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Studie zu Liberia
Ebola-Epidemie hatte Einfluss auf das ganze Land

Weniger Handel, mehr Kriminalität, politische Instabilität: Ebola kann großen gesellschaftlichen Einfluss haben. Das hat ein Forschungsteam für Liberia untersucht. Die Bevölkerung habe bei der Ebola-Krise das Vertrauen in politische Institutionen verloren, sagte die Mitautorin Jessica Junker im Dlf.

Jessica Junker im Gespräch mit Lennart Pyritz |
    Mitarbeiter vom Roten Kreuz ziehen im Vorfeld der Suche nach Infizierten des Ebola-Virus Schutzkleidung an (14.5.2018).
    Nicht nur die Region in der Ebola ausbricht, leidet unter der Krankheit, ein Ebola-Ausbruch kann auch soziale und wirtschaftliche Folgen für das ganze Land haben (IFRC/AP)
    Lennart Pyritz: Derzeit gibt es einen Ebola-Ausbruch im Kongo. Seit dieser Woche werden dort Impfungen gegen das Virus durchgeführt, um eine Epidemie wie in Westafrika zwischen 2014 und 2016 zu vermeiden. Damals infizierten sich knapp 30.000 Menschen mit dem Virus, vor allem in Guinea, Liberia und Sierra Leone. Mehr als 10.000 Menschen starben am Ebola-Fieber, knapp die Hälfte davon in Liberia.
    Über den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einfluss einer Ebola-Epidemie war bislang wenig bekannt. Ein Forschungsteam hat ihn jetzt am Beispiel von Liberia untersucht und seine Ergebnisse im Fachmagazin "PLOS Neglected Tropical Diseases" vorgestellt. Eine der Autorinnen ist Jessica Junker vom Max-Planck-Zentrum für Evolutionäre Anthropologie.
    Ich habe mit ihr telefoniert und sie zuerst gefragt, was vor der aktuellen Studie eigentlich über die sozioökonomischen Effekte von Ebola bekannt war.
    Jessica Junker: Also eigentlich war relativ wenig bekannt. Man muss auch bedenken, dass solche Studien auch nicht so einfach sind, da man relativ schnell reagieren muss und in das Land fahren muss, um so eine Studie zu machen, und was ganz wichtig ist, dass man auch das Vertrauen der lokalen Bevölkerung hat, weil man die Leute befragt, und während so einer Krise, gerade bei Ebola, gibt es natürlich eine unglaubliche Skepsis der lokalen Bevölkerung Fremden gegenüber, und deswegen gibt es relativ wenig Studien.
    Vier Kinder im Schulkindalter laufen vor einer knallroten Mauer mit der weißen Aufschrift "Ebola".
    Kinder am 31.8.2014 in der liberianischen Hauptstadt Monrovia. (DOMINIQUE FAGET / AFP)
    Zwei Studien zum Beispiel von der Weltbank, die haben den Effekt von Ebola auf die Erwerbstätigkeit im landwirtschaftlichen Sektor untersucht, die haben aber nicht so wie wir die produktive Leistungsfähigkeit landwirtschaftlicher Haushalte untersucht, und das Problem ist, dass zum Beispiel, obwohl Menschen weiterhin auf ihren Farmen oder auf ihren Feldern arbeiten, sie trotzdem auch Einbuße haben in Hinsicht auf ihre produktive Leistungsfähigkeit.
    Pyritz: Sie haben jetzt schon ein paar methodische Dinge angedeutet. Wenn wir das noch mal zusammenfassen: Welche Daten haben Sie jetzt für diese Studie in Liberia gesammelt, zu welchem Zeitpunkt, und wie sind Sie dabei vorgegangen?
    Junker: Wir haben relativ flächendeckend das ganze Land bereist. Wir haben eine sehr gute Abdeckung von urbanen und schon ländlichen Gegenden. Wir haben mehr als 600 Haushalte befragt, also wir hatten Interviews, die wir durchgeführt haben, und da haben wir ein sozusagen systematisches Design genutzt, das heißt, wir haben Dörfer entlang sogenannter Linientransekte, die wir zuvor in 2010 bis 2012 während einer landesweiten Schimpansenzählung gelegt hatten, untersucht, und das heißt auch, dass die Personen in den jeweiligen Dörfern auch schon unsere Bekanntschaft gemacht hatten, was die Studie überhaupt erst möglich gemacht hat, da, wie ich schon gesagt habe, während dieser Epidemie auch sehr viel Skepsis gegenüber Fremden bei der Bevölkerung bestand.
    "Wir haben die Daten während der Epidemie in 2015 gesammelt"
    Pyritz: Also Sie haben die Daten während der Epidemie selbst gesammelt.
    Junker: Genau. Wir haben die Daten während der Epidemie in 2015 gesammelt. Also ich habe die nicht selber gesammelt, sondern liberianische Kollegen von mir, die auch während dieser Schimpansenzählung mit mir zusammengearbeitet haben, und, genau, die sind in die gleichen Dörfer zurückgefahren, wo wir auch schon während dieses Schimpansensurveys waren und haben diese Befragung durchgeführt.
    Schutz vor der tödlichen Gefahr: Arbeitskleidung muss streng desinfiziert werden.
