Dirk Müller: Am Telefon ist der frühere deutsche Botschafter in Moskau, Ernst-Jörg von Studnitz, nun Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Guten Tag!
Ernst-Jörg von Studnitz: Guten Tag, Herr Müller.
Müller: Herr von Studnitz, warum macht uns Russland das Leben immer so schwer?
von Studnitz: Ich würde nicht sagen, dass Russland uns das Leben schwer macht, sondern Russland verfolgt seine eigene Linie und besteht darauf, dass es seine eigene Linie auch konsequent in dem zum Beispiel NATO-Russland-Rat vortragen kann. Die Russen sind nicht auf die Linie der von den Amerikanern geführten NATO bedingungslos eingeschwenkt und sie werden das auch in Zukunft nicht tun.
Müller: Eine Augenhöhe, auf einer Augenhöhe soll das jetzt alles passieren mit Blick auf Libyen.
von Studnitz: Das soll auf einer Augenhöhe passieren.
Müller: Ist das angemessen, Herr von Studnitz?
von Studnitz: Ob das angemessen ist oder nicht - Ich meine, wenn man die Militärpotenziale der NATO, in Sonderheit der Amerikaner und der Russen vergleicht, so ist das natürlich keine Gleichheit, weil durch 20 Jahre nachsowjetischer Zeit und auch schon in der Spätphase der Sowjetunion die Russen gar nicht in der Lage gewesen sind, mit der militärischen Rüstung, der Hochrüstung, auch den finanziellen Ansätzen, die die Amerikaner für ihr Militär über Jahre hinaus ausgegeben haben, überhaupt nur mitzuhalten. Also wenn Sie das rein militärische Potenzial betrachten, dann gibt es keine Augenhöhe.
Aber das Selbstbewusstsein der Russen ist so groß und so stark, dass sie sagen, so wie wir einmal zu den Amerikanern gestanden haben, Anfang der 70er-Jahre, das wollen wir auch bis zum heutigen Tage gewahrt sehen. Wir sind eine Weltmacht und diese Weltmacht bestimmt ihre eigenen Prärogativen, sie setzt ihre eigenen Ziele und fordert ein, dass das auch von den Partnern NATO - ich betone noch einmal in Sonderheit USA - beachtet wird. Und ob diese Bereitschaft auf Seiten des Westens, der NATO, der europäischen Partner der NATO vielleicht, aber von den Amerikanern gegenüber den Russen wirklich zugestanden wird, wird man in Frage stellen müssen. In dem Beitrag, der soeben gesprochen wurde mit Ihrem Korrespondenten Clement in Berlin, war es ja ganz deutlich, dass die Amerikaner bereits voranmarschieren mit ihrem Drei-Phasen-Plan, so wie sie ihn definiert haben, und sie haben nicht die Russen gefragt, ob die Russen damit einverstanden sind, und das ist etwas, was die Russen ärgert.
Müller: Herr von Studnitz, Sie kennen aus eigener Erfahrung, aus eigener Anschauung die russische Politik, die russische Seele. Erklären Sie uns ein wenig die russische Politik und russische Seele. Warum ist Russland so selbstbewusst, immer noch, nach dem, was dort in den vergangenen Jahrzehnten alles passiert ist?
von Studnitz: Die Russen sehen sich als ein großes Land, als ein großes Land und als ein großes Volk, das nicht besiegt worden ist. Und für die Identität Russlands, für das Selbstverständnis Russlands ist eine der wichtigsten Ereignisse der Geschichte des 20. Jahrhunderts der Sieg im Zweiten Weltkrieg, und sie reklamieren diesen Sieg ganz wesentlich für sich. Sie vermindern den Beitrag, der natürlich vom Westen, gerade auch durch die ungeheueren amerikanischen Waffen- und Sachlieferungen nach Russland gerichtet worden ist. Das wird minimiert, das ist im russischen Bewusstsein praktisch nicht vorhanden, sondern man sieht sich als der Sieger im Zweiten Weltkrieg über das Nazi-Deutschland. Und von daher - und Sie sehen das ja zum Beispiel auch in dem ständigen Sitz im Sicherheitsrat, auf dessen Rechte sehr wohl geachtet wird, und die Russen wollen nicht, dass diese Rechte in irgendeiner Weise geschmälert werden -, das ist für sie der Punkt, wo sie sagen, und wir stehen in der Welt als ein selbstständiger Akteur, neben Amerika, neben China, neben Europa, und wir sind nicht bereit, uns auf Lösungen einzustellen, an deren Ausarbeitung wir als Russen nicht mitgewirkt haben.
