
Thilo Kraneis läuft die letzten Schritte hinauf zur gelbgestrichenen Kirche. Sie ist der höchste Ort im Dörfchen Pödelwitz, das etwa 20 Kilometer südlich von Leipzig liegt. Idyllisch, aber direkt neben den gigantischen Löchern des Mitteldeutschen Braunkohlereviers. Auch das Dorf gehört zu großen Teilen gewissermaßen der Braunkohle. Betreten-verboten-Schilder an den Häusern weisen darauf hin, dass sie sich im Besitz des Unternehmen Mitteldeutsche Braunkohle GmbH, kurz Mibrag befinden. Von 130 Bewohnern sind 26 geblieben. Schlossermeister Kraneis ist einer von ihnen. Er engagiert sich im Kirchenvorstand und hat Angst, dass Pödelwitz und seine Kirche den Braunkohlebaggern zum Opfer fallen könnten.
"Die Gefahr, wie gesagt, ist riesengroß. Damit umgehen tue ich so, dass ich sage, ich vertraue darauf, dass der Herr auf unserer Seite steht und sagt, jawohl, das bleibt stehen."

Mit dem Kohlekompromiss enden die Laufzeiten der Braunkohletagebaue früher als geplant. Bei der Mibrag sei man enttäuscht vom Kohlekompromiss, heißt es in einer Pressemitteilung. Man prüfe jetzt die Konsequenzen. Die unter Pödelwitz liegende Kohle bleibe aber Teil der Planung, heißt es auf Nachfrage. Ein Abbaggern des Dorfes ergebe angesichts des beschlossenen Ausstiegs keinen Sinn mehr, sagt Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der Grünen im sächsischen Landtag. Im Bericht wird Pödelwitz ebenso wenig erwähnt wie die anderen noch von der Abbaggerung bedrohten Dörfer. Die Landesregierungen sollen aber demnach schnellstmöglich für Sicherheit für die Betroffenen sorgen, sagt Grünen-Politiker Lippold
"Schnellstmögliche Sicherheit lässt sich etwa im Fall Pödelwitz im Mitteldeutschen Revier aber nur dadurch erreichen, dass man auf ein noch nicht einmal stattgefundenes Planfeststellungsverfahren – da gibt es also noch keinerlei Genehmigungen, noch nicht einmal einen Genehmigungsantrag. Dass man an dieser Stelle darauf verzichtet und dieses Projekt beerdigt, dieses Dorf noch abzubaggern."

"Wir sehen überall dort, wo innovative Unternehmen sind, ist die Exportrate höher, sind die Gehälter höher, und deswegen setzen wir ganz bewusst in diesen Regionen jetzt auch auf Innovationen und wollen dort die Sachen voranbringen. Wir sind uns glaube ich alle einig, dass ohne ein Planungsbeschleunigungsrecht es nicht möglich sein wird, auch den langen Korridor von 20 Jahren, den wir jetzt haben, wirksam auszufüllen, wenn wir nicht ein Planungsbeschleunigungsrecht bekommen."
"Die Arbeitsgrundlage aktuell ist das Energie- und Klimaprogramm von 2012, das ist die aktuelle Grundlage. Es wird in dieser Legislaturperiode keine Fortschreibung geben. Da lagen wir doch zu weit auseinander."
"Aber, es ist schon so, Martin Dulig hat ja gesagt, wir setzen sehr auf die vorhandenen Unternehmen und dass sie sich weiterentwickeln. Also LEAG und Mibrag. Wir sind mit den Vorständen, aber auch mit den Eigentümern im intensiven Gespräch. Und die setzen auch, das muss man sagen, ein Stück weit auf erneuerbare Energien", ergänzt Ministerpräsident Michael Kretschmer.

"Ich bin am Donnerstagabend eingeladen mit den anderen Ministerpräsidenten der Kohleländer und auch den Vorsitzenden der Kommission noch einmal. Ein großer Teil der Bundesregierung wird anwesend sein, um den Fahrplan zu vereinbaren."
"Jetzt muss die Bundesregierung dieses umsetzen, und das heißt, dass wir die materiellen und finanziellen Voraussetzungen haben, um noch zukünftig Arbeitsplätze anzubieten", ergänzt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Der Christdemokrat gilt in Berlin seit Monaten als einer der schärfsten Verfechter für die Interessen der Braunkohle-Regionen. Erst seit einigen Tagen gibt sich Haseloff wieder konzilianter: "Erst die Arbeitsplätze, dann der Rückbau. Das ist geschafft."
"Ich habe ja schon gesagt, das ist sehr viel Geld. Es geht um den Betrag, der schon im Haushalt ausgewiesen ist. Das sind 1,5 Milliarden Euro jährlich bis zum Ende dieser Legislaturperiode 2021. Und mir ist völlig klar, dabei bleibt es nicht stehen. Wir werden die nächsten 20 Jahre Stück für Stück viele weitere Milliarden am Ende auch ausgeben müssen. Das ist ja unvermeidbar, und das weiß auch jeder."
So hatte Scholz schon kurz vor Weihnachten versichert, also gut vier Wochen vor dem Showdown der sogenannten Kohlekommission. Eingesetzt wurde sie von der Bundesregierung.
Vergangenen Freitag in Berlin: Wie schon in Dresden gehen erneut mehrere tausend Schülerinnen und Schüler auf die Straße. Vor dem Bundeswirtschaftsministerium, später auch vor dem Kanzleramt, demonstrieren sie für mehr Klimaschutz, während zur gleichen Zeit im Ministerium, die 28-köpfige Kohlekommission um einen Ausstieg aus dem Braunkohle-Abbau ringt.

