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Struck: Afghanistan-Mandate werden nicht beendet

SPD-Fraktionschef Peter Struck wendet sich in der Diskussion um den Afghanistaneinsatz gegen Forderungen aus seiner Partei, das Engagement der Bundeswehr in der Sicherheits-Truppe ISAF zu verlängern, aber das Mandat für eine Beteiligung an dem US-geführten Militäreinsatz "Enduring Freedom" zu beenden. Alle Teile des Bundeswehr-Einsatzes sollten fortgesetzt werden, sagte der ehemalige Verteidigungsminister. In der Zusammenarbeit mit den USA sei jedoch eine engere Abstimmung nötig.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Seitdem am Wochenende bei einem Attentat in Kundus in Nord-Afghanistan drei Bundeswehrangehörige getötet worden sind, wird in Deutschland wieder über den Bundeswehreinsatz dort, die Strategie der NATO, das Verhältnis von ISAF-Auftrag und dem von Enduring Freedom diskutiert. Für letzteren stehen auch deutsche Elitesoldaten des KSK bereit. Es geht aber auch um die Art und Weise, wie die Bundeswehr bisher um Vertrauen in der Bevölkerung in Afghanistan geworben hat, nämlich offen, im direkten Kontakt, weniger martialisch und damit angreifbar im wahrsten Sinne des Wortes, wie sich gezeigt hat. Heute wird der drei toten Bundeswehrangehörigen gedacht. Ihre Leichname kommen auf dem Flugplatz Köln-Wahn an. Es gibt eine militärische Zeremonie und eine ökumenische Trauerfeier.

    Peter Struck, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, hat dies schon einmal tun müssen als Verteidigungsminister. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen Herr Struck.

    Peter Struck: Guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Was ist das schwerste in solchen Minuten, wenn die militärischen Führer der Soldaten, wenn der Verteidigungsminister den Soldaten die letzte Ehre erweisen, unter den Augen ihrer Angehörigen?

    Struck: Das bitterste sind die Gespräche, die vorher geführt werden mit den Angehörigen. Man kann nicht erwarten, dass die Angehörigen verstehen, warum ihre Männer gestorben sind, und man muss darum dafür werben, dass dieser Einsatz nach wie vor notwendig ist. Man muss ihnen auch sagen, dass ihre Männer eine verantwortliche Aufgabe wahrgenommen haben im Interesse unseres Landes. Aber es sind schon die bittersten Momente, die man erlebt als Verteidigungsminister, wenn man vor den Särgen der gestorbenen Soldaten steht.

    Durak: Weshalb ist dieser Einsatz weiter notwendig?

    Struck: Afghanistan braucht nach wie vor Hilfe und wir müssen uns darauf einrichten, dass unsere Vorstellungen, dass man sehr schnell das Land wieder verlassen könne, nicht realistisch sind. Ich glaube, dass wir längere Zeit in Afghanistan bleiben müssen, weil der Aufbau nicht so schnell geht, wie wir es alle erwartet haben. Man darf nie vergessen: das Land hat zig Jahre in einem Bürgerkrieg gelebt. Das Land war Ausgangspunkt für terroristische Aktivitäten. El-Kaida hat Afghanistan zu den Taliban-Zeiten als sicheren Hafen für die Ausbildung von Terroristen genutzt. Und das alles aus dem Land wieder herauszubekommen und das Land dann in eine friedliche und demokratische Zukunft zu führen, erfordert Geduld und erfordert natürlich auch intensive Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft.

    Durak: Der Frieden ist in Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen, hat vor ein paar Minuten die Botschafterin Afghanistans hier bei uns im Programm gesagt und hinzugefügt, es kommt auf die Art und Weise an, wie das Militär handelt. Dies sei entscheidend für die Akzeptanz und die Unterstützung durch die afghanische Bevölkerung. Im Klartext heißt das, da ist der deutliche Unterschied zwischen den ISAF-Aktionen und den Aktionen von Enduring Freedom gemeint. Soll OEF beendet werden?

    Struck: Nein. Ich glaube die internationale Bedrohung durch den Terrorismus gibt es ja nach wie vor. Wir haben gerade jetzt Anschläge gehabt in verschiedenen Städten der Welt und wir können von Glück sagen, dass bisher Deutschland noch nicht davon betroffen war. Es war ja gerade auch in letzter Sekunde ein Anschlag verhindert worden.

    Es geht zunächst einmal darum, dass das Mandat, das ISAF-Mandat, das Unterstützungs- und Hilfsmandat, das die NATO jetzt wahrnimmt, auch intensiver im Bereich der zivilen Wiederaufbauhilfen erfolgt. Wir müssen auch sehen, dass die Soldaten, die zirka 3.000 Soldatinnen und Soldaten, die Deutschland entsendet, ja eigentlich nur Hilfe für den zivilen Wiederaufbau des Landes sein sollen, Schutzkomponente für Nichtregierungsorganisationen, die das Land wieder aufbauen in vielen Bereichen. Der Kampf gegen den Terrorismus muss weitergehen. Die Frage, die sich stellt, ist vor allen Dingen gerichtet an die Amerikaner, wie sie diesen Kampf führen. Es kommt auch sehr darauf an, wie das Auftreten der Soldatinnen und Soldaten der Vereinten Nationen, der USA und der Europäer ist. Wir haben uns da nichts vorzuwerfen im Norden des Landes, wo wir die Verantwortung wahrnehmen, wobei ich hinzufügen muss, dass gegen Selbstmordattentäter niemand geschützt werden kann.

    Durak: Die gegen die internationalen Truppen kämpfenden Verbände oder Einzelkämpfer unterscheiden wohl kaum zwischen den ISAF-Truppen und denen, die im Rahmen von Enduring Freedom unterwegs sind, zumal ISAF-Soldaten auch Operationen von OEF begleiten, unterstützen und sichern. Wie kann man sich besser abgrenzen?

