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Stuttgart 21 ist keineswegs "so bedeutend wie angenommen"

Grüne und SPD in Baden-Württemberg haben sich darauf geeinigt, spätestens bis Oktober eine Volksabstimmung über das Bahnprojekt Stuttgart 21 abhalten zu lassen. Der Verkehrsökonom Christian Böttger meint, hinter den Kulissen gebe es bei allen Beteiligten Überlegungen, wie man das Gesicht wahrend aus der Sache herauskomme.

Christian Böttger im Gespräch mit Christian Bremkamp | 21.04.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Stuttgart 21 war neben Fukushima nicht nur der Schlüssel des grün-roten Erfolges in Baden-Württemberg; das Projekt ist Stolperstein zugleich, denn die Sozialdemokraten sind dafür, die Grünen dagegen. Gestern haben sich die Koalitionspartner in spe auf eine gemeinsame Linie geeinigt. Demnach soll auf jeden Fall eine Volksabstimmung abgehalten werden und das Ergebnis soll dann auch zählen.

    Mein Kollege Christian Bremkamp hat gestern Abend mit dem Berliner Verkehrsökonomen Christian Böttger von der dortigen Hochschule für Technik und Wirtschaft gesprochen und zunächst folgende Frage gestellt: Würde ein Nein wirklich das endgültige Aus für das Projekt bedeuten, oder gibt es möglicherweise weitere Hürden, vertraglicher Art beispielsweise, die noch gar nicht bekannt sind?

    Christian Böttger: Gut, also die Verträge im Detail sind heute ja nicht bekannt und deswegen weiß man nicht, was in den Verträgen drinsteckt. Klar ist: es gibt ein Drei-Parteien-Agreement zwischen Bund, Land und der DB AG und auch wenn eine Volksabstimmung sagt, man will dort aussteigen, dann müsste man natürlich sehen, wie man diese Verträge wieder auflöst.

    Christian Bremkamp: Könnte man die überhaupt auflösen?

    Böttger: Wenn alle zustimmen, kann man jeden Vertrag auflösen. Wenn einer nicht will, dann müsste man sich das Ganze mal anschauen. Aber wissen Sie, es ist in Deutschland eigentlich undenkbar, dass man zum Beispiel gegen den Willen eines Projektbeteiligten so ein Projekt durchzieht, sie brauchen Genehmigungen für jeden Bauschritt, und wenn also einer der Beteiligten das ganze nicht will, dann kann er das jederzeit faktisch stoppen, indem man eben sagt, wir machen Maximalkriterien bei jeder Prüfung und können das zeitlich aufhalten. Das heißt also, wenn eine Partei sagt, sie will es nicht, dann wird man sicherlich in Verhandlungen eintreten. Hinzu kommt, dass unter der Hand natürlich auch den anderen Projektbeteiligten klar ist, dass dieses Projekt keine so zentrale Bedeutung hat, sondern dass die Bedeutung erst in den letzten Monaten dadurch entstanden ist, dass die Politik dieses so in den Vordergrund gestellt hat.

    Bremkamp: Nun waren die Haltungen der beiden Parteien, SPD und Grüne, bislang ja unterschiedlich. Glauben Sie, dass das eine Belastung für die mögliche grün-rote Koalition in Stuttgart sein kann?

    Böttger: Ja, mit Sicherheit wird das eine Belastung sein, weil zum einen die SPD sich natürlich grundsätzlich noch an ihre Rolle als Juniorpartner gewöhnen muss in so einer Konstellation, und die SPD hat zumindest in Baden-Württemberg bis zuletzt zu diesem Projekt gestanden, während für die Grünen der Ausstieg aus dem Projekt ganz zentral ist. Und sollte es tatsächlich zu einer Volksabstimmung kommen, dann besteht eben die Gefahr, dass die SPD gemeinsam mit der Union dann für das Projekt kämpft und damit natürlich die Koalition auch massiv belasten würde, indem man sagt, man kämpft mit einer Oppositionspartei gegen den Regierungspartner.

    Bremkamp: Welche finanziellen Konsequenzen hätte ein Ausstieg eigentlich? Es geht ja immerhin um einen Vier-Milliarden-Bau.

    Böttger: Ja. Es geht in Wirklichkeit nicht um einen Vier-Milliarden-Bau, sondern es geht um einen Sieben-Milliarden-Bau. Es wird ja leicht vergessen, dass man sagt, Stuttgart 21 bedeutet, man muss auch diese Neubaustrecke Stuttgart-Ulm bauen, ohne Stuttgart-Ulm macht Stuttgart 21 keinen Sinn. Umgekehrt gilt das nicht. Aber diese beiden Projekte zusammen kosten nach jetzigem Stand, jetzt noch zu verbauen, sieben Milliarden Euro etwa, und diese Kosten sind eher vorsichtig geschätzt. Also vermutlich drohen dort noch erhebliche Kostensteigerungen.

