ist.
Gehm: Die Gemengelage in der Union - die Probleme der neuen Führung der CDU und die Stabilität der CSU - kann man von einer Verlagerung der Gewichte in Richtung Süden sprechen?
Struck: Ja, eindeutig. Frau Merkel ist viel zu schwach gegenüber Herrn Stoiber. Herr Kohl als Mann im Hintergrund spielt hier in Berlin noch eine bedeutende Rolle. Er zieht die Fäden; auch Herr Merz hängt an seinem Faden, genau so wie Frau Merkel. Deshalb konzentrieren wir uns auch sehr, was inhaltliche Auseinandersetzungen angeht, auf Herrn Stoiber.
Gehm: Sie waren, das ist eine ganze Weile her, SPD-Obmann im Flick-Untersuchungsausschuss. Und auch damals ging es, wie heute letztendlich, um die Käuflichkeit politischer Entscheidungen. Die Beweislage ist äußerst kompliziert - auch heute?
Struck: Auch heute, obwohl man feststellen muss, dass - jedenfalls nach den eigenen Eingeständnissen von Helmut Kohl - Schwarzgeld geflossen ist. Er behauptet, von Spendern, die ihm das Ehrenwort abverlangt haben. Wir haben Zweifel an dieser Aussage. Die Staatsanwaltschaften in Deutschland - viele Staatsanwaltschaften - ermitteln gegen die CDU. Sie ist eine Partei für die Staatsanwaltschaft geworden. Ich persönlich habe es nicht für möglich gehalten, dass nach den Entdeckungen im Flick-Untersuchungsausschuss Helmut Kohl im Grunde so weitergemacht hat wie vorher auch.
Gehm: Parlamentarische Zwischenbilanz zur Mitte der Legislaturperiode - Herr Dr. Struck: Innenpolitisch ist die Lage für die SPD durchaus beschaulich, außenpolitisch gibt es gefährliche Risiken. Der Krieg kehrt zurück nach Nahost. Der Friedensprozess scheint am Ende zu sein, die Gewalt lebt wieder auf, und Terrorismus kann leicht überschwappen.
Struck: Das macht uns große Sorge. Es ist erschreckend zu sehen, wie schnell eigentlich die doch relativ gute Situation plötzlich in eine eskalierende Gewaltauseinandersetzung umgeschlagen ist. Wir müssen alles unternehmen, um wieder Ruhe in Israel und Palästina zu erreichen - auf allen denkbaren Wegen. Ich hoffe, dass das gelingt, denn dass Gewalt und Krieg kein Mittel der Lösung dieses Problems sind, weiß jeder.
Gehm: Es hat in den letzten Tagen und Stunden Anschläge gegeben in Arabien, auch Anschläge in Paris auf jüdische Einrichtungen. Ist hierzulande das Risiko nicht erheblich gestiegen?
Struck: Ich hoffe nicht. Nun kann man allerdings die Palästinenser nicht genau einschätzen, was Rationalität von Handeln angeht. Die Anschläge sind zu erklären durch falsche Politik von Arafat, der die Palästinenser laufen lässt. Er müsste eigentlich eingreifen. Ich weiß auch aus einem persönlichen Gespräch mit ihm im Mai diesen Jahres, dass er schon an einem Friedensprozess interessiert ist. Aber es schaukelt sich im Augenblick so auf. Auch Ehud Barak mit seiner Koalition - der nationalen Koalition, also Einschluss der Rechten in die Regierung - trägt nicht dazu bei, dass es hier eine entspannende Situation gibt. Sorge muss man sich machen, dass dieser Konflikt auch auf Europa, und damit auch auf uns überschwappt.
Gehm: Wie kann die internationale Gemeinschaft am besten im Nahost helfen?
Struck: Es geht nur auf dem Weg, den Bill Clinton vorgibt. Auch wir werden uns da - jedenfalls nicht in der ersten Reihe - aber doch mit aktiv beteiligen. Der amerikanische Präsident nimmt da wirklich in bewundernswerter Weise seine politische Verantwortung wahr. Er kann das auch, weil für ihn keine Wahlen mehr wichtig sind. Aber es kommt auf den guten Willen von Arafat und Barak an, und den kann man im Augenblick überhaupt nicht einschätzen.
Gehm: Und das ideologisch die Koalition sicherlich unterfüttert ...