Müller: Das heißt, Herr von Studnitz, wenn ich Sie richtig verstanden habe, das neue Russland ist auch immer noch ein bisschen das alte Russland?
von Studnitz: Natürlich! Kein Volk kann aus seiner Geschichte heraustreten. Das neue Russland, auch wenn es durchaus auf dem Wege zur Demokratie ist, ist ein Land, was sich bestimmt von seiner Geschichte her und von seinen Leistungen gerade auch im 20. Jahrhundert. Sie leiden natürlich ungeheuerlich unter dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Putin hat das ja mal in den Satz geprägt, der Zusammenbruch der Sowjetunion sei die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Daran sieht man ja, wie sie sich sehen wollen. Und Putin ist derjenige welche, der das entscheidende Sagen bis zum heutigen Tag in Russland hat.
Müller: Dann blicken wir noch etwas genauer auf die russischen Interessen. Sie haben das eben erwähnt. Kann Moskau mittelfristig Interesse daran haben, gegen die Interessen des Westens anzugehen?
von Studnitz: Nein, das kann es natürlich nicht haben, weil sie ganz genau wissen: die Russen sind ja große nüchterne Rechner und sie wissen ganz genau, dass ihr Potenzial in keiner Weise dem westlichen Potenzial gewachsen wäre, es sei denn, sie haben eben als letzte Ressource die Nuklearwaffen. Und dass sie diese Nuklearwaffen nicht gemindert sehen wollen, ist einer der Gründe, weshalb sie gegen ein Raketenabwehrsystem sind, an dessen Stimmung, an dessen Einsätzen, an dessen Konfiguration sie nicht mitgewirkt haben, denn dann könnte das plötzlich in einer Krise ja unter Umständen dazu führen, dass dieses Raketenabwehrsystem auch wieder gegen sie gerichtet ist, mit der Folge der Reduzierung der Möglichkeiten einer nuklearen Vergeltungswaffe, und das würde ihren Großmachtstatus unmittelbar beeinträchtigen.
Müller: Wer etwas gelten möchte, muss hin und wieder auch mal mitmachen, muss hin und wieder sich ja auch mal in die Verantwortung ziehen lassen. Warum machen die Russen bei Libyen nicht mit?
von Studnitz: Das kann man so nicht sagen. Ich meine, dass die Russen im Falle Libyen sich im Sicherheitsrat der Stimme enthalten haben, ist ja ein wesentlicher Schritt auf das westliche Vorhaben zu gewesen. Sie haben das nicht verhindert. Sie hätten es ja verhindern können, und dann wäre allerdings eine Situation eingetreten, die die Russen meinten, auf jeden Fall vermeiden zu müssen, und die Situation wäre die gewesen, dass unter Umständen der Westen, die Europäer und oder mit den Amerikanern gemeinsam erneut wie im Falle Kosovo ohne den Sicherheitsrat agiert hätten. Und das wollten die Russen auf jeden Fall verhindern, weil es nämlich bedeutet hätte, dass ihre Position im Sicherheitsrat ein weiteres Mal unterminiert worden wäre.
Müller: Demnach war die Enthaltung der Russen ein faktisches Ja?
von Studnitz: Ja. Etwas anderes war das nicht. Denn wer sich enthält, der lässt die Entscheidung so, wie sie nun läuft, passieren, und das haben sie getan. Also war es ein Ja.
Müller: Reden wir noch mal über Libyen. Hat Moskau ein anderes Interesse, hat Moskau kein Interesse daran, dass das Gaddafi-Regime aus dem Land vertrieben wird?
von Studnitz: Sie können eigentlich an einem gewaltsamen Sturz eines Regimes, wie immer es strukturiert sein mag, kein wirkliches Interesse haben. Das kann man ablesen an den irritierten Reaktionen auf die Revolution seinerseits gegen Schewardnadse in Georgien und der Orangen Revolution in der Ukraine. Das hat sie sehr beunruhigt, weil sie immer sagen, sie vergleichen natürlich, ohne dass das irgendwo in der öffentlichen Diskussion zugegeben wird, aber intern wird das natürlich angestellt, sie vergleichen ihre Situation mit der Situation in diesen Ländern und sehen ganz genau, dass ein autoritär geführtes Land, was Russland immer noch ist, dass ein autoritär geführtes Land eben durchaus in die Gefahr geraten kann, dass es unkontrollierte Bewegungen im Lande gibt. Und diese Erscheinungen in Tunis und Ägypten, die dann ja übergeschwappt sind nach Libyen und auch in andere arabische Länder hinein, sind natürlich ein Warnsignal für jeden Staat, der ähnlich strukturiert ist wie diejenigen, wo sich diese Dinge ereignen.
