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Jüdische Theologie an einer staatlichen Universität

Bisher gab es an deutschen Universitäten nur die kulturwissenschaftlich ausgerichtete Judaistik oder die außeruniversitären Rabbinerseminare. Erst seit etwas mehr als einem Jahr bietet die Universität Potsdam auch das Studienfach Jüdische Theologie an, das gleichberechtigt neben der evangelischen und katholischen Theologie steht.

Von Michael Hollenbach | 26.05.2015
    Bei einer Rabbinerordinationsfeier in der Neuen Synagoge in Erfurt spricht Rabbiner Walter Homolka.
    Der Rabbiner und Professor für jüdische Religionsphilosophie, Walter Homolka (Martin Schutt, dpa)
    Die treibende Kraft hinter der Gründung der "Jüdischen Theologie, der School of Jewish Theology", ist der Rabbiner und Professor für jüdische Religionsphilosophie, Walter Homolka. Für ihn war es ein Kampf um die Gleichberechtigung der jüdischen mit der christlichen Theologie an den Universitäten:
    "Das hat einen geschichtlichen Hintergrund. Diese Gleichberechtigung hat Abraham Geiger schon 1836 eingefordert [...] und daraus ergab sich das Bild, dass sich durch die Gleichberechtigung der geistlichen Ausbildung eine tiefe Wunde, die es seit 200 Jahren gab in der Emanzipationsgeschichte des Judentums in Deutschland, geschlossen werden konnte."
    Der Vordenker des Reformjudentums, Abraham Geiger, notierte schon 1830:
    "Wenn doch einst ein jüdisches Seminar an einer Universität errichtet würde, wo Exegese, Homiletik und noch Talmud und jüdische Geschichte in echt religiösem Geiste vorgetragen würden; es wäre die fruchtbarste und belehrendste Anstalt!"
    Die Wissenschaft vom Judentum
    Fast 200 Jahre hat es gedauert, bis Abraham Geigers Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Sein Wunsch, dass jüdische Theologie in Eigenverantwortung der Religion wissenschaftlich an einer staatlichen Hochschule gelehrt und geforscht wird - so wie es für die katholische und evangelische Theologie seit Jahrhunderten der Fall ist. Lange Zeit wurde die Wissenschaft vom Judentum nur aus nicht-jüdischer Perspektive unterrichtet, erläutert Walter Homolka:
    "Es spielte da eine Rolle, dass Juden nicht Hochschullehrer werden konnten in Preußen, da autoritative Positionen durch Christen ausgeübt werden sollten. Insofern blieben da nur die Rabbinerseminare."
    Rabbinerseminare gab es in Deutschland schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Seit 1965 kam es dann zur Etablierung der kulturwissenschaftlichen Jüdischen Studien.
    "Das, was eine theologisch-christliche Fakultät ausmacht, nämlich die Mitwirkung der Religionsgemeinschaft und die konfessionsbezogene Berufung der Professoren, das Privileg hatten Juden in Deutschland nie."
    Bis zum Herbst 2013 in Potsdam. Dass es soweit kommen konnte, lag ausgerechnet an den Muslimen. Denn als der Wissenschaftsrat 2010 nicht nur den Fortbestand der christlichen Theologie an deutschen Universitäten empfahl, sondern auch die Einrichtung islamischer Institute, da konnte man den Juden nicht länger die Etablierung einer jüdischen Theologie verwehren.
    Hebräisch, Aramäisch, Philosophie und Literatur
    Noch steckt die "Jüdische Theologie" in der Anfangsphase, aber bereits 120 Studierende haben sich in Potsdam eingeschrieben: angehende Rabbiner und Kantoren sowie Juden und Nicht-Juden, denen es erst einmal um das Studium der Theologie geht. Der Fächerkanon ist breit: von den Sprachen Hebräisch und Aramäisch über jüdische Philosophie und rabbinische Literatur, Thora und Exegese, Halacha und Liturgie bis hin zur Religionspädagogik und dem interreligiösen Dialog.
    Und nicht nur die Dozenten, auch die Studierenden kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern:
    "Das ist vor allem dem Mechanismus geschuldet, dass die Ausbildung an deutschen Hochschulen ja ohne Studiengebühren erfolgt. Das ist im Vergleich zu Amerika, Großbritannien oder Israel ganz anders. Da werden hohe Studiengebühren verlangt, sodass heute jemand, der Rabbiner oder Kantor werden will, sich überlegen kann: Wenn ich deutsch kann, dann ist Berlin/Potsdam eine Option."