Struck: Nein, wir haben uns in langen Gesprächen mit der Koalition im wesentlichen auf zwei oder drei politische Bereiche festgelegt. Das ist also Verstärkung von Investitionen in Bildung und Forschung, um unser Land wettbewerbsfähiger zu machen, dann im Bereich Verkehr - also insbesondere auch für die Bahn. Die Bahn wird sechs Milliarden Mark innerhalb dieser drei Jahre bekommen; und auch im Bereich Straßenbau, da sind es 2,7 Milliarden Mark. Und vor allem im Bereich der Energiewende. Wir wollen weg vom Öl und wollen dafür auch Geld in die Hand nehmen.
Gehm: Die rot-grüne Stimmung war ja schon bedeutend schlechter, Herr Struck. Nach dem ersten Chaosjahr - da war der Karren fast an der Wand. Dann aber kam die Trendwende: Stabilisierung Wirtschaft - Arbeitsmarkt, ein Jahr Reformpolitik. Der Kanzler nennt das 'Ende der German Disease´. Frage ist, ob und wie dieser Kurs gehalten werden kann - konkret: Was ist zu tun, oder besser: Was ist zu vermeiden?
Struck: Zu vermeiden ist eindeutig Streit; zunächst mal Streit innerhalb der Koalition. Da sehe ich keinen Anlass, wenngleich man in manchen Fragen sicherlich noch unterschiedliche Auffassungen haben wird. Das ist so bei unterschiedlichen Parteien. Und Streit ist auch in den eigenen Reihen zu vermeiden. Da sehe ich aber überhaupt keine Gefahr jetzt, weder in meiner Fraktion - noch im Verhältnis zwischen Fraktion und Regierung.
Gehm: Die Vorgabe also für die zweite Hälfte der Legislaturperiode: Einigkeit macht stark.
Struck: Genau so.
Gehm: Das Wahlvolk - wir sehen das in diesen Zeiten - ist sprunghaft wie nie. Es ist die große Zeit der Wechselwähler. Die Stimmungen kippen ganz rasant. Und ein Thema nervt Rot-Grün in diesem Herbst, das Thema ist gefährlich. Es heißt: Mineralölkrise, und es kann politisch wie wirtschaftlich einiges kaputtmachen.
Struck: Das ist wahr. Wir haben ja auch diese Kampagne der CDU - die heuchlerische Kampagne der CDU - gegen die Ökosteuer. Jeder weiß, dass die Ökosteuer nicht der Grund ist für die Entwicklung an den Tankstellen oder bei den Heizölkosten. Trotzdem macht uns das natürlich Sorge. Wir haben gerade am vergangenen Freitag im Bundestag eine erste Lesung über sozialflankierende Maßnahmen zu dieser Ölpreisentwicklung gehabt. Ich hoffe, dass mit der Verbesserung der Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale mit einem höheren Betrag von 80 Pfennig pro Kilometer und mit diesem einmaligen Heizkostenzuschuss von 5 Mark pro Quadratmeter für nicht so viel Verdienende doch auch eine ausreichende Lösung gefunden ist. Trotzdem - es bleibt richtig: Die Ölpreisentwicklung wird natürlich auch auf die Innenpolitik einen besonderen Einfluss haben.
Gehm: Die Wahlforscher behaupten, das Thema 'Benzinpreise' könne hierzulande Wahlen entscheiden.
Struck: Das sehe ich eigentlich nicht so. Wir sehen an den Meinungsumfragen, dass zum Höhepunkt der Benzinpreisentwicklung das für die Menschen das Hauptthema war. Danach kam erst die Arbeitslosigkeit. Das hat sich jetzt schon wieder geändert; das ist auch logisch, wenn die Preise sich wieder nach unten entwickeln. Trotzdem ist gerade die Frage der Ölabhängigkeit auch eine wichtige politische Frage. Deshalb wollen wir, dass die Menschen verstehen in unserem Land, dass Öl eine endliche Reserve ist und dass man weg vom Öl muss, denn langfristig werden wir wahrscheinlich Ölpreise haben, die denen, die wir heute beklagen, vielleicht einige Dollar pro Barrel schon voraus sind.
Gehm: Aber was machen Sie kurzfristig, wenn vor dem nächsten Schluck aus der Ökosteuer-Pulle die Preise oben stehen und die SPD-Wahlkämpfer Ihnen die Bude einrennen?
