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Struck: Spanischer Truppenabzug nicht dramatisch

Meurer: Aus Sicht der Terroristen könnten, so makaber es klingen mag, die blutigen Anschläge vom letzten Donnerstag in Madrid als Erfolg verbucht werden. Erstens: 200 Menschen sind in den Tod gerissen worden. Zweitens: die spanische Regierung wurde abgewählt. Und drittens droht jetzt der neue Ministerpräsident, die spanischen Soldaten aus dem Irak abzuziehen. Das wird in Washington mit Sorge betrachtet.

    Am Telefon begrüße ich nun Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD). Guten Morgen Herr Struck.

    Struck: Guten Morgen!

    Meurer: Verfolgen Sie den Kurswechsel der spanischen Regierung in der Außen- und Sicherheitspolitik mit Sympathie?

    Struck: Nein. Zunächst einmal muss man in der Tat feststellen, dass die damalige spanische Opposition, die jetzt die Regierung stellen wird, von Anfang an gegen den Irak-Krieg der USA und Großbritanniens war. Wir haben noch keinen Kontakt. Ich habe auch noch keinen persönlichen Kontakt mit dem neuen Verteidigungsministerkollegen. Aber es war klar, dass sich die Politik Spaniens ändern würde.

    Meurer: Wäre es Ihnen lieber, Spanien würde seine Truppen im Irak belassen?

    Struck: Das ist eine Frage, die sich zunächst an die Polen richtet, denn man muss wissen, dass Polen die Verantwortung für einen bestimmten Sektor im Irak übernommen hat. Spanien, Italien und andere Länder sind in diesem Sektor mit Soldaten vertreten. Natürlich werden sich die Polen besondere Sorgen machen, wenn die spanische Regierung ihre etwa 1000, 1500 Soldaten abzieht.
    Wichtig ist aber nach wie vor, dass natürlich eine internationale Präsenz im Irak bleibt, denn ein vollständiger Abzug, auch einmal unterstellt, die Amerikaner würden den gleichen Schritt gehen, würde natürlich die Instabilität des Landes deutlich erhöhen.

    Meurer: Das heißt ein Abzug der Spanier aus dem Irak könnte den Irak instabiler werden lassen?

    Struck: Nein. Bei der Größenordnung der Soldaten, die im Augenblick von Spanien gestellt werden, wäre das nicht dramatisch. Es wäre allerdings dann ein deutliches politisches Signal, das ja wohl auch beabsichtigt ist.

    Meurer: Ist dieses politische Signal auch so zu verstehen, dass die Terroristen sich auf die Schulter klopfen können und sagen das haben wir jetzt geschafft, Spanien droht die Soldaten abzuziehen?

    Struck: Nein, ich denke nicht. Das Hauptproblem der internationalen Staatengemeinschaft im Irak ist die Instabilität, die ohnehin vorhanden ist. Es gibt zwar eine Übergangsverfassung. Es wird ab 1. Juli auch einen neuen Übergangsrat geben, der die Aufgabe hat, eine Verfassung zu erarbeiten, auf deren Grundlage dann möglichst im Frühjahr nächsten Jahres freie Wahlen im Irak stattfinden sollen. Man muss aber wissen, dass nach wie vor die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und auch unterschiedlichen Religionsgruppen im Irak sich noch nicht darauf geeinigt haben, wie denn eine solche neue Verfassung aussehen soll, und darin liegen die größten Schwierigkeiten.

    Meurer: Wie groß ist Ihrer Einschätzung und Kenntnis nach die Wahrscheinlichkeit, dass ab dem Sommer die Besatzung im Irak unter UN-Kontrolle gestellt wird, was die Amerikaner versuchen zu erreichen - zumindest heißt es jetzt so aus Washington -, und damit könnten sie den Spaniern eine Brücke bauen?

    Struck: Das ist noch nicht abzusehen. Es ist die Frage, ob die neue Übergangsregierung oder besser gesagt der neue Übergangsrat die Vereinten Nationen bitten wird, mehr Verantwortung zu übernehmen. Das ist auch dann eine Entscheidung der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrates, wie er mit einem solchen Vorschlag umgehen würde. Das kann man im Augenblick nicht einschätzen. Ob dann die NATO ins Spiel kommt ist eine weitere unsichere Frage, denn es muss geprüft werden, welche Bitten werden dann von diesem neuen Übergangsrat an die Vereinten Nationen und von diesen dann vielleicht an die NATO gerichtet werden.

    Meurer: Ein neues UN-Mandat, eine UN-Bitte wäre schon die entscheidende Voraussetzung für einen NATO-Einsatz?

