Heinlein: Kissinger, Brzezinski und auch Condoleezza Rice, als nationale Sicherheitsberater standen sie im Zentrum der Macht - eng angebunden an das Weiße Haus. Im Präsidialsystem der USA sind die außen- und sicherheitspolitischen Befugnisse anders sortiert als in unserem parlamentarischen System. Doch in Zeiten der globalen Bedrohungen braucht es Änderungen alt eingefahrener Strukturen, so meint zumindest die Union. Sie präsentierte an diesem Wochenende die Eckpunkte eines Plans zur Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrates nach amerikanischem Vorbild. Die angestrebte machtpolitische Verschiebung in Richtung Bundeskanzleramt ist allerdings nicht nur der SPD ein Dorn im Auge.
Am Telefon begrüße ich jetzt den sicherheitspolitischen Experten und Publizisten Walther Stützle. Guten Tag nach Berlin!
Stützle: Guten Tag Herr Heinlein!
Heinlein: Herr Stützle, der Kalte Krieg ist Geschichte. Wir wissen es alle. Es gibt neue Bedrohungen: Terror und nukleare Schurkenstaaten. Wird es tatsächlich nicht höchste Zeit, sich den neuen globalen Herausforderungen strukturell anzupassen?
Stützle: Ob man sich ihnen strukturell anpassen muss, ist die offene Frage. Tatsächlich muss man sich mit ihnen inhaltlich intensiv befassen und dabei tauchen natürlich eine Fülle von Problemen auf wie Terror, wie Verbreitung von Nuklearwaffen, wie Versagen staatlicher Organe in Staaten, die aus außenpolitischem Interesse für uns wichtig sein müssen - ob in Afrika oder in Asien. Ja, es gibt eine große Notwendigkeit, sich nach dem Ende des Kalten Krieges nicht aus der Sicherheitspolitik zu verabschieden, sondern sich mit ihr intensiv zu befassen. Aber vor den strukturellen Konsequenzen sollten die inhaltlichen Klärungen stehen.
Heinlein: Aber genügen tatsächlich diese inhaltlichen Veränderungen, dieses inhaltliche Befassen mit diesem Thema? Die CDU fordert ja eine bessere Koordinierung der Fachressorts, schon vorbeugend, um Analyse gerade inhaltlich auf den Weg zu bringen.
Stützle: Zunächst ist ja mal erfreulich, dass dieses noch gar nicht beschlossene und noch gar nicht veröffentlichte Papier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - das soll ja wohl am Mittwoch geschehen, wenn ich das richtig verstanden habe - schon zu einer intensiven Diskussion geführt hat. Das heißt es ist ein Bedarf vorhanden, sicherheitspolitische Fragen zu erörtern.
Zweitens: der Bundesaußenminister hat hier vor wenigen Minuten die Initiative der Bundestagsfraktion der CDU/CSU zurückgewiesen und gesagt, die strukturellen Konsequenzen, die sie vorschlagen, nämlich einen nationalen Sicherheitsrat, brächen mit der Staatspraxis der Bundesrepublik, wie sie sich bewährt habe. Tatsächlich - und da schließe ich drittens an das an, was eingangs in dem Bericht auch des Kollegen Groth gesagt worden ist - nationaler Sicherheitsrat ist ein Instrument aus dem Präsidialsystem, wie wir es in den Vereinigten Staaten haben, aber eigentlich kein Instrument in einer parlamentarischen Koalitionsregierung, wo die beiden wichtigsten Ämter (der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin und der Außenminister) unterschiedlichen Parteien angehören.
Heinlein: Aber nun könnte man vermuten, dass Frank-Walter Steinmeier nur einfach Sorge hat, dass ihm Kompetenzen genommen werden und dem Bundeskanzleramt zugeordnet werden. Also ein machtpolitischer Kampf.
Stützle: Ich würde das noch nicht einen machtpolitischen Kampf nennen. Ich würde das zunächst mal eine Interessenabwägung nennen und eine Interessenschärfung. Ich will mal in Erinnerung rufen, dass es in dieser Bundesrepublik nicht nur einen Bundessicherheitsrat ja schon gibt, von dem man, wenn man will, ausgiebig Gebrauch machen kann, in dem unter Vorsitz der Bundeskanzlerin und unter Vorbereitung durch den Verteidigungsminister, dem geschäftsführenden Vorsitzenden oder dem Außenminister - je nach Koalitionsvereinbarung - alle sicherheitspolitisch relevanten Themen erörtert werden können. Helmut Schmidt hat in seiner Zeit als Bundeskanzler davon intensiv Gebrauch gemacht. Ja wir hatten sogar mal vor langer, langer Zeit einen Bundesminister für den Bundessicherheitsrat - Heinrich Krone. Die älteren Bürger unter unseren Zuhörern werden sich daran erinnern.
