Die Sommer in Deutschland waren in den letzen Jahren von Extrem-Wetterlagen geprägt. Nach der Dürre folgte jetzt der langandauernde Starkregen mit mehr als 150 Litern pro Quadratmetern in kurzer Zeit mit teilweise verheerenden Auswirkungen: Überflutungen, Erdrutsche, Hauseinstürze und in der Folge viele Menschen, die ums Leben gekommen sind.
Klimawissenschaftler haben bereits eine deutliche Zunahme von sommerlichem Extremwetter wie Dürre, aber auch Starkregen prognostiziert. Die Wetterextreme in unseren Breiten seien die "Folgen der dramatischen Erwärmung der Arktis", sagt Markus Rex, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung.
Im aktuellen Fall kamen drei Komponenten zusammen: feucht-warme Luft, dazu ein träges Tief und die "Konvektion", also das Aufsteigen warmer, feuchter Luft, die als Folge der Hebung als Niederschlag niedergeht.
Physikalischen Gesetzen zufolge können wärmere Luftmassen mehr Wasserdampf speichern und dann auch abregnen: pro ein Grad Celsius etwa sieben Prozent. Dadurch, dass mehr Wasser in der Atmosphäre gehalten werde, stehe auch mehr für Starkniederschläge zur Verfügung,
sagte Bruno Merz vom Helmholtz-Institut Potsdam im Dlf
. "Es lässt sich eine Verbindung zum Klimawandel herstellen."
Bisher betrafen vergleichbare Wetterlagen in Deutschland eher das Erzgebirge und die Alpen, nun war besonders der Westen Deutschlands betroffen. Dabei spielen generell verschiedene Faktoren eine Rolle: die auslösende Wetterlage, besonders feuchte und warme, instabile Luft, ein mit Wasser gesättigter Boden und eine ungünstige Lage, wie zum Beispiel eine Senke oder ein Tal, erklärt Douglas Maraun, Leiter der Forschungsgruppe Regionales Klima vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Karl-Franzens-Universität Graz.
Beim aktuellen Unwetter wurden vor allem Orte in Hanglage oder in der Nähe kleiner Bäche, Flüsse oder Talsperren überflutet. Das Ahrtal in der Eifel etwa schlängelt sich durch das Mittelgebirge an der Ahr entlang.
Stundenlanger Regen führte zum Hochwasser: Die Ahr schwoll zu einem reißenden Strom an, der alles mit sich riss. Die Wasser- und Schlammmassen zerstörten ganze Dörfer. Häuser stürzten ein, Orte waren von der Außenwelt abgeschnitten. In einem Flachlandgebiet hätte der gleiche Niederschlag weniger hohe Abflüsse mit sich gebracht, "weil sich das Wasser eben gleichmäßiger verteilen kann", sagte der Geograf Jürgen Herget im Deutschlandfunk.
Die Geländeform im Ahrtal habe es zugelassen, dass dort überproportional hohe Hochwasser entstehen können. Konkret seien intensive Niederschläge in einem Gebiet mit steilen Hängen aufgetreten. Herget: "Dann fängt es halt an, dass die Teile, die im Talboden liegen und beregnet werden, zusätzlich den Abfluss erhalten, der von den Hängen kommt – und zwar vergleichsweise schnell, weil die steil sind."
Der Wissenschaftler der Universität Bonn hat sich die Situation im Ahrtal angesehen und Wasserstände in den Blick genommen. "Dinge, die ich vorher aus Lehrbüchern darüber wusste, welche Größenordung Hochwasser erreichen können, dann vor Ort zu sehen, hat mich in Teilen wirklich sprachlos gemacht", sagte Herget.