Struck: Die Ökosteuer ist beschlossen; sie gilt also für die Stufen 2001, 2002, 2003. Wir haben überhaupt keinen Anlass, an der Ökosteuer irgend etwas zu ändern. Wir werden sie also weder aussetzen noch abschaffen. Wir müssen versuchen, in der politischen Debatte den Menschen klarzumachen, dass die Ökosteuer nicht das Problem ist. Man kann auch in der Politik Steuerpolitik nicht danach gestalten, ob irgendein Scheich den Ölhahn auf- oder zudreht.
Gehm: 2003 ist 'Sense', ist Schluss mit der Ökosteuer. Das hat der Verkehrsminister gesagt. Ist Ihnen bekannt, dass der Kanzler ihn dafür gerüffelt hätte?
Struck: Nein, diese Äußerung habe ich auch nur aus den Veröffentlichungen entnommen. Wir haben in der Tat nur ein Gesetz, das bis 1. Januar 2003 gilt. Was danach gilt, wird dann eine neue Regierung zu entscheiden haben. Es macht also jetzt gar keinen Sinn, schon über die weiteren Jahre nach der nächsten Bundestagswahl zu spekulieren.
Gehm: Die Entfernungspauschale am letzten Freitag im Bundestag in erster Lesung - und Finanzminister Hans Eichel balgt sich ja munter mit den Ländern um die Finanzierungsanteile, auch mit den SPD-Ländern. Bleiben da die SPD-Landesfürsten bei der Stange?
Struck: Das kann ich jetzt noch nicht einschätzen. Ich halte es für normal, dass die Länder - die Ministerpräsidenten und die Finanzminister - zunächst mal sagen: 'Wenn der Bund ein solches Gesetz macht, wollen wir das nicht mit bezahlen'. Das geht bei der Entfernungspauschale nicht, denn es handelt sich um eine steuerliche Maßnahme, bei der die Länder ganz naturgemäß beteiligt sind. Wir sind jetzt in dem Stadium des 'Theaterdonners' - von beiden Seiten. Am Ende wird der Bundesrat zu entscheiden haben, ob er für Verbesserungen für Pendler ist und ob er für soziale Abfederung für Geringverdienende bei den Heizkosten ist. Und da bin ich ganz optimistisch.
Gehm: Theaterdonner kündigt sich ja auch anderen Orts an - bei einigen Reformbrocken, die da noch in der parlamentarischen Pipeline sind. Spektakulär das Thema 'Renten'. Im Konsens, so steht zu befürchten, ist die Rentenreform wohl nicht zu meistern.
Struck: Das ist wahr, wobei ich das sehr bedauere. Denn was die inhaltliche Ausgestaltung der Rentenreform angeht, sind viele Vorschläge, die die Union im Laufe der Debatte eingebracht hat, von uns berücksichtigt worden, soweit wir nicht selbst diese Vorschläge gemacht haben. Ich vermute, dass sich bei der Union Frau Merkel - von der ich den Eindruck habe, dass sie eigentlich eher bereit wäre, diese Rentenreform mit uns zu tragen - gegen Herrn Stoiber nicht durchsetzen wird, der wohl daraus ein Wahlkampfthema gegen die Koalition für die Bundestagswahl machen will.
Gehm: Erwarten Sie, dass sich in Sachen Rente Stoiber gegen Merkel weiter durchsetzt und es zur Konfrontation kommt?
Struck: Ja, mein Eindruck ist, dass die CDU/CSU hier von der CSU an der Leine geführt wird, also ganz konkret von Stoiber. Frau Merkel ist überhaupt nicht stark genug, sich gegen Stoiber durchzusetzen.
Gehm: SPD-seitig der Konsens also gesucht - aber zwingend wird er nicht sein?
Struck: Zwingend nicht. Den Teil der Rente können wir als zustimmungsfreien Teil alleine durchbringen. Was jetzt die steuerlichen Erleichterungen oder die Zulagen für Geringverdienende angeht, bei der privaten Altersvorsorge brauchen wir die Zustimmung des Bundesrates. Aber ich kann mir nicht ernsthaft vorstellen, dass die CDU/CSU im Bundesrat dagegen stimmt, dass wir Menschen, die die private Altersvorsorge alleine nicht finanzieren können, eine Zulage geben.
Gehm: Auf dem Tisch liegt ja auch ein Forderungskatalog der Gewerkschaften in Sachen Rente. Der ist einigermaßen üppig, Herr Struck. Deshalb gibt's Aktionstage in diesen Wochen, deshalb Protest. Kann es sein, dass Sie das mehr beeindrucken wird als das, was die CDU praktiziert?