Müller: Hat Berlin den meisten konstruktiven Einfluss auf Moskau?
von Studnitz: Man wünschte es sich manchmal. Ob wirklich ein so großer konstruktiver Einfluss Berlins auf Moskau besteht, ist schwer zu sagen. Man weiß sehr wohl zu schätzen in Moskau, dass zum Beispiel die Entscheidung über die Aufnahme des militärischen Aktionsplans in Bezug auf die Ukraine und Georgien seinerseits im wesentlichen durch Berlin, aber auch durch die Franzosen in Bukarest gestoppt worden ist. Insofern wird das Verhalten der Bundesrepublik geschätzt. Allerdings ist dieses Verhalten ja eher zu Lasten der Einheit des Westens gegangen, als zu einer Stärkung des Einflusses Deutschlands, Berlins in Moskau.
Der Einfluss Deutschlands auf Moskau ist, würde ich sagen, eigentlich nicht so sehr in diesem sicherheitspolitischen Bereich, über den wir jetzt eben gerade gesprochen haben, weil da die Deutschen einfach zu wenig Gewicht auf die Waage bringen. Aber der Einfluss Deutschlands auf Russland ist ganz erheblich gerade im Bereich dessen, was man heute immer mit sanfter Gewalt bezeichnet, das heißt den Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Russland auf allen möglichen Ebenen und nicht nur in der Wirtschaft, gerade auch in der Wirtschaft, aber nicht nur dort, und das wird von den Russen durchaus akzeptiert und geschätzt, und insofern haben gute deutsche Beispiele auch ihren Einfluss auf Russland.
Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Ernst-Jörg von Studnitz, früherer Botschafter in Moskau. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
von Studnitz: Auf Wiederhören.
Ernst-Jörg von Studnitz: Guten Tag, Herr Müller.
Müller: Herr von Studnitz, warum macht uns Russland das Leben immer so schwer?
von Studnitz: Ich würde nicht sagen, dass Russland uns das Leben schwer macht, sondern Russland verfolgt seine eigene Linie und besteht darauf, dass es seine eigene Linie auch konsequent in dem zum Beispiel NATO-Russland-Rat vortragen kann. Die Russen sind nicht auf die Linie der von den Amerikanern geführten NATO bedingungslos eingeschwenkt und sie werden das auch in Zukunft nicht tun.
Müller: Eine Augenhöhe, auf einer Augenhöhe soll das jetzt alles passieren mit Blick auf Libyen.
von Studnitz: Das soll auf einer Augenhöhe passieren.
Müller: Ist das angemessen, Herr von Studnitz?
von Studnitz: Ob das angemessen ist oder nicht - Ich meine, wenn man die Militärpotenziale der NATO, in Sonderheit der Amerikaner und der Russen vergleicht, so ist das natürlich keine Gleichheit, weil durch 20 Jahre nachsowjetischer Zeit und auch schon in der Spätphase der Sowjetunion die Russen gar nicht in der Lage gewesen sind, mit der militärischen Rüstung, der Hochrüstung, auch den finanziellen Ansätzen, die die Amerikaner für ihr Militär über Jahre hinaus ausgegeben haben, überhaupt nur mitzuhalten. Also wenn Sie das rein militärische Potenzial betrachten, dann gibt es keine Augenhöhe.