Das heißt, wenn man es will und inhaltliche Klarheit hat, dann kann man auch notwendige strukturelle Konsequenzen ziehen. Ein nationaler Sicherheitsrat scheint mir nicht im Bereich des Möglichen zu liegen, solange wir von Koalitionsregierungen regiert werden.
Heinlein: Wo sind denn die Unterschiede zwischen dem deutschen Bundessicherheitsrat und dem US-amerikanischen nationalen Sicherheitsrat?
Stützle: Der wichtigste Unterschied ist der: der nationale Sicherheitsrat führt alles zusammen und berät den amerikanischen Präsidenten, der dann alleine eine Entscheidung trifft, für deren Konsequenzen er sich dann eventuell im Kongress Mehrheiten und Geld suchen muss. Der Bundessicherheitsrat ist ein Gremium, in dem alle Ressorts gleichberechtigt zusammenarbeiten und wo der Regierungschef oder die Regierungschefin dann versuchen muss, durch das parteipolitische Gestrüpp hindurchzukommen und einen Kompromiss zu finden. Ich erinnere mal an die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses, als es um die Nachrüstung gegen sowjetische Vorrüstung ging. Ende der 70er Jahre war dies die klassische Aufgabe für den Bundeskanzler Helmut Schmidt mit seinem Koalitionspartner Hans-Dietrich Genscher. Und Hans-Dietrich Genscher hätte niemals akzeptiert, dass es einen nationalen Sicherheitsrat gibt, aber er hat akzeptiert, dass es einen Bundessicherheitsrat gibt, in dem alle Ressorts gleichberechtigt zusammengearbeitet haben.
Heinlein: Aber Herr Stützle, dieses parteipolitische Gestrüpp, das Sie selber angesprochen haben, ist das nicht das stärkste Argument für einen nationalen Sicherheitsrat, denn die Zuständigkeit des Parlaments, diese parteipolitischen Absprachen verhindern ja rasche Reaktionen auf diese neuen Bedrohungslagen?
Stützle: Ich verstehe, dass Sie das so sagen. Ich würde aber die daraus zu ziehende Schlussfolgerung nicht notwendigerweise teilen. Mir ist keine internationale Krise bekannt, wo die Bundesregierung, so sie es dann gewollt hat, nicht schnell und unverzüglich hätte handeln können. Die letzte, wo ein sehr extrem schnelles Handeln notwendig war, war nach den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001 und da ist sehr, sehr schnell entschieden worden in den dafür vorhandenen Institutionen - und die Entscheidungen wirken ja bis heute fort und niemand hat das Entscheidungsverfahren damals kritisiert. Also es ist möglich, wenn die politisch verantwortlichen gewählten Chefs der Ressorts (Außen, Verteidigung, Finanzen etc. sowie Entwicklung) unter Vorsitz des Regierungschefs oder der Regierungschefin das wollen.
Heinlein: Herr Stützle, der Union geht es ja nicht nur um den nationalen Sicherheitsrat. Man will ja auch Teile des US-amerikanischen Raketenabwehrschilds übernehmen. Ist es richtig, sich künftig noch wirksamer vor nuklearen Angriffen zu schützen?
Stützle: So weit ich informiert bin fordert die Union das in dem noch nicht beschlossenen Papier nicht ausdrücklich, sondern kommt zu dem Ergebnis, es liege im deutschen Interesse, sich auch mit Raketenabwehrsystemen gegen eventuelle feindliche Nuklearwaffen zu schützen und zu wappnen. Ob daraus die Union die Schlussfolgerung zieht, dass die Bundesrepublik sich an einem Raketenabwehrsystem beteiligen sollte, ist glaube ich noch zu früh. Da muss man warten, was tatsächlich beschlossen worden ist. Wenn es so ist wie ich es bisher wahrnehme, dann liegt das bekundete Interesse der Unionsfraktion eher auf der Linie dessen, was die Bundesregierung auch in der nordatlantischen Allianz gesagt hat, nämlich man nimmt zur Kenntnis, dass die Vereinigten Staaten für sich ein strategisches, die Vereinigten Staaten schützendes Raketenabwehrsystem bauen wollen, und man ist daran interessiert zu prüfen, ob daraus auch Schlussfolgerungen für die europäischen Bündnispartner und ihren eigenen Schutz zu ziehen sind. Also eine relativ komplizierte Geschichte mit zwei klaren Schlussfolgerungen in der atlantischen Allianz und mir scheint nach dem was wir bisher wissen - aber wir müssen abwarten, bis der Text vollständig auf dem Tisch liegt und beschlossen und abgesegnet ist -, dass das auch die Linie der Unionsfraktion ist.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag der sicherheitspolitische Publizist Walther Stützle. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!