Struck: Ja, das macht uns schon Sorge. Wir haben gerade in der vergangenen Woche auch mit der IG Metall nochmal ein ausführliches Gespräch über die Frage der Rentenreform gehabt. Zur Zeit sehe ich nicht, dass die IG Metall von ihren Forderungen oder von ihrer Kritik an dem Rentenreformentwurf von Walter Riester abgehen will. Vielleicht beruhigt sich das noch im Laufe der Zeit. Wir beabsichtigen, dieses Rentenreformgesetz im Frühjahr nächsten Jahres im Bundestag durchzubringen. Bis dahin gibt es auch noch Gelegenheit für Gespräche.
Gehm: Die CDU - so hat Friedrich Merz bei seiner Halbzeitbilanz gesagt - werde jedes Thema nutzen, das sich eignet, erfolgreich Wahlkampf zu führen. Wenn Sie erinnern, dass zwei Drittel der Deutschen der Auffassung sind - so die letzten Umfragen -, die Zuwanderung sei zu stark und die Grenzen der Belastbarkeit seien überschritten, welches Wahlkampfklima kann man dann beim Thema 'Ausländer' möglicherweise befürchten?
Struck: Man muss die allergrößten Befürchtungen haben. Die Union wird in ihrer Verzweiflung, keine tatsächlichen Angriffspunkte gegen die Regierung zu haben, möglicherweise zu einem Ausländerwahlkampf greifen. Das widerspricht nun manchen Äußerungen, die wir im Zusammenhang mit Anschlägen auf jüdische Synagogen und dergleichen in der Bundestagsdebatte von der CDU gehört haben. Sollte es einen Ausländerwahlkampf geben, werden wir konsequent darauf bestehen, dass wir Zuwanderung in unserem Lande brauchen. Wir wollen, dass die unter der Leitung von Rita Süßmuth tagende Kommission uns so rechtzeitig Vorschläge macht, dass wir vor der Bundestagswahl den Menschen klar sagen können, wie wir uns Zuwanderung in Zukunft vorstellen.
Gehm: Ziel ist ja, dass Süßmuth etwa im Mai nächsten Jahres den Bericht präsentiert. Dann wird man sehen, ob der Gesetzgeber aktiv werden muss. Aber das würde doch bedeuten, dass man das Einwanderungsgesetz quasi in den Vorwahlkampf hinein berät?
Struck: Das kann passieren. Es ist nicht ausgemacht, dass die Kommission uns empfiehlt, ein Gesetz zu machen. Man kann ja auch überlegen, ob man nicht, was die notwendige Zuwanderung angeht, den gleichen Weg geht wie bei den IT-Fachkräften, das heißt, über Verordnungen die Menschen in unser Land bitten. Wenn die Kommission ein Gesetz empfiehlt, bin ich dafür, dass wir das Gesetz auch noch vor der Bundestagswahl beschließen, um Klarheit zu haben für die Menschen, wie wir uns Zuwanderung vorstellen.
Gehm: Die Union wird bei diesem Komplex natürlich auch das Thema - wie angekündigt - Asyl in die Debatte bringen. Ist denn da mit der SPD intensiv eigentlich zu reden?
Struck: Nein. Wir haben klar erklärt - das wissen auch die Mitglieder der Kommission -, eine Änderung des Asylrechtes wird es mit uns nicht geben. Das gilt auch für den Koalitionspartner. Wenn man über Zuwanderung diskutiert, muss klar sein, dass diese Zuwanderungsquote - die man dann festlegt, und nach welchen Kriterien Menschen zuwandern können, wird dann auch die Kommission empfehlen - neben der Quote der Asylbewerber und der Bürgerkriegsflüchtlinge gilt.
Gehm: Herr Struck, in diesen Tagen mühen sich die potentiellen Antragsteller um einen gerichtsfesten NPD-Verbotsantrag. Die Fronten sind gelegentlich ja etwas seltsam. Überrascht Sie das?