    Das Wichtigste sei, das Vertrauen in politische Institutionen während einer Epidemie zu stärken, sagte die Forscherin Jessica Junker im Dlf (Deutschlandradio - Carl Gierstorfer)
    Pyritz: Welche Fragen haben Sie da den Menschen gestellt?
    Junker: Wir haben Fragen zum Lebensunterhalt gestellt und über landwirtschaftliche Produktion. Wir haben auch Fragen gestellt über Einnahmen und über den Viehbestand der einzelnen Haushalte, und dann, um den sozialen Aspekt zu untersuchen, haben wir Fragen gestellt über die Vertrauenswürdigkeit der liberianischen Regierung, der Dorfoberhäupter und der Dorfmitbewohner.
    Pyritz: Was hat die Auswertung dieser Interviews oder dieser Fragebögen ergeben?
    Junker: Wir haben herausgefunden, dass die Lebensunterhalte in Liberia in Gebieten, in denen Ebolafälle berichtet wurden, vergleichbar waren mit denen in Gebieten, in denen keine Ebolafälle bekannt waren, und das war relativ überraschend für uns. Wir haben aber auch festgestellt, dass die Mehrheit der untersuchten Haushalte eine Verschlechterung des Lebensunterhalts berichtet haben während der Ebola-Krise und auch im Vergleich zum Vorjahr, und daraus schließen wir, dass Ebola nicht nur lokal die Gegenden beeinflusst hat, wo Menschen an Ebola erkrankt sind, sondern großflächig einen Einfluss auf das ganze Land hatte.
    Die Ergebnisse auf die Fragen im sozialen Bereich haben ergeben, dass die Menschen weniger Vertrauen hatten, sowohl einmal in die liberianische Regierung als auch in die Dorfoberhäupter, nicht jedoch in die Dorfmitbewohner. Also wir sehen hier praktisch einen Vertrauensverlust in Autorität, Institutionen und Personen. Das war eigentlich das Hauptresultat in diesem Bereich.
    "Vertrauensverlust kann kritisch sein"
    Pyritz: Wie interpretieren Sie jetzt diese Ergebnisse, also welche Rückschlüsse auf die Auswirkungen von Ebola auf die landesweiten Agrarproduktionen, auf Handel oder auch auf gesellschaftlichen Zusammenhalt lassen Ihre Ergebnisse zu?
    Junker: Also dieser Vertrauensverlust kann kritisch sein, da das Vertrauen in solche Institutionen viel mit politischer Stabilität und auch mit sozialer Stabilität in der Gesellschaft zu tun hat. Das heißt, wenn es diesen Vertrauensverlust gibt, dann ist es wahrscheinlicher, dass es politische Instabilität gibt oder auch mehr Kriminalität. Wenn man sich die Agrarproduktion anschaut, die zurückgegangen ist während der Ebola-Krise, und den Fakt, dass das Land zu über 30 Prozent abhängig ist von der Agrarproduktion, dann durch diese Reiserestriktion während der Ebolakrise ist praktisch der Handel auch in Stillstand gekommen in vielen Gebieten, und so hat diese Epidemie nicht nur in den Gegenden einen Einfluss gehabt, wo wirklich Leute erkrankt sind, sondern hat großflächig durch diesen Einbruch des Handels praktisch das ganze Land negativ beeinflusst, da Produkte nicht mehr von A nach B transportiert werden konnten durch diese Reiserestriktionen der Regierung.
    Vertrauen in politische und soziale Institutionen muss gefördert werden
    Pyritz: Im Kongo gibt es ja derzeit einen Ebola-Ausbruch mit derzeit mindestens neun Toten. Könnte man auf Grundlage Ihrer Studienergebnisse aus Liberia, über die wir jetzt gesprochen haben, so etwas wie Handlungsempfehlungen geben, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Ebola in einem betroffenen Land wie jetzt dem Kongo von vornherein einzugrenzen?
    Junker: Also der Ausbruch im Kongo ist jetzt nicht wirklich vergleichbar, bis jetzt zumindest nicht, mit dem in Westafrika, da er auf einer viel kleineren Skala stattfand, aber es ist auf jeden Fall zu sagen, dass zum Beispiel Maßnahmen oder Programme zur Förderung des Vertrauens in Regierungsinstitutionen und andere Autoritäten sehr wichtig sind, um die politische und soziale Stabilität der Gesellschaft zu unterstützen, und wenn man dieses Vertrauen hat, dann ist es auch einfacher, gesundheitliche Schutzmaßnahmen, die von der Regierung und von internationalen Institutionen empfohlen werden, besser umzusetzen.
    Außerdem denke ich, ist es wichtig, dass, wenn es solche Reiserestriktionen gibt, wie zum Beispiel in Liberia, die die Lebensunterhalte der Menschen indirekt negativ beeinflussen könnten, zum Beispiel durch das Ausbleiben des Handels, dann sollte es auch unterstützende Kontramaßnahmen geben, um Abhilfe zu schaffen, was die landwirtschaftliche Produktion und den Handel landwirtschaftlicher Produkte angeht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    2015, ein Jahr nach dem Ebola-Ausbruch in Westafrika, reiste Oliver Ramme für den Dlf nach Sierra Leone, das vom Virus besonders betroffen war. Er brachte mehrere Reportagen mit, die wir in einer Multimedia-Präsentation zusammengefasst haben.