Zwischen dem 12. und dem 15. Juli 2021 kam es in verschiedenen Teilen Westeuropas zu extremen Regenfällen. In der Region um die Flüsse Ahr und Erft in Deutschland fielen durchschnittlich am Tag mehr als 90 Liter Regen pro Quadratmeter – mehr als jemals zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. In der Folge kam es zu Überschwemmungen in Deutschland und in Belgien, bei denen mindestens 220 Menschen starben.
Die Starkregenfälle standen im Zusammenhang mit dem Tiefdruckgebiet "Bernd". Es hatte zudem bereits zuvor geregnet, so dass die Niederschläge auf gesättigte Böden trafen. An der Ahr kamen weitere Faktoren hinzu, die die Situation verschärften: ein enges Flusstal mit steilabfallenden Hängen und Böden aus Schiefer, Lößlehm, Kies und Vulkangestein - was die Hochwasserentwicklung begünstigte.
Extreme Pegelstände der Ahr
Der Starkregen mündete in extreme Pegelstände und Überschwemmungen. Der Geograph Enno Nilson von der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz und Mitautor der Studie,
sagte im Dlf
: "Wir haben gemeinsam mit dem Landesamt für Umwelt Rheinland-Pfalz versucht, eine erste Abschätzung für die Ahr vorzunehmen. Wir landen bei einem Wert von 1.000 Kubikmetern plus minus 200. Das ist im Grunde für einen kurzen Moment der komplette Abfluss des Oberrheins, der über die Ahr abgeflossen ist."
Was hat der Klimawandel damit zu tun? Dazu haben Forscherinnen und Forscher der "World Weather Attribution"-Initiative (WWA) jetzt eine erste wissenschaftliche Analyse vorgelegt.
Die Studie der WWA zum Starkregen in Westeuropa im Juli dieses Jahres kommt zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit für solche extremen Regenfälle sich durch den bisherigen menschengemachten Temperaturanstieg um das 1,2 bis 9-Fache erhöht hat. Auch die Intensität der extremen Niederschläge, also die Regenmenge, ist demnach zwischen 3 und 19 Prozent gestiegen. Die Forschenden warnen davor, sich von der großen Bandbreite ihrer Ergebnisse dazu verleiten zu lassen, die Folgen der Klimaerwärmung zu unterschätzen. Die Richtung sei eindeutig.
"Extreme Wettereignisse künftig wahrscheinlicher"
Maarten van Aalst, Leiter des Klimazentrums des Internationalen Roten Kreuzes in Den Haag und ebenfalls an der Attributionsstudie beteiligt, sagte im Dlf: "Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass es immer wichtiger wird, auch solche extremen und sehr seltenen Ereignisse zu berücksichtigen. Denn durch den Klimawandel werden sie künftig wahrscheinlicher."
Die "World Weather Attribution" (WWA) ist ein Zusammenschluss internationaler Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, in dem etwa der Deutsche Wetterdienst (DWD), die Universität Oxford, die ETH Zürich und das britische Met-Office mitarbeiten. Sie untersuchen, inwieweit bestimmte extreme Wetterereignisse – wie Stürme, Starkregen, Hitzewellen, Kälteperioden und Dürren – der Klimaerwärmung zuzuordnen sind.
Unter den gegenwärtigen Klimabedingungen ist der Analyse zufolge zu erwarten, dass eine bestimmte Region in Westeuropa etwa einmal in 400 Jahren von ähnlichen Extremwetterereignissen heimgesucht wird. Das bedeutet, dass in der gesamten Region einschließlich Frankreichs, Westdeutschlands, des östlichen Teils von Belgien, der Niederlande, Luxemburg und des Nordens der Schweiz innerhalb dieses Zeitraums mehrere solcher Ereignisse zu erwarten sind. Mit weiteren Treibhausgasemissionen und einem weiteren Temperaturanstieg werden Starkregenereignisse noch häufiger auftreten.
Kürzere Wiederkehrzeiten
Konkret heißt es in der Studie: Bei einer Erwärmung von zwei Grad Celsius könnte Starkregen um bis zu sechs Prozent intensiver werden. Und solche Unwetter wie Mitte Juli hätten dann eine kürzere Wiederkehrzeit: nicht mehr 400 Jahre im statischen Mittel, sondern eher 300. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Bevölkerung im Ahrtal, in der Eifel oder an der Maas in Belgien jetzt erst einmal für Jahrhunderte aufatmen kann, sagte Maarten van Aalst im Dlf: "Sagen wir, es war hundertjährliches Ereignis. Dann fragen die Leute: Sind wir jetzt für die nächsten hundert Jahre sicher? Und die Antwort ist: Nein! Schon im nächsten Jahr liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es noch einmal dazu kommt, wieder bei 1:100."