Aber das Selbstbewusstsein der Russen ist so groß und so stark, dass sie sagen, so wie wir einmal zu den Amerikanern gestanden haben, Anfang der 70er-Jahre, das wollen wir auch bis zum heutigen Tage gewahrt sehen. Wir sind eine Weltmacht und diese Weltmacht bestimmt ihre eigenen Prärogativen, sie setzt ihre eigenen Ziele und fordert ein, dass das auch von den Partnern NATO - ich betone noch einmal in Sonderheit USA - beachtet wird. Und ob diese Bereitschaft auf Seiten des Westens, der NATO, der europäischen Partner der NATO vielleicht, aber von den Amerikanern gegenüber den Russen wirklich zugestanden wird, wird man in Frage stellen müssen. In dem Beitrag, der soeben gesprochen wurde mit Ihrem Korrespondenten Clement in Berlin, war es ja ganz deutlich, dass die Amerikaner bereits voranmarschieren mit ihrem Drei-Phasen-Plan, so wie sie ihn definiert haben, und sie haben nicht die Russen gefragt, ob die Russen damit einverstanden sind, und das ist etwas, was die Russen ärgert.
Müller: Herr von Studnitz, Sie kennen aus eigener Erfahrung, aus eigener Anschauung die russische Politik, die russische Seele. Erklären Sie uns ein wenig die russische Politik und russische Seele. Warum ist Russland so selbstbewusst, immer noch, nach dem, was dort in den vergangenen Jahrzehnten alles passiert ist?
von Studnitz: Die Russen sehen sich als ein großes Land, als ein großes Land und als ein großes Volk, das nicht besiegt worden ist. Und für die Identität Russlands, für das Selbstverständnis Russlands ist eine der wichtigsten Ereignisse der Geschichte des 20. Jahrhunderts der Sieg im Zweiten Weltkrieg, und sie reklamieren diesen Sieg ganz wesentlich für sich. Sie vermindern den Beitrag, der natürlich vom Westen, gerade auch durch die ungeheueren amerikanischen Waffen- und Sachlieferungen nach Russland gerichtet worden ist. Das wird minimiert, das ist im russischen Bewusstsein praktisch nicht vorhanden, sondern man sieht sich als der Sieger im Zweiten Weltkrieg über das Nazi-Deutschland. Und von daher - und Sie sehen das ja zum Beispiel auch in dem ständigen Sitz im Sicherheitsrat, auf dessen Rechte sehr wohl geachtet wird, und die Russen wollen nicht, dass diese Rechte in irgendeiner Weise geschmälert werden -, das ist für sie der Punkt, wo sie sagen, und wir stehen in der Welt als ein selbstständiger Akteur, neben Amerika, neben China, neben Europa, und wir sind nicht bereit, uns auf Lösungen einzustellen, an deren Ausarbeitung wir als Russen nicht mitgewirkt haben.
Müller: Das heißt, Herr von Studnitz, wenn ich Sie richtig verstanden habe, das neue Russland ist auch immer noch ein bisschen das alte Russland?
von Studnitz: Natürlich! Kein Volk kann aus seiner Geschichte heraustreten. Das neue Russland, auch wenn es durchaus auf dem Wege zur Demokratie ist, ist ein Land, was sich bestimmt von seiner Geschichte her und von seinen Leistungen gerade auch im 20. Jahrhundert. Sie leiden natürlich ungeheuerlich unter dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Putin hat das ja mal in den Satz geprägt, der Zusammenbruch der Sowjetunion sei die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Daran sieht man ja, wie sie sich sehen wollen. Und Putin ist derjenige welche, der das entscheidende Sagen bis zum heutigen Tag in Russland hat.
Müller: Dann blicken wir noch etwas genauer auf die russischen Interessen. Sie haben das eben erwähnt. Kann Moskau mittelfristig Interesse daran haben, gegen die Interessen des Westens anzugehen?
von Studnitz: Nein, das kann es natürlich nicht haben, weil sie ganz genau wissen: die Russen sind ja große nüchterne Rechner und sie wissen ganz genau, dass ihr Potenzial in keiner Weise dem westlichen Potenzial gewachsen wäre, es sei denn, sie haben eben als letzte Ressource die Nuklearwaffen. Und dass sie diese Nuklearwaffen nicht gemindert sehen wollen, ist einer der Gründe, weshalb sie gegen ein Raketenabwehrsystem sind, an dessen Stimmung, an dessen Einsätzen, an dessen Konfiguration sie nicht mitgewirkt haben, denn dann könnte das plötzlich in einer Krise ja unter Umständen dazu führen, dass dieses Raketenabwehrsystem auch wieder gegen sie gerichtet ist, mit der Folge der Reduzierung der Möglichkeiten einer nuklearen Vergeltungswaffe, und das würde ihren Großmachtstatus unmittelbar beeinträchtigen.