    In anderen Staaten kostet die Rabbinerausbildung oft mehr als 150.000 Dollar. Die Rabbinerausbildung in Potsdam sei für Interessenten aus Osteuropa und aus Afrika mittlerweile erste Wahl, sagt Walter Homolka stolz. Aber auch aus den USA kommen viele Studierende. So auch Max Feldhake, der aus Arizona stammt:
    "Ich finde es extrem spannend: Die Möglichkeit, an einer staatlichen Universität jüdische Theologie zu studieren, gibt es sonst nirgendwo in Deutschland oder auf der Welt. Sich mit Theologie akademisch auseinanderzusetzen, ist etwas, was man in den meisten Rabbinerseminaren nicht begegnet; das ist etwas, was fehlt."
    Annerkannte Ausbildung
    Die Rabbinerausbildung in Potsdam wird auch in den USA anerkannt. Und das bedeutet, dass die Absolventen später weltweit eine Anstellung bekommen können.
    Max Feldhake steht noch am Anfang seiner Ausbildung, Sonja Pilz am Ende. Ihre Rabbinerausbildung absolvieren beide am Institut für Jüdische Theologie in Potsdam sowie am mit der Uni verbundenen Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin. Im Herbst wird Sonja Pilz ihre Ausbildung beenden, die vier Säulen umfasst:
    "Eine ist die akademische Ausbildung. Alle Rabbinatsstudenten haben mindestens einen Master in Jüdische Studien oder jetzt in dem Studiengang Jüdische Theologie. 1:50 (Pilz) Eine Säule der Ausbildung ist ein Jahr in Jerusalem, das gewidmet ist dem Studium von rabbinischen Texten, Halacha, jüdisches Gesetz zu lernen. [...] und eine dritte Säule ist die Arbeit an sich selbst."
    Alle Studierenden werden gecoacht. In Fallbesprechungen geht es um die Analyse von Konfliktsituationen in den Gemeinden oder im Studium. Neben der Theorie ist aber für eine künftige Rabbinerin auch die Praxis sehr wichtig. Deshalb ist die vierte Säule der Ausbildung das Gemeindepraktikum.
    "Um Rabbiner zu werden, braucht man noch mehr als einfach nur akademisches Wissen. [...] Keine Uni der Welt kann einen auf Gottesdienste für Dreijährige vorbereiten."
    Nils Ederberg unterrichtet im Studiengang "Jüdische Theologie" an der Universität Potsdam die Halacha, also jüdisches Recht sowie Hebräisch und Aramäisch:
    "Aramäisch ist die zweitwichtigste Sprache der jüdischen Tradition, weil der Talmud auf Aramäisch geschrieben ist. Man hat viele mystische und historische Texte auf Aramäisch."
    Das Kaddisch, das man nach jedem Gottesdienst betet, wird zum Beispiel auf Aramäisch vorgetragen.
    Aramäisch gehört zu den Pflichtmodulen des Bachelors in Jüdischer Theologie.
    "Aramäisch ist keine tote Sprache. Es wird heute noch gesprochen von wenigen christlichen Gruppierungen im Nahen Osten. Leider sind die letzten Überreste, die noch in Syrien leben, dabei, umgebracht oder vertrieben zu werden, aber es gibt heute noch aramäisch Muttersprachler."
    Jüdisches Scheidungsrecht
    Zum Kanon auch des liberalen Judentums gehört die Halacha. Sie ist der rechtliche Teil der Überlieferung des Talmuds. Nils Ederberg hat im vergangenen Semester die Studierenden in die Grundzüge der Halacha eingeführt. Einer der Punkte, die intensiv nicht nur im Seminar debattiert werden, ist das jüdische Scheidungsrecht.
    "Es ist eines der größten Probleme, was wir im jüdischen Recht haben. [...] Ein Get, ein Scheidebrief, kann nur vom Mann erteilt werden."
    Religiöse Grundlage des Scheidebriefes, der in Israel auch zivilrechtlich von Bedeutung ist, sind Passagen aus der Thora und dem Talmud.
    "Was passiert, wenn einer Frau der Scheidebrief verweigert wird? Dann kann sie nicht weiter heiraten. Es wird ihr die Möglichkeit einer neuen Ehe verweigert, und wenn sie Kinder mit einem anderen Mann hat, haben die nach jüdischem Recht einen minderen Status. Das heißt, es ist ein massives reales Problem, was dahinter steht."
    Der Scheidebrief ist für Nils Ederberg ein Beispiel, wie man versuchen muss, halachische Vorgaben nicht abzuschaffen, aber zeitgemäß zu interpretieren.
    "Nicht-orthodoxe Strömungen sagen heute, eine jüdische Hochzeit kann nur dann stattfinden, wenn das Paar vorher einen zivilrechtlichen Vertrag schließt, dass der Ehemann im Falle einer Zivilscheidung verpflichtet ist, auch einen religiösen Scheidebrief auszustellen."
    Ein Drittel der Studierenden - übrigens zur Hälfte Männer und Frauen - strebt das Rabbinat an; und ein weiteres Drittel will später als Kantor arbeiten. Die Berufschancen gelten für alle Studierende als gut, wenn man bereit ist, sich auf einen globalen Arbeitsmarkt einzulassen.