Struck: Das überrascht mich. Wir haben das Ergebnis einer Arbeitsgruppe zwischen dem Bundesinnenministerium und Länderinnenministerien, unter anderem auch dem Landesinnenminister von Bayern - von Herrn Beckstein. Die empfehlen, einen solchen Verbotsantrag zu stellen. Deshalb wundert mich sehr die Haltung der CDU/CSU-Fraktion, die das so ohne weiteres nicht mittragen will. Wir werden das vorgelegte Material sorgfältig sichten. Dann bin ich sehr dafür, dass, wenn uns das Material zu dem Ergebnis führt, einen Antrag zu stellen, diesen auch im Bundestag beschließen zu lassen, wenn möglich auch im Bundesrat, so dass die drei Verfassungsorgane - Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat - eine gemeinsame Position haben.
Gehm: Auch bei einer angestrebten gemeinsamen Position: Es melden sich derzeit viele Bedenkenträger in Sachen NPD-Verbot. Ein Restrisiko, in Karlsruhe zu scheitern, ist natürlich immer vorhanden. Aber soll die viel zitierte wehrhafte Demokratie denn in Filzpantoffeln herumschlurfen und auf einen solchen Verbotsantrag verzichten?
Struck: Nein. Ich glaube, dass wir mit der NPD eine Partei verbieten lassen wollen, die nun wirklich die Kriterien eines solchen Verbots erfüllt, die sich also wirklich nicht an die verfassungsmäßige Ordnung hält - nicht nur die Partei selbst, sondern auch das Umfeld. Die Indizien dafür sind eindeutig. Ein Argument, das entgegengehalten wird, ist: 'Ja, es könnte ja vielleicht scheitern in Karlsruhe', das ist wahr. Wir sind nicht sicher, dass das Bundesverfassungsgericht unseren Argumenten folgt. Aber ich glaube, es muss hier auch ein deutliches politisches Signal gesetzt werden gegenüber dieser Partei.
Gehm: Neben dem Verbotsantrag - wenn er denn gestellt wird - wird es natürlich einer Reihe flankierender Maßnahmen bedürfen.
Struck: Ja, man muss natürlich das gesamte Umfeld auch mit beobachten. Das tut das Bundesinnenministerium. Die haben ja auch zum Beispiel schon eine entsprechende Organisation verboten. Also, da wird auch noch weiter zu arbeiten sein.
Gehm: Es gibt gegenwärtig Vorboten im parlamentarischen Raum auch für andere Auseinandersetzungen, Stichwort etwa die Ausweitung der Mitbestimmung im geplanten neuen Betriebsverfassungsgesetz. Verbands- und Arbeitgeberseite kritisieren da sehr massiv. Herr Struck, geht denn in Sachen Mitbestimmung nicht möglicherweise bald die 'neue Mitte' von der Fahne?
Struck: Nein, das glaube ich nicht. Das Mitbestimmungsgesetz muss den neuen tatsächlichen Verhältnissen im Arbeitsmarkt angepasst werden. Die Kritik der Arbeitgeber ist normal. Das gehört zu den politischen Ritualen, die gepflegt werden, wenn Gesetze gemacht werden. Ich glaube, dass das, was Riester vorlegen wird, ein vernünftiger Vorschlag ist, der auch den geänderten Lebensverhältnissen am Arbeitsmarkt gerecht wird. Also, ich bin der Auffassung, dass da - ebenso wie in der Frage des Länderfinanzausgleichs oder der Entfernungspauschale - viel Theaterdonner mit im Spiel ist.
Gehm: Bei einem anderen Thema droht möglicherweise echter Donner, und das ist ein äußerst sensibles Thema, zeigen sich doch Wirtschaft und Industrie sehr anfällig dabei. Das Thema heißt 'Finanzierung, Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter'.
Struck: Es ist ein Riesenskandal und ein unglaublicher Vorgang, dass die Industrie nach wie vor nicht in der Lage ist, ihren Anteil aufzubringen. Ich kann die Vertreter der Industrie auch nur auffordern, jetzt mit härteren Mitteln gegen die sich weigernden Unternehmen vorzugehen. Appelle in Zeitungsanzeigen helfen ganz offenbar nicht weiter. Ich bin sehr dafür, dass die Industrie die Namen derjenigen Firmen veröffentlicht, die sich nach wie vor weigern, sich an dem Fonds zu beteiligen. Nur auf diese Weise wird man auch öffentlich dann eine Diskussion über das verantwortungslose Verhalten solcher Unternehmen erreichen.
Gehm: Nun gibt es ja Vorstellungen - die werden beim BDI geäußert -, wegen der Finanzierungsprobleme vielleicht das Stiftungsgesetz ändern zu sollen. Das scheint doch wohl etwas realitätsfern?