In Erftstadt, das an dem Flüsschen Erft liegt, kam es zu massiven Erdrutschen, Häuser wurden unterspült und fortgerissen. Todesfälle gab es im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe im Raum Erftstadt nicht, auch die Zahl der Vermissten konnte nach Angaben der Polizei im Rhein-Erft-Kreis auf null korrigiert werden. [*]
Die totale Überlastung der Gewässer- und Kanalisationssysteme und die Versiegelung von Oberflächen, wodurch das Wasser oberflächlich stärker zusammengeführt wird, könnten zum Beispiel in Wuppertal eine Rolle gespielt haben, vermutet Jürgen Jensen vom Institut Wasser und Umwelt.
Das Risiko für Starkregen lässt sich schwieriger modellieren als etwa für extreme Temperaturereignisse. Es hängt stark von regionalen Geographien und "mesoskaligen Niederschlagssystemen", also großen Gewitterkomplexen ab. Es erfordert spezielle Modellierungsverfahren, die etwa bei extremen Regenfällen in den Jahren 2017 und 2018 in Japan zum Einsatz kamen.
Seit den Rheinhochwassern in den 1990er-Jahren wird in Deutschland ein integriertes Management verfolgt, das in den letzten Jahren auch vermehrt auf Starkregen übertragen wird, erklärt Annegret Thieken vom Institut für Umweltwissenschaften und Geographie der Universität Potsdam.
Das Hochwasseraudit der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) könne Gemeinden dabei unterstützen, ihren Vorsorgestatus einzuschätzen und zu verbessern. Es gebe bundesweit Gefahrenkarten für Flusshochwasser und Starkregen, diese müssten aber detaillierter ausgestaltet, besser zugänglich gemacht und ausgewertet werden. Auch die Sicherheit der Stromversorgung und welche technischen Anlagen betroffen sein könnten, müsse überprüft werden, so Thieken.
"Die Kollegen der Vorhersagenzentrale geben für bestimmte Unwetterlagen Vorwarnungen heraus", erklärt Klimaexperte Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst im Dlf. "Doch diese sind in der räumlichen Eingrenzung nicht scharf genug, weil die Modelle das nicht hergeben, um gezielt für bestimmte Orte Schutzmaßnahmen ergreifen zu können." Diese Genauigkeit gebe es erst ein bis zwei Stunden, bevor das Ereignis eintrete.
Warnsysteme, Berechnungsmodelle und Rettungskoordination müssten im Angesicht des Klimawandels also zukünftig angepasst werden. Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz (SPD), sagte im Dlf: "Das geht dann los von der Frage noch intensiverer Ausstattung unserer Rettungsdienstorganisation, der Feuerwehren, zu schauen, kann es Vorwarnsysteme geben - und dann natürlich Verhaltensregeln."
Der Bau von Gewerbe- und Wohngebieten sorgt für versiegelte Flächen. Dadurch kann das Regenwasser nicht mehr ausreichend in den Boden versickern und fließt stattdessen noch schneller an der Oberfläche in Kanäle und Flüsse ab. Kommen dann noch intensive und langanhaltende Regenfälle dazu, ist das Kanalisationssystem schnell überlastet. Die vor Jahrzehnten geplante Infrastruktur in Deutschland ist auf extreme Wetterphänomene meist nicht ausgelegt. Gleichzeitig wurde versäumt, Gewässer in einen naturnahen Zustand (zurück) zu versetzen.
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Die Auswirkungen von Unwettern wie dem jetzigen hätten durch eine nachhaltigere Politik gemindert werden können,
sagte Holger Sticht
, der Vorsitzende der Umweltschutzorganisation BUND in Nordrhein-Westfalen, im Dlf. So versiegele man allein in NRW im Durchschnitt pro Tag acht Hektar, also elf Fußballfelder, für den Bau von Siedlungen und Verkehrsflächen. "Das sind aus unserer Sicht hausgemachte Probleme."
Auch Jutta Lenz vom Hochwasserkompetenzcentrum in Köln sieht mehr Grünflächen in den Städten, die Wasser speichern können, als eine Lösung. Inzwischen würden auch oberflächliche Wasserspeicher auf Plätzen und in Parks angelegt. Das Wasser könne in Hitzeperioden dann wieder nutzbar gemacht werden. Das seien große, langfristige Investitionen, die aber getan werden müssten.