Stützle: Danke Ihnen, Herr Heinlein!
Am Telefon begrüße ich jetzt den sicherheitspolitischen Experten und Publizisten Walther Stützle. Guten Tag nach Berlin!
Stützle: Guten Tag Herr Heinlein!
Heinlein: Herr Stützle, der Kalte Krieg ist Geschichte. Wir wissen es alle. Es gibt neue Bedrohungen: Terror und nukleare Schurkenstaaten. Wird es tatsächlich nicht höchste Zeit, sich den neuen globalen Herausforderungen strukturell anzupassen?
Stützle: Ob man sich ihnen strukturell anpassen muss, ist die offene Frage. Tatsächlich muss man sich mit ihnen inhaltlich intensiv befassen und dabei tauchen natürlich eine Fülle von Problemen auf wie Terror, wie Verbreitung von Nuklearwaffen, wie Versagen staatlicher Organe in Staaten, die aus außenpolitischem Interesse für uns wichtig sein müssen - ob in Afrika oder in Asien. Ja, es gibt eine große Notwendigkeit, sich nach dem Ende des Kalten Krieges nicht aus der Sicherheitspolitik zu verabschieden, sondern sich mit ihr intensiv zu befassen. Aber vor den strukturellen Konsequenzen sollten die inhaltlichen Klärungen stehen.
Heinlein: Aber genügen tatsächlich diese inhaltlichen Veränderungen, dieses inhaltliche Befassen mit diesem Thema? Die CDU fordert ja eine bessere Koordinierung der Fachressorts, schon vorbeugend, um Analyse gerade inhaltlich auf den Weg zu bringen.
Stützle: Zunächst ist ja mal erfreulich, dass dieses noch gar nicht beschlossene und noch gar nicht veröffentlichte Papier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion - das soll ja wohl am Mittwoch geschehen, wenn ich das richtig verstanden habe - schon zu einer intensiven Diskussion geführt hat. Das heißt es ist ein Bedarf vorhanden, sicherheitspolitische Fragen zu erörtern.
Zweitens: der Bundesaußenminister hat hier vor wenigen Minuten die Initiative der Bundestagsfraktion der CDU/CSU zurückgewiesen und gesagt, die strukturellen Konsequenzen, die sie vorschlagen, nämlich einen nationalen Sicherheitsrat, brächen mit der Staatspraxis der Bundesrepublik, wie sie sich bewährt habe. Tatsächlich - und da schließe ich drittens an das an, was eingangs in dem Bericht auch des Kollegen Groth gesagt worden ist - nationaler Sicherheitsrat ist ein Instrument aus dem Präsidialsystem, wie wir es in den Vereinigten Staaten haben, aber eigentlich kein Instrument in einer parlamentarischen Koalitionsregierung, wo die beiden wichtigsten Ämter (der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin und der Außenminister) unterschiedlichen Parteien angehören.
Heinlein: Aber nun könnte man vermuten, dass Frank-Walter Steinmeier nur einfach Sorge hat, dass ihm Kompetenzen genommen werden und dem Bundeskanzleramt zugeordnet werden. Also ein machtpolitischer Kampf.
Stützle: Ich würde das noch nicht einen machtpolitischen Kampf nennen. Ich würde das zunächst mal eine Interessenabwägung nennen und eine Interessenschärfung. Ich will mal in Erinnerung rufen, dass es in dieser Bundesrepublik nicht nur einen Bundessicherheitsrat ja schon gibt, von dem man, wenn man will, ausgiebig Gebrauch machen kann, in dem unter Vorsitz der Bundeskanzlerin und unter Vorbereitung durch den Verteidigungsminister, dem geschäftsführenden Vorsitzenden oder dem Außenminister - je nach Koalitionsvereinbarung - alle sicherheitspolitisch relevanten Themen erörtert werden können. Helmut Schmidt hat in seiner Zeit als Bundeskanzler davon intensiv Gebrauch gemacht. Ja wir hatten sogar mal vor langer, langer Zeit einen Bundesminister für den Bundessicherheitsrat - Heinrich Krone. Die älteren Bürger unter unseren Zuhörern werden sich daran erinnern.
Das heißt, wenn man es will und inhaltliche Klarheit hat, dann kann man auch notwendige strukturelle Konsequenzen ziehen. Ein nationaler Sicherheitsrat scheint mir nicht im Bereich des Möglichen zu liegen, solange wir von Koalitionsregierungen regiert werden.