Struck: Ja, es ist eine Vereinbarung getroffen worden zwischen der Industrie und der Bundesregierung unter - wie man weiß - sehr schwierigen Bedingungen, mit vielfältigen Gesprächen auf beiden Seiten, mit der amerikanischen Regierung, mit Vertretern der jüdischen Organisationen. Und wenn die Industrie in vielen Bereichen von der Politik Klarheit und Gewissheit über einen klaren Kurs und auch Vertragstreue verlangt, dann können wir das auch von ihr verlangen. Sie hat sich bereit erklärt, fünf Milliarden aufzubringen. Das hat sie nicht geschafft. Sie soll sich gefälligst an ihre Verpflichtungen halten.
Gehm: Zeitlich, wann wird die Sache kritisch?
Struck: Ja, auf jeden Fall sind wir daran interessiert, dass möglichst schnell die ersten Entschädigungen ausgezahlt werden. Nun hat der Bund sein Geld bereitgestellt; es sollen noch in diesem Jahr die ersten Zwangsarbeiter-Entschädigungen ausgezahlt werden. Das hat aber gar nichts damit zu tun, dass trotzdem die Industrie ihren Anteil erbringen muss.
Gehm: Herr Struck, in Cottbus findet an diesem Wochenende der PDS-Parteitag statt - quasi ein Generationswechsel. Und einen Wechsel hat es ja auch gegeben in der öffentlichen Bewertung. Die 'Roten-Socken-Kampagnen' sind Vergangenheit, die Initiatoren sind eigentlich auch Vergangenheit. Ist die PDS heute für die SPD eine Option, wenn es denn schon zu spät ist, ihre Wähler zu erben?
Struck: Ich spreche jetzt von der Bundessituation hier in Berlin. Da sehe ich mit Interesse, dass in der PDS Kräfte wie Gysi und Bisky resigniert aufgegeben haben, weil sie ganz offenbar mit einem reformorientierten Kurs noch nicht die Zustimmung ihrer Partei finden. Eine Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS auf Bundesebene steht überhaupt nicht zur Debatte. In den Ländern und in vielen Kommunen ist das anders; in Kommunen in den neuen Ländern arbeitet auch die CDU mit der PDS zusammen. Es ist eine jetzt etwas - wie ich finde - überflüssige Diskussion, jedenfalls was die Bundespolitik angeht.
Gehm: Beim Scheitern der PDS als Reformpartei - das Wählerpotential interessant für die SPD?
Struck: Ja, absolut. Also jeder kann sich ausrechnen, dass die Menschen, die PDS wählen, eher der Sozialdemokratie zuneigen, als der CDU - also eher eine Abneigung gegenüber den Konservativen haben. Wir haben immer gesagt, wir müssen die Wähler der PDS durch unsere politische Arbeit überzeugen. Das ist - glaube ich - auf Bundesebene auch auf gutem Wege. Gerade auch mit dem neuen Zukunftsinvestitionsprogramm werden wir auch Schwerpunkte in den neuen Ländern setzen. Der Tarifabschluss, den Otto Schily als verantwortlicher Innenminister für den öffentlichen Dienst vereinbart hat, sieht auch die Schritte der Herannäherung an das Gehaltsgefüge im Westen vor. Es bleibt noch eine Menge zu tun. Gerhard Schröder hat durch seine Reise in den neuen Bundesländern auch viel Vertrauen gewonnen, und wir haben schon klar erklärt: Der Solidarpakt muss fortgesetzt werden. Also ich glaube, die politischen Bedingungen für eine größere Zustimmung der Wähler der PDS zur SPD sind eigentlich da.
Gehm: Das Hoch- und Wohlbefinden der SPD zur Mitte der Legislaturperiode, Herr Struck, das hat natürlich auch zu tun mit dem Tief der CDU. Die CDU, so hat der Kanzler dieser Tage gesagt, habe Maß und Mitte verloren und wisse nicht wohin. Ist es aber nicht doch eher so, dass die Union krampft beim Attackieren, weil das Führungspersonal Probleme hat, seine Rolle auszufüllen?
Struck: Frau Merkel ist - aus meiner Sicht - überhaupt noch nicht gefestigt als CDU-Parteivorsitzende. Sie muss sich mit dem Problem Kohl nach wie vor herumschlagen. Die Gefolgsleute von Kohl spielen nach wie vor auch eine große Rolle in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Herr Merz ist ein nicht sehr überzeugender Fraktionsvorsitzender. Das heißt, die Führungsschwäche auf der Seite der Union führt natürlich dazu, dass man auch nicht erkennen kann, wo ihre politische Alternative ist.