    Struck: Es ist klar, dass die ISAF-Unterstützungstruppe das Land aufgeteilt hat in vier verschiedene Regionen. Bekanntlich sind wir für den Norden zuständig. Dort ist es relativ ruhig. Im Süden ist es überhaupt nicht ruhig und auch überhaupt nicht stabil. Dort müssen verstärkte Aktivitäten unternommen werden. Der größte Problembereich ist im Osten des Landes gelegen zur Grenze nach Pakistan, von der man auch weiß, dass sie möglicherweise auch von Osama Bin Laden mehrfach überschritten worden ist oder überschritten werden kann. Hier geht es darum, dass wir die afghanische Armee intensiver ausbilden als bisher. Wir haben viele Ausbilder dort gehabt, auch schon 35.000 afghanische Soldaten ausgebildet. Die Zielzahl ist 70.000, die ausgebildet werden. Auch die Polizeikräfte müssen intensiver von uns geschult werden mit anderen Nationen zusammen. Es geht darum - das ist ein Punkt, der mir Sorge macht, Frau Durak -, dass vor allen Dingen bei den afghanischen Bürgern, bei den normalen Bürgern auch die internationale Hilfe sichtbar wird und auch ankommt, die ja beschlossen worden ist. Es sind fast acht Milliarden US-Dollar in dieses Land geflossen in den vergangenen Zeiten, von denen ich fürchte, dass nicht viel bei den normalen Bürgern angekommen ist, denn sonst würden auch viele nicht weiter gezwungen sein, sich mit Drogenanbau und dergleichen am Leben zu halten.

    Durak: Sie sprechen von Korruption?

    Struck: Ja.

    Durak: Und also von der Regierung?

    Struck: Ja. Ich glaube schon, dass die Regierung, die afghanische Regierung von Präsident Karsai stärker gefordert ist, auch das Parlament dort in diesem Land, energischer gegen Korruption und gegen persönliche Bereicherung von Funktionsträgern vorzugehen, und auch natürlich gegen den Drogenanbau vorzugehen. Die internationale Staatengemeinschaft erwartet, dass auch die Afghanen selbst und die afghanische Regierung selbst ihren Beitrag dazu leisten, dass das Land stabiler wird.

    Durak: Präsident Karsai hat ohnehin wenig Unterstützung im ganzen Land, ist nur relativ sicher in Kabul. Unterstützen wir den falschen Mann?

    Struck: Nein. Er ist in einer freien Wahl gewählt worden als einer von sieben Präsidentschaftskandidaten, im ersten Wahlgang schon mit über 50 Prozent. Es geht aber auch darum, dass wir auch versuchen, bei den örtlichen Gouverneuren, bei den örtlichen Machthabern nicht nur in unserem Verantwortungsbereich, auch in den Verantwortungsbereichen anderer Nationen - wie soll ich das sagen - Beziehungen aufzubauen die gewährleisten, dass die, die vor Ort die große Verantwortung tragen, fern von Kabul, auch die internationale Hilfe dann entsprechend weitergeben, so wie es vereinbart worden ist.

    Durak: Wie wird in der SPD, Herr Struck, um auf Ihre Funktion zu kommen, diskutiert, wie es im Herbst mit der Verlängerung der drei Mandate für ISAF, für OEF und für die Tornados weitergehen soll?

    Struck: Ich glaube nicht, dass die SPD-Fraktion beschließen wird, dass wir diese Mandate beenden. Das ist gar keine Frage. Wenn wir aus Afghanistan herausgehen würden, wird die viele Arbeit, die geleistet worden ist, völlig umsonst sein. Die Soldaten, die gestorben sind, wären dann umsonst gestorben. Und das Land braucht noch die Hilfe. Das heißt es wird niemand dafür plädieren, abgesehen von solchen, die grundsätzliche Bedenken gegen Auslandseinsätze haben, aus den Mandaten herauszugehen.

    Durak: Aber?

    Struck: Man muss intensiv über OEF auch natürlich diskutieren. Da geht es darum, dass wir eine engere Abstimmung mit den Amerikanern, die die Führung in diesem Mandat haben, auch herbeiführen, weil ich glaube, dass der Eindruck, der bei manchen Afghanen entsteht, da würde ohne Rücksicht auf Verluste, auch ohne Rücksicht auf so genannte Kolateralschäden, die ja entstehen können, das heißt die Tötung oder Verletzung von zivilen Menschen in Afghanistan, vorgegangen, dass man hier auch Klarstellungen trifft, aber auch andere Vereinbarungen trifft.

    Durak: Es ist ja nicht nur ein Eindruck, Herr Struck. Es gibt immer mehr zivile Opfer durch OEF-Einsätze.

    Struck: Ja. Mir geht es vor allen Dingen darum: Natürlich sind solche Vorgänge möglich bei militärischen Einsätzen, aber sie müssen wirklich vermieden werden. Da geht es auch darum, wie tritt das Militär auf, welche Vorgaben gibt es. Zum Beispiel wissen wir ja genau, dass die Tornado-Fotos, die geliefert werden, nicht dazu dienen sollen, jetzt in irgendwelchen zivilen Dörfern anzugreifen, sondern versteckte Taliban-Lager aufzuspüren. Hier glaube ich, dass wir noch erheblichen Abstimmungs- und Koordinierungsbedarf innerhalb der NATO, innerhalb der Vereinten Nationen, auch innerhalb der europäischen Staaten haben.

    Durak: Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Peter Struck war das. Herzlichen Dank, Herr Struck, für das Gespräch.

    Struck: Bitte sehr!