Heinlein: Wo sind denn die Unterschiede zwischen dem deutschen Bundessicherheitsrat und dem US-amerikanischen nationalen Sicherheitsrat?
Stützle: Der wichtigste Unterschied ist der: der nationale Sicherheitsrat führt alles zusammen und berät den amerikanischen Präsidenten, der dann alleine eine Entscheidung trifft, für deren Konsequenzen er sich dann eventuell im Kongress Mehrheiten und Geld suchen muss. Der Bundessicherheitsrat ist ein Gremium, in dem alle Ressorts gleichberechtigt zusammenarbeiten und wo der Regierungschef oder die Regierungschefin dann versuchen muss, durch das parteipolitische Gestrüpp hindurchzukommen und einen Kompromiss zu finden. Ich erinnere mal an die Zeit des NATO-Doppelbeschlusses, als es um die Nachrüstung gegen sowjetische Vorrüstung ging. Ende der 70er Jahre war dies die klassische Aufgabe für den Bundeskanzler Helmut Schmidt mit seinem Koalitionspartner Hans-Dietrich Genscher. Und Hans-Dietrich Genscher hätte niemals akzeptiert, dass es einen nationalen Sicherheitsrat gibt, aber er hat akzeptiert, dass es einen Bundessicherheitsrat gibt, in dem alle Ressorts gleichberechtigt zusammengearbeitet haben.
Heinlein: Aber Herr Stützle, dieses parteipolitische Gestrüpp, das Sie selber angesprochen haben, ist das nicht das stärkste Argument für einen nationalen Sicherheitsrat, denn die Zuständigkeit des Parlaments, diese parteipolitischen Absprachen verhindern ja rasche Reaktionen auf diese neuen Bedrohungslagen?
Stützle: Ich verstehe, dass Sie das so sagen. Ich würde aber die daraus zu ziehende Schlussfolgerung nicht notwendigerweise teilen. Mir ist keine internationale Krise bekannt, wo die Bundesregierung, so sie es dann gewollt hat, nicht schnell und unverzüglich hätte handeln können. Die letzte, wo ein sehr extrem schnelles Handeln notwendig war, war nach den Terroranschlägen in New York am 11. September 2001 und da ist sehr, sehr schnell entschieden worden in den dafür vorhandenen Institutionen - und die Entscheidungen wirken ja bis heute fort und niemand hat das Entscheidungsverfahren damals kritisiert. Also es ist möglich, wenn die politisch verantwortlichen gewählten Chefs der Ressorts (Außen, Verteidigung, Finanzen etc. sowie Entwicklung) unter Vorsitz des Regierungschefs oder der Regierungschefin das wollen.
Heinlein: Herr Stützle, der Union geht es ja nicht nur um den nationalen Sicherheitsrat. Man will ja auch Teile des US-amerikanischen Raketenabwehrschilds übernehmen. Ist es richtig, sich künftig noch wirksamer vor nuklearen Angriffen zu schützen?
Stützle: So weit ich informiert bin fordert die Union das in dem noch nicht beschlossenen Papier nicht ausdrücklich, sondern kommt zu dem Ergebnis, es liege im deutschen Interesse, sich auch mit Raketenabwehrsystemen gegen eventuelle feindliche Nuklearwaffen zu schützen und zu wappnen. Ob daraus die Union die Schlussfolgerung zieht, dass die Bundesrepublik sich an einem Raketenabwehrsystem beteiligen sollte, ist glaube ich noch zu früh. Da muss man warten, was tatsächlich beschlossen worden ist. Wenn es so ist wie ich es bisher wahrnehme, dann liegt das bekundete Interesse der Unionsfraktion eher auf der Linie dessen, was die Bundesregierung auch in der nordatlantischen Allianz gesagt hat, nämlich man nimmt zur Kenntnis, dass die Vereinigten Staaten für sich ein strategisches, die Vereinigten Staaten schützendes Raketenabwehrsystem bauen wollen, und man ist daran interessiert zu prüfen, ob daraus auch Schlussfolgerungen für die europäischen Bündnispartner und ihren eigenen Schutz zu ziehen sind. Also eine relativ komplizierte Geschichte mit zwei klaren Schlussfolgerungen in der atlantischen Allianz und mir scheint nach dem was wir bisher wissen - aber wir müssen abwarten, bis der Text vollständig auf dem Tisch liegt und beschlossen und abgesegnet ist -, dass das auch die Linie der Unionsfraktion ist.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag der sicherheitspolitische Publizist Walther Stützle. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!
Stützle: Danke Ihnen, Herr Heinlein!