    Struck: Ja, das ist sicherlich für die Spanier so. Das ist ja auch für Deutschland und für die anderen europäischen Staaten eine wichtige Frage. Wir sind alle bemüht, möglichst bald diese Art Besatzungsregime, die es im Irak jetzt noch gibt, umzuwandeln, so dass man von einer Regierung dann reden kann, die auch von der Bevölkerung akzeptiert wird. Das kann man im Augenblick sicherlich nicht und ob man es bei einem neuen Übergangsregierungsrat sagen kann, wird sich zeigen.

    Meurer: Herr Struck, gibt es bei Ihnen doch so etwas wie eine unterschwellige Zufriedenheit, dass Spanien sich jetzt auf die Seite von Berlin und Paris geschlagen hat?

    Struck: Nein. Mit solchen Kategorien kann man in der Politik, gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht arbeiten. Wir haben lange Gespräche im Rahmen der NATO-Verteidigungsminister geführt über das Thema Irak, auch im Rahmen der Verteidigungsminister der Europäischen Union. Jede Regierung hat das souveräne Recht zu entscheiden, ob und gegebenenfalls wie es sich an einer bestimmten Maßnahme beteiligt. Man muss jetzt einfach zur Kenntnis nehmen, dass offenbar die neue spanische Regierung eine andere Auffassung vertritt als ihre Vorgängerregierung.

    Meurer: Ist der Kurswechsel der Spanier der Anfang vom Ende der Unterscheidung Europas in alt und neu?

    Struck: Eigentlich war das eine eher künstliche Entscheidung. Wir hatten die ärgerliche Situation, dass einige europäische Staaten, insgesamt acht, sich beim amerikanischen Präsidenten gemeldet haben und die Irak-Politik uneingeschränkt unterstützt hatten, obwohl es vorher in der Europäischen Union dafür keine Hinweise gab, dass sich acht abspalten würden. Das ist nun vorbei. Wir haben alle beschlossen, dass wir daraus auch lernen wollen, dass es keine Spaltung innerhalb Europas mehr geben darf, gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik. Von daher sehe ich eigentlich sehr optimistisch in die Zukunft, was eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik angeht.

    Meurer: In den Bekennervideos, Herr Struck, heißt es ja, das in Madrid war eine Strafe für den Einsatz im Irak und in Afghanistan. Im Irak sind die Deutschen nicht dabei, wohl aber in Afghanistan. Gibt es da jetzt eine Bedrohung für die Bundeswehr oder für Deutschland?

    Struck: Man darf sich keine Illusionen über die Sicherheitslage in Afghanistan machen und auch nicht über die Sicherheitslage in Deutschland. Otto Schily hat sich ja dazu klar geäußert. Was Afghanistan angeht wissen wir, dass es immer eine instabile und überhaupt nicht ruhige Lage gibt. Es gibt mehrfach dann Anschläge von Taliban- oder auch El Kaida-Anhängern, glücklicherweise bisher auf unser Camp in Kabul noch nicht, aber natürlich haben auch alle Soldaten und Soldatinnen muss ich sagen, die der internationalen Schutztruppe angehören, mit einem hohen Risiko zu rechnen. Das gleiche gilt natürlich auch für uns in Deutschland, denn in Afghanistan sind wir ja stark präsent. Deutschland ist die zweitstärkste Nation dort. Wenn El Kaida das als Grund für einen Anschlag anführt, dann muss man auch damit rechnen, dass Deutschland nicht unberührt davon bleiben wird.

    Meurer: Aber sind nicht doch die Länder mehr gefährdet, die die USA entscheidend unterstützt haben wie zum Beispiel Großbritannien, Italien oder Polen?

    Struck: Man kann das nicht so genau sagen, Herr Meurer. Man muss eigentlich immer damit rechnen, dass jemand oder ein Staat, der zum Beispiel wie unser Land massiv gegen den internationalen Terrorismus vorgeht, wir in der Weise, dass wir stark präsent in Afghanistan sind, Zielscheibe von Terroristen sein kann. Bisher sind wir in unserem Land hier davon verschont geblieben, aber es wäre völlig falsch zu sagen, Deutschland kann es nicht treffen bei dem Fanatismus, den diese Terroristen ja als Grundlage für ihre politische Arbeit nehmen.

    Meurer: Einen Abzug der Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan lehnen Sie jedenfalls definitiv ab?

    Struck: Ja. Wir werden das niemals machen, solange nicht die politische Lage viel stabiler ist. Das kann vielleicht jetzt Mitte des Jahres mit den ersten freien Präsidentenwahlen in Afghanistan sich entspannen, aber würden wir dieses Land verlassen und die anderen Schutztruppen auch, würde dieses Land sofort wieder in Chaos und Anarchie verfallen und wieder Ausgangspunkt für terroristische Aktivitäten sein.

    Meurer: Bundesverteidigungsminister Peter Struck heute Morgen im Deutschlandfunk. - Herr Struck, herzlichen Dank und auf Wiederhören!