"Dörfer, Städte und Landschaften sollten wie Schwämme konzipiert werden. Jeder Kubikmeter Wasser, der nicht über die Kanalisation in Flüsse eingeleitet wird, trägt zur Abflachung von Hochwasserwellen bei", erklärt Christian Kuhlicke, Professor für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit der Universität Potsdam. Das erreiche man durch naturbasierte Lösungen wie begrünte Dächer, bessere Versickerungsmöglichkeiten auf offenen Flächen, dezentrale Speichermöglichkeiten, zum Beispiel unter Grünflächen, oder durch Schaffung von naturnahen Rückhaltezonen.
Kuhlicke fordert auch einen Umbau der alternden Infrastruktur in Deutschland in den nächsten fünf bis zehn Jahren - etwa von wichtige Verkehrsadern, Umspannwerken, Kommunikationsknotenpunkten oder Brücken. "Eine Straße muss so gebaut sein, dass sie bei sommerlicher Hitze nicht schmilzt oder birst und bei starken Strömungen nicht unterspült wird."
Lamia Messari-Becker, Bauingenieurin an der Universität Siegen und Expertin für Stadtentwicklung, hält zudem größere Kanalisationssysteme, größere Auffangbecken und mehr Pumpsysteme für nötig. Ein Wasserpumpwerk zu bauen, dauere aber seine Zeit, sagte sie in Dlf Nova.
Weiterhin sei es auch wichtig in bestimmten Lagen, "Gebäude nur so zu bauen, dass sie standhalten, bis wir die Menschen auch schnell und sicher evakuieren", sagte Messari-Becker im Deutschlandfunk. "Auch das ist ein Aspekt, was man in der Lastenberechnung berücksichtigt: Wie lange bleibt ein Gebäude stehen, bis man Menschen evakuiert."
Jürgen Jensen vom Institut für Wasser und Umwelt betonte im Deutschlandfunk aber auch, dass in den aktuell vom Hochwasser stark betroffenen kleineren Ortschaften, etwa in der Eifel, die Versiegelung von Oberflächen keine große Bedeutung habe. Dort, wo es zu Hauseinstürzen gekommen sei, sollte man entweder die Bauweise ändern oder dem Gewässer Raum lassen. Besonders gefährdete Bereiche sollten weniger intensiv bebaut werden.
Aufklärung und Vorbereitung auf Hochwasserereignisse sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich sieht Jensen ebenfalls für erforderlich an. Das können etwa die Ausbildung von Rettungskräften und Verhaltensregeln für Betroffene in Gefahrensituationen sein.
Als direkte Lehren aus der Katastrophe forderte der Hauptgeschäftsführer Deutscher Städte- und Gemeindebund, Gerd Landsberg, außerdem deutliche Verbesserungen beim zivilen Bevölkerungsschutz. Dazu gehörten funktionierende Warnsysteme – auch bei Stromausfall – sowie Übungen für Bürgerinnen und Bürger, wie sie sich in verschiedenen Katastrophenszenarien konkret verhalten müssten.
Auch auf politischer Ebene forderte er ein Umdenken. "Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist eine Konstruktion, die darauf zielte, was passiert im Kriegs- oder Spannungsfall. Dieser normale Katastrophenfall, der war gar nicht im Visier." Wenn Klimaanpassung und Klimaschutz diese Bedeutung bekomme, dann müssten mehr Kompetenzen beim Bund angesiedelt werden. Dazu bedürfe es aber einer Grundgesetzänderung.
(Quellen: SMC, og)
[*] Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Opferzahlen auf null korrigiert: Der Raum Erftstadt hat nach Angaben der Rhein-Erft-Polizei keine Todesfälle im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe zu vermelden, gleiches gilt für die Anzahl vermisster Personen.