    Bremkamp: Haben möglicherweise alle drei Partner, Parteien insgeheim ein Interesse, das Projekt zu stoppen, weil es eben so teuer ist?

    Böttger: Ja. Mit Sicherheit haben alle Parteien ein Interesse daran. Das Land, eben jetzt vertreten durch die Grünen vor allem, natürlich als Regierungspartei, und der Bund und die DB sind sich natürlich auch darüber im klaren, dass dieses Geld so viel Bundesmittel bindet – das ist ja auch mein Hauptvorwurf gegen dieses Projekt -, dass andere, viel wichtigere Projekte über die nächsten zehn Jahre nicht mehr angefangen werden können. Die Projekte, die wir dringend brauchen für die Eisenbahn in Deutschland, die können nicht angefangen werden, weil die Gelder in ein Projekt gebunden sind, das mit bestem Willen, wenn man es gutmütig betrachtet, also vielleicht ein klein bisschen Nutzen stiftet, aber vielleicht noch nicht mal überhaupt, weil selbst diese behauptete Kapazitätssteigerung ja sehr in Frage steht. Also die Frage ist, warum baue ich dieses Projekt überhaupt, und dafür verschiebe ich wichtige Projekte bei der Eisenbahn eben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

    Bremkamp: Wenn ich Sie richtig verstehe, haben eigentlich alle Parteien ein Interesse daran, möglicherweise diesen Stopp auch schon zu verkünden, bevor es zu einem Volksentscheid kommt?

    Böttger: Ja, aber das muss man jetzt natürlich sehen: Die Union hat eigentlich Stuttgart 21 ja zum Prüfstein der Zukunftsfähigkeit Deutschlands gemacht und es damit auf eine Ebene erhoben, die dieses Projekt überhaupt nicht verdient, und deswegen wird sich die Union also sehr schwer tun, einem Stopp dort zuzustimmen. Aber ich glaube, alle Leute, die sich mit der Sache auskennen, wissen, dass dieses Projekt keineswegs so bedeutend ist wie angenommen, und deswegen gibt es da, glaube ich, auch hinter den Kulissen durchaus Überlegungen, wie man dort gesichtswahrend für alle Seiten herauskommt.

    Bremkamp: Deswegen vielleicht auch diesen vorläufigen Bau- und Vergabestopp, den die Bahn Ende März eingelegt hat?

    Böttger: Ja natürlich. Die Bahn muss sich natürlich überlegen, mit wem will sie es sich verderben, und wenn sie jetzt offen sagen würde, nein, wir halten das Projekt auch für unsinnig oder für unterfinanziert, lasst uns damit aufhören, dann würde man damit die Union brüskieren. Wenn man sagt, wir machen weiter wie immer, würde man damit die Grünen brüskieren, die ja vielleicht in zwei Jahren auch im Bund eine große Rolle spielen, und die Bahn ist da natürlich auch ein bisschen hin- und hergeworfen. Das andere ist: Die Bahn sitzt aus diesem Projekt heraus natürlich auf erheblichen Kosten, und natürlich muss die Bahn auch überlegen, wenn man dieses Projekt stoppt, dass man dann die anderen Projektbeteiligten angemessen daran beteiligt. Persönlich würde ich das auch für richtig halten, dass sie sagt, wenn es eine politische Entscheidung ist, dieses Projekt zu stoppen, ich halte diese Entscheidung für richtig, dann muss man eben auch überlegen, wie man die Kosten dafür verteilt, dass man nicht versucht, die Kosten dann bei der Bahn liegen zu lassen.

    Bremkamp: Nun hat man mit den Bauarbeiten ja seit geraumer Zeit begonnen, da ist ja schon was gemacht worden. Zu dem alten Bahnhof wird man ja nicht zurückkehren können. Was wird man denn aus dem, was man jetzt vorfindet, entwickeln können?

    Böttger: Der alte Bahnhof ist ja nicht so schlecht, wie er zuletzt gemacht worden ist. Es ist einer der pünktlichsten Bahnhöfe Deutschlands, man hat dort keine Kapazitätsengpässe, man hat in dem heutigen Bahnhof auch noch Kapazitätsreserven. Man hat einen Bau dort abgerissen, den kann man notfalls wieder aufbauen oder modernisiert wieder aufbauen. Was man in der Tat tun muss ist, dass man einige Instandhaltungsmaßnahmen nachholt, die man die letzten Jahre unterlassen hat nach dem Motto, warum soll ich die Brücke noch anmalen, wenn ich sie sowieso demnächst abreißen will. Da werden also die nächsten Jahre noch einige Kosten kommen, aber ansonsten kann man, glaube ich, in aller Ruhe überlegen, wie man den Knoten Stuttgart noch weiter ertüchtigt. Aber aus meiner Sicht ist das keines der wirklich kritischen Projekte, das wir in Deutschland zurzeit haben.

    Heckmann: Der Verkehrsökonom Christian Böttger im Gespräch mit meinem Kollegen Christian Bremkamp.