Müller: Wer etwas gelten möchte, muss hin und wieder auch mal mitmachen, muss hin und wieder sich ja auch mal in die Verantwortung ziehen lassen. Warum machen die Russen bei Libyen nicht mit?
von Studnitz: Das kann man so nicht sagen. Ich meine, dass die Russen im Falle Libyen sich im Sicherheitsrat der Stimme enthalten haben, ist ja ein wesentlicher Schritt auf das westliche Vorhaben zu gewesen. Sie haben das nicht verhindert. Sie hätten es ja verhindern können, und dann wäre allerdings eine Situation eingetreten, die die Russen meinten, auf jeden Fall vermeiden zu müssen, und die Situation wäre die gewesen, dass unter Umständen der Westen, die Europäer und oder mit den Amerikanern gemeinsam erneut wie im Falle Kosovo ohne den Sicherheitsrat agiert hätten. Und das wollten die Russen auf jeden Fall verhindern, weil es nämlich bedeutet hätte, dass ihre Position im Sicherheitsrat ein weiteres Mal unterminiert worden wäre.
Müller: Demnach war die Enthaltung der Russen ein faktisches Ja?
von Studnitz: Ja. Etwas anderes war das nicht. Denn wer sich enthält, der lässt die Entscheidung so, wie sie nun läuft, passieren, und das haben sie getan. Also war es ein Ja.
Müller: Reden wir noch mal über Libyen. Hat Moskau ein anderes Interesse, hat Moskau kein Interesse daran, dass das Gaddafi-Regime aus dem Land vertrieben wird?
von Studnitz: Sie können eigentlich an einem gewaltsamen Sturz eines Regimes, wie immer es strukturiert sein mag, kein wirkliches Interesse haben. Das kann man ablesen an den irritierten Reaktionen auf die Revolution seinerseits gegen Schewardnadse in Georgien und der Orangen Revolution in der Ukraine. Das hat sie sehr beunruhigt, weil sie immer sagen, sie vergleichen natürlich, ohne dass das irgendwo in der öffentlichen Diskussion zugegeben wird, aber intern wird das natürlich angestellt, sie vergleichen ihre Situation mit der Situation in diesen Ländern und sehen ganz genau, dass ein autoritär geführtes Land, was Russland immer noch ist, dass ein autoritär geführtes Land eben durchaus in die Gefahr geraten kann, dass es unkontrollierte Bewegungen im Lande gibt. Und diese Erscheinungen in Tunis und Ägypten, die dann ja übergeschwappt sind nach Libyen und auch in andere arabische Länder hinein, sind natürlich ein Warnsignal für jeden Staat, der ähnlich strukturiert ist wie diejenigen, wo sich diese Dinge ereignen.
Müller: Hat Berlin den meisten konstruktiven Einfluss auf Moskau?
von Studnitz: Man wünschte es sich manchmal. Ob wirklich ein so großer konstruktiver Einfluss Berlins auf Moskau besteht, ist schwer zu sagen. Man weiß sehr wohl zu schätzen in Moskau, dass zum Beispiel die Entscheidung über die Aufnahme des militärischen Aktionsplans in Bezug auf die Ukraine und Georgien seinerseits im wesentlichen durch Berlin, aber auch durch die Franzosen in Bukarest gestoppt worden ist. Insofern wird das Verhalten der Bundesrepublik geschätzt. Allerdings ist dieses Verhalten ja eher zu Lasten der Einheit des Westens gegangen, als zu einer Stärkung des Einflusses Deutschlands, Berlins in Moskau.
Der Einfluss Deutschlands auf Moskau ist, würde ich sagen, eigentlich nicht so sehr in diesem sicherheitspolitischen Bereich, über den wir jetzt eben gerade gesprochen haben, weil da die Deutschen einfach zu wenig Gewicht auf die Waage bringen. Aber der Einfluss Deutschlands auf Russland ist ganz erheblich gerade im Bereich dessen, was man heute immer mit sanfter Gewalt bezeichnet, das heißt den Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Russland auf allen möglichen Ebenen und nicht nur in der Wirtschaft, gerade auch in der Wirtschaft, aber nicht nur dort, und das wird von den Russen durchaus akzeptiert und geschätzt, und insofern haben gute deutsche Beispiele auch ihren Einfluss auf Russland.
Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Ernst-Jörg von Studnitz, früherer Botschafter in Moskau. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
von Studnitz: Auf Wiederhören.