Dienstag, 23. April 2024

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Studienfinanzierung
"Bafög hinkt der Lebensrealität hinterher"

Immer mehr Menschen in Deutschland studieren, doch immer weniger erhalten Unterstützung: Bafög hinke heute der Lebensrealität der Studierenden hinterher, sagte Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung im Dlf. Die Chancengerechtigkeit an deutschen Hochschulen habe weiter abgenommen.

Ulrich Müller im Gespräch mit Regina Brinkmann | 04.07.2019
Blick in einen Hörsaal voller Studenten: Erstsemester-Begrüßung an der Universität zu Köln
"Die Hochschulwelt hat sich weiterentwickelt und BAföG hinkt völlig hinterher", sagte Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung im Dlf (picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt)
Regina Brinkmann: Es gibt immer mehr Studierende an den Hochschulen, aber immer weniger bekommen Bafög. Allein in der Zeit von 2013 bis 2017, also in einem Zeitraum von vier Jahren, hat die Zahl der Geförderten um knapp 180.000 abgenommen. Einen ähnlichen Trend beobachtet auch das Centrum für Hochschulentwicklung, kurz CHE, bei den Studienkrediten. So sank die Zahl der neuen Verträge in den letzten fünf Jahren um 20.000. Über die Gründe für diesen Trend reden wir mit Ulrich Müller vom CHE, er hat sich die Entwicklung und die Qualität der Studienkredite in einer aktuellen Studie genauer angeschaut. Guten Tag, Herr Müller!
Ulrich Müller: Guten Tag, Frau Brinkmann, grüße Sie!
"Zwei Drittel der Studierenden arbeiten im laufenden Semester"
Brinkmann: Weniger Bafög-Empfänger, weniger Studienkredite – wie ist der Rückgang bei diesen zwei Formen der Studienfinanzierung zu erklären? Gibt es da einen Zusammenhang?
Müller: Ja, ich denke schon. Das ist schon auffällig, dass beide Finanzierungsinstrumente, und außerdem die beiden bedeutsamsten eigentlich, die Studierende hier nutzen in Deutschland, seit ungefähr 2013, 2014 spätestens deutlich rapide absinken. Also gerade bei Studienkrediten kann man sagen, das ist wirklich in fünf Jahren um ein Drittel zurückgegangen, was die Neuverträge angeht.
Die gute Botschaft, könnte man so freundlich formulieren, die Studierenden brauchen es einfach nicht. Beim Studienkredit bin ich ja gar nicht so traurig. Dass die Zahlen da sinken, das ist erst mal okay, weil das für mich heißt, die Studierenden kommen offenkundig irgendwie durch. Wenn man es sachlicher formuliert, aufgrund der aktuellen guten Konjunktur scheint es so zu sein, dass seit einigen Jahren zunehmend die Studierenden entweder gute Studierendenjobs finden – da sagen die Erhebungen, Sozialerhebungen, dass da über zwei Drittel der Studierenden auch im laufenden Semester arbeiten – oder Variante zwei, dass die Eltern auch aufgrund der guten Konjunktur offenkundig einfach derzeit genug Geld haben, ihre Kinder da auch zu unterstützen finanziell.
"Chancengerechtigkeit an deutschen Hochschulen hat sich nicht verbessert"
Brinkmann: Könnte es nicht aber auch ein Hinweis darauf sein, dass immer weniger Studierende aus eher ärmeren Familien studieren, also die sich gar nicht trauen, eine solche Schuldenlast auf sich zu nehmen?
Müller: Es ist absolut korrekt, dass bildungsfernere Schichten oder Studieninteressierte aus nichtakademischen Herkunftshaushalten eher eine Schuldenaversion haben. Also die haben Angst sich zu verschulden. Das ist so, und in der Tat kann man auch beobachten – das zeigt der sogenannte Bildungstrichter recht eindeutig –, es hat sich nicht verbessert, die Chancengerechtigkeit an deutschen Hochschulen. Derzeit ist es so, dass von 100 Kindern von Akademikern ungefähr 79 in der Hochschule landen und von 100 Kindern von Nichtakademikerfamilien nur 27. Dieses Verhältnis hat sich in den letzten Jahren eher verschlechtert, wo man sagen muss, das ist eigentlich ein No-Go, das geht gar nicht.