Gehm: Die Gemengelage in der Union - die Probleme der neuen Führung der CDU und die Stabilität der CSU - kann man von einer Verlagerung der Gewichte in Richtung Süden sprechen?
Struck: Ja, eindeutig. Frau Merkel ist viel zu schwach gegenüber Herrn Stoiber. Herr Kohl als Mann im Hintergrund spielt hier in Berlin noch eine bedeutende Rolle. Er zieht die Fäden; auch Herr Merz hängt an seinem Faden, genau so wie Frau Merkel. Deshalb konzentrieren wir uns auch sehr, was inhaltliche Auseinandersetzungen angeht, auf Herrn Stoiber.
Gehm: Sie waren, das ist eine ganze Weile her, SPD-Obmann im Flick-Untersuchungsausschuss. Und auch damals ging es, wie heute letztendlich, um die Käuflichkeit politischer Entscheidungen. Die Beweislage ist äußerst kompliziert - auch heute?
Struck: Auch heute, obwohl man feststellen muss, dass - jedenfalls nach den eigenen Eingeständnissen von Helmut Kohl - Schwarzgeld geflossen ist. Er behauptet, von Spendern, die ihm das Ehrenwort abverlangt haben. Wir haben Zweifel an dieser Aussage. Die Staatsanwaltschaften in Deutschland - viele Staatsanwaltschaften - ermitteln gegen die CDU. Sie ist eine Partei für die Staatsanwaltschaft geworden. Ich persönlich habe es nicht für möglich gehalten, dass nach den Entdeckungen im Flick-Untersuchungsausschuss Helmut Kohl im Grunde so weitergemacht hat wie vorher auch.
Gehm: Parlamentarische Zwischenbilanz zur Mitte der Legislaturperiode - Herr Dr. Struck: Innenpolitisch ist die Lage für die SPD durchaus beschaulich, außenpolitisch gibt es gefährliche Risiken. Der Krieg kehrt zurück nach Nahost. Der Friedensprozess scheint am Ende zu sein, die Gewalt lebt wieder auf, und Terrorismus kann leicht überschwappen.
Struck: Das macht uns große Sorge. Es ist erschreckend zu sehen, wie schnell eigentlich die doch relativ gute Situation plötzlich in eine eskalierende Gewaltauseinandersetzung umgeschlagen ist. Wir müssen alles unternehmen, um wieder Ruhe in Israel und Palästina zu erreichen - auf allen denkbaren Wegen. Ich hoffe, dass das gelingt, denn dass Gewalt und Krieg kein Mittel der Lösung dieses Problems sind, weiß jeder.
Gehm: Es hat in den letzten Tagen und Stunden Anschläge gegeben in Arabien, auch Anschläge in Paris auf jüdische Einrichtungen. Ist hierzulande das Risiko nicht erheblich gestiegen?
Struck: Ich hoffe nicht. Nun kann man allerdings die Palästinenser nicht genau einschätzen, was Rationalität von Handeln angeht. Die Anschläge sind zu erklären durch falsche Politik von Arafat, der die Palästinenser laufen lässt. Er müsste eigentlich eingreifen. Ich weiß auch aus einem persönlichen Gespräch mit ihm im Mai diesen Jahres, dass er schon an einem Friedensprozess interessiert ist. Aber es schaukelt sich im Augenblick so auf. Auch Ehud Barak mit seiner Koalition - der nationalen Koalition, also Einschluss der Rechten in die Regierung - trägt nicht dazu bei, dass es hier eine entspannende Situation gibt. Sorge muss man sich machen, dass dieser Konflikt auch auf Europa, und damit auch auf uns überschwappt.
Gehm: Wie kann die internationale Gemeinschaft am besten im Nahost helfen?
Struck: Es geht nur auf dem Weg, den Bill Clinton vorgibt. Auch wir werden uns da - jedenfalls nicht in der ersten Reihe - aber doch mit aktiv beteiligen. Der amerikanische Präsident nimmt da wirklich in bewundernswerter Weise seine politische Verantwortung wahr. Er kann das auch, weil für ihn keine Wahlen mehr wichtig sind. Aber es kommt auf den guten Willen von Arafat und Barak an, und den kann man im Augenblick überhaupt nicht einschätzen.