Für die Analyse haben die Forschenden das heutige Klima mit dem Klima vor dem Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen um 1,2 Grad seit Ende des 19. Jahrhunderts verglichen. Sie zogen zudem Wetteraufzeichnungen und Computersimulationen heran.
Westeuropa Schwerpunkt der Studie
Die Hauptschwerpunkte der Studie lagen auf den extremen Regenfällen in den besonders betroffenen Regionen um die Flüsse Ahr und Erft in Deutschland sowie in der Region um den Fluss Maas in Belgien. Allerdings wurden die Analysen dadurch erschwert, dass für kleine Flüsse wie die Ahr überhaupt erst seit rund 70 Jahren Daten vorliegen. Um den Einfluss der Klimaerwärmung auf die kleinräumigen, regionalen Regenfälle bewerten zu können, wurde analysiert, wie wahrscheinlich es ist, dass sich ähnliche Starkregenfälle auch in anderen Regionen Westeuropas – einschließlich Frankreichs, Westdeutschlands, des östlichen Teils von Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und des Nordens der Schweiz – ereignen. Und inwiefern dies durch die weltweit steigenden Temperaturen beeinflusst wird.
Können die jetzige oder auch frühere Bundesregierungen für die Toten durch die Unwetter-Katastrophe etwa im Ahrtal verantwortlich gemacht werden? Weil sie es versäumt haben, schon früher ausreichend auf eine Reduktion der nationalen Treibhausgasemissionen hinzuwirken? Dafür sei die Frage zentral, ob eine Katastrophe der Klimaerwärmung zuzuordnen ist, erläuterte
die Juristin Roda Verheyen im Deutschlandfunk
. Mit der neuen WWA-Attributionsstudie zum Juli-Hochwasser ist diese jetzt für das Ahrtal und weitere Regionen in Westeuropa beantwortet. Auch dem jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC zufolge werden West- und Mitteleuropa bei steigenden Temperaturen immer häufiger Starkregenfällen und Überschwemmungen ausgesetzt sein.
Allerdings seien die Gerichte bislang sehr vorsichtig damit gewesen, ein Verschulden in der Vergangenheit anzuerkennen, sagte Verheyen. Auch das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil vom April 2021 keine Schutzpflichtverletzung der Bundesregierung in der Vergangenheit festgestellt. Zuvor seien in den USA ähnliche Verfahren von Gerichten erst gar nicht zugelassen worden und an der Schlüssigkeit der Anträge gescheitert. Aber jede Regierung der Welt müsse sich im Klaren darüber sein, dass je enger die wissenschaftliche Beweiskette werde, ein weiteres Zögern beim Klimaschutz auch ein Verschulden auslösen werde, betonte die Anwältin. Im April 2021 hatte sie den Klimaprozess gegen die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht geführt.
Die Karlsruher Richter urteilten damals, dass das Klimaschutz-Gesetz der Großen Koalition die Grundrechte künftiger Generationen gefährde, weil es keine konkreten Klimaschutz-Vorgaben für die Zeit nach 2030 mache. Die Kläger wurden nach Ansicht des Verfassungsgerichts durch die gesetzlichen Bestimmungen in ihren Freiheitsrechten verletzt, denn die Vorschriften verschöben hohe Lasten für die Minderung der Emissionen unumkehrbar auf die Zeit nach 2030. Um die im Pariser Klimaabkommen festgelegte Begrenzung des Temperaturanstiegs auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten die dann noch notwendigen Minderungen immer dringender und kurzfristiger erbracht werden.
Daraufhin brachte die Bundesregierung ein neues Klimaschutzgesetz auf den Weg. Mit Blick auf die Zukunft erhöhen sich dadurch nach Einschätzung von Juristin Verheyen die Klagechancen von Betroffenen. Wer jetzt nicht dazu beitrage, Emissionen zu reduzieren, sei aus ihrer Sicht "mitten im Verschulden" im juristischen Sinne, sagte sie im Dlf.
Quellen: World Weather Attribution, Deutscher Wetterdienst, Roda Verheyen im Gespräch mit Jule Reimer, Volker Mrasek, nin