Mit der Verschuldungsangst – schlägt ein Stück weit natürlich auf das Bafög zu. Die Hälfte ist, wie gesagt, auch nur geliehenes Geld, aber zinsfrei und mit ewig langen Rückzahlungsfristen. Dennoch sehe ich hier eine Gefahr, die auf uns verstärkt zukommen könnte in Zukunft. Weil selbst wenn man jetzt sagt, okay, das ist doch gar nicht so schlecht, dass die Studierenden ohne Studienkredit ihr Studium hinkriegen, das ist derzeit so, weil die Konjunktur gut ist. Wenn sich die Konjunktur eintrüben sollte, wird das vor allem auf dem Rücken derjenigen landen oder abgetragen werden, die eben nicht familiär so gesegnet sind, dass sie einfach so studieren können, was sie wollen und solange sie wollen.
"Traurig, dass weniger Studienkredite in Anspruch genommen werden"
Brinkmann: Nun haben Sie am Anfang gesagt, Herr Müller, das sei erst mal ein ganz guter Trend, wenn ich Sie da richtig verstanden habe, weil die Studierenden ja offensichtlich weniger auf Studienkredite finanziell angewiesen sind, aber wenn Sie dann gleichzeitig wieder einen Zusammenhang herstellen auf meine Frage, ob das dann vielleicht auch darin begründet liegt, dass weniger Kinder aus ärmeren Familien studieren, dann ist das doch eigentlich keine gute Entwicklung.
Müller: Es ist keine Entwicklung, die mich traurig stimmt, dass weniger Studienkredite in Anspruch genommen werden. Ich beziehe das Problem auf das Bafög. Bafög ist eigentlich das Finanzierungsinstrument staatlicherseits in Deutschland, was Signale setzen soll. Ganz zugespitzt: ein Studium lohnt sich, und Bafög macht den Weg frei. Dieses Signal wird immer weniger deutlich, kommt immer weniger an, deswegen auch die rückgehenden Zahlen. Teilweise – das, finde ich wirklich, ist ein Alarmsignal – stellen Studierende, die eigentlich am Bafög Anspruch hätten, überhaupt keinen Antrag mehr, weil sie entweder gar nicht wissen, dass es Bafög gibt oder dass sie diesen Anspruch haben oder weil sie den Verwaltungsaufwand scheuen oder aus welchen Gründen auch immer.
Die Hochschulwelt hat sich weiterentwickelt, die Lebensrealität der Studierenden hat sich weiterentwickelt, und Bafög hinkt da völlig hinterher und hält noch fest an so einem Konzept von Normstudenten, was einfach nicht mehr gilt. Das erklärt da diesen Rückgang, und das ist für mich der Punkt, wo man ran muss. Man muss Bafög reformieren, wieder zeitgemäß machen. Studienkredite sind immer nur der letzte Stopfen in der Not. Solange es andere Finanzierungsinstrumente gibt, sind die immer vorzuziehen.
Studienkredite: "keine richtig schwarzen Schafe"
Brinkmann: Lassen Sie uns über diesen Stopfen in der Not auch noch mal kurz reden in der Form, dass Sie noch mal beschreiben, wie sich die Qualität verändert hat dieser Studienkredite. Also wie seriös sind die Anbieter auf dem Markt?
Müller: Also es gibt – das kann ich beruhigend sagen – keine richtig schwarzen Schafe, zumindest nicht von den Angeboten seriöser Anbieter, die wir im Test abgebildet haben. Also der CHE-Studienkredittest hat um die 49 Angebote getestet. Die sind alle gangbar, nicht für jeden Ideal, es gibt verschiedene Schwerpunkte, sage ich mal, ob man mehr ins Ausland gehen will oder eine Weiterbildung, die sehr teuer ist, finanzieren will, ob man Studienbeiträge finanzieren will, an einer privaten Hochschule oder, oder. Da gibt es verschiedene Angebote, die für verschiedene Zielgruppen geeignet sind. Kein Angebot davon ist wirklich so, dass man sagt, Vorsicht, das geht gar nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.