"Wir wollen eben den Beweis antreten, dass auch in einer Industrienation ein Kohleausstieg einerseits möglich ist und trotzdem der Industriestandort erhalten bleibt."
"Wenn man anguckt, was gerade in Großbritannien los ist, was in den USA los ist, auch wie polarisiert die Diskussion in Frankreich stattfindet, dann muss man schon sagen, das ist eine Sternstunde für das deutsche politische System, dass es solche Konflikte lösen kann."

"Wir haben dem Kompromiss zugestimmt, weil gerade in den nächsten Jahren, 2020, 2021 und 2022, real Kraftwerksblöcke aus dem Netz genommen werden müssen. Und damit es ermöglicht wird, dem Klimaschutz einen Beitrag zu leisten."
Doch es hagelt auch Kritik. Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion spricht von "klimapolitischer Symbolpolitik", FDP-Fraktionsvize Michael Theurer kritisiert allzu hohe Kosten für den Staat:
"Was jetzt hier vorgeschlagen wird, wird zu Subventionen aus den Haushalten von wahrscheinlich über 50 Milliarden Euro führen. Das heißt also, das ist der teuerste Weg, der noch nicht einmal dem Klima hilft, und dieser nationale Alleingang, den lehnen wir ab."
Die Liberalen plädieren stattdessen für ein gemeinsames europäisches Vorgehen, etwa die Einführung eines sogenannten CO2-Preises: Je mehr Kohlendioxid – also das klimaschädlichste Treibhausgas – ausgestoßen wird, desto teurer wird es für den Verursacher. Christoph Podewils ist Sprecher von Agora Energiewende:
"Also es ist sicherlich sinnvoll, einen langfristigen Mindestpreis für CO2 zu setzen. Andere Länder haben das getan: Großbritannien oder auch die Niederlande. Es gibt einen entsprechenden Vorschlag von Frankreich, dem Deutschland sich anschließen könnte. Und vielleicht ist es ja für die Bundesregierung auch interessant, sich im Zuge der deutsch-französischen Beziehungen sich noch mal dieses Themas anzunehmen."
"In der Frage, was ändert sich wann, kann Ihnen niemand etwas sagen, weil allein der Börsenstrompreis Schwankungen unterworfen ist. Die Regierung wird alles tun, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher eben vor Strompreisanstiegen geschützt werden", sagt der Christdemokrat.
"Ja, aus heutiger Sicht können wir nicht aus der Kohle raus und direkt in die Erneuerbaren, weil uns die Speicherfähigkeit, weil uns die Netze, weil das alles nicht fertig ist. Deswegen steht im Bericht auch: Sinnvoll wäre, dass wir Netzausbau, Speicherfragen, Power-to-X so schnell nach vorn bringen, dass wir diesen Umweg nicht machen müssen."

"Im Saldo: Wir exportieren nach Frankreich, nicht umgekehrt. Und wir haben keine Linie, dass wir uns da im Wesentlichen auf andere Länder verlassen. Wir müssen schon für unsere sicherere Stromversorgung selber sorgen."
Priggen ist auch Vorsitzender des Verbandes Erneuerbarer Energien in Nordrhein-Westfalen und saß in dieser Funktion mit in der Kohlekommission. Der gebürtige Aachener warnt, dass die deutschen Klimaschutzziele allein mit dem Kohleausstieg nie und nimmer zu schaffen sind. Schon jetzt steht fest, dass das 2020er-Ziel nicht erreicht wird.
"Wir werden etwas verändern müssen. Wir können nicht so weiter Auto fahren, wie wir das heute machen. Wir müssen an den Gebäuden was verändern, wir müssen eine andere Landwirtschaft betreiben, und wir müssen CO2 reduzieren, damit es eben nicht noch schlimmer wird."
Bis zum Frühjahr will die Sozialdemokratin deshalb ein neues Klimaschutz-Gesetz vorlegen. Da die genannten Sektoren fast das halbe Kabinett betreffen, gilt das Gesetz als Lackmustest dafür, wie ernst es der schwarz-roten Koalition mit dem Klimaschutz ist. Nicht allzu sehr, meint die Opposition. Doch Grüne und Linke treibt noch etwas anderes um: die geplanten Kompensationen für die Kraftwerksbetreiber. Grünen-Chefin Annalena Baerbock warnt:
"Klar muss sein: Öffentliche Gelder müssen auch im Sinne des öffentlichen Interesses eingesetzt werden, und es kann keinen Blankoscheck für jedes einzelne Kraftwerk in unserem Land geben."
Die Bundesregierung will sich jedoch mittels Entschädigungen absichern, gegen mögliche Klagen, wie sie infolge des Atomausstiegs auftraten. Auch die Börsianer rechnen infolge des Kohleausstiegs offenbar mit Entschädigungen. Der Aktienkurs des Kraftwerk-Betreibers RWE zeigte Anfang der Woche jedenfalls nach oben. Derweil erhöht RWE-Power-Chef Frank Weigand den Druck und spricht offen über die Folgen für die Arbeitsplätze.
"Fest steht schon, dass ein erheblicher Personalabbau damit verbunden sein wird, der weit über die bisherigen Planungen, die wir haben, hinausgehen wird."
"Es geht nicht darum, als erstes irgendwelche Ausstiegsdaten zu beschließen, sondern es geht darum, Menschen Hoffnung zu geben, Zukunft zu geben, Strukturwandel wirklich vorzubereiten, um ihnen dann die Sicherheit zu geben, zu sagen: Ja, auch wir werden unseren Beitrag leisten meine Damen und Herren."